Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25. Juli 1984 – BReg 1 Z 44/84

November 30, 2020

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 25. Juli 1984 – BReg 1 Z 44/84

Prüfung der Wechselbezüglichkeit für jede einzelne Verfügung des Testaments

1. Die Wechselbezüglichkeit muß für jede einzelne Verfügung des Testaments gesondert geprüft werden. Möglich ist auch die einseitige Bindung nur eines Ehegatten an die Schlußerbeneinsetzung.

2. Enthält das Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit der einzelnen Verfügungen, so muß diese durch Auslegung festgestellt werden. Hierbei kann die Abhängigkeit der Schlußerbeneinsetzung von der Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten verneint werden, wenn dieser vermögend war, der vorverstorbene Ehegatte jedoch kein oder im Verhältnis zu ihm nur ein geringes Vermögen hatte.

3. Dem verstorbenen Ehegatten im Sinne des BGB § 2270 Abs 2 nahestehend waren Freunde, bewährte Hausgenossen, langjährige Angestellte sowie Personen, zu denen er enge persönliche Beziehungen und innere Bindungen hatte, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu Verwandten entsprachen (Vergleiche BayObLG München, 1982-12-31, BReg 1 Z 98/82, BayObLGZ 1982, 474).

Tenor

I. Die weiteren Beschwerden gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 28.März 1984 werden als unbegründet zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten zu 4 und 5 haben die der Beteiligten zu 6 im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 600.000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

1. Am … verstarb in … die Hausfrau E … geb. … verw. … (Erblasserin) im 88. Lebensjahr. Sie war seit dem 2.9.1965 verwitwet. Ihr erster Ehemann war vor Eingehung ihrer zweiten Ehe verstorben. Aus ihrer ersten Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, von denen der eine vor dem Tode der Erblasserin für tot erklärt wurde und der andere vor ihrem Tode verstarb. Aus der zweiten Ehe der Erblasserin stammen keine Kinder.

Die Beteiligten zu 1 bis 5 sind die Kinder des am 13.5.1981 verstorbenen F … (genannt …) …. Dessen am … verstorbene Mutter E (genannt …) … geb. … war die Schwester der Erblasserin.

2. Mit ihrem zweiten Ehemann errichtete die Erblasserin am 29.8.1963 ein vom Ehemann eigenhändig geschriebenes und von beiden Eheleuten unterschriebenes gemeinschaftliches Testament, in dem sich die Ehegatten gegenseitig als Erben einsetzten und bestimmten, im Falle des Überlebens der Erblasserin solle das Vermögen zur einen Hälfte auf ihre Schwester E … und zur anderen Hälfte auf den Neffen der Erblasserin, B … übergehen.

Nach dem Tode ihres zweiten Ehemannes errichtete die Erblasserin am 2.11.1982 ein notariell beurkundetes Testament – Urkundenrolle Nr…. des Notars Dr. S in …-… –, in dem sie alle früheren letztwilligen Verfügungen aufhob und als alleinige Erbin die Beteiligte zu 6 bestimmte.

Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen – Nachlaßgericht – ordnete für die unbekannten Erben Nachlaßpflegschaft an und bestellte den Beteiligten zu 7 als Nachlaßpfleger.

3. Die Beteiligte zu 6 beantragte am 27./31.5.1983 beim Amtsgericht die Erteilung eines Erbscheins, der sie als alleinige Erbin ausweise. Die Beteiligte zu 1 beantragte am 27.5./8./13.6.1983 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, nach welchem die Beteiligten zu 1 bis 5 Erben zu je einem Fünftel seien. Die Beteiligten zu 4 und 5 führten mit Schriftsatz vom 1./4.7.1983 aus, der Erbschein sei auf die Abkömmlinge des B auszustellen. Die Beteiligten zu 1, 4 und 5 vertraten die Auffassung, die zugunsten ihres Vaters B … und ihrer Großmutter E … im gemeinschaftlichen Testament vom 29.8.1963 getroffenen letztwilligen Verfügungen seien für die Erblasserin bindend geworden, die dieser Bindungswirkung widersprechende Erbeinsetzung der Beteiligten zu 6 im notariellen Testament vom 2.11.1982 deshalb unwirksam.

4. Mit Beschluß (Vorbescheid) vom 27.7.1983 kündigte das Amtsgericht die Erteilung eines Erbscheins nach dem Antrag der Beteiligten zu 6 an. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1 bis 5 wies das Landgericht München II mit Beschluß vom 28.3.1984 zurück.

Gegen diese Entscheidung richten sich die mit Anwaltsschriftsatz eingelegten weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 4 und 5. Die Beteiligte zu 6 beantragt die Zurückweisung dieser Rechtsmittel.

II.

A. Die weiteren Beschwerden sind unbegründet.

1. Das Landgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung aus:

Das Amtsgericht sei zu Recht von der im notariellen Testament vom 2.11.1982 bestimmten Einsetzung der Beteiligten zu 6 als Alleinerbin ausgegangen. Die im gemeinschaftlichen Testament vom 29.8.1963 angeordnete Einsetzung der Erblasserin als Erbin ihres Ehemanns habe in keiner Wechselbeziehung zu der Einsetzung der Schwester und des Neffen der Erblasserin als Schlußerben gestanden. Der zweite Ehemann der Erblasserin habe in keinem besonders nahen, freundschaftlichen oder gar innigen Verhältnis zu den Verwandten der Erblasserin gestanden. Auch entspreche es der Lebenserfahrung, daß ein Ehegatte, der nach der testamentarischen Regelung erheblich geringere Zuwendungen zu erwarten habe als der andere Ehepartner, nicht daran interessiert sei, seine Verfügung von der seines Partners abhängig sein zu lassen. Hier habe der zweite Ehemann der Erblasserin ein weitaus geringeres Vermögen als die Erblasserin besessen.

