KG Berlin 23 U 120/21

September 25, 2022

KG Berlin 23 U 120/21- Aufhebung einer einstweiligen Verfügung – Untersagung der Geschäftsführung – Gesellschafterversammlung

vorgehend LG Berlin, 15. Juli 2021, 93 O 33/21, Urteil

Tenor

1. Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15.7.2021 – Az. 93 O 33/21 – abgeändert, die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 8.6.2021 aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe KG Berlin 23 U 120/21

I. Die Parteien streiten um die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung vom 08.06.2021, mit der dem Verfügungsbeklagten (im Folgenden auch: Beklagter) u.a. untersagt wurde, die Geschäfte der Verfügungsklägerin (im Folgenden auch: Klägerin) zu führen und diese zu vertreten.

Gesellschafter der Klägerin sind die Nebenintervenientin (K), eine Gesellschaft … Rechts, mit einer Mehrheitsbeteiligung von 58,65 % der Geschäftsanteile, die P, ebenfalls eine Gesellschaft … Rechts mit Sitz in …, mit einer Beteiligung von 26,35 % und S mit einer Beteiligung von 15 %.

Der Beklagte war neben D Geschäftsführer der Klägerin.

Unter dem 12.01.2021 (Anlage AS 3 = BK 7) forderte Rechtsanwalt Dr. M den Beklagten und den weiteren Geschäftsführer S im Namen der K auf, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, in der es um die Abberufung des Beklagten und des S als Geschäftsführer gehen sollte.

Letztere luden nicht zu einer Gesellschafterversammlung.

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Mit Schreiben vom 12.02.2021 (Anlage AS 16) berief Dr. M für die K eine außerordentliche Gesellschafterversammlung am 26.02.2021 ein.

Auf dieser wurden der Beklagte und S mit den Stimmen der K abberufen. Gegen die gefassten Beschlüsse hat die Gesellschafterin P Klage erhoben.

Parallel beantragte die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beklagten und S, mit der diesen untersagt werden sollte, für die Klägerin weiter aufzutreten. Dieser Antrag wurde zurückgewiesen.

Eine hiergegen beim Kammergericht eingelegte sofortige Beschwerde blieb erfolglos (vgl. KG, Beschluss vom 14.04.2021 – 23 W 5/21).

Nach Ansicht des hiesigen Senats sind die Beschlüsse vom 26.02.2021 wegen einer fehlerhaften Ladung nichtig.

Darauf leitete Dr. M mit Schreiben vom 19.04.2021 (Anlage AS 20 = BK 16) unter Berufung auf das Einberufungsverlangen vom 12.01.2021 zwecks Bestätigung bzw. vorsorglicher Wiederholung der Beschlüsse vom 26.02.2021 ein schriftliches Beschlussverfahren ein.

Unter dem 27.05.2021 (Anlage AS 30 = BK 19) stellte Dr. M die Beschlüsse unter anderem auf Abberufung des Beklagten fest.

Auf Antrag der Klägerin hat das Landgericht am 08.06.2021 im Beschlusswege eine einstweilige Verfügung erlassen, mit der dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsgeld untersagt worden ist, die Geschäfte der Klägerin zu führen und diese zu vertreten und den Gesellschaftern der Verfügungsklägerin und Dritten gegenüber als Geschäftsführer der Klägerin aufzutreten, die Geschäftsräume der Verfügungsklägerin zu betreten sowie die Betriebsmittel der Verfügungsklägerin zu benutzen.

Der Beschluss ist dem Beklagten im Parteibetrieb am 15.06.2021 zugestellt worden.

Wegen des weiteren Sachverhaltes wird gemäß § 540 I 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die einstweilige Verfügung vom 08.06.2021 mit dem angefochtenen Urteil bestätigt.

Der Beklagte hat gegen das am 15.07.2021 verkündete und ihm am 27.07.2021 zugestellte Urteil mit am 29.07.2021 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 27.10.2021 am 26.10.2021 begründet.

