OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.02.2014 – 19 U 96/13

Juni 3, 2020

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.02.2014 – 19 U 96/13

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28. März 2013 verkündete Teilurteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten der Berufung zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.
Gründe

I.

Die Klägerin begehrt als Testamentsvollstreckerin für den Nachlass des Herrn A von den Beklagten im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über den Bestand des Nachlasses der Frau B und erbrechtlich relevante Zuwendungen. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 190 – 192 d.A.).

Das Landgericht hat mit Teilurteil vom 28.03.2013 dem im Wege der Stufenklage geltend gemachten Auskunftsanspruch stattgegeben (Bl. 189 bis 196 d.A.).

Die Beklagten haben gegen das ihnen am 05.04.2013 (Bl. 199 d.A.)zugestellte Urteil am 30.04.2013 Berufung eingelegt (Bl. 200 d.A.)und dieses Rechtsmittel am 29.05.2013 begründet (Bl. 205 ff.d.A.).

Die Beklagten verfolgen mit der Berufung ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie sind der Ansicht, dass die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Testamentsvollstreckerin nicht aktivlegitimiert sei und auch nicht prozessführungsbefugt. Sie begründen dies damit, dass die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs kein der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegendes Recht im Sinne des § 2212BGB sei. Der Pflichtteilsanspruch habe einen höchstpersönlichen Charakter. Diesem höchstpersönlichen Charakter würde § 852 Abs. 1ZPO Rechnung tragen, der vorsieht, dass ein Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur unterworfen sei, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden sei, mitunter keine Zweifel mehr bestehen würden, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch beanspruchen möchte. Ähnliche Regelungen fänden sich im Insolvenzrecht.

Der Erblasser habe die Klägerin jedoch nicht zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ermächtigt und der Klägerin stehe auch keine Prozessführungsbefugnis aus § 2039 BGB zu. Der Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB könne nur geltend gemacht werden,wenn auch der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht werden könne.

Im Weiteren greift die Berufung die erstinstanzliche Beweiswürdigung an und ist der Ansicht, dass die Beweisaufnahme ergeben habe, dass der Erblasser, A, zu Lebzeiten auf die Geltendmachung seines Pflichtteilsrechts nach dem Tode der Mutter verzichtet habe.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht der Stufenklage in der ersten Stufe stattgegeben. Der Klägerin steht aus den §§ 2212, 2205, 2314 BGBein Auskunftsanspruch gegen die Beklagten zu.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

1.

Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass der Pflichtteilsanspruch als Geldsummenanspruch ein der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegendes Recht i.S.v. § 2205 BGBist.

Grundsätzlich ist zwischen dem Pflichtteilsrecht, welches schon zu Lebzeiten des Erblassers ein Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Pflichtteilsberechtigten begründet, und dem Pflichtteilsanspruch zu unterscheiden (Münchener Kommentar/Lange,BGB, 6. Aufl., § 2317 BGB, Rn. 1).

Der Pflichtteilsanspruch stellt seiner Rechtsnatur nach eine Geldforderung in Form eines Geldsummenanspruchs dar. Er ist Nachlassverbindlichkeit im Sinne des § 1967 Abs. 2 BGB, und da es sich bei dem Pflichtteilsanspruch um eine Geldforderung handelt,gelten für ihn die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts (Münchener Kommentar/Lange, a.a.O.; jurisPK/Birkenheier, BGB, 6.Aufl., § 2317 Rn. 12ff.; BGH, Urt. v. 14.07.1952, IV ZR 74/52,zitiert nach juris).

Der Pflichtteilsanspruch ist auch vererblich und übertragbar (§2317 Abs. 2 BGB).

Entgegen der Ansicht der Berufung ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht, dass der Pflichtteilsanspruch nur von dem Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht werden kann. Dem steht die bereits genannte Regelung in § 2317 BGB entgegen.

Auch die Systematik des Gesetzes spricht nicht dafür, dass der Pflichtteilsanspruch nur von dem Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht werden kann.

Denn wenn ein Recht nur vom Berechtigten geltend gemacht werden kann, ist dies ausdrücklich geregelt, wie zum Beispiel für die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft nach den §§ 1942ff. BGB.

