OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2015 – 15 W 138/15 Auslegung eines Testaments, gegenständlich beschränkte Nacherbschaft

Juni 14, 2018

OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2015 – 15 W 138/15

Auslegung eines Testaments, gegenständlich beschränkte Nacherbschaft

(AG Iserlohn, Beschl. v. 05.03.2015 – 8 VI 675/14)

Gründe:

I.

Die am […].2014 verstorbene Erblasserin war verheiratet mit F L, der am […].1993 vorverstorben war. Aus ihrer Ehe ist die Tochter I1 hervorgegangen, die am […].2014 nachverstorben ist. Der Beteiligte ist der Ehemann der Tochter, also der Schwiegersohn der Erblasserin. Am 01.02.2004 errichtete die Erblasserin ein privatschriftlich geschriebenes und unterschriebenes Testament, das folgende letztwillige Verfügungen enthält:

„Im Falle meines Todes sollen meine Tochter I1 G und mein Schwiegersohn G die gemeinsamen alleinigen Erben meines Hauses und Grundstückes in I sowie meines gesamten Privatvermögens sein. Nach dem Tode des Letztversterbenden der beiden Vorgenannten bestimme ich hiermit, dass mein Neffe U der alleinige Erbe des Hauses und Grundstückes B sein soll.”

Der Beteiligte beantragte am 03.12.2014 zur Niederschrift des Notars L (UR-Nr. …/2014) die Erteilung eines „gemeinschaftlichen Erbscheins”.

Mit Beschl. v. 05.03.2015 hat das AG „die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet” und noch am selben Tag einen Erbschein erteilt, mit folgendem Inhalt: „Alleinerbe der am … verstorbenen L … ist: G, geboren am … wohnhaft: … Hinsichtlich des Hausgrundstücks B in I ist Vor- und Nacherbschaft angeordnet. Vorerbe ist G … Nacherbe ist U …”

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beteiligten v. 09.03.2015, mit der er beantragt, dass die Erblasserin von ihrer Tochter und ihm zu je ½ Anteil beerbt worden ist. Das AG half der Beschwerde nicht ab mit der Begründung, dass die Tochter der Erblasserin diese nicht beerbt haben könne, weil sie vor der Erblasserin verstorben sei.

  1. Da der Erbschein bereits erteilt ist, ist die Beschwerde nur noch mit dem Ziel der Einziehung des Erbscheins zulässig, § 352 Abs. 3 FamFG.

Die Beschwerde ist auch begründet, und zwar schon deshalb, weil das Nachlassgericht einen Erbschein abweichend vom Antrag des Beteiligten erteilt hat. Das Nachlassgericht darf keinen Erbschein ohne Antrag oder mit einem anderen als dem beantragten Inhalt erteilen (BayObLGZ 1965, 457 (464); NJW-RR 2003, 297 = FamRZ 2003, 85; OLG Köln, FGPrax 2010, 89; Keidel/Zimmermann, 18. Aufl., § 352 Rn. 106, 133). Das Gericht muss allerdings dem Antragsteller, wenn der Erbschein mit dem beantragten Inhalt nicht erteilt werden kann, unter Hinweis auf die Rechtslage Gelegenheit zu einer Änderung des Antrags geben, wenn ein solcher nach Sachlage in Betracht kommt. Diese Pflicht des Gerichts ergibt sich aus § 28 FamFG.

Zwar ist der Erbscheinsantrag in der notariellen Verhandlung v. 03.12.2014 nicht mit abschließender Deutlichkeit formuliert worden. Aus dem Zusammenhang der Begründung wird aber jedenfalls hinreichend klar, dass die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt werden sollte, in dem der Antragsteller sowie seine nachverstorbene Ehefrau auf der Grundlage des Testaments v. 01.02.2004 als Miterben (der Sache nach zu Quoten von jeweils 1/2) ausgewiesen werden sollte. Einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist, hat der Beteiligte zu keinem Zeitpunkt beantragt. Der Senat kann nicht verstehen, warum das AG der Beschwerde des Beteiligten, in der dieser Punkt ausdrücklich gerügt wird, nicht selbst abgeholfen hat (§ 68 Abs. 1 FamFG).

Der Senat musste deshalb anstelle des Amtsgerichts die Einziehung des erteilten Erbscheins gem. § 2361 BGB anordnen. Demgegenüber kann der Senat über den Antrag des Beteiligten auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, dessen Inhalt er mit seiner Beschwerde lediglich klargestellt hat, sachlich nicht entscheiden. Denn über diesen Antrag hat das AG selbst noch keine Sachentscheidung getroffen, die als Verfahrensgegenstand dem Beschwerdegericht zur sachlichen Überprüfung anfallen könnte.

