BGH, 12.11.2015 – V ZR 66/15

September 3, 2018

BGH, 12.11.2015 – V ZR 66/15

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. November 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner, Weinland und Haberkamp

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. Januar 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten gegen seine Verurteilung zurückgewiesen worden ist, seine Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs des Amtsgerichts Bergheim von B. Blatt , Gemarkung B. Flur 27 Flurstück 1074/416 dahingehend zu erteilen, dass die vormalige Klägerin Eigentümerin des Grundstücks ist.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 30.000 €.

Gründe

I.

Mit notariellem Vertrag vom 15. März 2011 verkaufte die 1922 geborene vormalige Klägerin (nachfolgend Erblasserin) ein Grundstück (Gartenland) an den Beklagen, ihren Nachbarn, zu einem Kaufpreis von 10.000 €. Am 17. März 2011 erteilte sie ihm eine Vorsorgevollmacht. Der Beklagte wurde in das Grundbuch eingetragen. Nachdem die Erblasserin im Juli 2011 in ein Krankenhaus verbracht worden war, wurde für sie mit Beschluss vom 31. August 2011 eine umfassende Betreuung eingerichtet. Grundlage dafür war ein schriftliches Gutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 28. August 2011, in dem eine Betreuungsbedürftigkeit wegen fortgeschrittener Demenz und schwerer körperlicher Hinfälligkeit sowie eine Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht wegen einer seit mindestens Anfang 2011 bestehenden Geschäftsunfähigkeit festgestellt wurde.

Die Erblasserin hat – soweit hier noch von Interesse – von dem Beklagten die Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs dahingehend verlangt, dass sie Eigentümerin des Grundstücks ist. Die Klage ist vor dem Landgericht erfolgreich gewesen. Die Erblasserin ist während des Berufungsverfahrens verstorben. Für ihre unbekannten Erben führt der Nachlasspfleger den Rechtsstreit fort. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision richtet sich seine Nichtzulassungsbeschwerde. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

II.

Das Berufungsgericht bejaht einen Grundbuchberichtigungsanspruch nach § 894 BGB, weil die von der Erblasserin erklärte Auflassung nach § 104 Nr. 2, § 105 BGB nichtig sei. Nach dem in dem Betreuungsverfahren erstellten Gutachten sei die Erblasserin geschäftsunfähig. Dem Antrag des Beklagten auf Vernehmung der die Erblasserin im Juli 2011 behandelnden Krankenhausärzte oder des den Kaufvertrag beurkundenden Notars sei nicht nachzugehen. Auf deren Einschätzung komme es nicht an. Mit seinem unter Beweis gestellten Sachvortrag zu konkreten Wahrnehmungen von Wortäußerungen oder Verhaltensweisen der Erblasserin sei der Beklagte nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

III.

Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Das Verfahrensgrundrecht ist durch die Zurückweisung des Beweisangebots des Beklagten auf Vernehmung des Notars Dr. R. und der die Erblasserin im Krankenhaus behandelnden Ärzte Dr. M. und Dr. D. verletzt worden.

a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2014 – V ZR 169/13, […] Rn. 8). So verhält es sich, wenn ein Beweisantritt wegen Ungeeignetheit des Beweismittels für die zu beweisende Tatsache zurückgewiesen wird, obwohl er Sachdienliches ergeben und die von dem Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern kann (vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 2011 – V ZR 182/10, […] Rn. 13).

