Abgrenzung zwischen Vermächtnisanordnung und Erbeinsetzung – Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss vom 19. April 2000 – 1Z BR 130/99

Juni 10, 2020

Abgrenzung zwischen Vermächtnisanordnung und Erbeinsetzung – Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss vom 19. April 2000 – 1Z BR 130/99

Zusammenfassung RA und Notar Krau

Tenor

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 16. Juni 1999 wird zurückgewiesen.


II. Die Beteiligte zu 3 hat die den Beteiligten zu 14 und 15 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.


III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 72.500 DM festgesetzt.

Gründe

I.
Die 1993 verstorbene Erblasserin war verwitwet und ihre einzige Tochter war kinderlos vorverstorben.

Der Beteiligte zu 2 ist der Schwiegersohn der Erblasserin, die Beteiligte zu 1 ist eine Nichte des Ehemannes der Erblasserin.

Als gesetzliche Erben kommen die Abkömmlinge der Großeltern der Erblasserin (Beteiligte zu 3 bis 13) in Betracht.

Die Erblasserin errichtete am 1. März 1991 ein handschriftliches Testament.

Abgrenzung zwischen Vermächtnisanordnung und Erbeinsetzung – Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss vom 19. April 2000 – 1Z BR 130/99

Darin bestimmte sie, dass verschiedene Personen Geldbeträge und persönliche Gegenstände erhalten sollten.

Unter anderem verfügte sie, dass das Reihenhaus in H. „ein Heim für körperbehinderte Kinder in München“ erben solle.

Zudem sollten eventuelle verbleibende Barvermögen einem Altenheim in H. (Beteiligter zu 15) zugutekommen.

Der Nachlass bestand hauptsächlich aus dem Reihenhaus in H., Bankguthaben in Höhe von rund 194.000 DM sowie Bargeld.

Das Nachlassgericht ordnete Nachlasspflegschaft an und der Nachlasspfleger veräußerte das Reihenhaus zum Preis von 580.000 DM und verteilte die im Testament bestimmten Geldbeträge an die Begünstigten.

Die Beteiligte zu 3 beantragte einen gemeinschaftlichen Teilerbschein, der sie als gesetzliche Erbin zu 1/8 ausweisen sollte, mit der Begründung, die Verfügung der Erblasserin hinsichtlich des Reihenhauses sei zu unbestimmt und daher unwirksam.

Die Landeshauptstadt München (Beteiligte zu 14) trat diesem Antrag entgegen, da sie als Trägerin eines Heims für körperbehinderte Kinder in T. (Landkreis München) die Voraussetzungen des Testaments erfülle.

Das Nachlassgericht wies den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 zurück.

Die Beteiligte zu 3 legte Beschwerde ein, welche vom Landgericht München I abgewiesen wurde.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3.

II.
Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Abgrenzung zwischen Vermächtnisanordnung und Erbeinsetzung – Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss vom 19. April 2000 – 1Z BR 130/99

Das Beschwerdegericht führte aus, dass die Bestimmung über das Reihenhaus eine Erbeinsetzung darstelle, während die Zuwendungen einzelner Geldbeträge als Vermächtnisse anzusehen seien.

Das Testament sei auslegungsbedürftig und die Auslegung ergebe, dass die Erblasserin den wesentlichen Vermögensgegenstand einem „Heim für körperbehinderte Kinder in München“ zukommen lassen wollte.

Die Landeshauptstadt München betreibe ein solches Heim, wodurch sie dem Erblasserwillen gerecht werde.

Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Das Testament der Erblasserin ist formwirksam, jedoch nicht eindeutig und bedarf der Auslegung.

Die Annahme des Beschwerdegerichts, dass die Erblasserin mit der Zuwendung des Hausgrundstücks eine Erbeinsetzung beabsichtigte, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Auslegung ergibt, dass die Zuwendung des Hausgrundstücks eine Einsetzung als Alleinerben darstellt, während die Zuwendung bestimmter Geldbeträge Vermächtnisse sind.

Das Beschwerdegericht nahm an, dass die Landeshauptstadt München als Trägerin des Heims Alleinerbin sei. Diese Annahme ist jedoch nur zum Teil richtig.

Nach § 2072 BGB ist im Zweifel die öffentliche „Armenkasse“ der Gemeinde als bedacht anzusehen, wenn eine Gruppe von Bedürftigen als Zuwendungsempfänger benannt ist.

Hier hat die Erblasserin körperbehinderte Kinder in einem Heim in München bedacht.

Die Landeshauptstadt München als örtliche Trägerin der Sozialhilfe hat nach pflichtgemäßem Ermessen auszuwählen, wer die Zuwendung erhält.

Da das Nachlassgericht keinen Vorbescheid erlassen hat, ist eine abschließende Entscheidung über den Erbscheinsantrag der Landeshauptstadt München nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Anordnung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten folgt aus § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens entspricht dem wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten zu 3 am Erfolg ihres Rechtsmittels und wurde auf 72.500 DM festgesetzt.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

brown concrete palace under blue sky at daytime

Oberlandesgericht Stuttgart 19 W 4/23

Dezember 7, 2024
Oberlandesgericht Stuttgart 19 W 4/23Beschluss vom 8. August 2023RA und Notar KrauDer Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom …
brown and white concrete church near bare trees under blue sky during daytime

OLG Oldenburg 3 W 53/24

Dezember 7, 2024
OLG Oldenburg 3 W 53/24Beschluss vom 21.08.2024RA und Notar KrauKernaussage:Das Oberlandesgericht Oldenburg hat entschieden, das…
testament, hand, write

OLG Nürnberg 1 Wx 1539/23

Dezember 7, 2024
OLG Nürnberg 1 Wx 1539/23Beschluss vom 08.08.2023RA und Notar KrauDer Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 08.08.2023 befass…