LAG Hamm, Beschluss vom 09.07.2010 – 13 TaBV 4/10

September 30, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 09.07.2010 – 13 TaBV 4/10

Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.12.2009 – 3 BV 23/09 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten darum, ob der zu 3) beteiligte Dr. L1 leitender Angestellter ist.
Die Arbeitgeberin betreibt in B2 dezentral insgesamt 21 Kliniken, in denen etwa 1.900 Mitarbeiter beschäftigt sind. Neben der Geschäftsführung besteht eine Betriebsleitung. Dieser unterstehen – neben dem Pflegedienst und der Verwaltung – der Ärztliche Dienst, dem wiederum die Kliniken unterstehen.
Entsprechend deren Anzahl gibt es 21 Chefärzte, die alle als leitende Angestellte geführt werden. Daneben fungieren von den insgesamt 61 Oberärzten 21 als ständige Vertreter des jeweiligen Chefarztes, darunter der Beteiligte Dr. L1 für den Bereich der Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin.
Er, der ein monatliches Grundgehalt von 7.122,65 euro; brutto bezieht, verfügt über besondere Qualifikationen in den Bereichen Innere Medizin, Kardiologie und spezielle internistische Intensivmedizin. Er ist an die Weisungen des Chefarztes Prof. Dr. S7 gebunden, übt aber gegenüber dem sonstigen medizinischen Personal der Klinik das fachliche Weisungsrecht aus. Er ordnet auch Überstunden an und entscheidet über Urlaubswünsche. Er ist jedoch nicht zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern berechtigt; ihm ist auch keine Generalvollmacht oder Prokura eingeräumt.
Neben seiner ärztlichmedizinischen Tätigkeit berät der Beteiligte Dr. L1 die Betriebsleitung bei der Anschaffung medizinischer Geräte. Die diesbezüglichen Entscheidungen trifft letztendlich die Betriebsleitung allein.
Der Beteiligte Dr. L1 hat die Auffassung vertreten, dass er kein leitender Angestellter sei. Als Oberarzt habe er zwar weitgehende fachliche Kompetenzen, besitze aber keine Entscheidungsbefugnisse im unternehmerischen Bereich. Seine Befugnisse bezögen sich allein auf die medizinische Versorgung, nicht jedoch auf die geschäftsführende Leitung der Arbeitgeberin.
Der Beteiligte Dr. L1 hat beantragt,
festzustellen, dass der Beteiligte zu 1), Herr Dr. C1 J1. L1, kein leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat zum Ausdruck gebracht, der Beteiligte Dr. L1 sei als leitender Angestellter anzusehen. Als Oberarzt nehme er bedeutende medizinische Aufgaben wahr, die für den Bestand der Arbeitgeberin von wesentlicher Bedeutung seien. Da die medizinische Versorgung von Patienten und die Erbringung von ambulanten und stationären Dienstleistungen als Unternehmensgegenstand der Arbeitgeberin anzusehen seien, sei die medizinische Leistung des Oberarztes maßgeblich für den wirtschaftlichen Gesamterfolg. Der Beteiligte Dr. L1 nehme seine Aufgaben auch im Wesentlichen eigenverantwortlich wahr. Zwar sei er dem Chefarzt gegenüber weisungsgebunden, müsse jedoch häufig ohne diesen Entscheidungen treffen, da der Klinikbetrieb an sieben Tagen pro Woche aufrechtzuhalten sei. Schließlich setze der Beteiligte Dr. L1 seine besonderen Qualifikationen in den Bereichen Innere Medizin, Kardiologie und spezielle internistische Intensivmedizin regelmäßig bei seiner Aufgabenerfüllung ein.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 16.12.2009 dem Feststellungsantrag stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es lasse sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, dass der Beteiligte Dr. L1 unternehmerische (Teil-)Aufgaben wahrnehme bzw. ihm entsprechende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt worden seien. Seine Tätigkeit erstrecke sich fast ausschließlich auf den Bereich der ärztlichmedizinischen Versorgung, wo er Verantwortung habe, nicht aber auf die Wahrnehmung unternehmerischer Kompetenzen. Auch soweit er bei der Neuanschaffung medizinischer Geräte eingebunden werde, beschränke sich seine Aufgabe auf eine beratende Funktion. Schließlich führe seine begrenzte Personalverantwortung im Bereich von Überstunden und Urlaub ebenfalls nicht dazu, ihn als leitenden Angestellten einzustufen.
Dagegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Beschwerde.
