Arbeitsgericht Düsseldorf, 7 Ca 6921/16

März 2, 2019

Arbeitsgericht Düsseldorf, 7 Ca 6921/16

1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 242.467,47 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2016 zu zahlen.

2.Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.Der Streitwert beträgt 242.467,47 €.

4.Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen, soweit sie nicht von Gesetzes wegen zulässig ist.

1

T a t b e s t a n d :
2

Die Parteien streiten über die Erstattung der von der Erblasserin des Klägers nachentrichteten Beträge für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
3

Der Kläger ist kraft testamentarischer Verfügung Rechtsnachfolger der am 1. verstorbenen Frau E..
4

Die Beklagte war ab Juli 2009 als Pflegekraft bei der Frau E., tätig. Der Tätigkeit der Beklagten lag tatsächlich – insoweit zwischen den Parteien unstreitig – eine abhängige Beschäftigung im Sinne eines Arbeitsverhältnisses mit Frau E. (im Folgenden: “Arbeitgeberin”) zugrunde.
5

Ihre Tätigkeit erbrachte die Beklagte am Wohnsitz der Arbeitgeberin in S. in deren Privathaushalt, in dem die Beklagte während der Dauer ihrer Tätigkeit auch selbst wohnte. Für ihre Tätigkeit stellte die Beklagte Rechnungen zu einem Stundenlohn von 25,00 € aus. Einen Mehrwertsteuer-Ausweis enthielten die Rechnungen allesamt nicht.
6

Die Zahlungen auf die jeweiligen Rechnungen erfolgten durch die Arbeitgeberin ungekürzt, ohne Beträge für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer einzubehalten. Die entsprechenden Zahlungen erfolgten zunächst über das Konto der Arbeitgeberin. Ab Ende des Jahres 2011 wurde der Lohn dann in bar an die Beklagte ausgezahlt.
7

Eine Lohnsteuerkarte legte die Beklagte der Arbeitgeberin zu keinem Zeitpunkt vor.
8

Mit Schreiben vom 27.03.2013 kündigte die Beklagte ihr in der Kündigung so bezeichnetes “freiberufliches Arbeitsverhältnis” mit der Arbeitgeberin schriftlich zum 30.06.2013.
9

Am 27.05.2013 fand im Haushalt der Arbeitgeberin eine Mitarbeiterinformation statt, an der insgesamt 14 im Haushalt beschäftigte Personen teilnahmen. Der Inhalt der Mitarbeiterinformation und die Fragen, in welchem Umfang und wem gegenüber der Kläger Zusagen machte, sind zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte wurde zu der Mitarbeiterinformation nicht eingeladen und nahm daran auch nicht teil.
10

Das Finanzamt E. forderte die Arbeitgeberin mit Haftungsbescheid vom 28.10.2013 zur Entrichtung von Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 1.159.087,97 € auf. Auf die Beschäftigung der Beklagten in den Jahren 2009 bis 2013 entfiel von der Haftungssumme nach dem Bericht über die Lohnsteuer-Außenprüfung des Finanzamts E. vom 30.09.2013 ein Betrag in Höhe von 242.467,47 €. Dieser setzte sich zusammen aus Lohnsteuer in Höhe von 211.762,00 €, Solidaritätszuschlag in Höhe von 11.646,90 € sowie Kirchensteuer in Höhe von 19.058,57 €.
11

Die Haftungssumme wurde durch die Arbeitgeberin in der Folgezeit vollständig nachentrichtet.
12

Unter dem 11.03.2014 forderte die Arbeitgeberin die Beklagte schriftlich zur Erstattung der sie betreffenden Haftungssumme in Höhe von 242.467,47 € auf. In dem Schreiben wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass gegen den Haftungsbescheid vom 28.10.2013 fristwahrend Einspruch eingelegt wurde. Zugleich wurde der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 21.03.2014 hinsichtlich der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Rücknahme des Einspruchs gegeben.
13

Der Kläger behauptet, die Arbeitsvertragsparteien seien bei Beginn der Tätigkeit der Beklagten übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen. Dies zeige sich insbesondere an der Ausstellung der Rechnungen durch die Beklagte. Ferner folge dieser Wille aus der fehlenden Vorlage einer Lohnsteuerkarte durch die Beklagte.
14

Seine Zusage in der Mitarbeiterinformation am 27.05.2013 habe sich lediglich auf von der Arbeitgeberin zusätzlich zum Lohn an die Mitarbeiter gewährte Geldgeschenke, Sachgeschenke, Mahlzeitengestellungen und weitere Zuwendungen bezogen. Bei der Mitarbeiterinformation sei es ausschließlich um erwartete Forderungen der Finanzverwaltung aufgrund dieser lohnsteuerpflichtigen Zuwendungen gegangen.
15

Außerdem habe sich die Mitarbeiterinformation ausschließlich an die dort anwesenden Mitarbeiter gerichtet. Der Kreis der anwesenden Mitarbeiter sei auf diejenigen, bei denen von einer abhängigen Beschäftigung ausgegangen wurde und deren Löhne bereits im Rahmen der Lohnabrechnung versteuert wurden, beschränkt worden. Dies sei bei der Beklagten gerade nicht der Fall gewesen.
16

