LAG Hamm, Urteil vom 02.02.2012 – 11 Sa 79/11

Juli 26, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 02.02.2012 – 11 Sa 79/11

Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 28.09.2010 – 2 Ca 3386/09 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 145.536,24 Euro; nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.03.2008 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin fordert die Differenz zwischen dem nach der “Betriebsvereinbarung Restrukturierung Werk B3” vom 14.04.2005 berechneten Abfindungsbetrag von 395.536,24 Euro; und dem Abfindungsbetrag von 250.000,– Euro;, welcher ihr auf der Grundlage einer Vereinbarung in einem dreiseitigen Vertrag vom 07.12.2005 ausgezahlt worden ist
Die Klägerin ist am 27.09.1955 geboren. Seit dem 01.08.1973 stand sie in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten. Das Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt
5.512,27 Euro;.
Am 08.12.2004 vereinbarten die Beklagte und der von den Betriebsräten der Standorte R1, B3, K1 und dem Testzentrum D1 bevollmächtigte Gesamtbetriebsrat die “Betriebsvereinbarung 2004/0123/A – Restrukturierung” (Bl. 13-18, fortan BV 2004). Dort heißt es auszugsweise:
In den bisherigen Verhandlungen ist die Geschäftsleitung davon ausgegangen, dass etwa 10.000 Arbeitsplätze abgebaut werden müssen.
Nach dem augenblicklichen Verhandlungsstand geht die Geschäftsleitung davon aus, dass ein Arbeitsplatzabbau von etwa 6.500 Arbeitsplätzen (inklusive Powertrain) bei einem Spin-Off/Outsourcing-Volumen von weiteren ca. 2.000 Arbeitsplätzen möglicherweise die angestrebten Ziele erreichen lassen könnte.
Der Gesamtbetriebsrat ist demgegenüber der Überzeugung, dass der von der Geschäftsleitung geplante Arbeitsplatzabbau weiter zu verhandeln und möglicherweise zu reduzieren und eine Garantie des Bestandes der Werke gegenüber den Arbeitnehmern abzugeben ist.
Ungeachtet dieser nach wie vor kontroversen und nur in der Zielführung übereinstimmenden Überlegung sollen ab sofort sozialverträgliche Maßnahmen durchgeführt werden, nämlich der Abschluss von Vorruhestandsverträgen und Aufhebungsvereinbarungen sowie die Etablierung von Transfergesellschaften nach Maßgabe der nachfolgenden Regelungen.

Sie beabsichtigen, bis zum 01.02.2005 zu einer endgültigen Einigung zu gelangen und bestellen hiermit bereits vorsorglich für den Fall, dass diese nicht bis zum genannten Zeitpunkt erzielt werden kann, eine Einigungsstelle unter dem Vorsitz des Richters am Landesarbeitsgericht R3, und vier Beisitzern auf jeder Seite. Die Einigungsstelle soll in diesem Fall unverzüglich nach dem 01.02.2005 ihre Tätigkeit aufnehmen.

III.
Die bereits jetzt durchführbaren sozialverträglichen Maßnahmen bestehen in Folgendem, wobei Einvernehmen darüber besteht, dass von dem Geltungsbereich dieser Maßnahmen folgende Gruppen ausgenommen sind:
– Auszubildende;
– Mitarbeiter mit einem befristeten Arbeitsvertrag;
– Mitarbeiter, die sich bereits in Altersteilzeit befinden oder bereits einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen haben;
– Mitarbeiter, die einen Anspruch auf Gewährung einer vorzeitigen Altersrente geltend machen könnten und
– Mitarbeiter, die sich zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Betriebsvereinbarung in einem bereits gekündigten Arbeitsverhältnis befinden.
1. Den Mitarbeitern der Jahrgänge 1946 und älter werden Verträge über den vorgezogenen Altersaustritt (Vorruhestand) nach den Konditionen der Betriebsvereinbarung Nr. 251 (einschließlich erfolgter Änderungen oder Ergänzungen bis einschließlich 03.12.2002) angeboten.
2. Für die genannten Aufhebungsverträge gilt Folgendes:
a) Sie können mit allen Mitarbeitern ab Jahrgang 1952 und jünger, die in einem aktiven Arbeitsverhältnis zu einem der im Rubrum genannten Unternehmen stehen, abgeschlossen werden. Es bestehen jedoch keine individuellen Ansprüche auf Abschluss von Aufhebungsverträgen.
b) Mitarbeiter, die betriebsbedingt aufgrund eines Aufhebungsvertrages aus dem Unternehmen ausscheiden, erhalten unter der Voraussetzung, dass der Aufhebungsvertrag bis zum 31.01.2005 zustande kommt, eine Abfindung, die sich wie folgt berechnet:
Lebensalter x Dienstjahre x Bruttomonatsentgelt
25
“Lebensalter” und “Dienstjahre” werden zum “Tag des Ausscheidens” auf zwei Stellen hinter dem Komma ermittelt und auf eine Stelle hinter dem Komma kaufmännisch gerundet.
Der “Tag des Ausscheidens” ist das Datum, zu dem das Arbeitsverhältnis rechtlich endet.
Das “Bruttomonatsentgelt” ist das monatliche Grundentgelt plus “Erschwerniszulage, Gruppensprecher-/Kolonnenführerzulage, Funktionszulage, Ausgleich Umstellung auf Prämienlohn und Lohnausgleich A + B gemäß Betriebsvereinbarung Nr. 251.
Die Mindestabfindung beträgt EUR 10.000,00.
Der Abfindungsanspruch erhöht sich bei Mitarbeitern um ein Bruttomonatsentgelt für jeden vollen Monat, um den das Arbeitsverhältnis im Aufhebungsvertrag gegenüber der Dauer im Falle des Ausspruchs einer betriebsbedingten Kündigung verkürzt wird. Dies gilt nicht bei Übertritt in eine Transfergesellschaft.
……….
Erstmals im Dezember 2004 äußerte die Klägerin den Wunsch, durch Aufhebungsvertrag mit Abfindungszahlung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Ihr wurde geantwortet, dies liege “außerhalb des Budget-Rahmens”.
Am 14.04.2005 schlossen die Beklagte und der von den Betriebsräten der Standorte R1, B3, K1 und dem Testzentrum D1 bevollmächtigte Gesamtbetriebsrat die “Betriebsvereinbarung Restrukturierung Werk B3” ab (Bl. 144-149 GA, fortan BV 2005). Dort heißt es auszugsweise:
Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat verfolgen das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des Werkes B3 herzustellen und zu sichern.
Die Geschäftsleitung beabsichtigt im Zusammenhang mit der zu diesem Zweck geplanten Restrukturierung insgesamt noch im Jahre 2006 858 Arbeitsplätze, im Jahre 2007 259 Arbeitsplätze im Werk B3 abzubauen.

II
Der Personalabbau soll vorrangig durch sozialverträgliche Maßnahmen, nämlich Vorruhestandsverträge und Aufhebungsverträge erfolgen.
Es besteht Einvernehmen darüber, dass von dem Geltungsbereich dieser Maßnahmen folgende Gruppen ausgenommen sind:

1. Den Mitarbeitern der Jahrgänge 1946 und älter werden Verträge über den vorgezogenen Altersaustritt (Vorruhestand) nach den Konditionen der Betriebsvereinbarung Nr. 251 (einschließlich erfolgter Änderungen oder Ergänzungen bis einschließlich 03.12.2002) angeboten.
