BGH, Entscheidung vom 12. Mai 1969 – VII ZR 15/67

April 27, 2019

BGH, Entscheidung vom 12. Mai 1969 – VII ZR 15/67
1. Auch eine unwiderrufliche Vollmacht kann aus wichtigem Grunde widerrufen werden. Der Ausschuß des Widerrufs bedeutet nur eine Beschränkung der freien Widerrufsmöglichkeit auf eine solche aus wichtigem Grund.
Ob ein wichtiger Grund zum Widerruf gegeben ist, hängt maßgeblich von dem Inhalt der Vereinbarungen ab, die der Vollmachtserteilung zugrunde lagen. Ein Recht zum Widerruf einer “unwiderruflichen” Vollmacht liegt zB dann vor, wenn der Vollmachtsinhaber, dessen Rechtsstellung im Innenverhältnis beschränkt ist, die ihm erteilte Vollmacht mißbraucht.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Düsseldorf vom 22. November 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den 6. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger ist der Vater der Beklagten. Er war alleiniger Inhaber der N Nudel- und Stärkefabrik Peter Josef S. Durch notariellen Vertrag vom 29. November 1947 nahm er seine beiden Töchter als Kommanditisten in diese Firma auf. Der Kläger behielt sich jedoch das Stimmrecht, soweit es auf die Kommanditanteile entfiel, sowie den Nießbrauch an diesen vor. Die Beklagte verzichtete in dem Vertrag auf ihren Pflichtteil nach dem Kläger.
Zu dem Vermögen dieser KG gehörte auch ein Geschäftsanteil an der Firma D-G Erste Badische Teigwarenfabrik Wilhelm H GmbH. in Weinheim in Höhe von 560.000 DM. Diesen entnahm der Kläger 1953 aus dem Vermögen der KG und überführte ihn in sein Privatvermögen.
inige Jahre später übertrug der Kläger den Geschäftsanteil je zur Hälfte auf seine Tochter Do Sc und die Beklagte. Die Übertragung auf die Beklagte erfolgte durch notarielle Verträge vom 28. April 1956 und vom 21. September 1962. Durch den Vertrag vom 28. April 1956 verpflichtete sich der Kläger, der Beklagten auf deren Verlangen den Geschäftsanteil bis zum 28. April 1966 gegen Zahlung von 150.000 DM zu übertragen. In dem Vertrag vom 21. September 1962, der die Übertragung enthielt, heißt es:
“Derselbe (Kaufpreis von 150.000 DM) ist bereits bezahlt, indem die Beteiligten hierwegen gegenseitige Verrechnung vorgenommen haben”.
Die GmbH-Anteile wurden später mit Zustimmung des Klägers von den beiden Töchtern veräußert. Der Verkaufserlös wurde bei der C bank und der Städtischen Sparkasse in N auf den Namen der Beklagten deponiert. Der Kläger kaufte mit Zustimmung beider Töchter für einen Teil des Verkaufserlöses festverzinsliche Wertpapiere, die er in einem auf den Namen der Beklagten lautenden Depot bei der C bank, Filiale N, deponierte.
Am 6. November 1962 bevollmächtigte die Beklagte den Kläger durch schriftliche Erklärung gegenüber der C bank in N und am 8. November 1962 durch eine Erklärung gegenüber der Städtischen Sparkasse in N, über ihr jeweiliges Guthaben und die Depots zu verfügen.
Am 15. November 1962 erteilten beide Töchter dem Kläger ferner folgende Vollmacht:
“Hiermit erteile ich meinem Vater,
Herrn Hermann S in N, unwiderruflich die Vollmacht, bis zu seinem Lebensende die Gelder aus dem Besitz und Verkauf der Anteile Weinheim zu verwalten – über die Gelder zu verfügen – die Gelder zu verwenden und zu nutzen.
Ich nahm Kenntnis davon, daß vorerst für Veräußerungsgewinn DM 600.000,– und für Lastenausgleich DM 640.000,– in Pfandbriefen angelegt wurden.
Herr S wird jährlich die notwendigen Steuerunterlagen mitteilen.”
Im Frühjahr 1964 entnahm der Kläger auf Grund der ihm von der Beklagten erteilten Bankvollmacht aus dem Depot Wertpapiere zum Nominalbetrag von insgesamt 1.103.000 DM.