Er ist unter anderem der Ansicht, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei bereits unzulässig, da die Klägerin mangels Bestimmung einer Vertretung weder handlungs- noch prozessfähig sei.

Ferner sei der Antrag unbegründet, da das Einberufungsverlangen vom 12.01.2021 nicht ordnungsgemäß begründet worden sei und zudem durch die am 26.02.2021 abgehaltene Gesellschafterversammlung verbraucht gewesen sei.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 08.06.2021 unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Berlin (G # 93 O 33/21) vom 15.07.2021 aufzuheben und den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Ferner beantragt er im Rahmen der Berufung,

gemäß §§ 927,929 II ZPO die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf deren Erlass zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Nebenintervenientin schließt sich dem Antrag der Verfügungsklägerin an.

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Die Klägerin und die Nebenintervenientin sind unter anderem der Auffassung, das Selbsthilferecht des § 50 III GmbHG habe sich nicht verbraucht, da der Beklagte selbst davon ausgehe, dass die Gesellschafterbeschlüsse vom 26.02.2021 nichtig seien.

Nichtige Beschlüsse können jedoch Tagesordnungspunkte nicht abschließend erledigen, was Voraussetzung für einen Verbrauch des Selbsthilferechts sei.

Dabei sei unerheblich, aus wessen Sphäre ein formeller Fehler des Beschlusses stamme, da es auf ein „Verschulden“ des Gesellschafters o. ä. nicht ankomme.

Darüber hinaus stehe jedem Gesellschafter ein Initiativrecht für schriftliche Beschlüsse zu.

Das müsse ebenso für einen Umlaufbeschluss nach § 2 COVMG gelten, auch wenn nach dieser Vorschrift das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter nicht erforderlich sei.

II. Die zulässige Berufung hat Erfolg.

Die Klägerin hat keinen Verfügungsanspruch, da der Beklagte nicht wirksam als Geschäftsführer abberufen wurde.

Nach § 35 GmbHG wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten. Demzufolge kann sie von einem Nichtgeschäftsführer verlangen, nicht für sie aufzutreten.

Da der Beklagte unstreitig Geschäftsführer der Klägerin war, setzt ein Verfügungsanspruch seine wirksame Abberufung gemäß § 38 GmbHG voraus.

Eine solche ist durch die streitgegenständliche, am 27.05.2021 festgestellte Beschlussfassung nicht erfolgt, da sie wegen eines Einberufungsmangels nichtig ist.

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1. Die Vollziehungsfrist ist allerdings gewahrt.

Die Vorschriften der §§ 927, 929 ZPO gelten gemäß § 936 ZPO auch für die einstweilige Verfügung.

Dabei gilt das Erfordernis der Vollziehung nach § 929 II ZPO sowohl für die Beschluss- als auch für die Urteilsverfügung.

Einstweilige Verfügungen, die – wie vorliegend – dem Verfügungsschuldner ein Unterlassen aufgeben, sind davon nicht ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 36/92; Urteil vom 10.07.2014 – I ZR 249/12; beide zitiert nach juris; Vollkommer, in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 929, Rn. 12, 15, 18).

Zur Vollziehung einer Unterlassungsverfügung genügt auch deren Parteizustellung innerhalb der Vollziehungsfrist (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.1989 – IX ZR 148/88, NJW 1990 S. 122, 124; beck-online).

Die Klägerin gibt konkret den 15.06.2021 als Zustellungsdatum im Parteibetrieb über die Gerichtsvollzieherin an.

Der Beklagte ist dem nicht entgegengetreten.

Das Landgericht hat die Zustellung im Parteibetrieb im Tatbestand als unstreitig wiedergegeben, ohne dass die Berufung hiergegen etwas erinnert hat.

Die Zustellung im Parteibetrieb ergibt sich auch aus dem am 16.06.2021 eingegangenen Widerspruch, da bei einer Beschlussverfügung keine Zustellung von Amts wegen an den Gegner erfolgt, vgl. § 922 II ZPO.