2. Für die genannten Aufhebungsverträge gilt Folgendes:
a) Sie können mit allen Mitarbeitern ab Jahrgang 1952 und jünger, die in einem aktiven Arbeitsverhältnis zu einem der im Rubrum benannten Unternehmen stehen, abgeschlossen werden. Es bestehen jedoch keine individuellen Ansprüche auf Abschluss von Aufhebungsverträgen.
b) Mitarbeiter, die betriebsbedingt aufgrund eines Aufhebungsvertrages aus dem Unternehmen ausscheiden, erhalten unter der Voraussetzung, dass der Aufhebungsvertrag zwischen dem 15.12.2005 und dem 31.03.2006 zustande kommt, eine Abfindung, die sich wie folgt berechnet, wobei auch vor dem 15.12.2005 bereits entsprechende Aufhebungsverträge abgeschlossen werden können:
Lebensalter x Dienstjahre x Bruttomonatsentgelt
25
“Lebensalter und Dienstjahre” werden zum “Tag des Ausscheidens” auf zwei Stellen hinter dem Komma ermittelt und auf eine Stelle hinter dem Komma kaufmännisch gerundet.
Der “Tag des Ausscheidens” ist das Datum, zu dem das Arbeitsverhältnis rechtlich endet.
Das “Bruttomonatsentgelt” ist das monatliche Grundentgelt plus Erschwerniszulage, Gruppensprecher-/Kolonnenführerzulage, Funktionszulage, Ausgleich Umstellung auf Prämienlohn und Lohnausgleich A + B gemäß Betriebsvereinbarung Nr. 251.
Die Mindestabfindung beträgt EUR 10.000,00.
Der Abfindungsanspruch erhöht sich bei Mitarbeitern um ein Bruttomonatsentgelt für jeden vollen Monat, um den das Arbeitsverhältnis im Aufhebungsvertrag gegenüber der Dauer im Falle des Ausspruchs einer betriebsbedingten Kündigung verkürzt wird. Dies gilt nicht bei Übertritt in eine Transfergesellschaft.

Mitte des Jahres 2005 informierte die Geschäftsleitung alle Mitarbeiter durch ein Rundschreiben “Transfer-Gesellschaft 2007/die Konditionen” (Bl. 19 GA). Dort wird mitgeteilt, dass austrittswillige Mitarbeiter bislang vertröstet worden seien, jetzt habe die GM-Zentrale noch einmal weitere Gelder für Austritte zur Verfügung gestellt. Die Konditionen seien weitgehend gleich geblieben. Wer mit einer Abfindung aus dem Unternehmen ausscheiden wolle, solle sich umgehend an die Personalabteilung wenden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Kopie des Rundschreibens Bezug nehmen (K 03, Bl. 19 GA).
Der Betriebsrat des Werkes B3 behandelte in seiner 147. Sitzung am 09.05.2005 den “TOP 1: Beratung und Beschlussfassung: Beschluss gemäß § 77 Satz 4 BetrVG Individuelle Abfindung”. Nach stichwortartiger Beschreibung der Diskussion heißt es im Protokoll dann weiter:
“Abstimmung: 28 Pro-Stimmen, 8 Contra-Stimmen, 0 Enthaltungen …
Das Gremium hat dieses Vorgehen für die bisher bekannten ca. 80 Fälle akzeptiert. Die Freiwilligkeit muss in jedem Einzelfall dem Betriebsrat/der Personalkommission vor Zustimmung schriftlich dokumentiert werden.”
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Kopie des Protokolls der Betriebsratssitzung vom 09.05.2005 Bezug genommen (Anlage B 2, Bl. 77, 77a GA). Als Anlage B 6 ist eingereicht worden der “Beschluss für die Betriebsratssitzung am 09. Mai 2005” (Bl. 284 GA):
“Der Betriebsrat beschließt,
in einer Reihe von Einzelfällen, in denen Mitarbeiter auf freiwilliger Basis und aus persönlichen Gründen aus dem Unternehmen zu vereinbarten Konditionen ausscheiden wollen [= handschriftlich eingefügt], überträgt der Betriebsrat die Abgabe dieser Zustimmungserklärung nach § 77 Abs. 4 BetrVG zur selbständigen Erledigung an die Personalkommission. In diesen Fällen gilt der dreiseitige Vertrag.”
Der Ausschuss “Personalkommission” (auch genannt: “Personalausschuss”) ist nach den Angaben der Beklagten im Nachgang zur Betriebsratswahl vom 05. März 2002 gebildet worden. Vorsitzender des Ausschusses war nach den Angaben der Beklagten zunächst L2 M1 und im Laufe der Wahlperiode dann K3 H3. Dieser war, so die Beklagte, auch im Dezember 2005 Vorsitzender des Ausschusses.
Im August/September 2005 erkundigte sich die Klägerin erneut nach der Möglichkeit, durch Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung auszuscheiden.
Am 28.11.2005 befasste sich die Personalkommission mit dem Thema des Ausscheidens mit reduzierter Abfindung. Im “Protokoll für die 24. Sitzung der Personalkommission vom 28.11.2005” heißt es auszugsweise (Anlage B 3, Bl. 78, 79 GA):
“Top 2 Reduzierte Abfindungen
Der Vorsitzende der § 99 Kommission, K. H3, verteilte die von ihm verfasste Erklärung. Es geht dabei um Kollegen aus den indirekten Bereichen, die für eine reduzierte Abfindung das Unternehmen verlassen möchten. Anschließend gab es in der Kommissionssitzung eine lebhafte Diskussion. Es erfolgte im Anschluss an die Diskussion die Abstimmung. Das Ergebnis der Abstimmung lautet:
Für die Erklärung und dementsprechend auch für ein Handlungsbedarf [sic]: 6 Kollegen,
Gegen die Erklärung stimmten zwei Kollegen.”
Bei der im Protokoll angesprochenen Erklärung handelt es sich um das Formularblatt, das als Anlage B 5 zur Akte gereicht worden ist (Bl. 240 GA):
“Hiermit erkläre ich, dass ich aus persönlichen Gründen aus dem Betrieb ausscheiden möchte und von einer außerhalb der in der BV 2004/0123/A festgelegten Abfindungssumme Gebrauch machen möchte.
Ich habe für mich persönlich den Entschluss gefasst, aus einem oder mehreren der folgenden Gründe bei O3 auszuscheiden.
Ich möchte aus gesundheitlichen Gründen das Unternehmen verlassen.
Ich habe eine neue Arbeitsstelle und werde diese nach meinem Ausscheiden in Anspruch nehmen.
Ich habe andere persönliche Gründe, die mich zu diesem Schritt bewogen haben.
[Es folgen Leerfelder für Name, Vorname, Abteilung, Personalnummer, Datum, Unterschrift des Mitarbeiters und Unterschrift Betriebsrat.]
Wenige Tage später befasste sich der Betriebsrat mit der Vorgehensweise bei individuell vereinbarten Abfindungen. Im Protokoll über die 171. Betriebsratssitzung vom 05.12.2005 heißt es (Kopie des Protokolls, Anlage B 4, Bl. 80, 81 GA):
“TOP 4: Vorgehensweise “Individuelle Abfindungen”
Erklärung (s. Anhang) ist mehrheitlicher Beschluss der Personalkommission:
Diskussion:
– Lösung nur für Einzelfälle
Abstimmung: 26 Prostimmen, keine Enthaltungen, 11 Contrastimmen
Das Gremium hat die vorgeschlagene Vorgehensweise der Personalkommission (Ausnahmen nur mit der Erklärung) zugestimmt [sic].
TOP 5:
……….”
