§ 1958 BGB Keine Klage vor Annahme der Erbschaft – Besondere Verfahren
Wenn das Erbe zur Last wird: Was Sie über Sonderfälle wissen sollten
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Thema Erbschaft kann viele Fragen aufwerfen, besonders wenn es um Schulden im Nachlass geht. Als Rechtsanwalt und Notar erlebe ich immer wieder, dass die rechtlichen Feinheiten rund um die Haftungsbeschränkung (also den Schutz Ihres Privatvermögens vor Nachlassschulden) für Laien schwer zu durchblicken sind.
Im vorherigen Blogbeitrag haben wir bereits besprochen, wie Sie Ihr eigenes Vermögen schützen können, wenn Sie eine Erbschaft antreten, die vielleicht mehr Lasten als Reichtümer birgt. Heute tauchen wir tiefer in bestimmte „Sonderfälle“ ein. Es geht darum, welche rechtlichen Schritte nicht gegen Sie oder den Nachlass ergriffen werden können, solange Sie noch nicht endgültig entschieden haben, ob Sie das Erbe annehmen. Es geht auch darum, welche Ausnahmen es gibt und wie Sie als Erbe in spe (also als potenzieller Erbe) oder als Gläubiger (jemandem, dem der Nachlass Geld schuldet) dennoch zu Ihrem Recht kommen.
Stellen Sie sich vor, der Nachlass hat Schulden, und ein Gläubiger möchte schnell an sein Geld kommen. Es gibt bestimmte gerichtliche Schnellverfahren, die dafür eigentlich gedacht sind. Aber: Solange Sie sich noch nicht entschieden haben, ob Sie die Erbschaft annehmen, sind diese nicht zulässig.
Dazu gehören Verfahren wie:
Warum sind diese Verfahren ausgeschlossen? Ganz einfach: Entweder handelt es sich ohnehin um Schulden, die eigentlich schon zum Nachlass gehören, oder aber man kann die Rechte der Gläubiger auch auf andere Weise sichern. Zum Beispiel, indem ein Nachlasspfleger eingesetzt wird. Das ist eine Art Treuhänder, der sich um den Nachlass kümmert, wenn der Erbe noch nicht feststeht oder unbekannt ist. Er hat die Aufgabe, den Nachlass zu sichern und die Erben zu ermitteln.
Auch bestimmte Verfahren, die man vor Gericht führt, aber nicht unbedingt als „Streit“ im klassischen Sinne wahrnimmt, fallen unter diese Regelung. Das betrifft sogenannte Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wenn sie dazu da sind, ein Recht gegen den Nachlass durchzusetzen.
Beispiel: Jemand möchte gerichtlich feststellen lassen, dass er ein Recht am Nachlass hat. Auch hier gilt: Solange Sie nicht endgültig Erbe sind, ist das so nicht ohne Weiteres möglich.
Es gibt aber Ausnahmen:
Als Erbe können Sie (aber erst nach der Annahme der Erbschaft!) ein sogenanntes Aufgebotsverfahren zur Ausschließung von Nachlassgläubigern beantragen. Klingt kompliziert, ist aber eine clevere Sache: Dadurch werden alle Gläubiger öffentlich aufgefordert, ihre Forderungen anzumelden. Wer sich nicht meldet, verliert unter Umständen sein Recht, später noch Geld aus dem Nachlass zu fordern.
Solange Sie die Erbschaft noch nicht angenommen haben, dürfen Sie dieses Verfahren aber nicht beantragen. Hier muss – wenn es denn sein soll – der Nachlasspfleger oder ein Nachlassverwalter ran.
Das ist eine der häufigsten Fragen: Können Gläubiger schon auf mein Privatvermögen zugreifen, wenn ich noch gar nicht endgültig Erbe bin?
