§ 1957 BGB Wirkung der Anfechtung – Haftungsfragen
Ein Erbe zu sein, kann eine große Verantwortung sein. Manchmal stellt man fest, dass man das Erbe doch nicht annehmen möchte oder kann. In solchen Fällen kann man die Annahme des Erbes anfechten oder die Ausschlagung erklären. Doch was passiert, wenn man seine Meinung ändert und diese Entscheidung rückgängig machen möchte? Und welche Folgen hat das für andere Beteiligte? Rechtsanwalt und Notar Krau beleuchtet dieses komplexe Thema für Sie.
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine wichtige Erklärung bezüglich einer Erbschaft abgegeben – zum Beispiel haben Sie diese angenommen oder ausgeschlagen. Wenn Sie diese Erklärung später anfechten (also für ungültig erklären), kann das für andere Personen, die sich auf Ihre ursprüngliche Aussage verlassen haben, zu einem unerwarteten Problem werden. Laut § 122 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sind Sie dann diesen Personen gegenüber grundsätzlich verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der ihnen dadurch entstanden ist, dass sie auf die Gültigkeit Ihrer ursprünglichen Erklärung vertraut haben. Das gilt auch, wenn Sie die Frist zur Ausschlagung des Erbes verpasst und diese Versäumnis angefochten haben.
Manche Stimmen fordern, diese Haftung stark zu begrenzen und nur Schäden zu ersetzen, die direkt und unmittelbar durch Ihre Anfechtung entstanden sind. Doch diese strenge Auslegung ist problematisch. Der Gesetzestext des § 122 Absatz 1 BGB ist nämlich breiter gefasst und schützt Sie bereits ausreichend vor übermäßigen Forderungen. Zum Beispiel müssen Sie keinen Schaden ersetzen, wenn der andere die Fehlerhaftigkeit Ihrer ursprünglichen Erklärung (z.B. die Anfechtbarkeit) kannte oder kennen musste. Außerdem ist die Höhe des zu ersetzenden Schadens auf das sogenannte „negative Interesse“ begrenzt – das bedeutet, Sie müssen nur den Schaden ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass jemand auf die Gültigkeit Ihrer Erklärung vertraut hat, nicht aber entgangenen Gewinn. Eine weitere Einschränkung der Haftung würde das System des Anfechtungsrechts durcheinanderbringen.
Als „Dritte“ kommen in erster Linie Personen infrage, die nach Ihrer Erbschaftsausschlagung die nächstberufenen Erben gewesen wären.
Angenommen, Sie haben das Erbe ausgeschlagen und jemand anders war daraufhin der nächste in der Reihe der Erben. Diese Person hat vielleicht schon Pläne gemacht, im Vertrauen darauf, dass sie jetzt Erbe ist – zum Beispiel hat sie erste Ausgaben getätigt oder Vermögensdispositionen getroffen. Wenn Sie nun Ihre Ausschlagung anfechten, kann diese Person von Ihnen Schadensersatz verlangen.
Es ist nicht entscheidend, ob diese Ausgaben direkt durch Ihre Anfechtung ausgelöst wurden. Vielmehr trifft der nächstberufene Erbe seine Entscheidungen im direkten Vertrauen darauf, dass Ihre Ausschlagung bestehen bleibt und er dadurch Erbe wird. Besonders relevant ist dies, wenn das Nachlassgericht (also das Gericht, das sich um Erbschaftsangelegenheiten kümmert) dem Nächstberufenen Ihre Ausschlagung mitgeteilt hat.
Wichtig ist: Wenn der Nächstberufene wusste oder wissen musste, dass Ihre Ausschlagung anfechtbar war (zum Beispiel, weil Sie das Erbe wegen angeblicher Überschuldung ausgeschlagen haben, der Nächstberufene aber weiß, dass der Nachlass wertvoll ist), muss er sich das anrechnen lassen.
