BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.9.2017, 3 AZR 733/15 Ruhen eines eigenen Ruhegeldes bei Bezug einer betragsmäßig höheren Hinterbliebenenversorgung – Entgeltdiskriminierung iSd. Art. 157 AEUV

Januar 12, 2018

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.9.2017, 3 AZR 733/15
Ruhen eines eigenen Ruhegeldes bei Bezug einer betragsmäßig höheren Hinterbliebenenversorgung – Entgeltdiskriminierung iSd. Art. 157 AEUV

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 12. Oktober 2015 – 7 Sa 36/15 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin neben einem Witwengeld ein Ruhegeld zu zahlen.
2
Die im Januar 1949 geborene Klägerin war vom 1. Juni 1986 bis zum 31. Januar 2014 als Wissenschaftliche Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte gewährt ihren Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz. Das Hamburgische Zusatzversorgungsgesetz idF vom 1. Oktober 2013 (im Folgenden HmbZVG) lautet auszugsweise:
§ 1
Geltungsbereich
(1) Dieses Gesetz gilt für bei der Freien und Hansestadt Hamburg beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Beschäftigte) sowie für Personen, denen die Freie und Hansestadt Hamburg eine Versorgung im Sinne des § 2 zu gewähren hat (Versorgte). Für Beschäftigte und Versorgte, die am 31. Juli 2003 (Stichtag) unter das Erste Ruhegeldgesetz (1. RGG) in der Fassung vom 30. Mai 1995 (HmbGVBl. S. 108), zuletzt geändert am 2. Juli 2003 (HmbGVBl. S. 222), fielen, gilt das vorliegende Gesetz mit den in den §§ 29 bis 31 bestimmten Abweichungen.
(2) Dieses Gesetz gilt nicht für Beschäftigte,
1.
die bei Eintritt des Versorgungsfalles von der Freien und Hansestadt Hamburg bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert sind und die Wartezeit bei der VBL erfüllt haben,
2.
mit denen eine besondere Versorgungsregelung einzelvertraglich vereinbart ist.
§ 2
Rechtsnatur der Versorgung
Die Versorgung wird als Ruhegeld (§§ 3 bis 10) oder Hinterbliebenenversorgung (§§ 11 bis 19) gewährt.
§ 2 a
Beitrag und Beitragssatz
Die Beschäftigten leisten einen Beitrag zur Versorgung. Der Anfangsbeitragssatz beträgt 1,25 vom Hundert. …
§ 3
Versorgungsfall
(1) Beschäftigte erhalten Ruhegeld, wenn sie nach Erfüllung der Wartezeit (§ 4)
1.
2.
wegen Inanspruchnahme einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente ausscheiden. …
§ 12
Witwengeld
(1) Die Witwe eines Ruhegeldversorgten oder eines Beschäftigten, der im Zeitpunkt des Todes die Wartezeit erfüllt hatte, erhält Witwengeld.
§ 13
Höhe des Witwengeldes
Das Witwengeld beträgt 60 vom Hundert des Ruhegeldes, das der Verstorbene erhalten hat oder erhalten hätte, wenn er zur Zeit seines Todes wegen voller Erwerbsminderung ausgeschieden wäre. …
§ 15
Witwergeld
(1)1Die §§ 11 bis 14 gelten entsprechend für den Witwer einer Ruhegeldversorgten oder Beschäftigten. 2An die Stelle des Witwengeldes im Sinne dieser Vorschriften tritt das Witwergeld, an die Stelle der Witwe der Witwer.
(2) Die §§ 11 bis 14 gelten entsprechend auch für die Lebenspartnerin einer oder den Lebenspartner eines Ruhegeldversorgten oder Beschäftigten. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. An die Stelle der Ehe tritt die Lebenspartnerschaft, an die Stelle der Ehegatten treten die Lebenspartner, an die Stelle der Heirat tritt die Begründung der Lebenspartnerschaft.
§ 20
Ruhen der Versorgung
Stehen einer oder einem Versorgten sowohl eine Ruhegeldversorgung als auch eine Hinterbliebenenversorgung nach diesem Gesetz zu, so ruht die niedrigere Versorgung.
§ 29
Übergangsvorschriften für Versorgte unter dem Ersten Ruhegeldgesetz
(1) Versorgte im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 2 erhalten
1.
die Versorgung abweichend von § 6 Absätze 1 und 2, § 13 Sätze 1 und 2, § 17 Absatz 1 Satz 3 zweiter Halbsatz sowie § 18 Sätze 1 und 2,
2.
die Zuwendung nach § 33 1. RGG,
3.
Unterschieds- und Ausgleichsbeträge sowie Sozialzuschläge nach § 25 1. RGG,
4.
Sonderbeträge nach § 33 Absatz 1 Satz 4 oder 5 1. RGG,
5.
