OLG Frankfurt am Main, 25.11.2013 – 18 U 1/13

April 18, 2019

OLG Frankfurt am Main, 25.11.2013 – 18 U 1/13
Leitsatz

Die Regelungen nach § 522 II Ziff. 3, 4 ZPO sind einschränkend dahingehend auszulegen, dass bei ihrer Anwendung Probleme aus dem Anwendungsbereich des § 522 II ZPO unberücksichtigt zu bleiben haben.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin vom 3.1.2013 gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7.12.2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7.12.2012 ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Gebührenstreitwert für den Rechtsstreit in beiden Instanzen wird auf € 11.960,10 festgesetzt.
Gründe
1

Die Berufung der Klägerin wird gemäß § 522 II S.1 ZPO durch einstimmigen Senatsbeschluss zurückgewiesen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordert. Auch eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
2

I.

Von der ergänzenden Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils sowie der Darstellung verändernden bzw. ergänzenden Parteivortrags (entsprechend § 540 I Ziff.1 ZPO) wird in entsprechender Anwendung der §§ 540 II, 313 a I S.1 ZPO abgesehen. Denn der Senat hat die Revision nicht zugelassen (s.u.); die Beschwer der Klägerin übersteigt € 20.000,- nicht, so dass ein Rechtsmittel gegen den Zurückweisungsbeschluss unzweifelhaft nicht zulässig ist, §§ 522 III, 544 ZPO, 26 Ziff.8 EGZPO.
3

II.

Die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts ist zulässig. Auch die Klage ist zulässig; insbesondere liegt im Hinblick auf die steuerliche Situation (Klageschrift S.21, Bl.23 d.A.) dem Feststellungsantrag ein entsprechendes Interesse (§ 256 I ZPO) zu Grunde.
4

III.

1.

Der Beschluss vom 13.8.2013 (Bl.372 ff d.A.), in dem gemäß § 522 II S.2 ZPO Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, ist der Klägerin am 19.8.2013 zugestellt worden (EB Bl.386 d.A.).
5

2.

Der Senat nimmt zur Begründung seiner Entscheidung Bezug auf den vorgenannten Beschluss, mit dem das Bestehen bzw. die Durchsetzbarkeit eines an die Klägerin abgetretenen Anspruchs des Zeugen Z1 gegen den Beklagten wegen einer Verletzung vertraglicher Pflichten (§ 281 I BGB) verneint worden ist. Der mit Schriftsatz vom 9.9.2013 gehaltene Vortrag der Klägerin gibt keinen Grund für eine veränderte Bewertung durch den Senat.
6

2.1

So können die im Schriftsatz der Klägerin vom 9.9.2013 vorgebrachten Einwände gegen die Auffassung des Senats zur materiellen Rechtslage nicht durchdringen.
7

a)

Das Landgericht hat seine Entscheidung dahingehend begründet, es könne weder ein Beratungsvertrag noch eine Beratungspflichtverletzung festgestellt werden. Stark zusammengefasst hat der Senat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt, es sei eine Anlagevermittlung zu Grunde zu legen, die allerdings ebenfalls zu einer Haftung des Beklagten führen könne. Soweit ein solches Rechtsverhältnis zur Auskunftserteilung verpflichte, habe der Beklagte seinen Auskunftspflichten aber durch die Übergabe des Anlageprospekts genügt. Hinsichtlich des Vorwurfs der Klägerin, der Beklagte habe weitergehend unzutreffende oder irreführende Angaben gemacht, liege jedenfalls Verjährung etwaiger Ersatzansprüche vor.
8

b)