Die Vollziehungsfrist ist danach gewahrt.

Die Beschlussverfügung vom 08.06.2021 wurde mit Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin am 11.06.2021, an dem er den Beschluss abholte, wirksam.

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Die einmonatige Vollziehungsfrist lief somit am 11.07.2021 ab.

2. Die K konnte grundsätzlich als Mehrheitsgesellschafterin die Einberufung gemäß § 50 I GmbHG verlangen und die Gesellschafterversammlung schließlich gemäß § 50 III GmbHG selbst einberufen.

Dabei kann offenbleiben, ob im März 2021 die K ausgeschlossen oder ihr Gesellschaftsanteil eingezogen wurde. Denn maßgeblich für die Gesellschafterstellung im Innenverhältnis zur GmbH und den Mitgesellschaftern ist gemäß § 16 I 1 GmbHG die Gesellschafterliste.

Diese weist unstreitig die K unverändert als Mehrheitsgesellschafterin aus (Anlage AS 1).

Ihr standen damit sämtliche Mitgliedschaftsrechte, mithin auch die Rechte gemäß § 50 GmbHG, aus dem Geschäftsanteil zu, selbst wenn sie nicht wahre Inhaberin des Geschäftsanteils sein sollte (vgl. Verse und Hillmann, in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 16 GmbHG, Rn. 13, § 50 Rn. 3, s.a. § 34 Rn.16).

3. Ein auf das Einberufungsverlangen vom 12.01.2021 gestütztes Selbsthilferecht gemäß § 50 III GmbHG bestand bei Einleitung des Umlaufverfahrens mit Schreiben vom 19.04.2021 (Anlage AS 20) entgegen der Ansicht des Einzelrichters des 22. Zivilsenats und des Landgerichtes nicht mehr.

Der Beschluss der Gesellschafterversammlung einer GmbH ist in entsprechender Anwendung des § 241 Nr. 1, § 121 II AktG nichtig, wenn sie von einem Gesellschafter einberufen worden ist, der dazu nicht nach § 50 I und III befugt war (vgl. BGH, Urteil vom 07.02.1983 – II ZR 14/82, Rn. 6f., juris).

a) Das Selbsthilferecht war erledigt, da in der Versammlung vom 26.02.2021 über die begehrten Tagesordnungspunkte abgestimmt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 07.06.1993 – II ZR 81/92 = NJW 1993 S. 2246, 2248 a.E.).

Den Entscheidungen des BGH und des OLG Hamburg (vgl. Urteil vom 22.01.2016 – 11 U 287/14, BeckRS 2016,13976), die ein Selbsthilferecht für eine weitere, zweite Versammlung bejahten, lagen Sachverhalte zugrunde, in denen es in der ersten Versammlung zur Abstimmung über die verlangten Tagesordnungspunkte gar nicht erst gekommen war.

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Die Tagesordnung war mithin anders als im vorliegenden Fall noch nicht erledigt.

b) Nach Ansicht der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des OLG Düsseldorf (vgl. Urteil vom 28.04.2016 – 6 U 99/15, BeckRS 2016,125160, Rn. 19) und der von ihr zitierten Literatur (vgl. Noack, a.a.O., § 50 Rn. 18; Liebscher, in MüKoGmbHG, § 50 Rn. 51) erledige oder „verbrauche“ sich das Selbsthilferecht nicht, wenn die gefassten Beschlüsse (möglicherweise) nichtig seien.

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Das Argument des OLG Düsseldorf, das Selbsthilferecht könne unter den Voraussetzungen des § 50 GmbHG jederzeit neu entstehen und sich daher nicht verbrauchen, erklärt nicht, warum das erfolglose Verlangen gemäß § 50 III GmbHG nicht zu den „Voraussetzungen des § 50 GmbHG“ gehören soll. § 50 GmbHG statuiert eine Ausnahme von § 49 I GmbHG, wonach die Einberufungskompetenz grundsätzlich bei der Geschäftsführung liegt.

