Abgrenzung zwischen künstlerischer Auseinandersetzung mit einem Werk und dessen Rekonstruktion bzw Verletzung des (postmortalen) Persönlichkeitsrechts
Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau zum „Triadischen Ballett“
Das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau (vom 16.01.2014, Az. 4 O 792/13) befasst sich mit einer Klage des Enkels des berühmten Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer gegen eine Ausstellung im Bauhaus Dessau. Im Zentrum stand die Frage, ob die ausgestellten Rekonstruktionen von Schlemmers berühmten Kostümen des „Triadischen Balletts“ das postmortale Persönlichkeitsrecht (also die Rechte nach dem Tod) des Künstlers verletzen.
Oskar Schlemmer (gestorben 1943) war unter anderem Choreograf und Bühnenbildner am Bauhaus. Für sein „Triadisches Ballett“ (1922) entwarf er 19 „Figurinen“ (Kostüme), von denen einige im Original erhalten blieben und andere später rekonstruiert wurden.
Die beklagte Stiftung Bauhaus Dessau veranstaltete eine Ausstellung zum Thema „Mensch-Raum-Maschine. Bühnenexperimente am Bauhaus“. Sie zeigte darin Figurinen des „Triadischen Balletts“, die jedoch nicht von Schlemmer selbst oder autorisierten Ateliers stammten, sondern als „anthropophagische Studien-Rekonstruktion“ von Studenten eines brasilianischen Universitätszentrums gefertigt worden waren.
Der Enkel und Erbe Schlemmers sah darin eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts seines Großvaters. Er argumentierte:
Die gezeigten Rekonstruktionen seien minderwertig, fehlerhaft in Proportionen, Maßen und Material und würden das Werk Schlemmers karikaturesk verzerren und damit das Ansehen des Künstlers schädigen.
Die Ausstellung erwecke den Eindruck, es handele sich um Originale oder autorisierte Reproduktionen. Es fehle an klaren Hinweisen.
Das postmortale Persönlichkeitsrecht Schlemmers bestehe auch 70 Jahre nach seinem Tod noch fort.
Der Kläger forderte in einem Eilverfahren (einstweilige Verfügung), die Beklagte solle das Zeigen dieser Werke entweder ganz unterlassen oder zumindest einen deutlichen Hinweis anbringen, dass es sich „Kein Original von O. Sch.“ handle.
Das Landgericht Dessau-Roßlau wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück (Kläger hat verloren).
Zunächst bestätigte das Gericht, dass der Enkel als Erbe des „gesamten theatralischen Nachlasses“ und der damit verbundenen Rechte befugt war, die Persönlichkeitsrechte seines Großvaters geltend zu machen.
Das Gericht entschied, dass der Kläger 70 Jahre nach dem Tod (Schlemmer starb 1943) keine ideellen postmortalen Persönlichkeitsrechte mehr geltend machen kann.
Das Gericht orientierte sich dabei an der Schutzfrist des Urheberrechts, die ebenfalls 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers endet (§64 UrhG).
Es sah keine besonderen Schutzinteressen der Hinterbliebenen, die eine längere Frist gerechtfertigt hätten.
Wichtiger Leitsatz des Urteils: Der Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts endet nach 70 Jahren.
Selbst wenn das Recht noch bestünde, sah das Gericht keine Verletzung durch die Ausstellung:
Die Ausstellung stelle eine zulässige künstlerische Auseinandersetzung brasilianischer Künstler mit Schlemmers Werk dar. Es sei keine Kunstfälschung.
Die Beklagte habe ausreichend klar darauf hingewiesen, dass es sich um eine Studien-Rekonstruktion (eine „anthropophagische Studien-Rekonstruktion des S.-Universitätszentrums Sao P.“) und damit um eine freie Interpretation handele.
Die Überschrift, die Nennung der brasilianischen Künstler und die Gestaltung der Ausstellung (z. B. Plakate, Arbeitsmappe, Kisten mit Schenkungs-Hinweis) machten für das verständige Publikum deutlich, dass es sich nicht um Originale oder autorisierte Reproduktionen handele.
Die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) der Beklagten und der brasilianischen Künstler wurde in der Abwägung höher gewichtet, da die Ehre und Würde Schlemmers durch diese Form der Auseinandersetzung nicht verletzt wurde.
Einen wettbewerbsrechtlichen Anspruch des Enkels lehnte das Gericht ebenfalls ab, da kein Wettbewerbsverhältnis zwischen der Stiftung (kulturhistorische Aufgaben) und dem Kläger (als Privatperson) erkennbar sei.
Die Klage des Enkels hatte keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass der ideelle Schutz des Persönlichkeitsrechts von Künstlern spätestens 70 Jahre nach dem Tod erlischt, genau wie das Urheberrecht. Zudem sah es in der Ausstellung der brasilianischen Rekonstruktionen keine Verfälschung, sondern eine zulässige künstlerische Auseinandersetzung, die durch die Freiheit der Kunst geschützt ist.
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