Wenn der Nächstberufene aber Ihre Gründe für die Ausschlagung nicht kannte, kann man ihm das Vertrauen auf seine Erbenstellung nicht absprechen. Man kann von ihm auch nicht verlangen, dass er auf jegliche Vermögensdispositionen verzichtet, nur weil Sie Ihre Ausschlagung vielleicht noch anfechten könnten. Nur übermäßige Ausgaben, die er vor Ablauf einer angemessenen Frist für eine Anfechtung getätigt hat, müsste er sich gegebenenfalls vorwerfen lassen.
Zusätzlich kann der nächstberufene Erbe, der den Nachlass vielleicht schon in Besitz genommen hat, Ihnen gegenüber weitere Ersatzansprüche haben, die über den reinen Vertrauensschaden hinausgehen können. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn er im Interesse des Nachlasses einen Rechtsstreit geführt hat und die Prozesskosten tragen muss, weil die Klage durch Ihre Anfechtung unbegründet wurde. Oder wenn er von Gläubigern für Nachlassschulden in Anspruch genommen wird, die er im Vertrauen auf seine Erbenstellung eingegangen ist.
Auch Nachlassgläubiger (also Personen oder Firmen, denen der Erblasser noch etwas geschuldet hat) können als „Dritte“ Schadensersatz verlangen. Das ist der Fall, wenn sie im Vertrauen auf Ihre ursprüngliche Erbenstellung (oder Ihre Ausschlagung) bereits Kosten hatten, zum Beispiel für eine Klage oder Vollstreckungsmaßnahmen. Oftmals sind sie aber durch andere Regelungen geschützt, zum Beispiel bei der Verteilung der Gerichtskosten.
Wenn Sie Sicherheiten für einen Nachlassgläubiger aufgegeben haben, weil Sie auf die unbeschränkte Haftung des Erben vertrauten, könnte eine Schadensersatzpflicht nur dann bejaht werden, wenn Sie die Aufgabe dieser Sicherheiten durch ein besonderes Verhalten provoziert haben.
Was ist mit Gläubigern von vermeintlichen Nachlass-Erben-Schulden? Das sind Schulden, die ein (vorläufiger) Erbe im Zusammenhang mit dem Nachlass gemacht hat. Hier kann der Gläubiger in der Regel nicht von Ihnen aufgrund Ihrer Anfechtung nach § 122 Absatz 1 BGB Schadensersatz verlangen, sondern er müsste Sie für die von Ihnen selbst abgeschlossenen Geschäfte haftbar machen. Eine Ausnahme kann bestehen, wenn der Anspruch gegen den nächstberufenen Erben ausfällt, weil der Gläubiger auf Ihre unbeschränkte Haftung als Erbe vertraut hat.
Wenn Nachlassschuldner (also Personen, die dem Erblasser etwas schuldeten) im Vertrauen auf die Erbenstellung des nächstberufenen Erben an diesen geleistet haben, können sie sich – wenn sie nicht ohnehin von ihrer Leistungspflicht befreit sind – gegen eine erneute Forderung von Ihnen auf ihren Vertrauensschaden berufen. Haben sie hingegen an Sie geleistet, können sie von Ihnen Freistellung von einer Inanspruchnahme durch den endgültigen Erben verlangen, falls sie nicht ohnehin befreit sind.
Gläubiger des vermeintlichen Erben (Ihre eigenen Gläubiger) sind nicht dadurch geschützt, dass Ihre Kreditwürdigkeit durch eine (später angefochtene) Erbschaftsannahme gestiegen ist.
Der Schadensersatz ist, wie bereits erwähnt, auf das negative Interesse begrenzt. Das bedeutet, es wird nur der Schaden ersetzt, der dadurch entstanden ist, dass auf die Gültigkeit Ihrer Erklärung vertraut wurde. Entgangener Gewinn wird nicht ersetzt.
Es gibt keine Amtspflicht für den Notar, der eine Anfechtung beurkundet, oder für das Nachlassgericht, das eine Anfechtung entgegennimmt, Sie auf Ihre mögliche Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB hinzuweisen. Dies ist eine indirekte Rechtsfolge, für die Sie selbst verantwortlich sind.
Ich hoffe, diese Erläuterungen konnten Ihnen einen verständlicheren Einblick in die komplexen Folgen einer Anfechtung im Erbrecht geben. Bei weiteren Fragen oder konkreten Anliegen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
RA und Notar Krau