Ausgleichsbeträge nach Artikel 2 §§ 2 und 3 des Neunten Gesetzes zur Änderung des Ruhegeldgesetzes in derjenigen Höhe weiter, die ihnen im Monat Juli 2003 zustand beziehungsweise bei Nummern 2 und 4 im Dezember 2003 zugestanden hätte. …
§ 30
Übergangsvorschriften für rentennahe Beschäftigte unter dem Ersten Ruhegeldgesetz
(1) Beschäftigte im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 2, die vor dem 1. August 1948 geboren sind, erhalten im Versorgungsfall ein Ruhegeld, das sich abweichend von § 6 Absatz 1 Satz 1 aus einem Grundruhegeld für die bis zum Stichtag einschließlich geleistete Beschäftigungszeit und einem Zusatzruhegeld für die danach geleistete Beschäftigungszeit zusammensetzt.
§ 31
Übergangsvorschriften für rentenferne Beschäftigte
unter dem Ersten Ruhegeldgesetz
(1) Für Beschäftigte im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 2, die nach dem 31. Juli 1948 geboren sind, gilt § 30 Absätze 1 bis 3 entsprechend.
…“
3
Das Ruhegeld beträgt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 HmbZVG für jedes volle Jahr der ruhegeldfähigen Beschäftigungszeit 0,5 vH der ruhegeldfähigen Bezüge. Bei nicht durchgängiger Vollzeittätigkeit verringern sich die ruhegeldfähigen Bezüge nach § 7 Abs. 7 Satz 1 HmbZVG anteilig. Zeiten, für die keine Bezüge zustehen, werden bei der Berechnung der ruhegeldfähigen Beschäftigungszeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 4 Abs. 5 Satz 1 HmbZVG nicht berücksichtigt. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 4 Abs. 6 Nr. 3 HmbZVG zählt ua. die Elternzeit als ruhegeldfähige Beschäftigungszeit.
4
Der im Februar 2013 verstorbene Ehemann der Klägerin war vom 1. September 1970 bis zum 26. Juli 2000 ebenfalls als Wissenschaftlicher Angestellter bei der Beklagten tätig. Die Klägerin bezieht seit dem 1. Juni 2013 ein Witwengeld nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz iHv. zuletzt monatlich 707,00 Euro brutto. Am 12. November 2013 beantragte sie ein Ruhegeld nach diesem Gesetz. Die Beklagte bewilligte der Klägerin dem Grunde nach ab dem 1. Februar 2014 ein Ruhegeld iHv. monatlich 662,61 Euro brutto. Gleichzeitig wies sie die Klägerin darauf hin, dass der Ruhegeldanspruch nach § 20 HmbZVG für die Dauer des Bezugs des Witwengeldes ruhe, da dieses betragsmäßig höher sei.
5
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung eines Ruhegeldes zusätzlich zu ihrem Witwengeld begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, § 20 HmbZVG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Anrechnung oder teilweise Kürzung gleichzeitiger Versorgungsansprüche eines Versorgungsempfängers sei zwar möglich; der Maßstab hierfür dürfe sich jedoch nur an der Höhe und nicht – wie in § 20 HmbZVG vorgesehen – am Leistungsgrund orientieren. Zudem bewirke die Vorschrift eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts und verletze deshalb Art. 3 Abs. 3 GG sowie Art. 157 AEUV. Der Anspruch von Frauen auf ein Ruhegeld ruhe deutlich häufiger als derjenige von Männern, da Frauen in der Regel weniger als Männer verdienten, öfter als diese teilzeitbeschäftigt seien und höhere Ausfallzeiten aufgrund familiärer Fürsorgepflichten hätten, sodass sie ein geringeres Ruhegeld erwürben.
6
Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Bedeutung – zuletzt beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr ab dem 1. Februar 2014 Ruhegeld entsprechend dem Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2014 zusätzlich zu der von der Beklagten an sie gezahlten Hinterbliebenenversorgung nach den Regelungen des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes zu zahlen und die bis zur Rechtskraft der Entscheidung fällig gewordenen Beträge iHv. jeweils fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab jeweiliger Fälligkeit zu verzinsen,
hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.276,45 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus je 662,61 Euro seit dem 1. März 2014 sowie jedem folgenden Monatsersten bis zum 1. April 2015 zu zahlen.
7
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, dass die durch § 20 HmbZVG bewirkte Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei. Die Norm führe auch nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Höhe der Versorgung spiegele das jeweilige Einkommen und die Beschäftigungszeit der Versorgungsberechtigten wider. Zudem wirkten sich Kindererziehungszeiten weniger nachteilig auf die Höhe der Versorgungsansprüche aus, da nach § 4 Abs. 6 Nr. 3 iVm. § 8 Abs. 1 Nr. 1 HmbZVG bis zu drei Jahre als ruhegeldfähige Beschäftigungszeit zu berücksichtigen seien.