An der Bewertung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Zeugen und dem Beklagten als Anlagevermittlung (§ 2 III Ziff.4 WpHG) betreffend den Medienfonds ist festzuhalten. Wenn man den unstreitig dem gegenseitigen Kennenlernen dienenden ersten Kontakt unberücksichtigt lässt, kam es nach einer telefonischen Vereinbarung am 18.12.2002 zu einem Treffen in den Räumlichkeiten des Beklagten. Anlässlich dieses Treffens zeichnete der Zeuge Z1 den – vorliegend nicht relevanten – Schiffsfonds sowie den streitbefangenen Medienfonds. Betreffend den letztgenannten Fonds stellte der Beklagte nicht etwa verschiedene vergleichbare Anlageprodukte vor und erläuterte deren Vor- und Nachteile sowie deren Eignung für die persönlichen Anlageziele des Zeugen Z1. Vielmehr ging der Beklagte nach der Aussage des Zeugen innerhalb einer halben Stunde den Fondsprospekt in Auszügen mit dem Zeugen durch. Dies lässt im Wesentlichen eine dem Prospektinhalt entsprechende Informationsvermittlung erkennen, reicht aber nicht aus, um das Zustandekommen eines Beratungsvertrags durch schlüssiges Verhalten annehmen zu lassen. Der – im Übrigen thematisch jedenfalls nicht gänzlich unerfahrene – Zeuge Z1 hat weitergehend bekundet, er sei „nicht ausführlich genug“ beraten worden, insbesondere zu den steuerlichen Fragen sei überhaupt keine Beratung erfolgt. Tatsächlich beschränken sich die von dem Zeugen wiedergegebenen beratenden bzw. wertenden Äußerungen des Beklagten auf die Mitteilung, „er habe einen Medienfonds, der im Gegensatz zu anderen Medienfonds“ vorbehaltlich des Finanzierungsrisikos „sicher wäre“. Einer solche Mitteilung kann aus Empfängersicht beratender oder schlicht anpreisender Charakter zugemessen werden. Lässt sie sich, wie vorliegend, nicht in einen Kontext mit anderen dem Beratungsbereich zuzuordnenden Äußerungen stellen, kann sie die Annahme eines schlüssig abgeschlossenen Beratungsvertrags nicht tragen.
9

Der Klägerin ist durchaus einzuräumen (Schriftsatz der Klägerin vom 9.9.2013, S.4 f, Bl. 399 f d.A.), dass das Durchgehen des Prospekts als solches der Annahme eines Beratungsvertrags nicht entgegensteht. Da, wie gleichermaßen von der Klägerin gesehen, die Verschaffung eines dem Prospektinhalt entsprechenden Kenntnisstands auch Gegenstand eines Auskunftsvertrags sein kann, lässt sich aus ihr aber nicht auf ein Beratungsverhältnis schließen. Soll jedoch die Verletzung eines Beratungsvertrages angenommen werden, sind dessen Abschlussvoraussetzungen von der Klägerin darzulegen und zu beweisen. Dazu reicht das Durchgehen des Prospektinhalts auch dann nicht aus, wenn es mit dem Hinweis auf die relative Sicherheit der Anlage verbunden wird. Vor diesem Hintergrund ist es in dem vorliegenden Zusammenhang auch ohne Bedeutung, in welchem Umfang der Prospekt durchgegangen wurde (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.4, Bl.399 d.A.).
10

Soweit die Klägerin darauf hinweist, aus der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen Z1 ergebe sich nicht, dass der Zeuge vor Wahrnehmung des Termins vom 18.12.2002 die Entscheidung zur Anlage in den Medienfonds bereits getroffen habe (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.5 ff, Bl.400 ff d.A.), mag dies möglich sein, zwingt aber nicht zur nochmaligen Vernehmung des Zeugen. Denn angesichts der Beschränkung des Gesprächs auf gerade den streitbefangenen Medienfonds (sowie den Schiffsfonds) und dem Unterbleiben alternativer Anlageempfehlungen ließe sich eine Anlageberatung durch den Beklagten auch dann nicht annehmen, wenn der Zeuge zur Zeichnung des Medienfonds noch nicht vorab entschlossen gewesen wäre.
11