Der Kläger ist der Ansicht, er habe als Rechtsnachfolger der Arbeitgeberin einen Erstattungsanspruch für die beglichene Steuerschuld, der nicht durch eine Nettolohnvereinbarung mit der Beklagten ausgeschlossen sei.
17

Der Abschluss einer Nettolohnvereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und der Beklagten komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil beide jeweils von einer Selbständigkeit der Beklagten ausgegangen seien. Im Übrigen seien hohe Anforderungen an den Nachweis einer ausdrücklichen und klaren Nettolohnvereinbarung zu stellen.
18

Schließlich hätten weder die Arbeitgeberin, noch er selbst einen Verzicht auf etwaige Rückforderungen bezüglich Steuernachforderungen gegenüber der Beklagten erklärt.
19

Der Kläger beantragt,
20

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 242.467,47 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
21

Die Beklagte beantragt,
22

die Klage abzuweisen.
23

Die Beklagte behauptet, hinsichtlich ihrer Tätigkeit nicht davon ausgegangen zu sein, als Selbständige tätig zu werden. Daher habe sie ihre Rechnungen jeweils “ohne Mehrwertsteuer” ausgestellt.
24

Von Beginn ihrer Beschäftigung an sei ihr unabhängig von Steuerklasse und Höhe der Sozialversicherungsbeiträge ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 25,00 € pro Stunde durch die Arbeitgeberin garantiert worden. Dies sei bei Arbeitsaufnahme klar ausgesprochen worden.
25

Außerdem habe der Kläger ihr in einem Vier-Augen-Gespräch im Juni 2010 zugesichert, dass es sich in ihrem Fall um einen Nettolohn handele und er dafür einstehen werde, falls es zu Nachforderungen hinsichtlich der Lohnsteuer kommen werde.
26

Dass Abgaben und Steuern vollumfänglich von der Arbeitgeberin getragen werden, habe ihr diese persönlich in einem Gespräch Ende September 2010 zugesagt bzw. bestätigt.
27

Schließlich habe der Kläger im Rahmen der Mitarbeiterinformation am 27.05.2013 zugesagt, für alle etwaigen Steuernachforderungen aufzukommen und diese sozialverträglich zu lösen. Dies habe er ausdrücklich auf alle Steuerschulden und alle Beschäftigten des Haushalts erstreckt. Die Zusage habe insbesondere auch für den Fall der Beklagten gelten sollen.
28

Die Beklagte ist der Ansicht, es sei mit der Arbeitgeberin eine Nettolohnvereinbarung zustande gekommen, die einem Erstattungsanspruch entgegenstehe.
29

Ferner liege auch eine “Verzichtserklärung” des Klägers in Bezug auf den Rückzahlungsanspruch vor. Durch dessen Aussagen im Juni 2010 und am 27.05.2013 sei deutlich geworden, dass er die Hausangestellten der Arbeitgeberin für etwaige Steuernachzahlungen nicht in Anspruch nehmen werde.
30

Die Klageschrift ist der Beklagten am 20.12.2016 zugestellt worden.
31

Mit der Klageschrift wurden zunächst Regressansprüche gegen die Beklagte und zwei weitere ehemalige Beschäftigte der Arbeitgeberin in einem Verfahren geltend gemacht. Mit Beschluss vom 20.01.2017 wurden die Verfahren gemäß § 145 Abs. 1 ZPO getrennt. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses (Bl. 82f. d. A.) verwiesen.
32

Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2017 Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die Aussage des Klägers im Rahmen der Mitarbeiterinformation am 27.05.2013, er werde die Steuernachforderungen übernehmen, habe sich auf alle Hausangestellten und auch auf die Beklagte bezogen, durch Vernehmung des Zeugen H.. Im Übrigen haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass es hinsichtlich der streitigen Vier-Augen-Gespräche keiner förmlichen Beweiserhebung im Wege der Parteivernehmung bedürfe und insofern eine Anhörung der Parteien ausreichend sei. Die Kammer hat dementsprechend die Parteien jeweils zu den Fragen angehört, ob die Arbeitgeberin der Beklagten im September 2010 in einem persönlichen Gespräch einen Nettostundenlohn zugesagt hat und ob der Kläger gegenüber der Beklagten in einem persönlichen Gespräch zugesichert hat, dass ihr Gehalt als Nettostundenlohn zu verstehen sei und er sie komplett freistellen werde, sollten Nachforderungen hinsichtlich der Lohnsteuer aufkommen.
33

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Einlassungen der Parteien wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.08.2017 Bezug genommen (Bl. 198 ff. d. A.).
34