Das spricht für eine zurückhaltende Auslegung des Wortlauts der Vorschrift.

Die klare Kompetenzregelung der §§ 49, 50 GmbHG würde verwässert, wenn die Einberufungskompetenz davon abhinge, ob eine Beschlussfassung (möglicherweise) nichtig ist.

Zum einen ist die Frage häufig nicht einfach zu beantworten und wäre ggf. bis zu einer gerichtlichen Klärung ungewiss, ob das Einberufungsrecht fortbesteht.

Zum anderen stellen sich die Fragen, ob eine Folgeversammlung ohne weiteres zulässig sein soll oder erst, wenn ein Gesellschafter einen zur Nichtigkeit führenden Fehler rügt, ferner wie lange und wie häufig die wiederholte Einberufung erfolgen kann.

c) Die Ansicht der Verfügungsklägerin, ein einmal entstandenes Selbsthilferecht ermögliche die wiederholte Einladung zu Gesellschafterversammlungen mit demselben Tagesordnungspunkt, liefe darauf hinaus, einen „Verbrauch“ des Selbsthilferechtes gänzlich zu verneinen.

Dann bedürfte es entgegen der auch von der Verfügungsklägerin zitierten Rechtsprechung nicht der Erörterung der Frage, wann das Selbsthilferecht „verbraucht“ ist. Das überzeugt nicht. Eine solche Sichtweise widerspräche dem in den §§ 49, 50 GmbHG vorgesehenen Kompetenzgefüge.

Wie oben bereits dargelegt erfolgt die Einberufung gemäß § 49 I GmbHG im Regelfall durch die Geschäftsführer und nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 50 III GmbHG durch die Gesellschafter.

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Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis spricht für die Begrenzung des Selbsthilferechtes auf eine Gesellschafterversammlung, in der über den entsprechenden Tagesordnungspunkt eine Beschlussfassung erfolgt.

Sinn der Vorschrift des § 50 III GmbHG ist nicht, Entscheidungen zu erzwingen, sondern lediglich die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen zu bestimmten Tagesordnungspunkten herbeizuführen (vgl. OLG Dresden Urteil vom 29.09.1994 – 7 U 0213/94, NJW-RR 1995, 235; beck-online; Noack, in Noack/ Servatius/ Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 50 Rn. 1).

d) Der von § 50 GmbHG bezweckte (Minderheiten)schutz steht dem nicht entgegen.

Denn das Selbsthilferecht des § 50 GmbHG „verbraucht“ sich in der Tat nicht, sondern das Verfahren des § 50 GmbHG kann für die begehrte Beschlussfassung wiederholt werden, um förmliche Bedenken auszuräumen, allerdings entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf und der Verfügungsklägerin unter Einhaltung aller Voraussetzungen.

Das stellt keine unbotmäßige Erschwerung des Minderheitenschutzes dar.

Denn es liegt in der Sphäre des Minderheitsgesellschafters, sich vor der Einberufung einer Versammlung mit den entsprechenden Vorschriften vertraut zu machen und sich die ausreichenden Unterlagen zu verschaffen, damit eine ordnungsgemäße Versammlung abgehalten werden kann (zutreffend OLG Dresden, Urteil vom 29.09.1994 – 7 U 0213/94 = NJW-RR 1995 S. 235, 236).

Es geht hierbei nicht um die Frage eines Verschuldens.

Vielmehr ist grundsätzlich von einem „Verbrauch“ des Selbsthilferechts auszugehen, wenn eine Beschlussfassung erfolgt. Abweichendes gilt dann, wenn eine Umgehung des § 50 GmbHG zu besorgen ist.

Eine solche Umgehung ist vorliegend nicht zu besorgen, weil die Ladung zur Gesellschafterversammlung von dem durch § 50 GmbHG geschützten Gesellschafter selbst vorgenommen wurde.