2. Diese Ausführungen halten der im Verfahren der Rechtsbeschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung (§ 27 FGG, § 550 ZPO) stand.

In ihrem notariellen Testament vom 2.11.1982 hat die Erblasserin alle früheren letztwilligen Verfügungen aufgehoben und die Beteiligte zu 6 als alleinige Erbin eingesetzt. Demgemäß (§§ 1937, 2231 Nr.1, § 2232 BGB) ist die Erblasserin allein von der Beteiligten zu 6 beerbt worden, wenn die Erblasserin berechtigt war, ihre im gemeinschaftlichen Testament vom 29.8.1963 angeordnete Erbeinsetzung des Vaters und der Großmutter der Beteiligten zu 1 bis 5 zu widerrufen.

Der Erblasser kann ein Testament insgesamt sowie jede einzelne in einem Testament enthaltene Verfügung grundsätzlich jederzeit widerrufen (§ 2253 Abs.1 BGB). Das gilt auch für alle Verfügungen, die in einem gemeinschaftlichen Testament (§§ 2265 ff. BGB), das nur von Ehegatten errichtet werden kann, getroffen worden sind. Das Recht zum Widerruf einer in einem gemeinschaftlichen Testament vorgenommenen letztwilligen Verfügung erlischt mit dem Tode des anderen Ehegatten lediglich dann, wenn in dem gemeinschaftlichen Testament der andere Ehegatte seinerseits eine Verfügung getroffen hat, von der anzunehmen ist, daß sie nicht ohne die Verfügung des überlebenden Ehegatten getroffen wurde, und der überlebende Ehegatte das ihm Zugewandte nicht ausgeschlagen hat (§§ 2270 Abs.1, 2271 Abs.2 Satz 1 BGB). Ein solches Verhältnis (sog. Wechselbezüglichkeit) muß für jede einzelne Verfügung des Testaments gesondert geprüft werden (BayObLGZ 1982, 474/477); möglich ist auch die einseitige Bindung nur eines Ehegatten an die Schlußerbeneinsetzung (BayObLGZ 1983, 213/217 m. Nachw.). Ist im gemeinschaftlichen Testament keine klare und eindeutige Anordnung hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit der einzelnen Verfügungen enthalten, so muß diese durch Auslegung des Testaments nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ermittelt werden (BayObLGZ 1982, 474/477; Senatsbeschluß vom 5.8.1983 – BReg. 1 Z 25/83 S. 15 f.). Diese Auslegung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Seine Auslegung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur dahin überprüft werden, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG), bei der Erörterung des Beweisstoffs alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG), nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder feststehende Erfahrungssätze verstoßen, keine verfahrensrechtlichen Vorschriften verletzt und auch die Beweisanforderungen weder vernachlässigt noch überspannt hat (BayObLGZ 1982, 474/477).

Im vorliegenden Fall war somit zu prüfen, ob im gemeinschaftlichen Testament der Ehemann der Erblasserin diese nur deshalb als seine Erbin bestimmt hat, weil die Erblasserin ihre Schwester und ihren Neffen als Schlußerben eingesetzt hat. Diese Wechselbezüglichkeit ist vom Landgericht ohne Rechtsfehler verneint worden. Damit befindet sich das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats, nach der die Abhängigkeit der Schlußerbeneinsetzung von der gegenseitigen Erbeinsetzung der Ehegatten verneint werden kann, wenn ein Ehegatte vermögend ist, der andere hingegen kein oder im Verhältnis zu ihm nur ein geringes Vermögen hat (BayObLG Rpfleger 1981, 282 LS; Senatsbeschluß vom 5.8.1983 w.o. S.17 f. m. Nachw.).

Insbesondere hat das Landgericht mit Recht die Voraussetzungen der hier in Betracht kommenden gesetzlichen Beweisregel (§ 2270 Abs.2 BGB) verneint. Danach ist Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im Zweifel anzunehmen, wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Im vorliegenden Fall ist die Erblasserin von ihrem Ehemann zwar als Erbin eingesetzt worden. Ihre Schwester und ihr Neffe, die als Schlußerben bestimmt wurden, waren jedoch nicht mit ihrem Ehemann verwandt. Der Sachverhalt bietet auch keinen Anhalt dafür, daß diese Personen dem Ehemann der Erblasserin nahe standen. Das ist nur für enge Freunde, bewährte Hausgenossen, langjährige Angestellte oder Personen anzunehmen, zu denen der andere Ehegatte enge persönliche Beziehungen und innere Bindungen hatte, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu Verwandten entsprachen (BayObLGZ 1982, 474/478 f.).

B. Die Entscheidung über die Kostenerstattungspflicht der Beteiligten zu 1 bis 5 ergibt sich aus § 13a Abs.1 Satz 2 FGG.

Die Festsetzung des Geschäftswertes (= zwei Fünftel des Nachlaßwerts von 1.500.000 DM) beruht auf § 131 Abs.2, § 30 Abs.1, § 31 Abs.1 KostO.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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