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
35

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
36

Die Klage ist zulässig und begründet.
37

I.
38

Die Klage ist zulässig.
39

1.
40

Das Arbeitsgericht ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG sachlich für den Rechtsstreit zuständig.
41

a.
42

Macht ein Arbeitgeber einen (Lohn-)Steuererstattungsanspruch gegen seinen Arbeitnehmer gerichtlich geltend, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben (BAG, 09.12.1976, Az.: 3 AZR 371/75, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erstattung m.w.N.). Zwar soll durch ein solches Begehren – wirtschaftlich betrachtet – eine öffentlich-rechtliche Leistung des Arbeitgebers an die Finanzverwaltung rückabgewickelt werden. Der Erstattungsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer ist allerdings privatrechtlicher Natur (Eisgruber in: Kirchhoff, EStG, 16. Aufl. 2017, § 42d Rn. 46). Es handelt sich bei der Erstattungsforderung um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG (BAG, 14.06.1974, Az.: 3 AZR 456/73, AP Nr. 20 zu § 670 BGB).
43

b.
44

Danach ist die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts zu bejahen. Dass der Tätigkeit der Beklagten im Ergebnis ein Arbeitsverhältnis zugrunde gelegen hat, ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben. Vorliegend hat die Arbeitgeberin, an die sich das Finanzamt mit dem Haftungsbescheid vom 28.10.2013 gehalten hat, die Haftungssumme für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer abgeführt. Es geht nunmehr darum, ob deshalb vom Kläger als Rechtsnachfolger der Arbeitgeberin im Verhältnis zu der Beklagten als Arbeitnehmerin ein Ausgleich beansprucht werden kann.
45

2.
46

Das Arbeitsgericht E. ist für den Rechtsstreit als Gericht des Bezirks, in dem die Beklagte zuletzt gewöhnlich ihre Arbeit verrichtet hat, örtlich zuständig gemäß § 48 Abs. 1a S. 1 ArbGG.
47

Die Beklagte hat ihre Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am Wohnsitz der Frau E. in S. erbracht. Dass das Arbeitsverhältnis vor der Klageerhebung beendet worden ist, steht der örtlichen Zuständigkeit nach § 48 Abs. 1a S. 1 ArbGG nicht entgegen (LAG Sachsen-Anhalt, 23.07.2014, Az.: 5 SHa 6/14, juris).
48

II.
49

Die Klage ist auch in der Sache begründet.
50

1.
51

Der Kläger hat aus übergegangenem Recht gemäß §§ 1922 Abs. 1, 1937 BGB einen Anspruch auf Erstattung entrichteter Haftungsbeträge für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 242.467,47 € gegen die Beklagte aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit §§ 38 Abs. 2 S. 1, 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 EStG, 1 Abs. 2 SolZG, 5 Abs. 1 S. 1 KiStG NRW.
52

a.
53

Nach ständiger Rechtsprechung kann der Arbeitgeber, wenn er von den Einkünften des Arbeitnehmers zu wenig Lohnsteuern einbehalten und an das Finanzamt abgeführt hat, nach Inanspruchnahme und Zahlung der Lohnsteuer an das Finanzamt deren Erstattung vom Arbeitnehmer verlangen. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuerforderung für den Arbeitnehmer erfüllt. Der Arbeitgeber haftet zwar gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Beim Einbehalt und der Abführung der Lohnsteuer erfüllt der Arbeitgeber jedoch eine fremde Schuld. Schuldner der Lohnsteuer ist gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 EStG der Arbeitnehmer. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 S. 1 EStG Gesamtschuldner. Im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist dabei jedoch grundsätzlich allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung. Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise der klar erkennbare Parteiwille darauf gerichtet ist, die Steuerlast solle den Arbeitgeber treffen. Dies ist der Fall, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine sogenannte Nettolohnvereinbarung geschlossen wurde.
54

Der Erstattungsanspruch folgt nach der neueren Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG (BAG, 16.06.2004, Az.: 5 AZR 521/03, NZA 2004, 1274; LAG E., 10.12.2014, Az.: 4 Sa 400/14, juris, LAG Rheinland-Pfalz, 12.12.2013, Az.: 2 Sa 403/13, juris; auf eine entsprechende Anwendung von § 670 BGB abstellend BAG, 09.12.1976, Az.: 3 AZR 371/75, NJW 1977, 862; BAG, 14.06.1974, Az.: 3 AZR 456/73, AP Nr. 20 zu § 670 BGB; BAG, 23.03.1961, Az.: 5 AZR 156/59, AP Nr. 9 zu § 670 BGB; auf eine entsprechende Anwendung von § 670 BGB in Verbindung mit § 426 Abs. 1 S. 1 BGB abstellend BAG, 17.03.1960, Az.: 5 AZR 395/58, AP Nr. 8 zu § 670 BGB; BAG, 27.03.1958, Az.: 2 AZR 188/56, AP Nr. 1 zu § 670 BGB; offengelassen BFH, 05.03.2007, Az.: VI B 41/06, DStRE 2007, 691).
55

Ein entsprechender Anspruch des Arbeitgebers besteht gemäß § 1 Abs. 2 SolzG schließlich auch hinsichtlich der Erstattung eines nicht einbehaltenen Solidaritätszuschlags sowie gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KiStG NRW für die Erstattung nicht einbehaltener Kirchensteuer.
56

b.
57

Nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte dem Kläger zur Erstattung der durch die Arbeitgeberin nachentrichteten Haftungssumme in Höhe von 242.467,47 € verpflichtet.
58

aa.
59

Die Arbeitgeberin hat die sich aus dem Haftungsbescheid des Finanzsamts E. vom 28.10.2013 für die Beklagte als ihre Arbeitnehmerin ergebende Steuerlast in Höhe von 242.467,47 € (nachträglich) abgeführt.
60

bb.
61

Der Erstattungsanspruch ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil aufgrund einer Nettolohnvereinbarung mit der Beklagten die Steuerlast aus dem gezahlten Lohn die Arbeitgeberin treffen sollte.
62