8
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

9
Die Revision der Klägerin ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob die zulässige Klage begründet ist. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
10
I. Die Klage ist zulässig.
11
1. Mit dem nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmten Feststellungsantrag erstrebt die Klägerin die Feststellung, die Beklagte habe ihr neben dem geleisteten Witwengeld auch ein Ruhegeld zu zahlen. Damit richtet sich der Antrag auf die Feststellung einer Zahlungspflicht der Beklagten und betrifft ein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO.
12
2. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, da die Beklagte ihre Leistungspflicht bestreitet. Der angestrebte feststellende Ausspruch ist geeignet, den Streit der Parteien über die Gewährung eines neben dem Witwengeld zu leistenden Ruhegeldes beizulegen und dadurch weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden (vgl. etwa BAG 22. September 2016 – 6 AZR 423/15 – Rn. 11 mwN, BAGE 157, 23). Der Vorrang der Leistungsklage greift nicht, da die Feststellungsklage eine sachgemäße, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte ermöglicht und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen (vgl. etwa BAG 12. August 2014 – 3 AZR 492/12 – Rn. 98 mwN).
13
II. Ob die Beklagte der Klägerin neben dem geleisteten Witwengeld auch ein Ruhegeld zu zahlen hat und die Klage daher begründet ist, kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.
14
1. Der Klägerin steht – vorbehaltlich der Regelung in § 20 HmbZVG – ab dem 1. Februar 2014 ein Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung eines monatlichen Ruhegeldes nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz zu. Die Klägerin unterfällt den Bestimmungen des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes (§ 1 Abs. 1 HmbZVG). Hiervon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus. Sie war vom 1. Juni 1986 bis zum 31. Januar 2014 bei der Beklagten als Wissenschaftliche Angestellte und damit als Arbeitnehmerin beschäftigt. Da sie am 31. Juli 2003 unter das Erste Ruhegeldgesetz (1. RGG) idF vom 30. Mai 1995, zuletzt geändert am 2. Juli 2003, fiel und nach dem 31. Juli 1948 geboren ist (§ 31 Abs. 1 HmbZVG), gilt das Hamburgische Zusatzversorgungsgesetz für die Klägerin mit den in den §§ 29 und 31 bestimmten – vorliegend jedoch nicht relevanten – Abweichungen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 HmbZVG). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nach § 1 Abs. 2 HmbZVG aus dem Geltungsbereich des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes ausgenommen sein könnte, bestehen nicht.
15
2. Ob § 20 HmbZVG dem Anspruch der Klägerin auf ein Ruhegeld entgegensteht, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Die Regelung sieht vor, dass wenn einer oder einem Versorgten sowohl eine Ruhegeldversorgung als auch eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz zusteht, die niedrigere Versorgung ruht. Diese Voraussetzungen sind zwar im Fall der Klägerin erfüllt. Sie hat infolge des Todes ihres Ehemannes einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung eines Witwengeldes und damit eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz iHv. monatlich 707,00 Euro erworben. Der Anspruch der Klägerin auf Witwengeld ist damit höher als ihr eigener Ruhegeldanspruch iHv. monatlich 662,61 Euro. Ob dieser Umstand jedoch dazu führt, dass der Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Ruhegeldes ruht, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass § 20 HmbZVG gegen das Entgeltgleichheitsgebot in Art. 157 AEUV verstößt und deshalb unanwendbar ist. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann ein solcher Verstoß nicht verneint werden.
16
a) Art. 157 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV (zuvor Art. 141 EG, davor Art. 119 EG-Vertrag, Art. 119 EWG-Vertrag) enthält den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Danach ist es verboten, wegen des Geschlechts Unterschiede in der Vergütung zu machen und dadurch zu benachteiligen. Art. 157 AEUV schützt nicht nur vor unmittelbarer Diskriminierung, sondern auch vor mittelbarer Diskriminierung. Treffen die nachteiligen Folgen einer Regelung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts, ist eine solche Regelung geschlechtsdiskriminierend, wenn sie nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der benachteiligten Arbeitnehmer zu tun haben (vgl. etwa EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny]; 31. Mai 1995 – C-400/93 – [Dansk Industri] Slg. 1995, I-1275). Dabei untersagt der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile. Im Rahmen des Vergleichs des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gewährten Entgelts ist er nicht lediglich im Wege einer Gesamtbewertung der gewährten Vergütungen anzuwenden, sondern gilt für jeden einzelnen gezahlten Entgeltbestandteil (vgl. etwa EuGH 27. Mai 2004 – C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Rn. 12 und 15 mwN, Slg. 2004, I-5861).
17
b) Sowohl das Ruhegeld nach §§ 3 bis 10 HmbZVG als auch das dem Arbeitnehmer für den Fall seines Todes zugesagte Witwen- bzw. Witwergeld nach §§ 12 bis 15 HmbZVG sind Entgelt iSd. Art. 157 AEUV.