Bei der genannten “Erklärung” handelt es sich um die Erklärung, die Gegenstand der Sitzung der Personalkommission vom 28.11.2005 war (s.o.).
Nachdem der Klägerin Anfang Dezember 2005 mitgeteilt worden war, dass die Geschäftsleitung nun einverstanden sei, schlossen die Parteien am 07.12.2005 den für die Ausscheidensvereinbarungen vorgesehen “dreiseitigen Vertrag” (Anlage K03, Bl. 20-26 GA). Dort heißt es auszugsweise:
“Präambel
Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin haben am 08.12.2004 die Betriebsvereinbarung 2004/09123 A “Restrukturierung” abgeschlossen. Dem Arbeitnehmer sind die in der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A “Restrukturierung” getroffenen Vereinbarungen bekannt.
……….
A. Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses
In Kenntnis und auf Grundlage der in der Präambel genannten Regelungen wird das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin zum 30.11.2007 betriebsbedingt beendet.
B. Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses mit der BAQ
1. Arbeitnehmer und BAQ vereinbaren den Abschluss eines Arbeitsverhältnisses für die Zeit vom 01.12.2007 bis 30.11.2008.
……….
C. Leistungen aufgrund der Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses
1. Der Arbeitnehmer erhält gemäß der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A “Restrukturierung” als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes von der Arbeitgeberin einen einmaligen Abfindungsbetrag von 250.000,00 Euro; (in Worten = zweihundertfünfzigtausend) in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG, §§ 3 Ziff. 9, 24, 34 EStG.
Die Abfindung wird in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis rechtlich endet, zur Zahlung fällig und erfolgt grundsätzlich mit der Schlussabrechnung.
……….”
Wegen der weiteren Einzelheiten des dreiseitigen Vertrages wird auf die zur Akte gereichte Kopie Bezug genommen (Bl. 20-26 GA).
Die Beklagte legt die Kopie eines weiteren Schreibens vom 07.12.2005 vor, adressiert an den Betriebsrat. Dort heißt es (Bl. 36 GA):
“An den
Betriebsrat
Vertraulich!
L3 K2
Telefon …, Fax …
Austritt zu veränderten Konditionen
7.Dezember 2005
Die Mitarbeiterin R2 B4, 11…… – 10…… möchte zum 30.11.2007 mit einer gegenüber der Berechnung nach der Betriebsvereinbarung Nr. 2004 /0123/A “Restrukturierung” reduzierten Abfindungssumme in Höhe von 250.000,00 Euro; aus dem Unternehmen ausscheiden. Wir bitten um kurzfristige Zustimmung des Betriebsrats.”
Es folgt die Unterschrift von Frau K2 über der Textzeile “Berater”.
Weiter heißt es im Text:
“Mitarbeitererklärung
Ich, R2 B4, scheide auf freiwilliger Basis zu den individuell vereinbarten Konditionen aus dem Unternehmen aus.”
Es folgt ein handschriftlicher Namenszug über der gedruckten Angabe “R2 B4”.
Es folgt im weiteren Text:
“Einverständniserklärung
Für den Betriebsrat
Datumsangabe “13.12.2005” / Unterschrift “K. H3”.
Die Beklagte behauptet, die Klägerin habe die in der vorgelegten Kopie ausgewiesene Unterschrift im Namensfeld “R2 B4” geleistet. Die Klägerin bestreitet dies. Sie behauptet, das Schriftstück niemals gesehen zu haben. Sie sei sich sicher, dieses nicht unterzeichnet zu haben. Entweder stamme die darauf befindliche Unterschrift gar nicht von ihr oder aber das Schriftstück sei ihr im Rahmen der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags unbemerkt “untergeschoben” worden.
Am 17.10.2007 unterzeichneten die Parteien eine “Zusatzvereinbarung zum dreiseitigen Vertrag vom 07. Dezember 2005”. Dort wurde festgelegt, dass die Auszahlung der vereinbarten Abfindung von 250.000,– Euro; auf Wunsch der Klägerin erst mit der Januar-Abrechnung 2008 erfolgen werde (Anlage K 04, Bl. 27 GA). Die Abfindung von 250.000,– Euro; wurde im Februar 2008 an die Klägerin gezahlt.
Mit Anwaltsschreiben vom 29.02.2008 erhob die Klägerin unter Hinweis auf die Betriebsvereinbarung 2004/0123/A “Restrukturierung” vom 08.12.2004 Anspruch auf die “verbleibende Restforderung brutto 145.536,24 Euro;”. Wegen dieses Anschreibens und wegen der weiteren vorprozessualen Korrespondenz wird auf die Anlagen K05 – K08 Bezug genommen (Bl. 28 – 35 GA). Die Klageschrift vom 31.Dezember 2009 ist am 31. Dezember 2009 bei dem Arbeitsgericht Bochum eingegangen.
Wegen der zwischen den Parteien nicht strittigen Berechnung des Abfindungsbetrages von 395.536,24 Euro; gemäß der einheitlichen Berechnungsformel der beiden Betriebsvereinbarungen wird auf die Klageschrift Bezug genommen, dort unter Ziffer 4 (Bl. 8 GA).
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde den Differenzbetrag in Höhe von 145.536,24 Euro;. Der Anspruch folge aus der Betriebsvereinbarung in Verbindung mit § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG und dem Gleichbehandlungsgebot bei Sozialplänen. Sie habe nicht auf Rechte aus der Betriebsvereinbarung verzichtet, es fehle jedenfalls an der Zustimmung des Betriebsrats. Abgesehen davon sei eine Abweichung von der Regelung der Betriebsvereinbarung zu ihrem Nachteil schon wegen des Gleichbehandlungsgebotes unzulässig.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 145.536,24 Euro; brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.03.2008 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass die Klägerin den dreiseitigen Vertrag vom 07.12.2005 unterzeichnet habe. Auch hätten die Klägerin, die Mitarbeiterin K2 und für den Betriebsrat dessen Mitglied H3 als Vorsitzender des nach § 28 BetrVG gebildeten Ausschusses “Personal und Kündigung” die Vereinbarung “Austritt zu veränderten Konditionen” (Bl. 36 GA) unterzeichnet. Hieraus folge, dass die Klägerin mit Zustimmung des Betriebsrates bereit gewesen sei, das Unternehmen mit einer reduzierten Abfindungssumme von 250.000,– Euro; zu verlassen. Die Behauptung der Klägerin, die Unterschrift auf dem Schriftstück stamme nicht von ihr, sei eine haltlose Unterstellung und sei entschieden zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.09.2010 abgewiesen. Aus der Betriebsvereinbarung “Restrukturierung Werk B3” vom 14.04.2005 könne sich der Anspruch nicht ergeben, weil es dort heiße, dass der Aufhebungsvertrag zwischen dem 15.12.2005 und dem 31.03.2006 zustande komme. Aus der Betriebsvereinbarung ergebe sich, dass kein individueller Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages bestehe. Insoweit bestehe keine Abweichung von der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A. Mit ihrer Zusatzerklärung vom 07.12.2005 habe die Klägerin wirksam auf die Höhe der Abfindungssumme laut Betriebsvereinbarung verzichtet. Dies habe sie durch die Mitarbeitererklärung bestätigt. Die Behauptung der Klägerin, sie habe dieses Schriftstück niemals gesehen und nicht unterzeichnet, sei als reine Schutzbehauptung zu werten. Die Vermutung der Urkunde spreche für die Richtigkeit des Geschehens. Die pauschale Ausführung der Klägerin vermöge das nicht zu erschüttern. Der Verzicht sei durch wirksame Zustimmung des Betriebsrats zustande gekommen. Der Betriebsrat habe in einer Sitzung am 09.05.2005 beschlossen, dass ein Ausscheiden trotz veränderter Konditionen möglich sei, wenn die Freiwilligkeit in jedem Einzelfall dem Betriebsrat/der Personalkommission vor Zustimmung schriftlich dokumentiert werde. Diese Voraussetzungen seien aufgrund der Erklärungen vom 07.12.2005 erfüllt. Aus § 28 BetrVG folge, dass der Betriebsrat bestimmte Angelegenheiten an Betriebsratsausschüsse zur selbständigen Erledigung übertragen könne. Damit habe Herr K3 H3 als Vorsitzender des Ausschusses für den Betriebsrat wirksam die Zustimmung erteilt. Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot sei nicht gegeben. Der Klägerin sei daran gelegen gewesen, vorzeitig auszuscheiden. Die Klägerin habe sich mit Zustimmung des Betriebsrates zu einem Abschluss des dreiseitigen Vertrages mit reduzierter Abfindung bereit erklärt.