Die Beklagte widerrief, nachdem sie davon erfahren hatte, am 17. April 1964 gegenüber der C bank und Städtischen Sparkasse die erteilten Bankvollmachten. Zugleich widerrief sie dem Kläger gegenüber die ihm am 15. November 1962 erteilte Vollmacht.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger in der ersten Instanz zuletzt beantragt, festzustellen, daß der den beiden Banken gegenüber ausgesprochene Widerruf rechtsunwirksam und die Vollmacht noch in Kraft sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht auf seinen in der Berufungsinstanz geänderten Antrag dahin erkannt, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger durch Erklärung gegenüber der Sparkasse N am Rhein und gegenüber der C bank, Filiale N am Rhein, erneut Vollmacht in dem Umfang zu erteilen, wie dies im November 1962 geschehen war.
Die Revision der Beklagten erstrebt die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I.
1. Die von der Beklagten dem Kläger erteilten beiden Bankvollmachten sind formularmäßig gefasst und enthalten (üblicherweise) keine Unwiderruflichkeitsklausel. Eine solche enthält dagegen die Vollmacht vom 15. November 1962. Daraus schließt das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum, daß zwischen den Parteien auch die Unwiderruflichkeit der Bankvollmachten vereinbart war.
Die Vollmacht vom 15. November 1962 ist in Bezug auf die darin genannten Vermögensteile (Gelder aus dem Besitz und dem Verkauf der “Weinheimer Anteile”) unbeschränkt, ebenso die Bankvollmachten.
2. Auch eine “unwiderrufliche Vollmacht” kann aus wichtigem Grunde widerrufen werden. Der Ausschluß des Widerrufs bedeutet nur eine Beschränkung der freien Widerrufsmöglichkeit auf eine solche aus wichtigem Grund (vgl. Soergel-Siebert-Schultze-v.Lasaulx, § 168 BGB, Rdn. 22, 29; Staudinger-Coing, 11. Aufl. § 168 BGB, Anm. 12 a; Palandt-Danckelmann, 28. Aufl. § 168 BGB, Anm. 2; BGH vom 16.5.1963 VII ZR 209/61; OGH zit. bei Delbrück MDR 1949, 81; OLG Celle MDR 1961, 936; OLG Hamburg MDR 1962, 217; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 112; a. M. Flune, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, S. 882).
3. Ob ein wichtiger Grund zum Widerruf gegeben ist, hängt maßgeblich von dem Inhalt der Vereinbarungen ab, die der Vollmachtserteilung zugrunde lagen.
a) Dazu stellt das Berufungsgericht fest, die Parteien hätten mit der Bevollmächtigung im wesentlichen das Interesse des Klägers verfolgt, damit er das Vermögen habe nutzen können.
Die Vollmacht stelle nur eine Fixierung der Rechtsbeziehungen dar, wie sie schon vor ihrer Errichtung zwischen den Parteien bestanden hätten. Der Kläger habe unwidersprochen vorgetragen, daß er auch schon vor 1962 das aus der Firma S stammende Vermögen seiner Töchter nach eigenem Gutdünken verwaltet habe. Zu diesem Vermögen hätten namentlich die Werte gehört, die der Beklagten aus dem Verkauf der “Weinheimer Anteile” zugeflossen seien. Der Kläger habe sowohl im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Bankvollmachten wie auch bei der Unterzeichnung der Urkunde vom 15. November 1962 in die Lage versetzt werden sollen, das von ihm stammende Vermögen weiterhin nach Gutdünken zu nutzen. Die Grenze seiner Verfügungsmacht sei nur darin zu finden, daß er nicht berechtigt sei, der Beklagten einen über den Vermögensteil “Weinheimer Anteile” hinausgehenden Vermögensschaden zuzufügen.
b) Die Rechtsbeziehungen der Parteien stellen sich nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt als ein Treuhandvertrag mit besonderer Ausgestaltung dar.
Der Kläger ist Treugeber, wenn er wirtschaftlicher Eigentümer der Erlöse aus den “Weinheimer Anteilen” geblieben ist. Die Beklagte ist dann Treuhänderin: Sie ist die rechtliche Inhaberin der aus den “Weinheimer Anteilen” stammenden Erlöse als Kontoinhaberin. Sie sollte nach außen als Inhaberin auftreten, insbesondere auch gegenüber den Steuerbehörden. Sie hat dem Kläger entweder im Umfang der Vollmacht vom 15. November 1962 Rechte zur Verwaltung und Verfügung über die Erlöse eingeräumt, oder aus dieser Vollmacht ergibt sich, inwieweit ihr überhaupt eine Treuhänderstellung gegeben ist.