(1)
63

Der zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Arbeitslohn stellt in aller Regel einen Bruttolohn dar, der um die jeweiligen gesetzlichen Abgaben und Beiträge zu kürzen ist. Bei einer Nettolohnvereinbarung sollen gesetzlichen Abgaben und Beiträge dagegen unabhängig von ihrer Höhe nicht zu Lasten des Arbeitnehmers, sondern ausnahmsweise insgesamt zu Lasten des Arbeitgebers gehen (BAG, 26.08.2009, Az.: 5 AZR 616/08, AP Nr. 37 zu § 157 BGB). Unter einer Nettolohnvereinbarung ist demnach die Abrede zwischen den Parteien eines Arbeitsverhältnisses zu verstehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zusätzlich Lohn zuwendet, indem er die im Lohnsteuerabzugsverfahren zu erhebende Lohnsteuer sowie die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge trägt (BFH, 25.10.2013, Az.: VI B 144/12, juris).
64

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer solchen Nettolohnvereinbarung trifft im Rückgriffsprozess den Arbeitnehmer. Gelingt ihm der Nachweis nicht, ist vom gesetzlichen Regelfall der Bruttolohnvergütung auszugehen (BAG, 16.06.2004, Az.: 5 AZR 521/03, NZA 2004, 1274; HessLAG, 19.05.2004, Az.: 2 Sa 1678/03, juris; Griese in: Küttner, Personalbuch, 24. Aufl. 2017, Nettolohnvereinbarung Rn. 3). Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Außergewöhnlichkeit einer Nettolohnvereinbarung der darauf gerichtete Wille klar und eindeutig feststellbar sein muss. Daher gilt für denjenigen, der sich auf den Abschluss einer Nettolohnvereinbarung beruft, eine erhöhte Nachweispflicht sowohl hinsichtlich des Abschlusses als auch des Inhalts der Vereinbarung (BFH, 25.10.2013, Az.: VI B 144/12, juris; HessLAG, 19.05.2004, Az.: 2 Sa 1678/03, juris). Es bedarf der konkreten Darlegung, wann wer mit wem konkret vereinbart hat, dass der Arbeitgeber allein die Abführung von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeträgen übernimmt (LAG E., 10.12.2014, Az.: 4 Sa 400/14, juris).
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Nach einer Ansicht in Rechtsprechung und Literatur wird dabei eine Vermutung für das Bestehen einer Nettolohnvereinbarung begründet, wenn der Arbeitgeber den Lohn stets bar, ungekürzt und ohne Erteilung einer Abrechnung auszahlt (LAG Köln, 01.08.1997, Az.: 11 (7) Sa 152/97, NZA-RR 1998, 393; Griese in: Küttner, Personalbuch, 24. Aufl. 2017, Nettolohnvereinbarung Rn. 3; offengelassen LAG E., 10.12.2014, Az.: 4 Sa 400/14, juris). Dies wird damit begründet, dass ohne die Annahme einer Nettolohnvereinbarung in solchen Fällen das Verhalten des Arbeitgebers rechtswidrig wäre (LAG Köln, 01.08.1997, Az.: 11 (7) Sa 152/97, NZA-RR 1998, 393).
66

Andererseits kann eine Schwarzgeldabrede, mit der beide Vertragsteile eine Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben vereinbaren, nach der überzeugenden herrschenden Rechtsprechung nicht als Nettolohnvereinbarung verstanden werden. Denn damit bezwecken die Arbeitsvertragsparteien lediglich, Steuern und Sozialabgaben nicht abzuführen und gerade nicht deren Übernahme durch den Arbeitgeber (BAG, 17.03.2010, Az.: 5 AZR 301/09, NZA 2010, 881; BAG, 26.02.2003, Az.: 5 ARZ 690/01, NZA 2004, 313; BGH, 13.05.1992, Az.: 5 StR 38/92, NJW 1992, 2240; BFH, 21.02.1992, Az.: VI R 41/88, NJW 1992, 2587; BSG, 22.09.1988, Az.: 12 RK 36/86, BSGE 64,110; HessLAG, 19.05.2004, Az.: 2 Sa 1678/03, juris).
67

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV, wonach ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbar gilt, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung nicht gezahlt worden sind. Denn der Anwendungsbereich dieser Vorschrift beschränkt sich auf das Sozialversicherungsrecht und erstreckt sich nicht auf das bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnis der Arbeitsvertragsparteien. Das ergibt eine systematische Auslegung der Norm, deren Ergebnis durch den Zweck und die Entstehungsgeschichte des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestätigt wird (BAG, 21.09.2011, Az.: 5 AZR 629/10, juris; BAG, 17.03.2010, Az.: 5 AZR 301/09, juris).
68