Für die Annahme eines Beratungsvertrags spricht es auch nicht, dass der Beklagte nach der Aussage des Zeugen Z1 selbst davon ausging, an sich zur Vermittlung des gesamten Prospektinhalts verpflichtet zu sein (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.7, Bl.402 d.A.) und dies dem Zeugen mitteilte. Zwar mag der Umfang der sich nach der Rechtsprechung aus einem Auskunftsvertrag ergebenden Pflichten mit einer gemeinsamen Sichtung des vollständigen Prospektinhalts überschritten sein. Es besteht aber bereits kein Anhaltspunkt für die Annahme, der Zeuge Z1, habe als Laie an die Mitteilung des Beklagten ein bestimmtes Verständnis der gemeinsamen Rechtsbeziehung geknüpft (Empfängerhorizont, siehe auch Schriftsatz der Klägerin vom 17.8.2012, S.3, Ziff.1.1.3; Bl.236 d.A.).
12

c)

Der Beklagte genügte seinen Informationspflichten unabhängig von dem Umfang der mit dem Zeugen Z1 durchgeführten Besprechung des Prospektinhalts. Denn er hatte dem Zeugen den Anlageprospekt in der Weise übergeben, dass am 18.12.2002 mit dessen inhaltlicher Kenntnisnahme zu rechnen war. Die Klägerin räumt die Überlassung des Anlageprospekts ein (zuletzt Schriftsatz vom 9.9.2013, S.8, Bl.403 d.A.). Da der Zeuge Z1 und der Beklagte vor dem 18.12.2002 nur am 1.10.2002 zusammengetroffen waren und der Beklagte keine Prospekte übersandt hatte, muss dem Zeugen der Prospekt am 1.10.2002 übergeben worden sein. Dem Zeugen stand damit bis zum 18.12.2002 aus Sicht des Beklagten hinlänglich Zeit zur Verfügung, den Prospektinhalt zur Kenntnis zu nehmen. Soweit die Klägerin darauf hinweist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne eine Prospektübergabe den Informationspflichten nur genügen, wenn diese im Rahmen eines „Vertragsanbahnungsgeprächs“ erfolge (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.9 f, Bl.404 f d.A.), das am 1.10.2002 anlässlich des ersten unverbindlichen Kontakts nicht stattgefunden habe, greift die von ihr vertretene Auffassung zu kurz. Zwar trifft es zu, dass der Bundesgerichtshof den Terminus des Vertragsanbahnungsgesprächs im vorliegenden Zusammenhang verwendet (z.B. BGH, WM 2009, 739 [BGH 05.03.2009 – III ZR 17/08]). Maßgeblich sind aber nicht derartige Begrifflichkeiten, sondern die Frage, ob Prospektübergabe und spätere Investition in einem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang stehen, der es aus Sicht des Anlagevermittlers bei verständiger Würdigung gestattet, dessen Informationspflichten wegen der Prospektübergabe als erfüllt anzusehen. Ein solcher Zusammenhang lag vor. Das Treffen am 18.12.2002 knüpfte zeitlich an den ca. 2 1/2 Monate früher liegenden Erstkontakt an und betraf gerade die Vermögensanlage, wegen der man sich am 1.10.2002 getroffen hatte. Der Beklagte durfte davon ausgehen, der Zeuge sei über das Fondsprodukt im Umfang des Prospektinhalts informiert, zumal der Zeuge nach eigenem Bekunden am 1.10.2012 zugesagt hatte, die überlassenen Unterlagen durchzusehen.
13

d)

Soweit der Beklagte dem Kläger gegenüber unwahre bzw. irreführende Angaben gemacht haben soll (Beschluss vom 13.8.2013, S.5, Bl.376 d.A.), hält der Senat ebenfalls an seiner Auffassung fest.
14

Da der evtl. zu ersetzende Schaden im Wesentlichen mit Investition des Anlagebetrags vorlag und auch die Vermögensnachteile aus einer Nichterzielelung der Steuervorteile auf der Hand lagen, kommt es hinsichtlich der nach § 199 I Ziff.2 BGB für den Verjährungslauf maßgeblichen subjektiven Voraussetzungen maßgeblich darauf an, wann der Zeuge Z1 erkannte, von dem Beklagten bei Wahrunterstellung des Klägervortrags im Übrigen unzutreffend informiert worden zu sein.
15