Wenn dagegen der Kläger nicht wirtschaftlicher Eigentümer geblieben ist, dann stellen sich die Rechtsbeziehungen der Parteien so dar, daß die Beklagte als Treugeberin anzusehen ist; der Kläger ist dann im Rahmen der Vollmacht vom 15. November 1962 Treuhänder, der auch zum eigenen Nutzen verfügen darf.
Es kommt also für die Rechte des Klägers hinsichtlich der Erlöse aus den “Weinheimer Anteilen” im Innenverhältnis der Parteien stets darauf an, welchen Inhalt die Vereinbarungen hatten, die der Vollmachterteilung zugrunde lagen.
c) Die Beklagte hatte vorgetragen, daß die dem Kläger im Innenverhältnis eingeräumte Rechtsstellung weit hinter der ihm durch die Vollmachten verliehenen Rechtsmacht zurückgeblieben sei. Der Kläger habe daher die Vollmachten durch die Abhebung von Wertpapieren zum Nominalbetrag von 1.103.000 DM und Verweigerung jeglicher Auskunft über den Zweck der Abhebung und den Verbleib der Wertpapiere mißbraucht. Er habe ferner durch Drohungen (Schenkung von 200-250.000 DM an seine Nichte Rosemarie Si; Vernichtung der Beklagten) das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien zerstört. Sie sei daher zum Widerruf der Vollmachten berechtigt gewesen.
4. Gegenüber der abweichenden Beurteilung des Berufungsgerichts macht die Revision zutreffend geltend, daß das Berufungsgericht den unstreitigen Sachverhalt sowie den Parteivortrag bezüglich der Vereinbarungen, die der Vollmachtserteilung zugrunde lagen, nicht ausreichend gewürdigt hat (§ 286 ZPO).
Das gilt insbesondere für folgendes:
a) Das Berufungsgericht hat eine Prüfung der Frage unterlassen, welche Bedeutung der Erklärung der Beklagten in dem Abs. 2 der Urkunde vom 15. November 1962 zukommt, in dem es heißt: “Ich nahm Kenntnis davon, daß vorerst für Veräußerungsgewinn DM 600.000,– und für Lastenausgleich DM 640.000,– in Pfandbriefen angelegt wurden.”
Die Beklagte hatte unstreitig gegenüber den Finanzbehörden für Steuerverpflichtungen und andere öffentliche Lasten aus dem Erlös der “Weinheimer Anteile” persönlich einzustehen. Es hätte sich für das Berufungsgericht die Prüfung der Frage aufdrängen müssen, ob nicht die der Kläger erteilten Vollmachten nach dem Willen der Parteien im Innenverhältnis dahin beschränkt sein sollten, daß der Kläger über Beträge in Höhe der zu erwartenden Steuerverpflichtungen pp. nicht anderweitig verfügen durfte, bevor nicht geklärt war, welche Beträge für diese Zwecke benötigt wurden. Nachdem der Kläger Wertpapiere von über 1 Million DM aus dem Depot entnommen hatte, verblieben dort nach dem vom Kläger nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten aber nur noch Werte von ca 250.000 DM. Feststellungen dazu, welche Beträge für Steuerverpflichtungen und Lastenausgleichsabgaben benötigt wurden, hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
b) Es hat auch nicht geprüft, welche Bedeutung der Bestimmung des Abs. 3 der Urkunde vom 15. November 1962 (Herr S wird jährlich die notwendigen Steuerunterlagen mitteilen) im Hinblick auf eine etwaige Beschränkung der Vollmachten im Innenverhältnis der Parteien zukommen kann. Eine Verpflichtung des Klägers zur jährlichen Mitteilung der notwendigen Steuerunterlagen könnte dafür sprechen, daß die Parteien davon ausgingen, der Kläger werde das Vermögen aus den “Weinheimer Anteilen” nur in einem Maße verwalten, darüber verfügen und es verwenden, daß sein Bestand im wesentlichen erhalten blieb.
c) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, daß der Zweck der zugrunde liegenden Vereinbarungen der Parteien gewesen sei, die Altersversorgung des Klägers zu sichern.