(2)
69

Ob zwischen der Arbeitgeberin und der Beklagten ein Nettolohn vereinbart wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Nach der schriftsätzlichen Einlassung und dem Ergebnis der Anhörung der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten in der Verhandlung vom 24.08.2017 kann der Abschluss einer Nettolohnvereinbarung nicht angenommen werden.
70

(a)
71

Gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung ist daher unter anderem eine etwaige Anhörung einer Partei gemäß § 141 ZPO (Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 141 Rn. 1a, § 286 Rn. 14). Für die Überzeugungsbildung genügt, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen ist, ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass er vernünftigen Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 286 Rn. 18, 19).
72

Dabei erfordert es der Grundsatz der Waffengleichheit, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses, dass einer Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen. Zu diesem Zweck kann die Partei gemäß § 448 ZPO vernommen oder gemäß § 141 ZPO angehört werden (BGH, 27.09.2005, Az.: XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61).
73

(b)
74

Aus Sicht der Kammer besteht zunächst anhand der “gelebten” Umstände des Arbeitsverhältnisses keine Vermutung zugunsten der von der Klägerin behaupteten Nettolohnvereinbarung. Soweit nach einer Ansicht eine solche Vermutung bereits bei einer ungekürzten Barauszahlung des vereinbarten Lohnes bestehen soll, folgt die Kammer dem – jedenfalls für den vorliegenden Fall – nicht. Dem dürfte nämlich bereits die herrschende Rechtsprechung entgegenstehen, wonach in einer ebenso möglichen Schwarzgeldabrede gerade keine Nettolohnvereinbarung zu sehen ist. Aus einem insoweit rechtswidrigen Verhalten des Arbeitgebers kann daher nicht der Umkehrschluss gezogen werden, es sei eine Nettolohnvereinbarung beabsichtigt gewesen. Schwarzgeldabrede und Nettolohnvereinbarung bedürften in dieser Hinsicht vielmehr der Abgrenzung voneinander.
75

Jedenfalls im vorliegenden Fall greift eine dahingehende Vermutungswirkung auch aus einem weiteren Grund nicht. Der Lohn der Beklagten ist bis Ende des Jahres 2011 nicht in bar ausgezahlt worden, sondern durch Überweisung vom Konto der Arbeitgeberin an die Beklagte ausgezahlt worden. Eine rechtlich relevante Veränderung der Arbeitsbeziehung im Jahr 2011, auf welche die Umstellung der Zahlungsmodalitäten gründete, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.
76

Die steuerfreien Lohnzahlungen an die Beklagte können von ihrem Erscheinungsbild her daher sowohl darauf zurück zu führen sein, dass die Arbeitsvertragsparteien von einer Selbstständigkeit der Beklagten ausgingen, wie auch auf einer Schwarzgeldabrede oder einer Nettolohnvereinbarung gründen.
77

Es bedurfte deshalb vorliegend des Nachweises, ob den Lohnzahlungen eine konkrete Nettolohnvereinbarung zugrunde lag.
78

(c)
79

Der Nachweis einer Nettolohnvereinbarung ist der Beklagten nicht gelungen. Sie hat sich zum behaupteten persönlichen Gespräch mit der Arbeitgeberin im September 2010 dahingehend eingelassen, die Arbeitgeberin habe ausgeführt, dass der Lohn bei ihr – also der Beklagten – bleibe und sie ihn behalten solle. Wenn es Ärger deshalb gebe, dann solle sie auf die Arbeitgeberin zukommen und diese übernehme es dann. Die Arbeitgeberin habe des Weiteren immer gesagt, auf das Geld habe sie Steuern gezahlt und sie zahle nicht noch einmal Steuern darauf.
80

Selbst wenn die Kammer diese Einlassung der Beklagten als zutreffend unterstellt, kann nicht klar und eindeutig die Vereinbarung eines Nettolohns beziehungsweise die Bestätigung einer bereits bestehenden Nettolohnvereinbarung festgestellt werden.
81

Zunächst könnten diese Aussagen auch auf eine (unzutreffende) Einordnung des Arbeitsverhältnisses als selbstständige Tätigkeit zurückgeführt werden.
82

Selbst wenn die Arbeitsvertragsparteien aber bewusst von einem Arbeitsverhältnis ausgingen, bestätigen die Aussagen der Arbeitgeberin keine Nettolohnvereinbarung. Die bloße Abrede, die Beklagte solle den ausgezahlten Lohn vollständig “behalten”, beinhaltet lediglich die Vereinbarung einer ungekürzten Auszahlung des vereinbarten Arbeitsentgelts. Dem kann jedoch auch eine Schwarzgeldabrede zugrunde gelegen haben, die gerade keine Nettolohnvereinbarung darstellt. Eine Nettolohnvereinbarung beinhaltet gerade nicht nur die ungekürzte Auszahlung des vereinbarten Entgelts, sondern zugleich die Verpflichtung des Arbeitgebers, die steuerlichen Lasten zu erfüllen. Es fehlt gerade am Nachweis dieses Willens der Arbeitgeberin, die auf die Lohnzahlungen anfallenden Steuern ihrerseits zusätzlich tragen zu wollen.
83