Diese Kenntnis lag spätestens mit Ablauf des Jahres 2008 vor.
16

Soweit die Klägerin dem Beklagten vorwirft, er habe unter Verweis auf einen „lebenslangen Gegenwert“ suggeriert, es handele sich um eine sichere Anlage (z.B. Klageschrift S.12, Bl.14 d.A.), aus der „lebenslang Erträge generiert werden könnten“ ist entscheidend, wann dem Zeugen bekannt war, dass eine solche Aussage unzutreffend war.
17

Bereits das Ausbleiben jeglicher Gewinnausschüttungen zeigte bis zum Ende des Jahres 2008 auch aus Laiensicht auf, dass gerade keine Erträge erwirtschaftet wurden und eine solche vorbehaltlose Aussage nicht zutreffend sein konnte. Damit lag positive Kenntnis über das Bestehen eines Aufklärungsfehlers vor, die sich durch die Insolvenz der Muttergesellschaft, über die der Zeuge Z1 jedenfalls durch das Schreiben des Beklagten vom 27.4.2007 (Bl.140 ff d.A.) informiert worden war, weiter verdichtet hatte. Ob der Zeuge eine Gefährdung der Fondsgesellschaften durch die Insolvenz der Mutter aufgrund der weiteren Korrespondenz „ad acta“ legen durfte, spielt keine Rolle (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.11, Bl.406 d.A.). Keiner konkreten Angabe bedarf auch der konkrete Zeitpunkt, ab dem aus Sicht des Zeugen die Erkenntnis zwingend war, dass von „lebenslangen Erträgen“ nicht die Rede sein konnte (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.13, Bl.408 d.A.). Denn in jedem Fall war dieser Zeitpunkt 6 Jahre nach der Investition erreicht.
18

Positive Kenntnis des Zeugen betreffend das Bestehen eines Aufklärungsfehlers lag im Jahre 2008 auch vor, soweit der Beklagte vorbehaltlos die volle steuerliche Absetzbarkeit der Investition in Aussicht gestellt haben soll. Denn dem Zeugen war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass eine steuerliche Anerkennung nicht gesichert war. Dabei bedarf es keiner Erörterung, ob es der Klägerin prozessrechtlich möglich ist, eine Kenntnis der Anlegerinformation vom 22.10.2008 (Bl.228ff d.A.) in der Berufungsinstanz zu bestreiten (Schriftsatz vom 9.9.2013, S. 12, Bl.407 d.A.). Denn der Beklagte hat in der Klageerwiderung nicht nur auf diese Bezug genommen, sondern auch vorgetragen: “….Die X-Gruppe versandte in diesem Jahr (Anm.: 2008) umfangreiche Informationsschreiben an alle Anleger….“, deren Inhalt dem Internetauftritt entsprochen habe (Klageerwiderung S.34, Bl.224 d.A.). Den Erhalt eines solchen Informationsschreibens durch den Zeugen Z1 hat die Klägerin weder in erster Instanz bestritten, noch bestreitet sie ihn in ihrem Schriftsatz vom 9.9.2013. Aus einem solchen Schreiben war zu erkennen, dass die steuerliche Anerkennung von Verlustzuweisungen unsicher und eine gegenteilige vorbehaltlose Auskunft des Beklagten unzutreffend war. Soweit die Klägerin den damaligen Kenntnisstand nicht für ausreichend hält und der Auffassung ist (Schriftsatz vom 9.9.2013, S.12, Bl.407 d.A.), man habe im Jahre 2007 auf Steueraspekte eine Feststellungsklage in Ermangelung von Anhaltspunkten für einen Schaden nicht stützen können, kann dem nicht gefolgt werden. Denn ein potentieller Steuerschaden hätte sich durchaus darstellen lassen. Nur am Rande sei angemerkt, dass die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 9.9.2013 (S.13, Bl.408 d.A.) darlegt, die Steuerfrage sei bis heute nicht geklärt – aber in die vorliegende Klage selbst einen Feststellungsantrag (Klageschrift S.21, Bl.23 d.A.) eingebunden hat. Dieser ist im Übrigen auch deshalb problematisch, weil der Zeuge Z1 bei Hinwegdenken der Fondsanlage und Belassen des Geldes auf dem Tagesgeldkonto (Klageschrift S.19f, Bl.21f d.A.) auch keine Steuervorteile erzielt hätte.
19