Dass eine entsprechende Regelung nicht für den Pflichtteil gewählt wurde, obwohl dieser Erbersatzfunktion hat, spricht dagegen, dass der Pflichtteilsanspruch nur von dem Berechtigten geltend gemacht werden kann.

Aber auch aus Sinn und Zweck des Pflichtteilsanspruchs und weiteren gesetzlichen Normen ergibt sich nicht, dass der Pflichtteilsanspruch nur von dem Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht werden kann.

Zwar sieht § 852 Abs. 1 ZPO vor, dass der Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur unterworfen ist, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist; es bleibt also dem Pflichtteilsberechtigten vorbehalten, über die Geltendmachung des Anspruchs zu entscheiden. Auch im Insolvenzrecht erhält die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten einen besonderen Schutz, indem der Pflichtteilsanspruch während der Wohlverhaltensphase nicht geltend gemacht werden muss (vgl. dazu Staudinger/Haas, BGB, 2006, § 2317 Rn. 58a).

Daraus kann jedoch entgegen der Annahme der Berufung nicht hergeleitet werden, dass der Pflichtteilsanspruch nur von dem Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht werden kann. Denn die oben genannten Einschränkungen betreffen jeweils Vollstreckungssituationen, in denen es dem Pflichtteilsberechtigten aus Gründen der familiären Verbundenheit überlassen bleiben soll,zu entscheiden, ob seine Gläubiger den Pflichtteilsanspruch gegenüber den Erben geltend machen sollen (BGH, Beschl. v.26.02.2009, VII ZB 30/08, zitiert nach juris). Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei die familiäre Verbundenheit, da der Pflichtteilsberechtigte als gesetzlicher Erbe der ersten Ordnung (§§ 2303 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB) mit den weiteren Erben, in der Regel seinen Geschwistern, eng verbunden ist.

Diese Regelungen haben jedoch einen Ausnahmecharakter. In diese Richtung geht die Begründung, mit der der Bundesgerichtshof die Vorpfändung des Pflichtteilsanspruchs als zulässig angesehen hat (vgl. dazu BGH, Urt. v. 08.07.1993, IX ZR 116/92, zitiert nach juris). Auch in den Fällen des sog. Behindertentestaments kann aufgrund der Regelung in § 93 Abs. 1 SBG XII der Pflichtteilsanspruch auf den Sozialhilfeträger übergeleitet werden (vgl. dazu BGH, Urt. v. 08.12.2004, IV ZR 223/03 zu § 90 Abs. 1BSHG a.F., zit. nach juris).

In dem vorliegenden Fall kommt auch eine analoge Anwendung des Rechtsgedankens des § 852 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Denn es ist keine analogiefähige Situation gegeben. Der Grund dafür, dass nur der Pflichtteilsberechtigte über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs entscheiden soll, liegt in seiner familiären Verbundenheit mit den Erben. Diese ist nicht mehr gegeben, wenn der Pflichtteilsberechtigte verstorben ist.

2.

Bereits aus den erstinstanzlich festgestellten Tatsachen (§ 529ZPO) ergibt sich kein Verzicht des Erblassers auf sein Pflichtteilsrecht.

Denn der Beklagte zu 2) hat bekundet, dass der Erblasser ihm gegenüber erklärt habe, dass er den Pflichtteilsanspruch nur geltend machen wolle, wenn er in wirtschaftliche Not gerate. Mithin hat er allenfalls ein „Stillhalteabkommen“ geäußert,jedoch auf den Pflichtteilsanspruch dem Grunde nach gerade nicht verzichtet.

Da bereits die Beklagten mithin einen Verzicht nicht bewiesen haben, kommt es auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der gegenbeweislich benannten Zeugen nicht mehr an.

Im Übrigen enthalten aber auch die Angriffe der Berufung gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts keine Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der festgestellten Tatsachen begründen würden (§ 529 ZPO).

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§§ 97 Abs. 1, 100Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen. Die Frage, ob der Testamentsvollstrecker berechtigt ist, einen Pflichtteilsanspruch des Erblassers geltend zu machen, ist von grundsätzlicher Bedeutung und bisher obergerichtlich nicht geklärt (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

cemetery with bare trees

Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22

April 18, 2024
Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22Zusammenfassun…
paragraph, a book, law

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23

April 18, 2024
Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 232…
paragraph, gold, law

Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23

April 18, 2024
Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23Inhaltsverzeichnis:…