Die von der Beklagten beschriebene Äußerung der Arbeitgeberin, nicht noch einmal Steuern auf den ausgezahlten Lohn zahlen zu wollen, legt vielmehr das Gegenteil nahe.
84

Dagegen spricht auch, dass die Arbeitgeberin nach der Einlassung der Beklagten erwähnt hat, es könne wegen des Lohnes gegebenenfalls “Ärger” geben. Hätte die Arbeitgeberin zusagen wollen, die sich ergebenden steuerlichen Lasten zu erfüllen, wäre nicht nachvollziehbar, warum es aus ihrer Sicht durch die ungekürzte Lohnzahlung zu “Ärger” kommen sollte.
85

(d)
86

Einer weitergehenden Beweisaufnahme durch Vernehmung der vorsorglich zum Termin am 24.08.2017 geladenen Zeugen bedurfte es nicht.
87

Wenn und soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass die Arbeitgeberin sinngemäß gegenüber Herrn D., Herrn L. und ihr gesagt habe, dass sie Steuern und Sozialversicherungsabgaben übernehme, so ist der Vortrag nicht hinreichend substantiiert, um ihm Wege der Beweisaufnahme nachzugehen. Vielmehr hat die Beklagte auf diesen Hinweis hin ihren Vortrag umgestellt und sich nicht mehr auf ein Gespräch in Anwesenheit von Herrn D. und Herrn L., sondern auf das Vier-Augen-Gespräch Ende September 2010 berufen.
88

Auch die Behauptung, die Arbeitgeberin haben gegenüber Frau I. mitgeteilt, dass die Beklagte einen Nettolohn erhalte, ist nicht hinreichend substantiiert.
89

cc.
90

Die Arbeitgeberin hat gegenüber der Beklagten auch nicht auf etwaige Steuernachzahlungen “verzichtet”.
91

(1)
92

Dabei ist zu beachten, dass ein einseitiger Verzicht auf einen schuldrechtlichen Anspruch des Gläubigers gegenüber dem Schuldner dem Gesetz fremd ist. Erforderlich ist vielmehr das Zustandekommen eines Erlassvertrages gemäß § 397 BGB, dessen Gegenstand ein Verzicht auf die Forderung ist (BGH, 04.12.1986, Az.: III ZR 51/85, NJW 1987, 3203). Hierfür bedarf es übereinstimmender Willenserklärungen der Vertragsparteien. Dabei kann die Annahme eines Angebots zum Erlass auch stillschweigend oder unter Entbehrlichkeit ihrer Erklärung gemäß § 151 BGB erfolgen. Der Erlass führt als Verfügungsvertrag dann zum Erlöschen der Forderung. Er kann sich auch als vorweggenommener Erlass auf künftige Forderungen beziehen (Rieble in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 397 Rn. 112). Dagegen begründet ein sogenannter Einforderungsverzicht als Verpflichtungsvertrag lediglich eine Einrede des Schuldners gegen die eigene Inanspruchnahme aus einer Forderung (Wagner in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 397 Rn.1, 5).
93

Daneben kommt eine Zusage wie die von der Beklagten behauptete unter Gesamtschuldnern als rechtsgeschäftliche Ausgleichsbestimmung im Sinne von § 426 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht. Durch eine solche kann insbesondere festgelegt werden, dass einzelne Gesamtschuldner für den Fall der Inanspruchnahme nicht zu einer Ausgleichung verpflichtet sein sollen (Looschelders in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 426 Rn. 52).
94

Die Beweislast für die vorgenannten Einwendungen trägt, unabhängig von der jeweils konkreten rechtlichen Einordnung, nach den allgemeinen Regeln derjenige, zu dessen Vorteil sie gereichen.
95

(2)
96

Auch nach dem Vortrag der Beklagten ist zwischen ihr und der Arbeitgeberin gerade nicht konkret über etwaige Abgaben oder Steuernachzahlungen gesprochen worden. Die Aussage “Wenn was ist, komm auf mich zu. Wenn was ist mit Ärger, dann übernehme ich das.” ist nach Auffassung der Kammer nicht als verbindlicher “Verzicht” auf etwaige Rückforderungsansprüche zu verstehen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagte selbst dies als “Tenor” des Gesprächs bezeichnet hat.
97

Vielmehr handelt es sich um ein Angebot, etwaige Probleme mit der Arbeitgeberin zu besprechen. Es wurde von sämtlichen am Prozess Beteiligten ausgedrückt, dass die Arbeitgeberin ihren Mitarbeitern gegenüber großzügig, hilfsbereit und fürsorglich in vielen Bereichen (beispielsweise bezüglich Geld- und Sachgeschenken und im Falle von Erkrankungen) war. Sonderleistungen beispielsweise auch in (finanziellen) Notsituationen der Mitarbeiter waren nicht ungewöhnlich. Auch auf hierauf bezogen kann die Äußerung der Arbeitgeberin, so sie denn wie behauptet erfolgte, bezogen werden.
98