18
aa) Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sind eine Gegenleistung, die der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber für im Arbeitsverhältnis erbrachte Betriebszugehörigkeit erhält. Insoweit besteht ein gegenseitiges Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Betriebliche Altersversorgung ist daher auch Entgelt des Arbeitnehmers (vgl. EuGH 22. November 2012 – C-385/11 – [Elbal Moreno] Rn. 20; 1. April 2008 – C-267/06 – [Maruko] Rn. 44, Slg. 2008, I-1757; 23. Oktober 2003 – C-4/02 und C-5/02 – [Schönheit und Becker] Rn. 56 ff., Slg. 2003, I-12575; BVerfG 16. Juli 2012 – 1 BvR 2983/10 – Rn. 33 mwN, BVerfGK 20, 9; vgl. zudem etwa BAG 4. August 2015 – 3 AZR 137/13 – Rn. 69, BAGE 152, 164). Soweit dem Arbeitnehmer eine Hinterbliebenenversorgung zusteht, handelt es sich ebenfalls um Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers, auch wenn die Leistung seinen Hinterbliebenen zugutekommt (vgl. EuGH 9. Oktober 2001 – C-379/99 – [Menauer] Rn. 18; vgl. dazu auch BAG 15. Oktober 2013 – 3 AZR 707/11 – Rn. 17 mwN).
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Dies gilt für alle Leistungen, die ein Arbeitnehmer im Rahmen eines Betriebsrentensystems erhält, gleichgültig ob es sich um ein beitragsgebundenes oder ein beitragsfreies System handelt. Ob die Beiträge dem Arbeitgeber oder den Arbeitnehmern zuzurechnen sind, hat somit keinen Einfluss auf den für Betriebsrenten geltenden Entgeltbegriff. Diese müssen in ihrer Gesamtheit und unabhängig davon, wodurch sie finanziert werden, dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechen (vgl. etwa EuGH 28. September 1994 – C-200/91 – [Coloroll] Rn. 80 und 88, Slg. 1994, I-4389; 22. Dezember 1993 – C-152/91 – [Neath] Rn. 31, Slg. 1993, I-6935; siehe auch BAG 7. September 2004 – 3 AZR 550/03 – Rn. 33 ff. mwN, BAGE 112, 1). Etwas anderes gilt für Beiträge, die die Arbeitnehmer freiwillig zahlen, um zusätzliche Leistungen wie eine feste Zusatzrente für sich oder ihre anspruchsberechtigten Angehörigen, einen steuerfreien Kapitalbetrag oder zusätzliche Kapitalleistungen im Todesfall zu erlangen (vgl. EuGH 28. September 1994 – C-200/91 – [Coloroll] Rn. 90, aaO; vgl. auch BAG 7. September 2004 – 3 AZR 550/03 – Rn. 34, aaO). Letzteres trifft vorliegend nicht zu.
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bb) Etwas anderes folgt im Streitfall auch nicht daraus, dass die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung durch ein Landesgesetz geregelt sind.
21
Zwar fallen nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unmittelbar durch Gesetz geregelte Systeme oder Leistungen der sozialen Sicherheit, insbesondere Altersrenten, nicht unter den Begriff des Entgelts iSv. Art. 157 AEUV (siehe zu Art. 119 EWG-Vertrag bzw. Art. 119 EG-Vertrag etwa EuGH 17. Mai 1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 22, Slg. 1990, I-1889; 28. September 1994 – C-7/93 – [Beune] Rn. 44, Slg. 1994, I-4471; 25. Mai 2000 – C-50/99 – [Podesta] Rn. 24, Slg. 2000, I-4039; 12. September 2002 – C-351/00 – [Niemi] Rn. 39, Slg. 2002, I-7007). Leistungen eines Versorgungssystems, das – wie vorliegend – im Wesentlichen von der ehemaligen Beschäftigung des Betroffenen abhängt, gehören hingegen zu seinem früheren Entgelt und fallen unter Art. 157 AEUV (st. Rspr. des EuGH; vgl. – auch zu den Vorgängerregelungen des Art. 157 AEUV – etwa EuGH 13. Mai 1986 – C-170/84 – [Bilka-Kaufhaus] Rn. 22, Slg. 1986, 1607; 17. Mai 1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 28, aaO; 24. November 2016 – C-443/15 – [Parris] Rn. 34 f.).
22
c) Die Klägerin kann sich auf Art. 157 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV auch als unmittelbar anwendbares Recht berufen (vgl. für Art. 119 EG-Vertrag EuGH 8. April 1976 – C-43/75 – [Defrenne] Rn. 40, Slg. 1976, 455; 17. Mai 1990 – C-262/88 – [Barber] Rn. 39, Slg. 1990, I-1889; vgl. auch BAG 7. September 2004 – 3 AZR 550/03 – BAGE 112, 1; 18. Oktober 2005 – 3 AZR 506/04 – Rn. 12, BAGE 116, 152; 9. Oktober 2012 – 3 AZR 477/10 – Rn. 23).