Das Urteil ist der Klägerin am 15. Dezember 2010 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 17.01.2011 (Montag) Berufung eingelegt und die Berufung nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 15.03.2011 am 11.03.2011 begründet.
Die Klägerin wendet ein, es sei bereits rechtsfehlerhaft, wenn das Arbeitsgericht als Gegenstand des Rechtsstreits Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A “Restrukturierung” bezeichne. Richtig sei zwar, dass sie den Klageanspruch ursprünglich auf diese Betriebsvereinbarung gestützt habe. Dies sei aber zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung überholt gewesen. Bereits im Gütetermin am 01.04.2010 habe sie sich auf die ihr inzwischen bekannt gewordene Betriebsvereinbarung “Restrukturierung Werk B3” vom 14.04.2005 bezogen.
Das Arbeitsgericht habe mit einer nicht nachvollziehbaren und das Ergebnis nicht tragenden Begründung den Anspruch verneint. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005 zwar zunächst die Voraussetzung formuliere, dass der Aufhebungsvertrag zwischen dem 15.12.2005 und dem 31.03.2006 zustande komme, dass es dann aber weiter in der Betriebsvereinbarung heiße “wobei auch vor dem 15.12.2005 bereits entsprechende Aufhebungsverträge geschlossen werden können”. Ihr Aufhebungsvertrag vom 07.12.2005 unterfalle zeitlich dem Regelungsbereich der Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005. Die Tatbestandsvoraussetzungen seien erfüllt. Sie habe deshalb Anspruch auf die sodann in der Betriebsvereinbarung näher beschriebene Abfindung, die sich der Höhe nach nicht von der in der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A “Restrukturierung” unterscheide. Die Regelung der Betriebsvereinbarung, wonach kein individueller Anspruch auf einen Aufhebungsvertrag bestehe, stehe dem Anspruch nicht entgegen. Unstreitig sei mit ihr ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden.
Zu Unrecht gehe das Arbeitsgericht davon aus, sie habe auf eine über 250.000,– Euro; hinausgehende Abfindung verzichtet. Es verbleibe dabei, dass sie die zusätzliche Erklärung vom 07.12.2005 nicht unterschrieben habe, jedenfalls nicht bewusst. Sie sei in diesem Zusammenhang nicht mit Frau K2 oder Herrn H3 zusammengetroffen. Sie habe den dreiseitigen Aufhebungsvertrag auch nicht in deren Beisein unterzeichnet. Es sei aus Rechtsgründen nicht haltbar, wenn das Arbeitsgericht ihre Einwendung als Schutzbehauptung ansehe und auf eine Vermutung der Urkunde abhebe. Es sei lediglich eine Kopie vorgelegt worden und keine Urkunde. Zudem habe sie die Echtheit der Urkunde bestritten. Die Echtheit der Urkunde sei nicht bewiesen. Dies könne jedoch im Ergebnis dahinstehen. Da ihr bei Unterzeichnung der fraglichen Erklärung die maßgebliche Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005 gar nicht bekannt gewesen sei, könne in ihrer Erklärung auch kein “stillschweigender” Verzicht auf die ihr danach zustehende Abfindung gesehen werden.
Unabhängig davon fehle es an der für die Wirksamkeit eines solchen Verzichts erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats. Sie habe im Verfahren erster Instanz bestritten, dass dem Personalausschuss und/oder dem Ausschuss für “Personal und Kündigung” vom Betriebsrat der Beklagten die Entscheidung über Zustimmungen zu einem Verzicht von Arbeitnehmern auf Abfindungen nach der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A zur selbständigen Erledigung übertragen worden sei. Dies sei den vorgelegten Betriebsratsbeschlüssen vom 09.05.2005 und vom 05.12.2005 nicht zu entnehmen. Dem Protokoll vom 05.12.2005 lasse sich allenfalls entnehmen, dass der Betriebsrat das “Formular” möglicherweise gebilligt habe, welches Gegenstand des Ausschussbeschlusses vom 28.11.2005 gewesen sei. Das aber besage doch allenfalls, dass das betreffende Formular für den Nachweis der Freiwilligkeit verwendet werden solle, welcher seinerseits dann wiederum der Vorbereitung einer Entscheidung über die Zustimmung diene. Eine Übertragung der Entscheidung auf den Ausschuss lasse sich dem Beschluss nicht ansatzweise entnehmen. Nicht zutreffend sei die Auffassung des Arbeitsgerichts, der Betriebsrat habe dem Ausschuss die Aufgabe der Zustimmung übertragen. Herr K3 H3 habe als Vorsitzender des Ausschusses die Zustimmung erteilt.
Aber selbst eine etwaig erteilte Zustimmung des Betriebsrates wäre unwirksam, weil es sich um ein gleichbehandlungswidriges Abweichen von den Regelungen eines Sozialplans handeln würde. Sie habe in ihrem Schriftsatz vom 25.08.2010 unter Ziffer IV unter Beweisantritt dargelegt, dass andere Arbeitnehmer in vergleichbaren Positionen wie sie bei ihrem Ausscheiden von der Beklagten nicht nur eine reduzierte Abfindung erhalten hätten ( = Bl. 115 ff GA).
Die Behauptung der Beklagten zur ordnungsgemäßen Bildung bestimmter Ausschüsse sei eine reine Rechtsbehauptung und als solche von vornherein nicht ausreichend. Der Vortrag des Beklagten lasse weder erkennen, wie viele Mitglieder dem Ausschuss angehörten noch welche bestimmten “Aufgaben” ihm übertragen worden wären. Die Darstellung der Beklagten genüge nicht den Anforderungen, die an die Substantiierung von Tatsachenbehauptungen zu stellen seien. Auch dass Herr H3 wirksam zum Vorsitzenden eines Ausschusses im Sinne des § 28 BetrVG bestimmt worden sei, sei nicht substantiiert dargelegt. Auch die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten seien einer Beweiserhebung nicht zugänglich. Unklar bleibe bei der Argumentation der Beklagten, welcher Ausschuss denn überhaupt gemeint sein solle. Es werde mal von einem “Personalausschuss”, mal von einer “Personalkommission” gesprochen. Später heiße es dann, der “für die Zustimmungserklärung zuständige Ausschuss”. Auch fänden sich die Ausschussbezeichnungen “Personal und Kündigung” und “99 Kommission”. Auch sei von einer “§ 90 Sitzung” die Rede. Aus den Darlegungen der Beklagten ergebe sich die angebliche Kompetenzübertragung auf einen Ausschuss jedenfalls nicht. Der Betriebsratsbeschluss vom 09.05.2005 befasse sich nur mit den damals “bereits bekannten 80 Fällen”.