Die Kammer vermag in der behaupteten Äußerung der Arbeitgeberin jedenfalls weder eine konkrete inhaltliche Zusage hinsichtlich etwaiger Rückforderungsansprüche wegen Steuernachzahlungen, noch einen rechtsverbindlichen Charakter zu erkennen.
99

dd.
100

Dem Erstattungsanspruch stehen auch nicht die von der der Beklagten behaupteten Zusagen des Klägers im Vier-Augen-Gespräch im Juni 2010 sowie in der Mitarbeiterinformation am 27.05.2013, er werde für etwaige steuerrechtlichen Nachzahlungen aufkommen, entgegen.
101

Die Beklagte qualifiziert die behaupteten Äußerungen des Klägers als “Verzicht” zu ihren Gunsten auf die Erstattung der Steuernachzahlungen. Es wird wegen der rechtlichen Einordnung insoweit auf die obigen Ausführungen unter cc. (1) verwiesen. Die darlegungs- und beweisbelasteten Beklagte hat die behaupteten Zusagen des Klägers nicht hinreichend konkretisiert bzw. nachgewiesen.
102

(1)
103

Es steht zunächst nicht fest, dass der Kläger im Juni 2010 der Beklagten zugesagt hat, dafür einzustehen, falls es zu Nachforderungen hinsichtlich der Lohnsteuer kommen werde.
104

Die Beklagte hat sich im Rahmen ihrer Anhörung hierzu auf ein – vom Kläger in dessen Einlassung bestrittenes – Gespräch mit dem Kläger bezogen. Die Beklagte habe dem Kläger darin mitgeteilt, der vereinbarte Stundenlohn werde ihrer Arbeitsbelastung nicht gerecht, woraufhin der Kläger wörtlich gesagt haben soll: “Stecken Sie das Geld ein und wenn was kommt, wenden Sie sich dann an meine Person.” Über konkrete Probleme oder Schwierigkeiten, die in dieser Hinsicht hätten auftreten können, sei dabei jedoch nicht gesprochen worden.
105

Diese Einlassung der Beklagten kann als zutreffend unterstellt werden, denn sie trägt die streitige Behauptung der Beklagten jedenfalls nicht. Der Kläger hat – die Ausführungen der Beklagten zugrunde legend – im Juni 2010 keine Aussage getätigt, die konkret genug wäre, um zu einem Ausschluss des Erstattungsanspruchs zu gelangen. Die Beklagte hat selbst ausgeführt, konkrete Folgen der Art und Weise der Lohnzahlungen seien nicht Thema des Gesprächs gewesen. Die Zusage des Klägers habe darin bestanden, sich an ihn wenden zu können, “wenn was kommt”.
106

Diese Aussage ist jedoch gerade nicht als verbindlicher “Verzicht” auf etwaige Rückforderungsansprüche zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein Angebot, etwaige Probleme (u.U. sogar wegen etwaiger Steuernachzahlungen) dann zu besprechen und dann nach einer Lösung zu suchen. Die Kammer vermag es weder eine inhaltliche Zusage, noch einen rechtsverbindlichen Charakter in dieser Aussage zu erkennen.
107

Für dieses Ergebnis spricht weiterhin, dass die Arbeitgeberin im Juni 2010 noch nicht verstorben war. Eine Gesamtschuld zwischen dem Kläger und der Beklagten beziehungsweise der Übergang eines Erstattungsanspruchs auf den Kläger war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben und auch nicht absehbar. Dass der Kläger bei der behaupteten Aussage diese in ungewisser Zukunft liegende Situation bereits konkret und abschließend regeln wollte, erscheint fernliegend.
108

Aus den gleichen Gründen scheidet nach Auffassung der Kammer die (nachträgliche) Vereinbarung einer Nettozahlungsvereinbarung zwischen den Parteien in dem behaupteten Gespräch vom Juni 2010 aus. Dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger nicht Arbeitgeber der Beklagten war.
109

(2)
110

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zudem nicht fest, dass der Kläger in der Mitarbeiterinformation am 27.05.2013 in Bezug auf alle Beschäftigten des Haushalts und insbesondere die Beklagte zugesichert hat, etwaige Steuernachforderungen zu übernehmen und sozialverträglich zu lösen.
111

Der hierzu vernommene Zeuge H. hat bekundet, sich nicht mehr sicher daran erinnern zu können, ob vom Kläger oder anderen anwesenden Personen Zusagen gemacht wurden. Es sei nichts beschlossen worden und es habe kein Ergebnis gegeben. Eine Klärung habe es damals nicht gegeben, sondern es sei eine Informationsveranstaltung gewesen. Es sei ein Vorschlag gemacht worden, Selbstanzeige zu erstatten, wobei zur Hilfe ein Anwalt empfohlen wurde. Die Worte “sozialverträgliche Lösung” seien vom Kläger im Rahmen der Mitarbeiterversammlung nicht benutzt worden. Ob von den Erörterungen auch die nicht anwesenden Mitarbeiter umfasst waren, wisse er nicht.
112