Er weist darauf hin, dass die 21 Chefärzte und die ihnen gleichzustellenden ständigen Vertreter die maßgeblichen medizinischen Entscheidungen im Hinblick auf den Bestand und die Entwicklung der einzelnen Kliniken treffen und insoweit maßgeblich den unternehmerischen Entscheidungsprozess im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG beeinflussen würden; denn den ärztlicherseits unterbreiteten Vorschlägen würde die Unternehmensführung in der Regel folgen.
Der Betriebsrat beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.12.2009 – 3 BV 23/09 – abzuändern und den Antrag abzuweisen.
Der Beteiligte Dr. L1 beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er nimmt Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen und streicht nochmals heraus, dass er als leitender Oberarzt in fachlicher Hinsicht den Weisungen seines Chefarztes unterworfen sei. Dementsprechend könne er auch im Vertretungsfalle ohne dessen Bestätigung keine für den medizinischen Bereich verbindlichen Entscheidungen treffen. Erst recht habe er keinerlei Befugnisse, um auf die Unternehmensführung unmittelbaren Einfluss nehmen zu können.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
B.
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist unbegründet.
Zu Recht hat nämlich das Arbeitsgericht dem Antrag des Beteiligten Dr. L1 entsprochen und festgestellt, dass dieser kein leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ist.
I. Da der Beteiligte Dr. L1 weder zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist noch Generalvollmacht bzw. Prokura hat, ist er kein leitender Angestellter gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG.
II. Entgegen der Auffassung des Betriebsrates ist er aber auch kein leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG.
Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt 05.05.2010 – 7 ABR 97/08 – betreffend einen Chefarzt) setzt die danach erforderliche Wahrnehmung einer unternehmerischen (Teil-)Aufgabe voraus, dass dem betroffenen Arbeitnehmer rechtlich und tatsächlich ein eigener und erheblicher Entscheidungsspielraum zur Verfügung steht; er muss mit weitgehender Weisungsfreiheit und Selbstbestimmung seinen Tätigkeitsbereich wahrnehmen und kraft seiner leitenden Funktion maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Der erforderliche Einfluss kann darin bestehen, dass der Mitarbeiter selbst die Entscheidungen trifft, aber auch darin, dass er kraft seiner Schlüsselposition Voraussetzungen schafft, an denen die Unternehmensleitung schlechterdings nicht vorbeigehen kann. Je tiefer allerdings die Entscheidungsstufe in der Unternehmenshierarchie liegt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wesentliche unternehmerische Entscheidungsspielräume auf den höheren Stufen bereits verbraucht wurden. Der maßgebliche Einfluss fehlt jedenfalls dann, wenn der Angestellte nur bei der reinen arbeitstechnischen, vorbestimmten Durchführung unternehmerischer Entscheidungen eingeschaltet wird, etwa im Rahmen von Aufsichts- oder Überwachungsfunktionen.
Erforderlich ist schließlich auch, dass die unternehmerische Aufgabenstellung mit Entscheidungsspielraum die Tätigkeit des leitenden Angestellten prägt, d.h. sie schwerpunktmäßig bestimmt. Das bedingt, dass jedenfalls ein beachtlicher Teil der Arbeitszeit von diesen Tätigkeiten beansprucht wird.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ergeben sich hier keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte Dr. L1 als leitender Angestellter einzustufen ist.
Insoweit folgt die Beschwerdekammer in allen Punkten den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung und nimmt auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.
Ergänzend ist im Anschluss an die genannte neueste Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Status eines Chefarztes (BAG, a.a.O.) darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn man einem Oberarzt in seiner Funktion als ständiger Vertreter des Chefarztes im ärztlichen Bereich eine gewisse eigenverantwortliche, weisungsfreie Kompetenz zugestehen würde, sein Handeln insoweit auf den Heilerfolg zielt und nicht eine im Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG erforderliche unternehmerische Dimension hat.
Im Übrigen ergibt sich aus dem Vortrag namentlich des Betriebsrates nicht, dass der Beteiligte Dr. L1 als ständiger Vertreter des Chefarztes unternehmens- oder betriebsleitende Entscheidungen selbst trifft oder maßgeblich vorbereitet (vgl. BAG, a.a.O.). So wird er namentlich bei der Anschaffung medizinischer Geräte in seinem Bereich zwar angehört, aber die Entscheidungen werden von der Betriebsleitung getroffen.
Schließlich ist auch zu beachten, dass eine unternehmerische Aufgabenstellung mit Entscheidungsspielraum die Tätigkeit des Arbeitnehmers prägen, sie also schwerpunktmäßig bestimmen muss (BAG, a.a.O.). Hier bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beteiligte Dr. L1 während eines beachtlichen Teils seiner Gesamtarbeitszeit als Oberarzt mit Aufgaben der in § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG genannten Art befasst war bzw. ist.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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