Das Berufungsgericht führt im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob die Vollmacht die Beklagte in sittenwidriger Weise kneble, aus: “Diese Einschränkungen haben die Geschwister aber im November 1962 und schon zu früherer Zeit freiwillig auf sich genommen, um die Altersversorgung des Klägers sicherzustellen.” Es geht demnach zumindest davon aus, daß der Zweck der dem Kläger eingeräumten Rechtsstellung auch in seiner Altersversorgung lag. Es hat diesen Gesichtspunkt aber im Hinblick auf den Inhalt der dem Kläger vertraglich eingeräumten Rechtsstellung nicht geprüft. Dazu hätte schon deshalb Anlaß bestanden, weil sich aus dem Brief der Schwester der Beklagten, Do Sc vom 12. Juni 1961 in Verbindung mit dem Brief der Beklagten vom 13. Juni 1961 ergeben kann, daß gerade der Gesichtspunkt der Sicherstellung des Lebensunterhalts des Klägers für die Erteilung der Vollmacht wesentliche Grundlage war, und der Kläger selbst vorträgt, daß beide Töchter von gleichen Voraussetzungen bei der Vollmachtserteilung ausgegangen seien. Es ist so die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die Vollmacht im Innenverhältnis beschränkt sein sollte durch den Zweck, dem Kläger die Altersversorgung zu sichern.
Zwar würde Altersversorgung nicht ohne weiteres bedeuten, daß der Kläger etwa nur die Nutzungen des Vermögens ziehen sollte. Eine solche Beschränkung wollte der Kläger ersichtlich nicht; das ergibt sich aus seinem Widerspruch gegenüber der Formulierung der Grenzen seiner Vollmacht, wie sie zunächst in der von der Tochter Do Sc am 12. November 1962 unterzeichneten Urkunde vorgenommen war. Altersversorgung könnte z. B. sehr wohl auch bedeuten, daß der Kläger in die Lage versetzt werden sollte, mit den Geldern eigene Gläubiger zu befriedigen, so daß er im Alter frei von drängenden Schulden war. Bei einer solchen möglichen Beschränkung der Vollmacht würde aber eine Verwendung der Gelder durch den Kläger im Innenverhältnis zu der Beklagten der erteilten Vollmacht nur entsprechen, wenn der Kläger die Notwendigkeit einer solchen Verwendung dargelegt hätte. Gründe für seine im Frühjahr 1964 vorgenommenen Verfügungen hat er jedoch nicht angegeben.
Der Kläger hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unwidersprochen vorgetragen, daß er auch vor 1962 das aus der Firma S stammende Vermögen seiner Töchter nach eigenem Gutdünken verwaltet habe. Das besagt aber noch nicht, daß die Parteien sich vor 1962 darüber einig waren, der Kläger könnte es auch uneingeschränkt für sich verwenden. Gerade der Brief der Tochter Do Sc vom 12. Juni 1961 ergibt, daß die Töchter auf jeden Fall gegen eine Inanspruchnahme wegen der Steuerschulden voll gesichert werden wollten. Auch das hat das Berufungsgericht nicht hinreichend geprüft.
d) Da es in der Urkunde vom 15. November 1962 eine Fixierung der bereits vorher bestehenden Rechtsbeziehungen – und zwar seit 1949 – sieht (es meint ersichtlich das Jahr 1947, in dem der Beklagten die Stellung als Kommanditistin eingeräumt wurde), lag auch die Prüfung der Frage nahe, welche Bedeutung für die dem Kläger eingeräumte Verfügungsmacht über die “Weinheimer Anteile” dem Pflichtteilsverzicht der Beklagten zukommen kann, den diese zusammen mit der Aufnahme als Kommanditistin ausgesprochen hat. Das Berufungsgericht erwähnt, daß die Aufnahme in die KG aus steuerlichen Gründen erfolgte. Der Pflichtteilsverzicht wird dadurch jedoch nicht verständlich gemacht.
Die “Weinheimer Anteile” gehörten zur Zeit des Vertragsabschlusses vom 29. November 1947 zum Vermögen der KG. Der Kläger trägt selbst vor, anläßlich dieses Vertrages habe er sie in das Vermögen der KG eingebracht. Diese Anteile sind dann 1953 in das Privatvermögen des Klägers überführt worden. Nähere Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Die Beklagte hat jedoch vorgetragen, daß diese “Weinheimer Anteile” der entscheidende Teil dessen gewesen sei, was ihr anteilig mit der KG-Beteiligung zugeflossen sei. Das aus diesen Anteilen herrührende Vermögen sei praktisch das einzige, was ihr aus der seinerzeitigen Vermögensübertragung, der gegenüber die Pflichtteilsverzichtserklärung abgegeben wurde, noch verblieben sei. Wenn das aber – was an Hand der der Beklagten tatsächlich verbliebenen Vermögenswerte auf Grund ihrer KG-Beteiligung zu klären gewesen wäre – so sein sollte, dann könnte der Zusammenhang zwischen der Einräumung der Beteiligung an der KG und dem Pflichtteilsverzicht dafür sprechen, daß der Kläger nach den der Vollmachtserteilung zugrunde liegenden Vereinbarungen nicht unbeschränkt über die Erlöse aus den “Weinheimer Anteilen” verfügen durfte.