Die Klägerin bestreitet, dass es sich bei der Anlage B 6 (Bl. 284 GA) um die Beschlussvorlage handele, über welche der Betriebsrat der Beklagten in seiner Sitzung am 09.05.2005 Beschluss gefasst habe (Protokoll vom 09.05.2005, Anlage B 2, Blatt 77, 77a GA). Auf den in Kopie vorgelegten Schriftstücken fehlten die erforderlichen Unterschriften. Lediglich das Deckblatt trage Unterschriften. So komme den Schriftstücken kein Beweiswert zu. Eine etwaige Übertragung von Kompetenzen auf den Ausschuss wäre unabhängig davon auch deshalb unwirksam, weil es an der erforderlichen Schriftform mangele. Auch fehle es für die angebliche Kompetenzübertragung an der erforderlichen absoluten Mehrheit.
Unabhängig davon sei auch nicht vorgetragen, dass die Personalkommission eine Zustimmung zum Verzicht erteilt habe. Die Beklagte behaupte noch nicht einmal, dass die “Personalkommission” überhaupt einen entsprechenden Beschluss gefasst habe. Es habe weder einen Beschluss des Betriebsrates noch einen Beschluss der “Personalkommission” über die Genehmigung eines Verzichts auf die ihr nach der Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005 zustehende Abfindung gegeben. Allein der Zeuge H3 habe sich angemaßt, eine solche Zustimmung “für den Betriebsrat” zu erklären.
Rechtsirrig sei die Auffassung der Beklagten, etwaige Fehler in der Willensbildung oder bei der Beschlussfassung auf Seiten des Betriebsrats könnten ihr nicht zugerechnet werden. Wolle man der Auffassung der Beklagten folgen, so könne die Beklagte sich auf jedwede Erklärung stützen, die von irgendeinem “Hinz oder Kunz” abgegeben worden sei. Da ein einfaches Mitglied den Betriebsrat niemals vertreten dürfe, könne ein Vertrauen auf eine eindeutig nicht von einem vertretungsberechtigten abgegebene Erklärung nur bei Vorliegen der anerkannten Voraussetzungen eine Anscheins- oder Duldungsvollmacht angenommen werden. Dafür sei nicht das Geringste ersichtlich. Anders als in den Fällen nach § 102 BetrVG reiche es bei einer Zustimmung zu einem Verzicht nach § 77 Abs. 4 BetrVG nicht aus, wenn der Betriebsrat informiert worden sei. Vielmehr sei bei § 77 Abs. 4 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrates Wirksamkeitsvoraussetzung für den Verzicht. Bei Unterzeichnung der Vereinbarung mit der Klägerin habe die Beklagte nicht darauf vertrauen können, bereits das Notwendige zur Herbeiführung der Zustimmung getan zu haben. Im Gegenteil habe die Beklagte die Einholung der Genehmigung erst nachträglich eingeleitet. Für die Beklagte sei klar erkennbar gewesen, dass die Zustimmung nicht von einer für den Betriebsrat vertretungsberechtigten Person erteilt worden sei. Die Beklagte habe diesen Fehler selbst verursacht, weil sie den Antrag auf Zustimmung nicht dem Betriebsrat vorgelegt habe, sondern einem bloßen Zustellboten. Dessen Fehler sei nach allgemeiner Auffassung stets dem Absender zuzurechnen.
Einem individualvertraglichen Verzicht auf Ansprüche aus einem Sozialplan stehe zudem das Günstigkeitsprinzip entgegen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bochum vom 28.09.2010 – 2 Ca 3386/09 – verurteilt, 145.536,24 Euro; brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.03.2008 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Zu Recht habe das Arbeitsgericht angenommen, dass ein Anspruch der Klägerin weder aus der Betriebsvereinbarung 2004/0123/A vom 08. August 2004 noch aus der Betriebsvereinbarung “Restrukturierung Werk B3” vom 14.04.2005 folge.
Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Klägerin sei vorliegend nicht betriebsbedingt erfolgt. Bereits daran scheitere ein Anspruch auf Abfindung. Sie, die Beklagte, habe nicht die Absicht gehabt, sich von der Klägerin zu trennen. Es sei vielmehr die Klägerin gewesen, die immer wieder an Mitarbeiter der Personalabteilung bzw. an das Mitglied des örtlichen Betriebsrats und Vorsitzenden des Ausschusses “Personal und Kündigung” K3 H3 herangetreten sei und erklärt habe, dass sie auch bereit wäre, gegen eine geringere Abfindung aus dem Unternehmen auszuscheiden. Sie, die Beklagte, habe dem ständigen Drängen der Klägerin schließlich nachgegeben, das Arbeitsverhältnis gegen eine reduzierte Abfindung zu beenden. Mangels eigener Trennungsabsicht sei sie hierzu allerdings nur gegen Zahlung einer verringerten Abfindungssumme bereit gewesen. Der Zeitpunkt des Abschlusses des dreiseitigen Vertrages am 07.12.2005 falle unmittelbar weder unter die Betriebsvereinbarung vom 08. Dezember 2004 noch unter die Betriebsvereinbarung vom 14.04.2005.
Zumindest habe die Klägerin wirksam auf eine über 250.000,00 Euro; hinausgehende Abfindung verzichtet. Die Klägerin habe eine entsprechende Erklärung am 07.12.2005 auf einem gesonderten Blatt unterschrieben. Der Verzicht der Klägerin sei auch mit wirksamer Zustimmung des Betriebsrats zustande gekommen. Entsprechend dem Protokoll der Betriebsratssitzung vom 09. Mai 2005 habe einem der beiden Gremien gegenüber die Freiwilligkeit dokumentiert werden müssen. Die Ausschüsse und damit auch der Personalausschuss seien im Nachgang zur Betriebsratswahl vom 05.03.2002 gebildet worden. In seiner Sitzung am 09.05.2005 habe der Betriebsrat unter TOP 1 das Thema “Beratung und Beschlussfassung: Beschluss gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG – Individuelle Abfindung” beraten. Diesem Beschluss habe eine Vorlage der Personalkommission vom 09.05.2005 zugrunde gelegen. Demzufolge liege eine wirksame Übertragung der Entscheidungskompetenz des Betriebsrates auf den Ausschuss vor. Später habe die Personalkommission unter Leitung von K3 H3 am 28.11.2005 über die von ihm verfasste Erklärung abgestimmt (s.o.). Danach hätten Mitarbeiter aus den indirekten Bereichen das Unternehmen auf freiwilliger Basis gegen reduzierte Abfindung verlassen können. Dieser Beschluss sei mit 6:2 Stimmen gefasst worden. Auf seiner Sitzung am 05.12.2005 habe der Betriebsrat unter TOP 4 “Vorgehensweise individueller Abfindungen” die Zustimmung zur vorgeschlagenen Vorgehensweise der Personalkommission bei 26 Pro- und 11 Contrastimmen sowie keiner Enthaltung erteilt. Auf der 171. Betriebsratssitzung am 05.12.2005 sei der Beschluss der 147. Betriebsratssitzung vom 09.05.2005 noch einmal dahingehend erweitert worden, dass weitere Mitarbeiter, die hätten ausscheiden wollen, ausscheiden könnten, wenn die Zustimmung des Betriebsrates/der Personalkommission vorliege. Dabei habe Einvernehmen bestanden, dass der seinerzeitige Vorsitzende der Personalkommission H3 berechtigt sei, die Zustimmung zu erteilen. Der Beschluss vom 09.05.2005 habe als Grundlage für den nachfolgenden neuerlichen Beschluss gedient. Durch die Unterschrift des Zeugen H3 auf dem Formular “Austritt zu veränderten Konditionen” vom 07.12.2005 liege eine wirksame Zustimmung vor. Die Voraussetzungen des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG (Zustimmung des Betriebsrats) seien gegeben. Deswegen sei diese Vorgehensweise auch zu keiner Zeit durch den Betriebsrat bemängelt worden.