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d) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht selbst beurteilen, ob § 20 HmbZVG mit dem unionsrechtlichen Entgeltgleichheitsgebot in Einklang steht. Zwar enthält die Bestimmung keine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, da sie gleichermaßen für Männer und Frauen gilt (vgl. zu diesem Aspekt EuGH 7. Dezember 2000 – C-79/99 – [Schnorbus] Rn. 33, Slg. 2000, I-10997) und für das Ruhen der jeweils betragsmäßig niedrigeren Versorgung nicht an geschlechtsbezogene Merkmale, sondern an einen Anspruch auf ein Ruhegeld und eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz für denselben Zeitraum anknüpft. Allerdings könnte § 20 HmbZVG zu einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung führen. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
24
aa) Das Verbot mittelbarer Diskriminierung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, wonach gleiche Sachverhalte nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen. Eine mittelbare Diskriminierung kann daher nur vorliegen, wenn die benachteiligten und die begünstigten Personen vergleichbar sind (vgl. etwa EuGH 12. Oktober 2004 – C-313/02 – [Wippel] Rn. 55 f., Slg. 2004, I-9483; vgl. 16. Juli 2009 – C-537/07 – [Gómez-Limón] Rn. 56, Slg. 2009, I-6525; 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 39 mwN, Slg. 2001, I-4961; vgl. auch BAG 12. Mai 2016 – 6 AZR 365/15 – Rn. 39, BAGE 155, 88).
25
bb) Zur Feststellung, ob eine mittelbare Benachteiligung gegeben ist, sind Vergleichsgruppen zu bilden, die dem persönlichen Geltungsbereich der Differenzierungsregel entsprechend zusammengesetzt sind. Dabei ist auf den gesamten Kreis der von der fraglichen Bestimmung erfassten Normunterworfenen abzustellen. Der Gesamtheit der Personen, die von der Regelung erfasst werden, ist die Gesamtheit der Personen gegenüberzustellen, die durch die Regelung benachteiligt werden. Im Vergleich dieser Gruppen ist zu prüfen, ob die Träger des verpönten Merkmals besonders benachteiligt sind (vgl. EuGH 30. November 1993 – C-189/91 – [Kirsammer-Hack] Slg. 1993, I-6185; vgl. auch 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 24; zur mittelbaren Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 AGG siehe etwa BAG 16. Oktober 2014 – 6 AZR 661/12 – Rn. 44, BAGE 149, 297; 12. Dezember 2012 – 10 AZR 718/11 – Rn. 22; 27. Januar 2011 – 6 AZR 526/09 – Rn. 28 mwN, BAGE 137, 80). Dies erfordert nicht zwingend einen statistischen Nachweis, dass die Träger eines verpönten Merkmals zahlenmäßig wesentlich stärker von einer Regelung benachteiligt werden als Personen, bei denen dieses Merkmal nicht vorliegt. Mittelbare Diskriminierungen können zwar statistisch nachgewiesen werden (vgl. EuGH 6. Dezember 2007 – C-300/06 – [Voß] Rn. 41 f., Slg. 2007, I-10573; 9. Februar 1999 – C-167/97 – [Seymour-Smith und Perez] Rn. 59, Slg. 1999, I-623). Sie können sich aber auch aus anderen Umständen ergeben (vgl. für mittelbare Diskriminierungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz [AGG] etwa BAG 9. Dezember 2015 – 4 AZR 684/12 – Rn. 27, BAGE 153, 348; 16. Oktober 2014 – 6 AZR 661/12 – aaO; 18. September 2014 – 8 AZR 753/13 – Rn. 37).
26
cc) Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung beim Entgelt obliegt dem Arbeitnehmer, der sich zur Begründung seines geltend gemachten Anspruchs auf die Diskriminierung beruft (vgl. etwa EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 18; 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 52 bis 55, Slg. 2001, I-4961; 27. Oktober 1993 – C-127/92 – [Enderby] Rn. 13, Slg. 1993, I-5535). Spricht jedoch der erste Anschein für eine Diskriminierung, hat der Arbeitgeber nachzuweisen, dass es sachliche Gründe für den festgestellten Unterschied beim Entgelt gibt (vgl. EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 20; 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 60, aaO; 27. Oktober 1993 – C-127/92 – [Enderby] Rn. 14, aaO; siehe hierzu auch Art. 19 und Erwägungsgrund Nr. 30 der Richtlinie 2006/54/EG; für eine Benachteiligung nach dem AGG siehe etwa BAG 26. Januar 2017 – 8 AZR 73/16 – Rn. 26 mwN; 26. Januar 2017 – 8 AZR 848/13 – Rn. 44 f. mwN; 15. Dezember 2016 – 8 AZR 454/15 – Rn. 23 mwN, BAGE 157, 296).