e) Das Berufungsgericht führt aus, irgendwelche realen Vermögenswerte, die nicht aus dem vom Kläger 1947 übertragenen KG-Anteilen stammten, seien von der Beklagten bei dem vom Kläger an sie vorgenommenen Verkauf der GmbH-Geschäftsanteile nicht aufgewandt worden. Es sagt dazu, das lasse sich erkennen aus der von der Beklagten vorgelegten Aufstellung des Diplomvolkswirts M.
Dagegen bestehen Bedenken. Die Beklagte hatte vorgetragen, sie habe für einen Teil der zur Bezahlung der GmbH-Geschäftsanteile erforderlichen Mittel einen Kredit bei Verwandten aufgenommen, für den sie persönlich gehaftet und der es dem Kläger ermöglicht habe, seine Gläubiger zu befriedigen. Das ergibt sich auch aus der genannten Aufstellung des Diplomvolkswirts M. Aus ihr wird weiterhin ersichtlich, daß möglicherweise ein Teil der Mittel zur Bezahlung der GmbH-Geschäftsanteile auch aus dem Gehalt stammte, das der Beklagten als Geschäftsführerin der GmbH ausgezahlt worden ist, wie sie das behauptet hatte. Das Berufungsgericht hat nicht näher dargelegt, wie unter diesen Umständen seine Annahme gerechtfertigt ist, daß die Beklagte keine eigenen Mittel aufgewandt habe. Wenn die Beklagte aber die GmbH-Geschäftsanteile zum Teil wenigstens aus eigenen Mitteln bezahlt hätte, dann könnte auch das dafür sprechen, daß dem Kläger im Innenverhältnis keine unbeschränkte Verfügungsmacht eingeräumt sein sollte.
Bei der erneuten Prüfung wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß nach dem Vertrag vom 21. September 1962 der Kaufpreis für den GmbH-Geschäftsanteil bereits durch Verrechnung bezahlt war. Bei dieser Formulierung ist es Sache des Klägers, den Nachweis dafür zu führen, daß die Beklagte eigene Mittel nicht aufgebracht hat.
5. Ergibt die erneute Prüfung, daß der Kläger in seiner Rechtsstellung im Innenverhältnis entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beschränkt war, dann wäre in der Tat ein Mißbrauch seiner Vollmacht anzunehmen, wenn er über 1,1 Million DM in Wertpapieren abgehoben und jegliche Auskunft über den Zweck dieser Maßnahme sowie den Verbleib der Wertpapiere verweigert hat. Das Recht der Beklagten zum Widerruf der Vollmachten müßte dann bejaht werden.
6. Aber selbst vom bisherigen Standpunkt des Berufungsgerichts aus ist das Recht der Beklagten zum Widerruf der Vollmachten nicht rechtsfehlerfrei verneint.
a) Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend geprüft, ob bei der gegebenen Sachlage die Beklagte überhaupt übersehen konnte, daß andere Maßnahmen als der Widerruf der Vollmachten geeignete Mittel zur Abwendung drohender Vermögensnachteile sein konnten. Dabei war auf die Verhältnisse abzustellen, die zur Zeit des Widerrufs vorlagen.
Die Beklagte war persönlich zur Abdeckung der Steuerschulden verpflichtet. Sie waren ihr der Höhe nach nicht bekannt. Es lag für sie die Gefahr nahe, daß bei den angedrohten weiteren Verfügungen des Klägers (siehe unten b) sie außerstande sein würde, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Sie hätte zwar nach der Meinung des Berufungsgerichts die notwendigen Beträge von den Konten abheben können. Dabei verkennt das Berufungsgericht jedoch, daß wegen der Höhe der Steuerverpflichtungen Ungewissheit bestand. Für die Beklagte, die nach ihrem Vorbringen von einem Betrag von 700.000 DM ausging, bestand nur ein Anhaltspunkt in der Feststellung des Abs. 2 der Urkunde vom 15. November 1962, wonach vorerst zur Deckung von Steuern und Lastenausgleichsforderungen insgesamt 1.240.000 DM in Pfandbriefen angelegt waren. Um sich zu sichern, hätte für sie nahegelegen, den gesamten übrigen Bestand abzuheben. Das wäre aber praktisch dem Widerruf der Vollmachten gleichgekommen.