Selbst wenn im Rahmen der Willensbildung bzw. Beschlussfassung des Betriebsrates – entgegen den vorstehenden Ausführungen – Fehler aufgetreten sein sollten, könnten diese ihr, der Beklagten, nicht zugerechnet werden. Hinsichtlich der Folgen von Verfahrensmängeln sei nach Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichen zu unterscheiden. Mängel bei der internen Willensbildung des Betriebsrats könnten nicht zu Lasten des Arbeitgebers gehen, weil dieser sich nicht in die Amtsführung des Betriebsrats einmischen dürfe. Die Wirksamkeit der Zustimmung ergebe sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Der Wortlaut von § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, wonach der Vorsitzende den Betriebsrat nur “im Rahmen der gefassten Beschlüsse” vertreten könne, stehe dem nicht entgegen. Das Interesse des Arbeitgebers an einem Schutz seines Vertrauens sei zumindest dann höher zu bewerten als die Interessen von Betriebsrat und Belegschaft, wenn das Vertrauen auf Seiten des Arbeitgebers wesentlich durch den Betriebsrat selbst hervorgerufen worden sei. Ein schutzwertes Vertrauen sei begründet, wenn ein Betriebsratsmitglied mit angeblicher Vertretungsmacht für den Betriebsrat handelnd aufgetreten sei und der Arbeitgeber nach Treu und Glauben eine wirksame Vertretungsmacht habe annehmen dürfen. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Aufgrund der zur Akten gereichten Beschlüsse seien alle Beteiligten, d. h. auch der Betriebsrat, davon ausgegangen, dass der damalige Vorsitzende der Personalkommission, das Betriebsratsmitglied H3, berechtigt sei, die Zustimmung für den Betriebsrat zu erteilen. Zumindest sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der dem Betriebsrat zuzurechnen sei. Sie, die Beklagte, habe keinen Zweifel daran gehabt, dass Herr H3 als Vorsitzender des Ausschusses tatsächlich berechtigt gewesen sei, die Zustimmung für den Betriebsrat bzw. die Personalkommission zu erteilen.
Der Verweis der Klägerin auf andere Mitarbeiter, die gegen eine Abfindung ausgeschieden seien, sei nicht aussagekräftig, weil man sich im Fall der Klägerin nicht habe trennen wollen.
Wegen weiterer Einzelheiten des tatsächlichen Vorbringens der Parteien und wegen weiterer Einzelheiten ihrer rechtlichen Argumentation wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Gründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b) ArbGG. Die Klägerin hat ihre Berufung form- und fristgerecht entsprechend den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet.
Die Berufung der Klägerin ist in der Sache begründet. Entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts steht der Klägerin der eingeklagte Differenzbetrag zwischen der Abfindung nach Sozialplan und der ausgezahlten Abfindung von 250.000,– Euro; zu. Der Anspruch hat seine Grundlage in II 2 der Betriebsvereinbarung “Restrukturierung Werk B3” vom 14.04.2005 (fortan BV 2005). Das Urteil des Arbeitsgerichts war entsprechend abzuändern.
1. Die Tatbestandsvoraussetzungen eines Abfindungsanspruches nach II 2 BV 2005 sind erfüllt.
Der zwischen den Parteien vereinbarte Termin für das Ausscheiden der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis fällt in den Zeitraum des in der BV 2005 geregelten Personalabbaus. Nach I BV 2005 sollen im Jahr 2006 858 Arbeitsplätze und im Jahr 2007 259 Arbeitsplätze des Werkes B3 abgebaut werden. Das im dreiseitigen Vertrag unter A vereinbarte Enddatum 30.11.2007 liegt innerhalb dieses Zeitraums. Nach der Festlegung unter A. des dreiseitigen Vertrages erfolgt das Ausscheiden der Klägerin aus dem Werk B3 betriebsbedingt und ausweislich der Präambel des dreiseitigen Vertrages und nach der Regelung unter C unter Zuordnung zur “Betriebsvereinbarung 2004/0123/A `Restrukturierung´” vom 08.12.2004 (fortan: BV 2004). Die BV 2004 ist die Betriebsvereinbarung, mit der der Personalabbau einschließlich Abfindungsformel projektiert war, der in der BV 2005 unter Beibehaltung der Abfindungsregelung konkretisiert worden ist.
Die Klägerin ist 1955 geboren. Sie gehört zum Personenkreis “Jahrgang 1952 und jünger”, für den die BV 2005 das betriebsbedingte Ausscheiden durch Aufhebungsvertrag mit Abfindungsanspruch regelt.
Nach II 2 b BV 2005 können die entsprechenden Aufhebungsverträge zwischen dem 15.12.2005 und dem 31.03.2006 und auch bereits vor dem 15.12.2005 abgeschlossen werden. Der dreiseitige Vertrag ist am 07.12.2005 unterzeichnet worden und liegt damit im Zeitrahmen.
Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die BV 2004 und die BV 2005 vom Gesamtbetriebsrat und nicht vom Betriebsrat des Werkes B3 abgeschlossen worden sind. In beiden Fällen war der Gesamtbetriebsrat vom Betriebsrat des Standortes B3 zum Abschluss der Betriebsvereinbarung bevollmächtigt. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat den Gesamtbetriebsrat beauftragen, eine Angelegenheit für ihn zu behandeln (vgl. GK-Kreutz, 9. Aufl. 2010, § 50 BetrVG Rn. 54 – 56, 64).
Der Abfindungsbetrag, den die Klägerin nach der BV 2004 und der BV 2005 zu beanspruchen hat, beläuft sich rechnerisch unstreitig auf 395.536,24 Euro;. Unter Berücksichtigung der gezahlten 250.000,00 Euro; ergibt sich aus der BV 2005 ein Anspruch der Klägerin auf weitere 145.536,24 Euro;.
2. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Aufhebungsvertrag – und möglicherweise in der zusätzlichen Erklärung vom 07.12.2005 – einem niedrigeren Abfindungsbetrag von 250.000,00 Euro; zugestimmt hat. Ein etwaiger Verzicht der Klägerin auf einen Teil des in der BV 2005 geregelten Abfindungsbetrages ist unwirksam, weil die für einen Verzicht nach dem Betriebsverfassungsrecht erforderliche Zustimmung des Betriebsrates nicht vorliegt.
a) In II 2 BV 2005 ist der finanzielle Ausgleich für ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis aus Gründen des geregelten Personalabbaus festgelegt.
Derartigen Sozialplanregelungen kommt nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung zu. Ein Verzicht auf einen Sozialplananspruch ist gemäß § 77 Abs. 4 Satz 3 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam. Für die nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG erforderliche Zustimmung gelten die §§ 182 ff BGB. Die Zustimmung kann vorher als Einwilligung (§ 183 BGB) oder nachträglich als Genehmigung (§ 184 BGB) erteilt werden. Formvorschriften bestehen insoweit nicht. Der Betriebsrat muss aber unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er mit dem Verzicht einverstanden ist (BAG 27.01.2004 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 Rn. 26, 27; BAG 03.06.1997 AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 69 Rn. 24). Die Zustimmung setzt einen ordnungsgemäßen Beschluss des Betriebsrats gemäß § 33 BetrVG voraus (BAG 27.01.2004 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 Rn. 27).