b) So ist es hier. Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, kann bei der Beurteilung, ob sich jemand in einem bestimmten Zeitpunkt in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat, auch die Einschätzung von Personen von Bedeutung sein, die keine medizinische Ausbildung haben oder die den Betroffenen nicht gezielt auf seinen Geisteszustand untersucht haben. Vorliegend beruht die Feststellung des Sachverständigen zu der Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin auf deren Zustand bei der Begutachtung im August 2011 und fremdanamnestischen Angaben. Daraus hat der Sachverständige Rückschlüsse auf die Betreuungsbedürftigkeit und die Wirksamkeit der im März 2011 erteilten Vorsorgevollmacht gezogen. Demgegenüber beruft sich der Beklagte auf die Einschätzung der von ihm benannten Zeugen, nach der die Erblasserin bis zu ihrer Einlieferung in das Krankenhaus im Juli 2011 geschäftsfähig gewesen sei. Deren Einschätzung ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht unbeachtlich (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749 Rn. 12). Der beurkundende Notar war gemäß 11, § 17 BeurkG verpflichtet, die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin festzustellen und sich darüber zu vergewissern, dass der Vertrag auch ihrem Willen entspricht. Die die Erblasserin behandelnden Krankenhausärzte haben den Zustand und das Verhalten der Erblasserin nach deren Einlieferung beobachtet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich für das Berufungsgericht bei der gebotenen Gesamtwürdigung (§ 286 ZPO) nach Vernehmung der Zeugen ein anderes oder differenzierteres Bild hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit der Erblasserin ergibt, das Zweifel an deren Geschäftsunfähigkeit im März 2011 entstehen lässt. Diese gingen zu Lasten des Klägers, da das Gesetz die Geschäftsfähigkeit als Normalfall und die Geschäftsunfähigkeit als Ausnahmetatbestand ansieht (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2013 – XII ZR 19/11, BGHZ 198, 381 Rn. 24).

c) Mit seinem unter Beweis gestellte Sachvortrag ist der Beklagte entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht nach 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

aa) Das Vorbringen einer Partei ist neu im Sinne von 531 Abs. 2 ZPO, wenn es nicht schon in der ersten Instanz gehalten ist oder wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert. Neu ist ein Vorbringen hingegen nicht, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (Senat, Beschluss vom 2. April 2009 – V ZR 177/08, NJW-RR 2009, 1236 Rn. 9; BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 – VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251; Urteil vom 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04, BGHZ 164, 330, 333).

bb) Hieran gemessen war das Vorbringen des Beklagten in der Berufungsinstanz nicht neu. Er hat bereits in erster Instanz behauptet, dass die Erblasserin im Zeitpunkt der Grundstücksübertragung geschäftsfähig war. Er hat die Eindrücke des Notars sowie die Einschätzungen der behandelnden Krankenhausärzte geschildert und dargelegt, dass sich der Zustand der Erblasserin erst nach Einlieferung in das Krankenhaus im Juli 2011 infolge der Operation und Medikation verschlechtert hat. Mehr musste und konnte der Beklagte mangels eigener Wahrnehmung nicht vortragen. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an die Darlegungslast, wenn es den Vortrag deswegen für unbeachtlich hält, weil er sich nicht zu konkreten Wahrnehmungen von Wortäußerungen oder Verhaltensweisen der Erblasserin verhält. Seinen Sachvortrag hat der Beklagte sodann in der Berufungsinstanz weiter konkretisiert und seine Beweisanträge wiederholt.Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt, wenn es dem Beweisangebot des Klägers – zweckmäßigerweise im Beisein des Sachverständigen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 2014 – V ZR 262/13, FamRZ 2014, 749 Rn. 12; BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 – III ZR 69/96, NJW 1997, 3096, 3097) – nachgeht. Der Beklagte hat den beurkundenden Notar zwar erstmals in der Berufungsinstanz als Zeugen für die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin im März 2011 benannt. Das schließt aber nicht aus, dass der Antrag nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist. Es liegt nahe, dass er in erster Instanz versehentlich unterblieben ist, also ein richterlicher Hinweis geboten war (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Kam es nach Auffassung des Landgerichts auf diesen Beweisantrag nicht an, liegt in dem Ausbleiben des Hinweises zwar kein Verfahrensfehler (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); der Antrag betraf dann aber einen Gesichtspunkt, den das Gericht des ersten Rechtszuges für unerheblich gehalten hat (§ 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Stresemann

Czub

Brückner

Weinland

Haberkamp

 

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Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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