Die gute Nachricht: Grundsätzlich nicht! Bevor Sie die Erbschaft annehmen, darf eine Zwangsvollstreckung nur in den Nachlass selbst erfolgen, also in das Vermögen, das vom Verstorbenen stammt. Ihr eigenes Vermögen bleibt erstmal außen vor. Der Nachlass wird in dieser Phase wie ein Sondervermögen behandelt, das von Ihrem Privatvermögen getrennt ist.
Was heißt das für Sie als potenziellen Erben? Wenn ein Gläubiger versucht, in Ihr eigenes Vermögen zu vollstrecken, obwohl Sie die Erbschaft noch nicht angenommen haben, können Sie sich dagegen wehren. Das geht zum Beispiel mit einer sogenannten Erinnerung oder einer Drittwiderspruchsklage vor Gericht.
Und was ist, wenn der Gläubiger vollstrecken will, aber noch kein Erbe feststeht? Dann muss ein Nachlasspfleger bestellt werden. Gegen diesen Pfleger wird dann der „Vollstreckungstitel“ (der gerichtliche Bescheid, mit dem man vollstrecken darf) ausgestellt.
Wichtig zu wissen: Ein Titel, der direkt gegen Sie als Erben ausgestellt ist, obwohl Sie die Erbschaft noch nicht angenommen haben, ist unzulässig. Wenn Ihnen so etwas passiert, können Sie sich dagegen zur Wehr setzen.
Und was ist nach der Annahme der Erbschaft? Sobald Sie die Erbschaft angenommen haben, wirkt der Titel, der ursprünglich gegen den Nachlass gerichtet war, auch gegen Sie. Allerdings muss der Titel dann noch speziell auf Sie als Erben umgeschrieben werden, damit auch in Ihr Privatvermögen vollstreckt werden darf.
Auch die sogenannte Aufrechnung ist ein spannendes Thema. Stellen Sie sich vor, der Verstorbene hatte bei Ihnen noch Schulden, und Sie hatten bei ihm eine Forderung. Können Sie das einfach „verrechnen“?
Ja, eine Aufrechnung ist auch außerhalb eines Gerichtsverfahrens möglich. Aber Vorsicht: Die Aufrechnung von Forderungen des Nachlasses mit Ihren persönlichen Forderungen ist nur dann wirksam, wenn Sie am Ende auch wirklich der endgültige Erbe werden. Solange der Nachlass noch ein „Sondervermögen“ ist, geht das nicht einfach, weil Gläubiger und Schuldner nicht ein und dieselbe Person sind.
Wenn ein Nachlass überschuldet ist (also mehr Schulden als Vermögen hat), kann ein Nachlassinsolvenzverfahren sinnvoll sein. Das ist eine Art „geordneter Bankrott“ für den Nachlass.
Das Besondere hier: Ein Nachlassinsolvenzverfahren kann schon vor der Annahme der Erbschaft eröffnet werden. Das ist wichtig, um den Nachlass zu schützen und die Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen. Auch Sie als potenzieller Erbe können den Antrag auf Eröffnung eines solchen Verfahrens stellen. Wenn Sie die Erbschaft aber ausgeschlagen haben, können Sie den Antrag nicht mehr stellen.
Das Nachlassinsolvenzverfahren läuft grundsätzlich ab wie ein normales Insolvenzverfahren. Es bietet auch die Möglichkeit, die Schulden über einen Insolvenzplan zu regeln, also eine Art Vergleich mit den Gläubigern zu schließen.
Auch außerhalb des Gerichtssaales dürfen Ansprüche verfolgt werden. Das betrifft nicht nur zivilrechtliche Angelegenheiten, sondern auch das Vorgehen bei Behörden im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. Hier gibt es keine Einschränkungen durch die Regelungen zur Haftungsbeschränkung des Erben.
Ich hoffe, diese Erläuterungen helfen Ihnen, die komplexen Sachverhalte rund um die Erbschaft und Haftungsbeschränkung besser zu verstehen. Wenn Sie Fragen haben oder eine individuelle Beratung wünschen, stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Ihr RA und Notar Krau