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Der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand, der erneuten Schaffung eines Selbsthilferechtes stünde entgegen, dass es in sich widersprüchlich sei, von der Verfügungsklägerin zu verlangen, das erneute Einberufungsverlangen an einen möglicherweise oder nach Überzeugung der Verfügungsklägerin abberufenen Geschäftsführer zu richten, greift gleichfalls nicht durch.

Denn ein solches Einberufungsverlangen und die sich hieran anschließende bestätigende oder wiederholende Beschlussfassung erfolgen ja gerade vorsorglich für den Fall, dass die Abberufung am 26.02.2021 aus formellen Gründen unwirksam ist.

Für diesen Fall richtete sich das Abberufungsverlangen an den bestellten (und nicht abberufenen) Geschäftsführer.

War die Abberufung am 26.02.2021 hingegen wirksam, dann ist es im Ergebnis unschädlich, ob das erneute Einberufungsverlangen an einen schon abberufenen Geschäftsführer gerichtet wurde.

Die von der Verfügungsklägerin eingewandten Schwierigkeiten liegen nicht in den vom Senat angenommenen rechtlichen Voraussetzungen, sondern in den tatsächlichen Verhältnissen, die u.a. dadurch geprägt sind, dass es sich bei zwei Gesellschaftern um auf … ansässige Limited handelt.

e) Der von der Klägerin zitierten Entscheidung des BGH vom 08.05.2012 (Beschluss zu II ZB 17/11) zu § 122 III AktG lässt sich Abweichendes nicht entnehmen.

Der BGH hatte in dem dortigen Fall keine Veranlassung, zu der hiesigen Streitfrage Stellung zu nehmen, da die Minderheitsaktionärin vor jeder Hauptversammlung das Verfahren des § 122 III AktG eingehalten und das Gericht jeweils um Ermächtigung, die Hauptversammlung einzuberufen, ersucht hatte.

Die Ausführungen zur Erledigung bezogen sich auf die prozessuale Hauptsachenerledigung eines Verfahrens auf Ermächtigung.

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Diese hatte der BGH für den Fall einer gesetzes- und satzungsgemäßen Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung bejaht. Hieraus lässt sich nichts für den Fall einer möglicherweise nicht gesetzesgemäß einberufenen Gesellschafterversammlung schließen.

4. Eine Befugnis zur Einberufung durch die Nebenintervenientin ergab sich ferner nicht aus Art. 2 § 2 des Covid-Maßnahmen-Gesetzes (COVMG).

Danach konnten abweichend von § 48 II GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.

Die Klägerin bzw. Nebenintervenientin begehrte zwar am 19.04.2021 nicht mehr die Einberufung einer Gesellschafterversammlung, sondern die Einleitung eines schriftlichen Umlaufverfahren, für das die §§ 49, 50 GmbHG nicht unmittelbar gelten.

Sie strebte aber zugleich die Möglichkeit einer Beschlussfassung durch Mehrheitsentscheid an.

Eine solche ist in § 48 II GmbHG indes nicht vorgesehen, sondern „nur“ in Art. 2 § 2 COVMG.

Es stellt sich damit die Frage, ob die vorstehenden Ausführungen zum Initiativrecht nach § 50 III GmbHG auch im Rahmen des Art. 2 § 2 COVMG (im Folgenden § 2 COVMG) gelten.

Die Frage, ob und inwieweit das Initiativrecht für das erleichterte Umlaufverfahren einem Gesellschafter zusteht, ist umstritten (vgl. Nachweise in Noack, a.a.O., Anh. § 48 Rn. 18, FN 19).

Das COVMG enthält hierzu keine Regelung. Nach hier vertretener Auffassung steht einem Gesellschafter das Initiativrecht nur unter den – vorliegend nicht gegebenen – Voraussetzungen des § 50 I und III GmbHG zu.

Nach § 2 COVMG konnten abweichend von § 48 II GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden.

Formal trat die Regelung in § 2 COVMG an die Stelle der Regelung in § 48 II GmbHG.