Eine Zustimmung kann grundsätzlich nur jeweils für den einzelnen konkreten Verzicht des Arbeitnehmers erteilt werden (BAG 27.01.2004 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 Rn. 27; Fitting, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 77 BetrVG Rn. 132; GK-Kreutz, BetrVG Bd. II, 9.Aufl. 2010, § 77 BetrVG Rn. 272). Eine generelle Einwilligung des Betriebsrats in den Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung würde den Gehalt der Norm verändern. Dies können die Parteien nur gemeinsam, sei es durch eine – bestimmte Abweichungen gestattende – Öffnungsklausel, sei es durch eine nachträgliche Änderung der Betriebsvereinbarung. Dagegen ist die einseitige Abänderung des Inhalts einer Betriebsvereinbarung durch eine Betriebspartei nicht möglich (BAG 27.01.2004 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 Rn. 27).
Fehlt die erforderliche Zustimmung des Betriebsrates, ist ein vom Arbeitnehmer gleichwohl erklärter Verzicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB unwirksam (BAG 30.03.2004 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 170 unter II 4 a) aa); GK-Kreutz, BetrVG Bd. II, 9.Aufl. 2010, § 77 BetrVG Rn. 272; Fitting, BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 77 BetrVG Rn. 131).
b) Der nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche Beschluss des Betriebsrates, einem Verzicht der Klägerin auf einen Teil der Abfindung gemäß II 2 BV 2005 zuzustimmen, ist nicht ergangen. Auch der Betriebsratsausschuss “Personalkommission” hat eine Zustimmung nicht beschlossen.
aa) Auch nach dem Auflagenbeschluss der Berufungskammer hat sich die Beklagte lediglich auf die Beschlüsse des Betriebsrats vom 09.05.2005 und vom 05.12.2005 bezogen. Keiner dieser beiden Beschlüsse enthält eine Zustimmung zu einem konkreten Verzicht der Klägerin auf einen Sozialplananspruch.
(1) Der aus den vorgelegten Kopien ersichtliche Beschluss des Betriebsrats vom 09.05.2005 ging dahin, dass “in einer Reihe von Einzelfällen, in denen Mitarbeiter auf freiwilliger Basis und aus persönlichen Gründen aus dem Unternehmen zu individuell vereinbarten Konditionen ausscheiden wollen” der Betriebsrat die Abgabe der Zustimmungserklärung nach § 77 Abs. 4 BetrVG zur selbständigen Erledigung an die Personalkommission überträgt und in diesen Fällen der dreiseitige Vertrag gilt. Aus dem Protokoll der Sitzung vom 09.05.2005 zu TOP 1 geht weiter hervor, dass “dieses Vorgehen für die bisher bekannten ca. 80 Fälle akzeptiert” wird. In dieser Beschlussfassung liegt keine konkrete Zustimmung zu dem hier in Rede stehenden Verzicht der Klägerin vom 07.12.2005. Der Fall der Klägerin ist nicht namentlich benannt. Der mit der Klägerin vereinbarte niedrigere Abfindungsbetrag und die Höhe der Sozialplanabfindung laut Betriebsvereinbarung waren nicht Gegenstand der Beschlussfassung. Ohnehin beschränkt sich die Willensbildung des Betriebsrats auf die am 09.05.2005 “bisher bekannten ca. 80 Fälle”. Zu dieser Personengruppe gehörte die Klägerin nicht. Sie hat den dreiseitigen Vertrag unstreitig erst Monate später im Dezember 2005 unterzeichnet. Unabhängig davon kommt eine Beschlussfassung des Betriebsrats, dem Verzicht auf Abfindungsansprüche in allgemeiner Form und losgelöst von konkreten Einzelfällen zuzustimmen, auch deshalb nicht in Betracht, weil dadurch der Regelungsgehalt von Betriebsvereinbarung / Sozialplan in einer Weise verändert würde, wie es nur die Betriebsparteien gemeinsam vereinbaren könnten (s.o. unter 2 a) ).
(2) Der Beschluss des Betriebsrates vom 05.12.2005 lautet: “Das Gremium hat die vorgeschlagene Vorgehensweise der Personalkommission (Ausnahmen nur mit der Erklärung) zugestimmt [sic].” Auch diese Willensbildung enthält keine Zustimmung zu dem konkreten Verzicht im Fall der Klägerin. Weder der Name der Klägerin noch der Abschluss eines dreiseitigen Vertrages durch die Klägerin noch der vereinbarte Abfindungsbetrag von 250.000,00 Euro; noch die Höhe des Abfindungsanspruchs laut Sozialplan waren Gegenstand der Beschlussfassung. Derartige Konkretisierungen waren auch nicht entbehrlich. Nach den bereits dargestellten Grundsätzen kommt eine generalisierende Beschlussfassung des Betriebsrats, allgemein und losgelöst von konkreten Einzelfällen dem Verzicht auf Abfindungsansprüche zuzustimmen, nicht in Betracht, weil – wie gesagt – dadurch der Regelungsgehalt von Betriebsvereinbarung / Sozialplan in einer Weise verändert würde, wie es nur die Betriebsparteien gemeinsam vereinbaren könnten (s.o.).
(3) Da weitere Beschlussfassungen des Betriebsrates nicht dargetan sind, ist als Ergebnis festzuhalten: Weder am 09.05.2005 noch am 05.12.2005 hat der Betriebsrat einen Beschluss gefasst, dass er einem Verzicht der Klägerin auf einen Abfindungsbetrag von 145.536,24 Euro; anlässlich des Ausscheidens der Klägerin zum 30.11.2007 durch den dreiseitigen Vertrag vom 07.12.2005 zustimmt.
bb) Auch eine entsprechende Beschlussfassung der “Personalkommission” ist nicht erfolgt (§§ 28 Abs. 1 Satz 1 u. 3 BetrVG). Auch nach dem Auflagenbeschluss der Berufungskammer hat sich die Beklagte insoweit lediglich auf den Beschluss des Ausschusses “Personalkommission” vom 28.11.2005 bezogen. Gegenstand der Sitzung am 28.11.2005 war das Formular “Erklärung” mit der vorgesehenen Abfrage von drei denkbaren Gründen für ein Ausscheiden bei O3 “aus persönlichen Gründen” und “außerhalb der in der BV 2004/0123/A festgelegten Abfindungssumme” (Bl. 240 GA). Der mehrheitlich gefasste Beschluss “Für die Erklärung und dementsprechend auch für ein Handlungsbedarf [sic]” beinhaltet keine Willensbildung, dem konkreten Verzicht der Klägerin auf den aus dem Aufhebungsvertrag vom 07.12.2005 erwachsenden Sozialplananspruch zuzustimmen. Weder der Name der Klägerin noch der Abschluss eines dreiseitigen Vertrages durch die Klägerin noch der vereinbarte Abfindungsbetrag von 250.000,00 noch die Höhe des Abfindungsanspruchs laut Sozialplan waren Gegenstand von Beratung und Beschlussfassung des Ausschusses “Personalkommission”. Da es an einem konkret auf die Klägerin bezogenen Beschluss des Ausschusses fehlt, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden, ob nach der aktenkundigen Beschlusslage des Betriebsrates überhaupt von einer Aufgabenübertragung auf den Ausschuss “Personalkommission” ausgegangen werden kann und ob eine solche Aufgabenübertragung für Zustimmungen zum Verzicht auf Sozialansprüche vor dem Hintergrund der zwingenden Regelung des § 27 Abs. 2 Satz 2 2.HS BetrVG überhaupt wirksam hätte erfolgen können.
c) Da weder Betriebsrat noch Personalausschuss beschlossen haben, einem Verzicht der Klägerin auf den 250.000,00 Euro; übersteigenden Anteil der Sozialplanabfindung zuzustimmen, sind die von der Klägerin am 07.12.2005 unterschriebenen Vereinbarungen über einen niedrigeren Abfindungsbetrag nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot der §§ 112 Abs. 1 Satz 3, 77 Abs. 4 Satz 1 – 3 BetrVG unwirksam. Der Anspruch besteht unverkürzt in der unter 1. dargestellten Höhe.
