OLG Köln, Beschluss vom 21. März 2016 – 2 Wx 76/16

August 1, 2020

OLG Köln, Beschluss vom 21. März 2016 – 2 Wx 76/16
Negativer Zuständigkeitsstreit in einer Nachlasssache: Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses
Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg.
Gründe
1.
Das Amtsgericht Leverkusen hat die Sache durch Beschluss vom 25.11.2015 formell rechtskräftig an das Amtsgerichts Schöneberg mit der Begründung abgegeben, der Erblasser sei Deutscher und habe zur Zeit des Erbfalls im Inland weder Wohnsitz noch Aufenthalt gehabt. Das Amtsgericht Schöneberg hat die Sache durch Beschluss vom 26.01.2016 formell rechtskräftig an das Amtsgericht Leverkusen mit der Begründung zurückverwiesen, dass sich Nachlassgegenstände, im vorliegenden Fall ein Konto bei der Sparkasse Leverkusen im Gerichtsbezirk des Amtsgericht Leverkusen befinden würden. Daraufhin hat das Amtsgericht Leverkusen die Sache durch Beschluss vom 03.03.2016 dem Oberlandesgericht Köln zur Entscheidung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 FamFG vorgelegt.
Das zuständige Gericht ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zu bestimmen, da ein sogenannter negativer Zuständigkeitsstreit besteht (vgl. hierzu etwa Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 5 Rn. 21 m.w.N.). Da das nächsthöhere gemeinsame Gericht der Amtsgerichte Schöneberg und Leverkusen der Bundesgerichtshof ist, hat die Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht Köln, zu dessen Bezirk das zunächst mit der Sache befasste Amtsgericht Leverkusen gehört, zu erfolgen (§ 5 Abs. 2 FamFG).
2.
Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Schöneberg.
Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 ZPO sind nicht nur allgemeine Zuständigkeitsvorschriften, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen (§ 3 Abs. 3 S. 2 FamFG) und Zuständigkeitsverfestigungen (§ 2 Abs. 2 FamFG) zu beachten. Die Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses wirkt daher auch im Bestimmungsverfahren fort, weshalb regelmäßig das Gericht als zuständig zu bestimmen ist, an das die Sache durch den ersten – bindenden – Verweisungsbeschluss gelangt ist. Dabei kommt einem Verweisungsbeschluss grundsätzlich auch dann Bindungswirkung zu, wenn er sachlich unrichtig ist oder auf Verfahrensmängeln beruht (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OLG Düsseldorf, FGPrax 2010, 213; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2013, 1354; Keidel/Sternal, a.a.O., § 5 Rdn. 45; jeweils m.w.Nachw.).
a) Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg folgt nicht bereits daraus, dass sich zunächst das Amtsgericht Leverkusen mit seinem am 25.11.2015 erlassenen Beschluss für unzuständig erklärt und die Sache dorthin verwiesen hat. Denn die in § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG angeordnete Bindungswirkung reicht nur so weit, wie das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsentscheidung getroffen hat (Keidel/Sternal, a.a.O., § 3 Rdn. 52 m.w.Nachw.). Bei seiner Verweisungsentscheidung hatte das Amtsgericht Leverkusen indes lediglich darüber zu befinden, ob seine eigene örtliche Zuständigkeit vorlag und – falls dies zu verneinen sein sollte – welches andere Gericht örtlich zuständig war. Da die Erblasserin Deutsche war und zur Zeit des Erbfalls im Inland weder Wohnsitz noch Aufenthalt hatte, hat es diese Frage zu Recht dahingehend beantwortet, dass das Amtsgericht Schöneberg zuständig ist (§ 343 Abs. 2 S. 1 FamFG a.F.). Nicht vom Prüfungsumfang umfasst war hingegen eine mögliche Befugnis des zuständigen Amtsgerichts Schöneberg, die Sache aus wichtigen Gründen an ein anderes Gericht zu verweisen (§ 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F.; ebenso KG, MDR 2014, 409 f.). Im Rahmen dieser dem Amtsgericht Schöneberg vorbehaltenen Prüfung war dieses auch nicht darauf beschränkt, die Sache gegebenenfalls an ein drittes Gericht zu verweisen. Möglich war – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – auch eine Zurückverweisung an das bereits mit der Sache befasste Amtsgericht Leverkusen.
b) Andererseits hat auch das Amtsgericht Schöneberg mit seinem Beschluss vom 26.01.2016 keine bindende Verweisung an das Amtsgericht Leverkusen ausgesprochen.