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Das könnte für ein Initiativrecht eines jeden Gesellschafters unabhängig von den Voraussetzungen des § 50 GmbHG sprechen, wie dies beim regulären Umlaufverfahren nach § 48 II GmbHG nach verbreiteter Ansicht der Fall ist (vgl. u.a. Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl., § 48 Rn. 41; Noack, Anh. § 48 Rn. 17).

Allerdings ist im Rahmen des § 48 II GmbHG ein niederschwelliges Initiativrecht und hieraus folgend eine mögliche Vielzahl von Initiativen hinnehmbar, da die Initiative aufgrund der erforderlichen Einstimmigkeit ins Leere geht, wenn ein Gesellschafter nicht mitmacht.

Das ist bei dem erleichterten Verfahren nach § 2 COVMG anders, da hier reagiert werden muss, um nicht am Ende vor einem unerwünschten Beschluss zu stehen (vgl. Noack, Anh. § 48 Rn. 17).

Dies entspricht der Lage bei der Einberufung einer Gesellschafterversammlung in Präsenz.

Nur in ihr ist nach §§ 47ff. GmbHG eine Mehrheitsentscheidung möglich.

Funktional ersetzt die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung im schriftlichen Verfahren in § 2 COVMG die aufgrund der Pandemie nicht mögliche Präsenzversammlung.

Dies spricht entscheidend dafür, die für eine Präsenzversammlung geltenden Regeln, §§ 49, 50 GmbHG, heranzuziehen (i.E. ebenso Altmeppen, § 48 Rn. 40).

Es ist nicht ersichtlich, wieso die pandemiebedingten Beschränkungen einer Präsenzveranstaltung zugleich eine Erweiterung des Initiativrechtes erforderlich machen oder mit anderen Worten wieso das Verfahren nach § 50 GmbHG aufgrund der Pandemie unzumutbar sein sollte.

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Das von der Gegenmeinung teilweise vorgebrachte Argument, ohne ein Initiativrecht für jeden Gesellschafter müsse bei einem coronabedingten Ausfall der Geschäftsführung zunächst ein Notgeschäftsführer in einem eigens angestrengten gerichtlichen Verfahren bestellt werden (vgl. Wicke, NZG 2020 S. 501, 502), überzeugt nicht.

Für diesen Sonderfall kann entsprechend § 50 III 1, 2. Alt. GmbHG auf ein Einberufungsverlangen verzichtet werden.

Zudem geht das Risiko eines coronabedingten Ausfalls nicht über das übliche Ausfallrisiko eines Geschäftsführers aufgrund von Krankheit hinaus.

Das COVMG sollte nach seiner Begründung Schutz vor Ausbreitung geben (vgl. BT-Drucksache 19/18110, S. 3) und damit bereits im Vorfeld einer Notgeschäftsführung etc. greifen.

5. Soweit die Klägerin im hiesigen Verfahren erneut die Wirksamkeit der Beschlüsse vom 26.02.2021 geltend macht, ist der hierauf gestützte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits mit Beschluss des Senats vom 14.04.2021 zum Aktenzeichen 23 W 5/21 bestandskräftig zurückgewiesen worden, so dass es auf das Vorbringen im Schriftsatz vom 06.09.2022 nicht ankommt.

Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits würde eine inzidenter angenommene Wirksamkeit der Beschlussfassung vom 26.02.2021 der Klägerin im Hinblick auf das von ihr geltend gemachte Selbsthilferecht nichts nützen, sondern spräche im Gegenteil zusätzlich für einen Verbrauch des Selbsthilferechtes.

6. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 I, § 91 I 1, § 101 I, § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO.

Der Gewährung einer Erklärungsfrist für den Beklagten auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 05./06.09.2022 bedurfte es nicht, weil der Schriftsatz keinen neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag enthält und der Beklage zum anderen bereits mit Schriftsatz vom 06.09.2022 (teilweise) Stellung genommen hat.

Letzterer enthält ebenfalls keinen neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag.

Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz des Beklagten vom 07.09.2022 (Eingang 18:29 Uhr) gab keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 296a, § 156 ZPO wiederzueröffnen.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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