Letztlich scheitert die Klage auch, soweit dem Beklagten ein Aufklärungsfehler hinsichtlich der Durchführung der einzelnen Filmprojekte vorgeworfen wird. Nach dem Vortrag der Klägerin teilte der Beklagte dem Zeugen Z1 mit, „die Filme, die ….. gedreht werden, stünden schon fest, es müsse lediglich ´das Geld eingesammelt werden´ (Klageschrift S.7, Bl.9 d.A.). Nimmt man diese Auskunft wörtlich, liegt bereits keine Fehlinformation vor. Wenn man aber eine solche Aussage weitergehend dahin zu verstehen haben sollte, es sei mit der weitgehend gesicherten und zeitnahen Herstellung der geplanten Projekte zu rechnen, wusste der Zeuge Z1 aus dem Scheiben vom 27.11.2003 (Bl.127ff d.A.), dass hinsichtlich der Projekte „A“ und „B“ Planungsänderungen sowie zeitliche Verschiebungen erforderlich waren und die Aussage falsch war, zumal das Projekt „A“ ausweislich des Schreibens der C AG vom 22.7.2006 (Bl.132f d.A.) auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen worden war.
20

2.2

Der Senat sieht sich auch nicht gehindert, nach § 522 II ZPO durch Beschluss zu entscheiden.
21

a)

Das Fehlen von Erfolgsaussichten der Berufung ist als im Sinne von § 522 II Ziff.1 ZPO offensichtlich zu bewerten. Dies ist der Fall, da für jeden Sachkundigen klar erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können. Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung auf den nicht ganz geringfügigen Umfang des Hinweisbeschlusses vom 13.8.2013 Bezug nimmt, kann ihr nicht gefolgt werden. Offensichtlichkeit setzt nämlich nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit ´auf der Hand liegt´; sie kann auch das Ergebnis vorangegangener gründlicher Prüfung sein (BT-Drucksache 17/6406, S. 9; BVerfGE 82, 316 [BVerfG 18.09.1990 – 2 BvE 2/90]).
22

b)

Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht im Sinne von § 522 II Ziff.4 ZPO geboten. Der gesetzlichen Regelung liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zu Grunde, mit einer mündlichen Verhandlung dem Gebot prozessualer Fairness in den Fällen zu entsprechen, in denen die Rechtssache für den Berufungsführer von existentieller Bedeutung ist oder in denen das erstinstanzliche Urteil zwar im Ergebnis richtig, aber in der Begründung korrekturbedürftig ist (BT-Drucksache 17/6406, S.9). Eine existenzielle Bedeutung der Rechtssache für die Klägerin ist angesichts des Streitwerts sicher zu verneinen. Soweit der Senat in der Begründung der Berufungszurückweisung von der des erstinstanzlichen Urteils abweicht, zwingt dies nicht ´automatisch´ zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Diese ist vielmehr nur in den Fällen geboten, in denen bei Veränderung der entscheidungstragenden Erwägungen die Durchführung des schriftlichen Hinweisverfahrens das Fairnessgebot verletzen würde. Dies wiederum wäre anzunehmen, wenn die veränderte rechtliche Würdigung nicht angemessen im schriftlichen Verfahren erörtert werden könnte (OLG Koblenz, VersR 2013, 44 [OLG Koblenz 27.02.2012 – 10 U 556/11]), was vorliegend nicht ersichtlich ist.
23

c)

