§ 65 IV FamFG muss im Erbscheinsverfahren einschränkend ausgelegt werden
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hat am 17. März 2025 (Az.: 3x W 65/24, 3 Wx 65/24) entschieden,
dass allein der Umzug in ein Hospiz nicht automatisch einen neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort im Sinne des Erbscheinsverfahrens begründet.
Das Gericht betonte, dass die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Hospiz immer eine Frage des Einzelfalls sei und eine umfassende Würdigung der Umstände erfordere.
Im vorliegenden Fall stritten sich die Beteiligten über die Zuständigkeit des Nachlassgerichts für die Erteilung eines Erbscheins.
Der Erblasser hatte zuletzt in Y. gewohnt, war dann aber aufgrund einer schweren Erkrankung in ein Hospiz in X. verlegt worden, wo er verstarb.
Der Beteiligte zu 6 argumentierte, dass der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers weiterhin in Y. gelegen habe, da der Aufenthalt im Hospiz
lediglich eine medizinisch notwendige Maßnahme zur Schmerzlinderung gewesen sei und keinen freiwilligen Wohnsitzwechsel darstelle.
Das Amtsgericht X. hatte seine Zuständigkeit bejaht, da der Erblasser sich bewusst für das Hospiz in X. entschieden habe, um von seinen dort lebenden Eltern unterstützt zu werden.
Das OLG Schleswig wies die Beschwerde des Beteiligten zu 6 zurück und bestätigte damit die Zuständigkeit des Amtsgerichts X.
Das Gericht stellte fest, dass § 65 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG),
wonach eine Beschwerde nicht auf die unrichtige Annahme der Zuständigkeit des ersten Rechtszugs gestützt werden kann, im Erbscheinsverfahren einschränkend auszulegen sei.
Andernfalls würde ein Wertungswiderspruch zu § 2361 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entstehen, der die Einziehung unrichtiger Erbscheine vorsieht.
Ein Erbschein sei auch dann unrichtig, wenn er von einem örtlich unzuständigen Gericht erlassen wurde.
In der Sache selbst führte das OLG aus, dass der gewöhnliche Aufenthalt gemäß § 343 Abs. 1 FamFG dort liege,
wo der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes den Schwerpunkt seiner Bindungen und seinen Lebensmittelpunkt hatte.
Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts sei eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorzunehmen,
wobei alle relevanten Tatsachen, insbesondere die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie die damit verbundenen Umstände und Gründe, zu berücksichtigen seien.
Maßgeblich sei, wo der Lebensmittelpunkt des Erblassers in familiärer und sozialer Hinsicht gelegen habe.
Neben objektiven Kriterien sei auch der nach außen manifestierte freiwillige Bleibewille des Erblassers zu berücksichtigen.
Das Gericht stimmte der Auffassung zu, dass ein Krankenhausaufenthalt in der Regel keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründe.
Bezüglich des Aufenthalts in einem Hospiz oder Pflegeheim sei die Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Literatur jedoch geteilt.
Während einige bereits dann einen gewöhnlichen Aufenthalt annehmen, wenn der Wechsel dem Willen des Betroffenen entspricht und eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort nicht zu erwarten ist,
vertreten andere die Ansicht, dass allein die auch willentliche Aufnahme in einem Hospiz keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet,
da ein solcher Aufenthalt primär der medizinischen Versorgung und Linderung diene und nicht auf die Begründung sozialer Bindungen ausgerichtet sei.
Nach dieser letztgenannten Auffassung werde der Aufenthalt im Hospiz erst dann zum gewöhnlichen Aufenthalt, wenn weitere Umstände hinzutreten,
wie der Aufenthaltswille, die Dauer des Aufenthalts, vorhandene soziale Kontakte und Einbindungen oder die Auflösung der alten Wohnung.
Das OLG Schleswig schloss sich der Auffassung an, dass allein der Wechsel in ein Hospiz in der Regel nicht ausreiche, um dort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen,
da der Aufenthalt oft nur von kurzer Dauer sei und primär medizinischen Bedürfnissen diene, ohne die erforderliche soziale Einbindung zu schaffen.
Im vorliegenden Fall sah das Gericht jedoch besondere Umstände, die die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in X. rechtfertigten.
Der Erblasser habe sich bewusst für das Hospiz in X. entschieden, da seine Eltern dort lebten und die dringend benötigte psychosoziale Betreuung durch sie erfolgen sollte.
Daraus sei abzuleiten, dass der Ortswechsel nicht nur durch die Krankheit bedingt war, sondern der Erblasser den Umzug nach X. gerade
auch im Hinblick auf die sozialen Bindungen zu seinen Eltern und deren Unterstützung gewünscht habe.
Zudem sei X. für den Erblasser nicht eine gänzlich fremde Stadt gewesen, sondern sein Geburtsort und der Wohnort seiner Eltern.
Dass er zuvor zehn Jahre in Y. gelebt und seine Wohnung dort nicht aufgelöst habe, stehe der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in X. nicht entgegen, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der
Erblasser eine Rückkehr nach Y. in Betracht gezogen habe. Entscheidend sei eine Wertung aller Umstände des Einzelfalls.
Da auch die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Erbscheins vorlagen, wies das OLG die Beschwerde des Beteiligten zu 6 zurück.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden dem Beteiligten zu 6 auferlegt.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wurde auf 100.000,00 € festgesetzt, basierend auf dem im notariellen Testament angegebenen Nachlasswert.
Der Beschluss des OLG Schleswig verdeutlicht, dass die Frage des gewöhnlichen Aufenthalts im Erbscheinsverfahren bei einem Umzug in ein Hospiz nicht schematisch beantwortet werden kann.
Es bedarf einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, wobei insbesondere der Wille des Erblassers,
seine sozialen Bindungen und die Gründe für den Ortswechsel eine entscheidende Rolle spielen.
Allein die medizinische Notwendigkeit eines Hospizaufenthalts führt in der Regel nicht automatisch zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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