3. Die Beklagte kann nicht geltend machen, aus Gründen eines veranlassten Rechtsscheins oder aus Gründen des Vertrauensschutzes müsse sie so behandelt werden, als ob der Betriebsrat oder der Ausschuss wirksam zugestimmt hätte.
a) Der gute Glaube des Arbeitgebers an das Vorliegen eines Betriebsratsbeschlusses ist gesetzlich nicht geschützt (BAG 08.06.2004 AP BetrVG 1972 Lohngestaltung Nr. 124 unter II 2.; Richardi-Thüsing, BetrVG, 13. Aufl. 2012, § 26 BetrVG 46). So reicht es beispielsweise nicht aus, wenn der Arbeitgeber auf Grund einer Mitteilung des Betriebsratsvorsitzenden davon ausgeht, das Gremium habe einen entsprechenden Beschluss gefasst (BAG aaO). Der Vorsitzende vertritt den Betriebsrat nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nur im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Liegt der Erklärung des Betriebsratsvorsitzenden ein Beschluss des Betriebsrats in Wirklichkeit nicht zugrunde, ist die Erklärung des Vorsitzenden – soweit sie überhaupt als Willenserklärung zu verstehen ist – schwebend unwirksam. Ihre Wirksamkeit ist von einer Genehmigung des Gremiums durch einen nachträglichen Beschluss abhängig (BAG aaO). Der Auffassung, die interne Willensbildung des Betriebsrats betreffe allein dessen Risikosphäre, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der fehlenden Vollmacht des Betriebsratsvorsitzenden habe, ist nicht zu folgen (BAG 24.02.2000 AP KSchG 1969 Namensliste Nr. 7). Allenfalls können die Grundsätze der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht herangezogen werden (BAG 24.02.2000 AP KSchG 1969 Namensliste Nr. 7 unter II 3 a) ). Das setzt allerdings voraus, dass die Vertrauensumstände oder der Rechtsschein vom Betriebsrat als Gremium zurechenbar veranlasst worden sind. Dafür muss die Mehrheit des Gremiums von dem Auftreten des Vorsitzenden gewusst haben oder davon hätte wissen können, wie es beispielsweise der Fall sein kann, wenn die fragliche Maßnahme unter Kenntnis der Betriebsratsmitglieder durchgeführt wird (Richardi-Thüsing, BetrVG, 13. Aufl. 2012, § 26 BetrVG 49-52; GK-Raab, BetrVG Bd. I, 9.Aufl. 2010, § 26 BetrVG Rn. 44, 46, 48).
b) Diese Voraussetzungen sind hier weder im Hinblick auf das Gremium Betriebsrat noch im Hinblick auf das Gremium “Personalkommission” dargetan. Nach dem unterbreiteten Sachverhalt kann nicht festgestellt werden, dass eines der Gremien überhaupt vom Einzelfall der Klägerin, vom Inhalt des dreiseitigen Vertrages vom 07.12.2005, vom Inhalt der zusätzlichen Erklärung vom 07.12.2005 oder auch nur von der Unterschriftsleistung des Ausschussvorsitzenden H3 auf der zusätzlichen Erklärung vom 07.12.2005 Kenntnis erlangt hätte. Aus den bereits dargestellten Gründen begründen die von der Beklagten vorgelegten Beschlüsse des Betriebsrates vom 09.05.2005 und 05.12.2005 und der Beschluss der Personalkommission vom 28.11.2005 weder den Rechtsschein noch das Vertrauen, dass eines der Gremien eine Zustimmung zum Anspruchsverzicht beschlossen hat. Die Beschlüsse verhalten sich jeweils nicht zu dem dreiseitigen Vertrag vom 07.12.2005 und nicht zu einer Verzichtserklärung der Klägerin vom 07.12.2005. Auch begründen die Beschlüsse des Betriebsrats vom 09.05.2005 und 05.12.2005 weder Rechtsschein noch Vertrauen für einen Beschluss des Betriebsrats, die Angelegenheit “Zustimmung zum Verzicht auf Sozialplananspüche” einem Ausschuss zur eigenständigen Erledigung zu überantworten. Bezeichnenderweise bittet die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 07.12.2005 auch nicht einen Ausschuss des Betriebsrates sondern den Betriebsrat um Zustimmung (“an den Betriebsrat”). Ein bei der Beklagten etwaig begründetes Vertrauen kann den genannten Gremien bei der gegebenen Beschluss- und Sachlage deshalb nicht zugerechnet werden. Angesichts dieser Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob einem Vertrauensschutz unabhängig davon ohnehin entgegen steht, dass die Beklagte sich mit ihrem Schreiben “Austritt zu veränderten Konditionen” vom 07.12.2005 ausdrücklich an den Betriebsrat gewandt hat und die Antwort “für den Betriebsrat” dann aber weder vom Betriebsratsvorsitzenden noch von dessen Stellvertreter sondern vom Vorsitzenden eines Ausschusses des Betriebsrates stammt. Weiter muss auch hier nicht entschieden werden, ob die Aufgabe “Zustimmung zum Verzicht auf Ansprüche aus einer Betriebsvereinbarung” überhaupt betriebsverfassungsrechtlich wirksam auf einen Ausschuss übertragen werden kann (s.o.).
4. Eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs auf 250.000,00 Euro; lässt sich schließlich nicht mit einer Günstigkeitsbetrachtung rechtfertigen. Nach dem Günstigkeitsprinzip geht eine arbeitsvertragliche Regelung einer Betriebsvereinbarung dann vor, wenn die vertragliche Vereinbarung für den Arbeitnehmer günstiger ist. Hier ist die vertragliche Abfindungsvereinbarung indes deutlich ungünstiger als die Abfindungsregelung des Sozialplans. Eine über diesen Vergleich hinausgehende Betrachtungsweise, die ein Verbleiben der Klägerin im Arbeitsverhältnis mit einem Ausscheiden der Klägerin gegen den reduzierten Abfindungsvertrag vergleichen würde, verlässt den Rahmen der anzustellenden Günstigkeitsbewertung. Der Günstigkeitsvergleich ist beschränkt auf einen sogenannten Sachgruppenvergleich (BAG 27.01.2004 AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 Rn. 31 ff). Ein Vergleich von Regelungen, die sich thematisch nicht berühren, ist methodisch unmöglich (“Äpfel mit Birnen”), für einen so weitgehenden Vergleich fehlt ein objektivierbarer gemeinsamer Maßstab (BAG 20.04.1999 AP GG Art. 9 Nr. 89; Fitting, BetrVG, 25.Aufl. 2010, § 77 BetrVG Rn. 199 – 202).
II. Als unterlegene Partei hat die Beklagte gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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