Änderungsbefugnis bei wechselbezüglicher Verfügung
Zusammenfassung: OLG Schleswig, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 Wx 75/13
Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig bestätigte mit diesem Beschluss die Entscheidung des Nachlassgerichts, den Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen. Kernpunkt des Rechtsstreits war die Auslegung einer Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten, die sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt hatten. Die Frage war, ob der überlebende Ehegatte durch die Formulierung, er dürfe „über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen können“, das Recht erhalten hatte, die im Testament getroffene Schlusserbeneinsetzung der Kinder nachträglich zu ändern.
Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann errichteten 1978 ein gemeinschaftliches Testament.
Sie setzten sich gegenseitig als Alleinerben ein.
Anschließend hieß es: „Der Längstlebende von uns soll über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen können.“
Zuletzt wurden die beiden gemeinsamen Kinder (Beteiligte zu 1: Tochter, Beteiligter zu 2: Sohn) zu Erben zu gleichen Teilen nach dem Tod des Längstlebenden eingesetzt (Schlusserbeneinsetzung).
Nach dem Tod ihres Mannes (1994) errichtete die Erblasserin im Jahr 2007 ein neues Testament, in dem sie ihre Tochter (Beteiligte zu 1) zur Alleinerbin einsetzte. Die Tochter argumentierte, dies sei ein Ausgleich dafür, dass der Sohn (Beteiligter zu 2) bereits 1991 zu Lebzeiten beider Eltern einen erheblichen Vermögenswert (Grundstücksanteile) von der Mutter erhalten hatte.
Die Tochter beantragte einen Erbschein als Alleinerbin gestützt auf das Testament von 2007. Der Sohn widersprach dem.
Das OLG wies die Beschwerde der Tochter zurück und bestätigte, dass die Erblasserin das gemeinschaftliche Testament von 1978 nicht wirksam durch das Testament von 2007 widerrufen oder ändern konnte.
Die Einsetzung des überlebenden Ehegatten zum Alleinerben und die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder sind im Regelfall und nach der Zweifelsregel des §2270 Abs. 2 BGB als wechselbezüglich anzusehen. Es ist davon auszugehen, dass die Ehegatten die gemeinsamen Kinder nur zugunsten des anderen übergehen, wenn feststeht, dass das Vermögen nach dem Tod des Längstlebenden an die Kinder fällt. Mit der Annahme der Erbschaft durch die Erblasserin nach dem Tod ihres Mannes wurde die wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung gemäß §2271 Abs. 2 S. 1 BGB bindend und war nicht mehr durch ein neues Testament widerrufbar.
Die entscheidende Frage war, ob die Ehegatten dem Überlebenden ausdrücklich das Recht eingeräumt hatten, die bindende Schlusserbeneinsetzung zu ändern (sog. Abänderungsbefugnis).
Die Formulierung, der Längstlebende solle „über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen können“, ist nicht eindeutig. Es fehlt der klarstellende Zusatz „auch von Todes wegen“ oder „nur unter Lebenden“. Das OLG betont, dass bei unklaren Formulierungen im Zweifel nicht von einer Abänderungsbefugnis von Todes wegen ausgegangen werden kann, da dies im Spannungsverhältnis zur ausdrücklichen Schlusserbenregelung stünde. Der Begriff „Nachlass“ von juristischen Laien verwendet, konnte auch lediglich „Nachlass des Erstverstorbenen und Eigenvermögen des Längstlebenden“ im Sinne einer Vollerbschaft meinen, ohne Beschränkungen zu Lebzeiten.
Ausschlaggebend für die Auslegung gegen eine Änderungsbefugnis war die systematische Stellung des Satzes. Er folgt unmittelbar auf die gegenseitige Alleinerbeneinsetzung und ist vor der Schlusserbeneinsetzung platziert. Hätten die Ehegatten eine Ausnahme von der Schlusserbenregelung (die Änderungsbefugnis) gewollt, wäre es auch für juristische Laien naheliegend gewesen, diese im Anschluss an die Schlusserbeneinsetzung zu regeln. Die gewählte Platzierung deutet vielmehr darauf hin, dass nur die gegenseitige Vollerbeneinsetzung und die Verfügungsfreiheit zu Lebzeiten klargestellt werden sollten.
Auch die späteren Umstände, insbesondere die Vermögenszuwendung an den Sohn im Jahr 1991, führten nicht zu einer anderen Auslegung.
Hätten die Eheleute wegen der Zuwendung die Gleichbehandlung ihrer Kinder sicherstellen wollen, wäre es nahegelegen gewesen, das Testament noch zu Lebzeiten beider (der Ehemann lebte bis 1994) zu ändern oder einen lebzeitigen Ausgleich für die Tochter vorzunehmen.
Das Unterlassen einer Änderung trotz des erheblichen Vermögenstransfers 1991 lässt keinen zwingenden Schluss auf die angenommene postmortale Änderungsbefugnis zu.
Die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen war bindend. Das spätere Testament von 2007, das die Tochter zur Alleinerbin ernannte, ist unwirksam. Die Erbfolge richtet sich nach dem gemeinschaftlichen Testament von 1978, wonach die Kinder zu gleichen Teilen Erben sind. Die Beschwerde wurde als unbegründet zurückgewiesen.
→ → Die Klausel „über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen können“ meint nach dem OLG Schleswig im vorliegenden Fall nur die lebzeitige Verfügungsfreiheit des Überlebenden, nicht jedoch die Befugnis, die bindende Schlusserbeneinsetzung abzuändern.
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