Der Senat beschränkt sich deshalb insoweit auf folgende nicht bindende Hinweise:

III. Die Erblasserin hat in ihrem privatschriftlichen Testament v. 01.02.2004 die Zuwendung an den Neffen X gegenständlich auf das dort genannte Grundstück beschränkt. Nach dem gegenwärtigen Sachstand spricht nichts dafür, dass sie mit dieser Formulierung den gesamten Nachlass erfassen wollte, zumal sie in dem vorangehenden Absatz als Gegenstand der Erbeinsetzung des Beteiligten und seiner Ehefrau neben dem genannten Grundstück ausdrücklich auch ihr „gesamtes Privatvermögen” erwähnt hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Tochter und der Schwiegersohn hinsichtlich des sonstigen Vermögens, bspw. also Barvermögens, Beschränkungen zugunsten des Neffen unterliegen, insbes. also bei Annahme einer den Gesamtnachlass erfassenden Nacherbfolge diese Vermögenswerte nicht für sich sollten verbrauchen dürfen, sondern sich auf die Nutzung von Erträgen sollten beschränkten müssen (vgl. § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB), sind derzeit nicht erkennbar.

Für die Auslegung der Verfügung der Erblasserin stellt sich auf dieser Grundlage die Frage, wie die von ihr gegenständlich gedachte Zuwendung an den Neffen im Rahmen der möglichen erbrechtlichen Gestaltungsformen zu erfassen ist. Insoweit kommen folgende Möglichkeiten in Betracht:

1) Denkbar ist die Anordnung einer Nacherbfolge. Dabei scheidet allerdings – wie die Beschwerde zu Recht hervorhebt – eine gegenständlich beschränkte Nacherbfolge in das Grundstück wegen des Grundsatzes der Gesamtrechtsnachfolge aus. Die Voraussetzungen der davon allein anerkannten Ausnahme der dinglichen Wirkung (§ 2110 Abs. 2 BGB) des dem alleinigen Vorerben zugewandten Vorausvermächtnisses (BGH, NJW 1960, 959 [BGH 10.02.1960 – V ZR 39/58]), liegen hier nicht vor. Möglich wäre indessen eine Beschränkung der Nach erbfolge jeweils auf einen Bruchteil der Erbeinsetzung des Beteiligten und seiner Ehefrau. Auch bei einem und demselben Erben ist die Aufteilung des Nachlasses in Bruchteile in der Weise möglich, dass teilweise Vor- und Nacherbschaft, teilweise Vollerbschaft angeordnet ist (vgl. BayObLG, NJW-RR 2003, 297 [BayObLG 25.11.2002 – 1 Z BR 93/02] m.w.N.). Die Bestimmung der Bruchteile könnte dann an dem Wertverhältnis der Vermögenswerte orientiert werden, die dem Beteiligten bzw. seiner Ehefrau einerseits als Vorerben, andererseits als Vollerben zugedacht sind. Da der Neffe das Grundstück erst mit dem Tode des letztversterbenden Ehegatten erhalten soll, wäre für die Vorerbschaft des erstversterbenden Ehegatten zusätzlich die Annahme einer ersten Nacherbschaft durch den überlebenden Ehegatten erforderlich, die mit dessen Tod durch eine zweite Nacherbschaft des Neffen abgelöst wird. Die Annahme einer so gestalteten, teilweise gestaffelten Nacherbfolge hätte zur Folge, dass der Beteiligte als (Bruchteils-)Vorerbe hinsichtlich der Verfügung über das genannte Grundstück den Beschränkungen des § 2113 BGB unterläge, die durch Eintragung eines Nacherbenvermerks im Grundbuch gem. § 51 GBO gesichert werden müssten.

2) Alternativ kommt in Betracht, dass die Erblasserin ihre Tochter und ihren Ehemann als Vollerben hat einsetzen und ihrem Neffen die Rechtsstellung eines Vermächtnisnehmers hat zuwenden wollen, dem nach dem Tode des letztversterbenden Vollerben lediglich ein Anspruch auf Übertragung des Grundstücks zusteht (§ 2174 BGB). Es würde sich dann um ein auf den Tod des letztversterbenden Erben befristetes Vermächtnis i.S.d. § 2177 BGB handeln, das jedoch nicht zu Verfügungsbeschränkungen zu Lasten der Erben führt.

Für die abschließende Auslegung wird deshalb maßgeblich sein, ob die Erblasserin den Beteiligten und seine Ehefrau in der Verfügung über das genannte Grundstück zugunsten des Neffen binden wollte. Für diese Beurteilung können die persönlichen Verhältnisse der Beteiligten zu der Erblasserin von Bedeutung sein, zu denen bislang nichts vorgetragen ist. Das AG wird deshalb dem Beteiligten Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen, ebenso dem Neffen X U Gelegenheit geben müssen, unter diesen Gesichtspunkten erneut zu entscheiden, ob er seine Zuziehung zum Verfahren beantragen (§ 345 Abs. 1 Satz 3 FamFG) und zu der Entscheidung mit eigenem Vorbringen beitragen will.

 

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