Das Berufungsgericht führt aus, die Beklagte habe nicht dargetan, daß die ihr drohenden Schuldverpflichtungen aus dem Weinheimer Vermögen den auf den Konten verbleibenden Beträgen gleichzusetzen waren oder sie gar überstiegen. Die Beklagte habe nach ihren Angaben bisher – seit dem Widerruf der Vollmachten – lediglich 100.000 DM für die Bezahlung der Steuern einschließlich Säumniszuschlägen aufwenden müssen. Ihre weiteren Ausführungen über angebliche Steuerschulden seien zu allgemein gehalten, um Berücksichtigung finden zu können, zumal ihr Prozeßbevollmächtigter im Erörterungstermin vom 21. Juni 1966 zur Höhe der zu erwartenden Steuerpflicht keine konkreten Angaben habe machen können. Er habe vielmehr einräumen müssen, daß sich die Rechtslage anscheinend durch die Änderung gesetzlicher Vorschriften zugunsten der Beklagten gewandelt habe.
Dabei hat das Berufungsgericht aber nicht geprüft, ob die Beklagte solche konkreten Angaben überhaupt machen konnte, da nach ihrem Vorbringen der Kläger die Steuerunterlagen zurückgehalten hat. Selbst bei einer möglichen Änderung “entsprechender gesetzlicher Vorschriften” war nicht ohne weiteres davon auszugehen, daß die Steuern und Abgaben, für die die Beklagte aufzukommen hat, geringer sind als der noch verbliebene Kontobestand.
Welche Steuerpflichten tatsächlich im Zeitpunkt des Widerrufs bestanden oder zu erwarten waren, ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden. Das ist zwar kein Fall des § 551 Ziff. 7 ZPO, wie das die Revision meint, eine solche Feststellung drängte sich aber auf, wenn gewürdigt werden sollte, was der Beklagten zuzumuten war und was nicht.
b) Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe damit gedroht, 200-250.000 DM aus dem Weinheimer Vermögen an seine Nichte Rosemarie Si zu verschenken. Wenn das aber der Fall war – und davon ist für die Revision auszugehen –, war die Gefahr für die Beklagte umso größer, daß das Weinheimer Vermögen vollends aufgezehrt wurde und sie dann allein auf den Steuerverpflichtungen sitzen blieb. Das hat das Berufungsgericht nicht geprüft.
c) Die Beklagte hat unter Beweisantritt vorgetragen, der Kläger habe ihr gegenüber u. a. erklärt: “Er werde sie vernichten, sie werde sicher noch 30 Jahre nach seinem Tode darunter leiden, ihr ganzes Leben an ihn denken”. Aus diesen Erklärungen habe sie den Eindruck gewinnen müssen und gewonnen, daß er sie auf den Steuerverpflichtungen sitzen lassen wolle.
Diesem Vorbringen und den dazu benannten Beweisen hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Wenn dieser Vortrag richtig ist, dann bestand für die Beklagte aller Anlaß zu der Befürchtung, daß der Kläger ihr über den Verlust der “Weinheimer Anteile” hinaus Schaden zufügen wollte. Es könnte dann der Widerruf jedenfalls gerechtfertigt sein, wenn für die Beklagte keine andere Sicherheit vorhanden war. Die vom Kläger aus dem Depot der C bank genommenen Wertpapiere sollen zwar einem Depot der KG “W/Frau Dr. B He” zugeführt worden sein. Über dessen Bestand sind vom Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen worden. Der Kläger verweigert dazu jede Auskunft.
7. Das Vorbringen der Beklagten, in der durch die Vollmachten eingeräumten Verfügungsmacht des Klägers liege eine sittenwidrige Knebelung, ist abwegig.
Auch die von der Beklagten behaupteten familiären Spannungen würden allein den Widerruf der Vollmachten nicht zu rechtfertigen vermögen. Das führt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei aus.
II.
Die vom Berufungsgericht nicht vorgenommenen Prüfungen führen dazu, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist.
Der Senat hat dabei von der Bestimmung des § 565 Abs. 1 S. 2 ZPO Gebrauch gemacht.

Schlagworte

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