27
dd) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts bestehen im Streitfall Anhaltspunkte dafür, dass mehr Frauen durch die Ruhensanordnung in § 20 HmbZVG eine ungünstigere Behandlung erfahren könnten als Männer.
28
(1) Diese ergeben sich jedoch nicht aus einem Vergleich zwischen den Versorgten, die einen Anspruch auf Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz haben und damit unter § 20 HmbZVG fallen, mit denjenigen, bei denen einer der beiden Versorgungsansprüche auf einer anderen Regelung beruht und die deshalb nicht von der Ruhensanordnung betroffen sind.
29
(a) Zwar befinden sich die Versorgungsempfänger beider Gruppen in einer vergleichbaren Lage. Sie haben alle einen Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses und zusätzlich auf eine Hinterbliebenenversorgung aufgrund einer Beschäftigung eines verstorbenen Angehörigen mit einer entsprechenden Zusage. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht keine Umstände festgestellt, die darauf schließen lassen könnten, dass in der Gruppe der Versorgten, die Ansprüche auf ein Ruhegeld und auf eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz haben, erheblich mehr Frauen sind als in der Gruppe, in der die Versorgungsempfänger nur eine der beiden Versorgungsleistungen auf der Grundlage des Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetzes beziehen. Anhaltspunkte, dass sich in der ersten Gruppe mehr Frauen als Männer befinden, sind auch nicht offenkundig.
30
(b) Aus dem Vorbringen der Klägerin folgt nichts anderes. Mit den von ihr vorgetragenen Daten hat die Klägerin keine Tatsachen aufgezeigt, die eine Diskriminierung bezogen auf die Personen dieser beiden Vergleichsgruppen vermuten lassen. Aus dem vorgelegten Auszug aus dem Personalstrukturbericht 2014 der Freien und Hansestadt Hamburg mit den Personalwirtschaftlichen Kennzahlen für das Berichtsjahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr 2012 ergibt sich, dass prozentual deutlich mehr Frauen als Männer eine Teilzeittätigkeit ausüben. Dem Datenmaterial lassen sich jedoch keine Angaben darüber entnehmen, wie hoch der jeweilige Anteil an männlichen und weiblichen Beschäftigten bzw. Versorgten ist, die unter das Hamburgische Zusatzversorgungsgesetz fallen und deren Ehepartner entweder auch nach diesem Gesetz versorgungsberechtigt sind oder nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 HmbZVG ausgenommen sind, in einem Beamtenverhältnis stehen oder bei einem privaten bzw. einem anderen öffentlichen Arbeitgeber beschäftigt sind und eine Zusage über die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach anderen Regelungen als dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz haben.
31
(2) Anhaltspunkte für eine unzulässige Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts bestehen allerdings deshalb, weil unter den von § 20 HmbZVG erfassten Personen entweder erheblich mehr Frauen als Männer sein könnten, deren Anspruch auf ein Ruhegeld ruht, oder erheblich mehr Männer, deren – von ihren verstorbenen Ehefrauen erarbeiteter – Anspruch auf Witwergeld ruht.
32
Frauen haben aufgrund ihrer Erwerbsbiografien (Teilzeittätigkeit, Ausfallzeiten wegen familiärer Fürsorgepflichten, geringer vergütete Tätigkeiten) erfahrungsgemäß häufiger ein niedrigeres Einkommen und dementsprechend eine geringere betriebliche Altersversorgung als Männer. Dies könnte – selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Witwengeld nach § 13 Satz 1 HmbZVG lediglich 60 vH des vom verstorbenen Ehemanns bezogenen Ruhegeldes beträgt – den Schluss darauf zulassen, dass die Ansprüche von Frauen auf Ruhegeld wegen des Bezugs von Witwengeld häufiger ruhen als bei Männern, die Anspruch auf eine Witwerversorgung haben. Hätte die Regelung des § 20 HmbZVG zur Folge, dass unter den von ihr erfassten Personen erheblich mehr Frauen als Männer sind, deren Ruhegeld nach §§ 3 ff. HmbZVG ruht, weil ihre Hinterbliebenenversorgung nach §§ 12 ff. HmbZVG betragsmäßig höher ist, würde sie zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts führen.
33
Gleiches würde gelten, wenn die Regelung des § 20 HmbZVG zur Folge hätte, dass aufgrund der typischen Erwerbsbiografien von Frauen ihr zugunsten ihrer Ehemänner erarbeiteter Anspruch auf Witwergeld nach § 15 HmbZVG üblicherweise geringer wäre als der von den Ehemännern selbst erarbeitete Anspruch auf ein Ruhegeld.