Der Senat sieht sich an einer Entscheidung durch Beschluss nach § 522 II ZPO letztlich nicht durch das Fehlen einer Berufungserwiderung gehindert (OLG Celle, OLGR 2003, 359; a.A. OLG Koblenz, NJW 2003, 2100). Die gesetzliche Vorschrift bestimmt den Zeitpunkt der Zurückweisungsentscheidung bzw. einen konkreten Verfahrensstand nicht. Auch der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art.103 I GG) oder das Gebot des fairen Verfahrens (Art. 20 III GG, Art.6 I EMRK) erzwingen es nicht, vor der Beschlussfassung nach § 522 II ZPO eine Erwiderung des Berufungsbeklagten einzuholen und zur Kenntnis zu nehmen. Denn zum einen wird nicht zu dessen Lasten entschieden. Zum anderen gewährt keiner der beiden Grundsätze dem Berufungsführer das prozessuale Recht, etwaigen Vortrag des Verfahrensgegners zum eigenen Vorteil nutzen zu können. Auch der Blick auf § 278 I ZPO gebietet es dem Berufungsgericht nicht, vor einer Rechtsmittelzurückweisung oder gar dem Erlass des Hinweisbeschlusses die Stellungnahme des Gegners abzuwarten, um auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits hinzuwirken. Denn abgesehen davon, dass es sich bei § 278 I ZPO um eine Sollvorschrift handelt, die dem Gericht die Verfahrensgestaltung nicht aus der Hand nimmt, erschließt es sich nicht, welche Einigung der Parteien angesichts eines nach Auffassung des Berufungsgerichts unbegründeten Rechtsmittels seriös vermittelt werden sollte.
24

d)

Letztlich steht der Umstand, dass die konkrete Anwendung des § 522 II ZPO unter den Oberlandesgerichten nicht einheitlich gehandhabt wird, einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nicht entgegen. Zwar sind unterschiedliche Rechtsauffassungen verschiedener Oberlandesgerichte grundsätzlich geeignet, einen Anwendungsfall des § 522 II Ziff.2 ZPO oder des § 522 II Ziff.3 ZPO annehmen zu lassen. Anderes hat aber zu gelten, wenn sich die Rechtsprechungsdifferenzen auf gerade § 522 II ZPO beziehen. Dies folgt aus der Regelungssystematik der §§ 522 II Ziff.2,3; 543 II ZPO, die zu einer einschränkenden Auslegung des § 522 II Ziff.2,3 ZPO zwingt: Die Vorschrift entspricht der in § 543 II ZPO getroffenen Regelung und soll sicherstellen, dass in den genannten Fällen durch Urteil entschieden sowie die Revision zugelassen wird. Diese Zielsetzung hat sich auch nach der durch Gesetz vom 21.10.2011 mit Wirkung zum 27.10.2011 erfolgten Neufassung des § 522 III ZPO (Bundesgesetzblatt 2011, Teil I, Nr.53) nicht geändert. Zwar ist der Zurückweisungsbeschluss nunmehr wie ein Urteil angreifbar. Nach wie vor ist die Zulassung der Revision nach der unverändert gebliebenen Vorschrift des § 543 I Ziff.1 ZPO aber nur durch Urteil möglich. Wäre also ein Zulassungsgrund im Hinblick auf den Gehalt des § 522 II ZPO anzunehmen, müsste durch Urteil entschieden werden. Da es in diesem Fall auf Fragen des § 522 II ZPO aber nicht mehr ankäme, hätte sich damit der Grund zur Revisionszulassung wieder aufgelöst. Einem solchen Zirkel lässt sich nur dadurch entgehen, dass Fragen aus dem Bereich des § 522 II ZPO aus der Anwendung des § 522 II Ziff.2,3 ZPO – und damit auch des § 543 II ZPO – herausgenommen werden.
25

3.

Da ihr Rechtsmittel ohne Erfolg ist, hat die Klägerin nach § 97 I ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
26

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des landgerichtlichen Urteils folgt aus § 708 Ziff. 10 S.2 ZPO.
27

4.

Die Entscheidung zum Gebührenstreitwert beruht auf §§ 47 I S.1, 63 II S.1, 63 III, S.1, Ziff.2 GKG. Sie bezieht sich auf beide Instanzen, da in erster Instanz eine Streitwertfestsetzung nicht erfolgt ist. Der Senat bewertet den Feststellungsantrag in Anwendung des § 3 ZPO mit € 1.000,-. Der Antrag auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten erhöht den Streitwert nicht (§ 4 I S.2 ZPO, BGH, NJW 2007, 3289).
28

5.

Die Zulassung der Revision kommt nach dem oben Gesagten nicht in Betracht.

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