Die Aussage des Zeugen H. hat die von der Beklagten behauptete, streitige Aussage des Klägers insoweit nicht bestätigt. Der Zeuge konnte sich an Zusagen durch den Kläger im Rahmen der Mitarbeiterinformation nicht erinnern. Er wusste im Übrigen auch nicht, ob die Mitarbeiterinformation auch an die nicht anwesenden Mitarbeiter gerichtet gewesen ist.
113

Das Thema der Veranstaltung sei die Situation gewesen, dass die Mitarbeiter “ein Gehalt bekommen haben und zusätzlich noch Leistungen, quasi als Schwarzgeld”. Damit beschreibt der Zeuge aber ein Gesprächsthema, welches nicht der Situation der Beklagten entsprach. Die Steuernachzahlung bezüglich der Beklagten bezog sich nicht nur auf Sonderleistungen, die neben dem Gehalt gewährt wurden. Im Ergebnis bestätigt der Zeuge somit nicht nur die Behauptung der Beklagten nicht, sondern gibt Anlass zu der Vermutung, dass die Situation der Beklagten gerade nicht Thema der Informationsveranstaltung am 23.05.2013 gewesen ist.
114

ee.
115

Dem Anspruch des Klägers steht schließlich auch nicht die Verletzung von Fürsorgepflichten der Arbeitgeberin gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit dem Haftungsbescheid entgegen.
116

(1)
117

Im Ausgangspunkt trifft den Arbeitgeber die Pflicht, die Finanzverwaltung auf erkennbare Unstimmigkeiten bei der Berechnung der (Lohn-)Steuerforderung hinzuweisen und im Interesse des Arbeitnehmers auf eine Korrektur hinzuwirken (LAG E., 10.12.2014, Az.: 4 Sa 400/14, juris). Das Bundesarbeitsgericht hat zudem für Fälle, in denen die Berechtigung einer Nachversteuerung durch die Finanzverwaltung zweifehlhaft ist, eine Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers bezüglich der Inanspruchnahme gegenüber dem Arbeitnehmer angenommen. Dies sei Ausfluss der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht und solle dem Arbeitnehmer ermöglichen, mit eigenen Rechtsmitteln gegen die Inanspruchnahme vorzugehen. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht, kann ihm nach dieser Rechtsprechung der Rückgriff beim Arbeitnehmer verwehrt sein, wenn er nicht nachweislich alles Zumutbare unternommen hat, um eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme abzuwehren (BAG, 23.03.1961, Az.: 5 AZR 156/59, AP Nr. 9 zu § 670 BGB; Rindelaub in: Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, EStG, Stand 01.01.2015, § 42d Rn. 48).
118

(2)
119

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend ist die Berechtigung der Inanspruchnahme der Arbeitgeberin dem Grund und der Höhe nach bereits unstreitig geblieben. Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang ihre Fürsorgepflicht jedenfalls erfüllt. Mit Schreiben vom 11.03.2014 hat die Arbeitgeberin der Beklagten die Inanspruchnahme durch die Finanzverwaltung mitgeteilt. Die Rücknahme ihres fristwahrend eingelegten Einspruchs hat sie zudem von einer Stellungnahme der Beklagten abhängig gemacht. Unabhängig von der Möglichkeit zur Einlegung eigener Rechtsmittel wurde der Beklagten damit die Möglichkeit eröffnet, ihre Rechte zumindest in diesem Prozess gelten zu machen, etwa durch Herbeiführung einer Beiladung durch den Arbeitgeber (dazu BAG, 09.12.1976, Az.: 3 AZR 371/75, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Erstattung).
120

2.
121

Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen auf die geltend gemachte Forderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Dabei war für den Beginn der Verzinsung gemäß § 187 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit §§ 261 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO auf den Tag nach Zustellung der Klageschrift an die Beklagte abzustellen (BAG, 15.11.2000, Az.: 5 AZR 365/99, juris).
122

III.
123

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Danach hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
124

IV.
125

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3, 4 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert war mit dem Nennbetrag der Hauptforderung festzusetzen. Die Zinsforderung blieb als Nebenforderung außer Betracht.
126

V.
127

Der Ausspruch zur Zulassung der Berufung folgt aus § 64 Abs. 3a S. 1 ArbGG.
128

Die Statthaftigkeit der Berufung ergibt sich für die Beklagte bereits aus § 64 Abs. 2 Nr. b ArbGG, soweit sie die Entscheidung in einer den Wert des Beschwerdegegenstandes von 600,00 € übersteigenden Höhe mit der Berufung angreift.
129

Darüber hinaus besteht keine Veranlassung, die Berufung unterhalb dieses Beschwerdewertes gesondert zuzulassen. Es liegt keiner der gesetzlich normierten Zulassungsgründe gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG vor; insbesondere kommt der vorliegenden Einzelfallstreitigkeit keine grundsätzliche Bedeutung zu.
130

RECHTSMITTELBELEHRUNG
131

Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei Berufung eingelegt werden. Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
132

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
133

Landesarbeitsgericht E.
134

Ludwig-Erhard-Allee 21
135

40227 E.
136

Fax: 0211 7770-2199
137

eingegangen sein.
138

Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.
139

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
140

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
141

1.Rechtsanwälte,
142

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
143

3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
144

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
145

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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