34
(3) Soweit das Landesarbeitsgericht demgegenüber – ohne nähere Begründung – angenommen hat, eine größere Betroffenheit von Frauen liege nicht vor, da nicht erkennbar sei, dass bei der Beklagten beschäftigte Männer in der Regel längere Betriebszugehörigkeiten hätten und zugleich regelmäßig höhere Entgeltgruppen erreichten, hat es übersehen, dass die Höhe des Ruhegeldes nach den §§ 3 bis 10 HmbZVG nicht nur von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Entgeltgruppe abhängt, sondern auch von der ruhegeldfähigen Beschäftigungszeit (§ 4 und § 8 HmbZVG) und dem Umfang der einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit (§ 7 Abs. 7 Satz 1 HmbZVG). Auch der Vortrag der Beklagten – unterstellt er träfe zu – wonach der Anteil männlicher und weiblicher Arbeitnehmer in fast allen Entgeltgruppen relativ gleichmäßig verteilt ist, lässt keinen gegenteiligen Schluss zu. Denn die Höhe des ruhegeldfähigen Entgelts hängt noch von weiteren Faktoren – wie der Dauer der Betriebszugehörigkeit, dem Umfang der einzelvertraglichen Arbeitszeit und den nicht berücksichtigungsfähigen Zeiten, für die dem Arbeitnehmer keine Bezüge zustehen – ab. Der Umstand, dass nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 iVm. § 4 Abs. 6 Nr. 3 HmbZVG Zeiten der Kinderbetreuung bis zu drei Jahren für jedes Kind als ruhegeldfähige Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind und sich daher weniger nachteilig auf die Höhe der Versorgungsansprüche auswirken, schließt eine mittelbare Benachteiligung ebenfalls nicht aus. Hierbei bleibt unberücksichtigt, dass sich im Anschluss an Elternzeiten häufig eine Teilzeitbeschäftigung anschließt, die sich ihrerseits mindernd auf die Höhe des Ruhegeldes auswirkt und erfahrungsgemäß deutlich häufiger von Frauen als von Männern ausgeübt wird.
35
ee) Ob die Regelung in § 20 HmbZVG tatsächlich zur Folge hat, dass bei erheblich mehr Frauen der Anspruch auf Ruhegeld ruht als bei Männern und die von Frauen erarbeitete Hinterbliebenenversorgung häufiger ihren Ehemännern nicht zugutekommt, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Dazu fehlen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Dies wird es nachzuholen und den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu geben haben. Dabei wird die Klägerin vorzutragen haben, ob die allgemeinen Erwägungen zu Erwerbsbiografien von Frauen auch für die Beklagte zutreffen und sich daraus ein erster Anschein für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts ergibt. Der Beklagten obliegt es sodann, die Umstände auszuräumen, die für einen ersten Anschein sprechen.
36
III. Das Landesarbeitsgericht wird im Rahmen seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung ggf. zu beachten haben, dass nach dem bisherigen Vortrag der Beklagten Gründe, die eine durch § 20 HmbZVG bewirkte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts rechtfertigen könnten, nicht gegeben sind.
37
1. Spricht aufgrund des Vorbringens des Arbeitnehmers ein erster Anschein für eine Diskriminierung, obliegt es dem Arbeitgeber, zu beweisen, dass nicht gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verstoßen wurde, indem er mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln insbesondere nachweist, dass die festgestellte unterschiedliche Entlohnung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 20 mwN; 27. Mai 2004 – C-285/02 – [Elsner-Lakeberg] Rn. 12, Slg. 2004, I-5861; in diesem Sinne auch 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 60 bis 62, Slg. 2001, I-4961). Der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung ist nicht erfüllt, wenn diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (vgl. EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 36 f. mwN; 3. Oktober 2006 – C-17/05 – [Cadman] Rn. 32 mwN, Slg. 2006, I-9583; 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 66 f. mwN, aaO).
38
2. Ein Mittel ist nur dann angemessen und erforderlich, wenn es erlaubt, das mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgte Ziel zu erreichen und dieses Ziel nicht durch andere geeignete und weniger einschneidende Mittel erreicht werden kann. Falls es kein ebenso wirksames Mittel wie die streitige Maßnahme gibt, dürfen die durch die Maßnahme verursachten Nachteile im Hinblick auf das angestrebte Ziel nicht unverhältnismäßig sein. Die Maßnahme darf keine übermäßige Beeinträchtigung der legitimen Interessen der benachteiligten Personen bewirken (vgl. zu den gleichlautenden Begriffen in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft [ABl. EU L 180 vom 19. Juli 2000 S. 22] etwa EuGH 16. Juli 2015 – C-83/14 – [CHEZ Razpredelenie Bulgaria] Rn. 118 ff., 122 ff.; zu einer mittelbaren Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG vgl. BAG 15. Dezember 2016 – 8 AZR 454/15 – Rn. 39 mwN, BAGE 157, 296).
