§ 2309 BGB und Pflichtteil entfernterer Abkömmlinge
BGH IV ZR 239/10
Kernthema:
Das Urteil klärt die Frage, ob letztwillige Zuwendungen an einen näheren Abkömmling als „hinterlassen“ im Sinne des § 2309 Alt. 2 BGB gelten
und damit den Pflichtteilsanspruch eines entfernteren Abkömmlings ausschließen, wenn der nähere Abkömmling auf sein Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet hat.
Sachverhalt:
Der Erblasser hatte in einem gemeinschaftlichen Testament mit seiner Ehefrau seine Enkelkinder zu Schlusserben eingesetzt.
Seine Tochter (Beklagte) verzichtete auf ihr Erb- und Pflichtteilsrecht.
Nach dem Tod seiner Ehefrau setzte der Erblasser die Beklagte dennoch als Alleinerbin ein.
Die Enkelin (Klägerin) verlangte von der Beklagten ihren Pflichtteil.
Verfahrensgang:
Entscheidung des BGH:
Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zurück.
Begründung:
Die Klägerin ist als Enkelin des Erblassers pflichtteilsberechtigt.
Durch den Erb- und Pflichtteilsverzicht ihrer Mutter ist sie an deren Stelle in die gesetzliche Erbfolge nachgerückt.
Da der Erblasser sie enterbt hat, steht ihr ein Pflichtteilsanspruch zu.
§ 2309 BGB schränkt die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Abkömmlinge ein, wenn ein näherer Abkömmling den Pflichtteil verlangt oder das ihm Hinterlassene annimmt.
Der Begriff des „Hinterlassenen“ ist im Gesetz nicht definiert.
Der BGH legt den Begriff des „Hinterlassenen“ im Sinne des § 2309 Alt. 2 BGB einschränkend aus.
Letztwillige Zuwendungen an einen näheren Abkömmling gelten nicht als „hinterlassen“, wenn dieser und der entferntere Abkömmling demselben Stamm gesetzlicher Erben angehören
und der nähere Abkömmling trotz Erb- und Pflichtteilsverzichts Alleinerbe ist.
Sinn und Zweck der Norm: § 2309 BGB soll verhindern, dass derselbe Stamm zweimal einen Pflichtteil erhält und die Pflichtteilslast unnötig erhöht wird.
Keine Doppelbelastung des Nachlasses: Im vorliegenden Fall würde eine Anrechnung der Erbschaft der Beklagten als „hinterlassen“ nicht zu einer Doppelbelastung des Nachlasses führen, da nur ein Stamm von Erben existiert.
Mehrfache Begünstigung des näheren Abkömmlings: Eine Anrechnung würde den näheren Abkömmling unangemessen begünstigen, da er sowohl Erbe als auch Empfänger der Zuwendung ist.
Die Testierfreiheit des Erblassers wird durch die Entscheidung des BGH nicht unangemessen eingeschränkt.
Das Pflichtteilsrecht stellt eine verfassungskonforme Beschränkung der Testierfreiheit dar.
Fazit:
Das Urteil des BGH stellt klar, dass Zuwendungen an einen näheren Abkömmling nicht als „hinterlassen“ im Sinne des § 2309 Alt. 2 BGB gelten,
wenn dies zu einer mehrfachen Begünstigung des näheren Abkömmlings und einer unnötigen Erhöhung der Pflichtteilslast führen würde.
Die Entscheidung trägt dazu bei, die Pflichtteilsrechte entfernterer Abkömmlinge zu stärken und den Anwendungsbereich des § 2309 BGB zu präzisieren.
Zusätzliche Anmerkungen:
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Urteil des BGH eine wichtige Entscheidung zur Auslegung des § 2309 BGB und zur Pflichtteilsberechtigung entfernterer Abkömmlinge darstellt.
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