39
Das mit dem neutralen Kriterium verfolgte „rechtmäßige“ Ziel, das über das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung entscheidet, darf selbst nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Rechtmäßige Ziele in diesem Sinn können deshalb nur solche sein, die nicht ihrerseits diskriminierend und auch ansonsten legal sind (vgl. zur unmittelbaren Benachteiligung nach dem AGG etwa BAG 15. Dezember 2016 – 8 AZR 454/15 – Rn. 38 mwN, BAGE 157, 296). Wird ein wirtschaftlicher Grund als objektives Ziel angeführt, kommt nur ein objektiv gerechtfertigter wirtschaftlicher Grund in Frage (vgl. BAG 15. Dezember 2016 – 8 AZR 454/15 – aaO; EuGH 31. März 1981 – C-96/80 – [Jenkins] Rn. 12, Slg. 1981, 911). Der für die Ungleichbehandlung angeführte Grund muss einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen (vgl. EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny] Rn. 46; 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 67, Slg. 2001, I-4961; 13. Mai 1986 – C-170/84 – [Bilka-Kaufhaus] Rn. 36, Slg. 1986, 1607).
40
3. Danach ist bislang nicht hinreichend dargetan, dass eine durch § 20 HmbZVG bewirkte mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts gerechtfertigt wäre.
41
a) Die Beklagte hat bislang nicht ausreichend dargelegt, welches Ziel sie mit der Ruhensregelung nach § 20 HmbZVG verfolgt und ob hierfür ein wirkliches Bedürfnis besteht. Dabei kann der Zweck, die öffentlichen Ausgaben zu begrenzen, nicht mit Erfolg zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts angeführt werden. Würde man anerkennen, dass Haushaltserwägungen eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen rechtfertigen können, die andernfalls eine verbotene mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts wäre, hätte dies zur Folge, dass die Anwendung und die Tragweite einer so grundlegenden Regel des Unionsrechts wie die Gleichheit von Männern und Frauen zeitlich und räumlich je nach dem Zustand der Haushaltsfinanzen variieren könnte (vgl. hierzu etwa EuGH 23. Oktober 2003 – C-4/02 und C-5/02 – [Schönheit und Becker] Rn. 84 f. mwN und 97, Slg. 2003, I-12575).
42
b) Die Ruhensregelung in § 20 HmbZVG lässt sich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, durch den Bezug der jeweils höheren Versorgungsleistung werde dem Versorgungsbedarf des Versorgten Rechnung getragen und damit Doppelversorgungen vermieden. Zwar dürfen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung Versorgungszusagen – anknüpfend an in der Versorgungsordnung geregelten Risiken – einen – auch typischerweise – unterschiedlichen Versorgungsbedarf des Versorgungsempfängers berücksichtigen, soweit dadurch keine unverhältnismäßige wirtschaftliche Entwertung eintritt (vgl. hierzu BAG 19. Juli 2011 – 3 AZR 398/09 – Rn. 33 mwN, BAGE 138, 332; 18. Mai 2010 – 3 AZR 97/08 – Rn. 30 ff., BAGE 134, 254). Die Ruhensregelung in § 20 HmbZVG stellt aber nicht auf die den Versorgungsbedarf mindernde anderweitige Versorgungsleistung als solches ab, sondern auf die Quelle der Leistungen, also darauf, ob sowohl das Ruhegeld als auch die Hinterbliebenenversorgung von der Beklagten gewährt werden und ob sich beide Versorgungsleistungen nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz richten. Das ist kein nachvollziehbares Unterscheidungskriterium. Auch eine Versorgungsleistung bei einem anderen Arbeitgeber oder eine Hinterbliebenenversorgung, die aus einem Beamtenverhältnis des verstorbenen Ehepartners abgeleitet ist, verringert so betrachtet den Versorgungsbedarf des Versorgten gegenüber der Beklagten (vgl. hierzu BAG 19. Juli 2011 – 3 AZR 398/09 – aaO).
43
c) Darüber hinaus ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten bisher auch nicht, dass die Ruhensanordnung in § 20 HmbZVG zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist und es kein anderes geeignetes jedoch weniger einschneidendes Mittel gibt, das genauso wirksam ist.
44
IV. Sollte das Landesarbeitsgericht eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts verneinen, wird es sich erneut mit der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu befassen haben, ob § 20 HmbZVG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil nur Versorgungsleistungen nach dem Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz zu einem Ruhen führen, nicht jedoch ein Zusammentreffen eines Ruhegeldes nach diesem Gesetz mit einer Hinterbliebenenversorgung nach anderen Versorgungsregelungen. Der Senat hat dazu keine ausdrückliche Entscheidung getroffen, weil eine Bejahung dieser Frage eine Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auslösen würde. Das setzt aber voraus, dass es für die Entscheidung ausschließlich auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ankommt. Dies hängt vorliegend davon ab, ob die Klägerin Rechte aus Art. 157 AEUV ableiten kann.
45
V. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
    Zwanziger
    Spinner
    Wemheuer
    S. Hopfner
    Becker

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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