Zwar sind nach dem Willen des Gesetzgebers, der dies durch die Verwendung des Begriffs „Verweisung“ zum Ausdruck gebracht hat, auch Beschlüsse nach § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F. grundsätzlich bindend im Sinne des § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG (vgl. BT-Drucks. 16/6308, S. 277). Nach allgemeiner Ansicht kommt aber offenbar gesetzeswidrigen und offensichtlich unrichtigen Verweisungsbeschlüssen keine Bindungswirkung zu. Offensichtlich unrichtig in diesem Sinne sind Verweisungsbeschlüsse insbesondere dann, wenn sie auf objektiver Willkür beruhen, wenn sie also schlechterdings nicht als im Rahmen des Gesetzes ergangen angesehen werden können, weil sie nicht nur auf unrichtiger Rechtsanwendung beruhen, sondern jeder gesetzlichen Grundlage entbehren (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH NJW 2006, 847; KG, FamRZ 2011, 319; weitere Nachweise bei Keidel/Sternal, a.a.O., § 3 Rdn. 53 sowie zur inhaltsgleichen Regelung in § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bei Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 281 Rdn. 17). Für die Annahme von Willkür braucht sich das verweisende Gericht nicht bewusst über Tatsachen oder Rechtsnormen hinweggesetzt zu haben. Weicht es von der Gesetzeslage oder der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, dann muss es dies wenigstens gesehen und die eigene Auffassung begründet haben; fehlt es daran, ist die Verweisung willkürlich (Senat FGPrax 2014, 282, 283; KG, KGR 2000, 68). Gleiches gilt, wenn das verweisende Gericht die maßgeblichen Umstände weder prüft noch nachvollziehbar aufzeigt (Senat, aaO; OLG Düsseldorf, FGPrax 2013, 27).
aa) Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 26.01.2016 ist willkürlich und damit objektiv rechtswidrig. Denn die in § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F. normierten Voraussetzungen, unter denen die Sache an ein anderes Gericht verwiesen werden kann, liegen ersichtlich nicht vor. Zwar mag der im Verweisungsbeschluss genannte Gesichtspunkt, dass sich im Bezirk eines anderen Gerichts Nachlassgegenstände befinden, ausnahmsweise aus wichtigem Grund eine Verweisung an ein anderes Gericht rechtfertigen; für sich gesehen genügt er zur Anwendung des § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F. aber nicht (KG, Beschluss vom 05.01.2016 – 1 AR 34/15, FGPrax 2016, Heft 3). Dies ergibt sich schon im Umkehrschluss aus § 343 Abs. 3 FamFG a.F.: Hätte der Gesetzgeber dem Vorhandensein eines Nachlassgegenstandes im Bezirk eines anderen Gerichts auch bei einem deutschen Erblasser entscheidende Bedeutung beimessen wollen, hätte es der differenzierenden Regelung in § 343 Abs. 2 und Abs. 3 FamFG a.F. nicht bedurft. Die Belegenheit eines einzelnen Nachlassgegenstandes im Bezirk eines anderen Gerichts stellt insbesondere dann keinen „wichtigen Grund“ dar, wenn es sich – wie hier – um einen solchen handelt, der seiner Natur nach keiner ortsnahen Verwaltung oder Fürsorge bedarf (vgl. für ein Sparguthaben etwa Keidel/Zimmermann, FamFG, 18. Aufl. 2014, § 343 Rdn. 66; Senat FGPrax 2014, 282, 283). Andere Gründe, die die Annahme rechtfertigen, das vorliegende Verfahren könnte vor dem Amtsgericht Leverkusen besser, zügiger oder einfacher erledigt werden, sind im Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Schöneberg nicht angesprochen und auch objektiv nicht erkennbar.
bb) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob schon die objektive Rechtswidrigkeit des Verweisungsbeschlusses vom 26.01.2016 seine Bindungswirkung entfallen lässt. Denn die vorliegende Verweisung ist jedenfalls deshalb objektiv willkürlich und damit nicht bindend im Sinne des § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG a.F., weil es ihr an jeglicher nachvollziehbaren Begründung fehlt.
Die Gründe des Beschlusses vom 26.01.2016 beschränken sich auf die dem Senat bereits aus anderen Verfahren bekannte – sowohl vom Senat (aaO) als auch vom KG (aaO) beanstandete – formelhafte Wendung „Die Nachlassgegenstände befinden sich im dortigen Gerichtsbezirk“. Schon aus dieser Formulierung wird deutlich, dass das verweisende Gericht sich nicht in der gebotenen Weise mit den Einzelheiten des konkreten Sachverhalts befasst hat; tatsächlich befinden sich im Bezirk des Amtsgerichts Leverkusen keine „Nachlassgegenstände“, sondern – in Form eines Bankguthabens bei der Sparkasse Leverkusen – lediglich ein einziger Nachlassgegenstand. Darüber hinaus lässt die Begründung in keiner Weise erkennen, mit welchen Erwägungen das Amtsgericht Schöneberg die Voraussetzungen einer Verweisung nach § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F. als gegeben angesehen hat. Für eine solche Begründung hätte im vorliegenden Fall indes schon deshalb besondere Veranlassung bestanden, weil objektive Anhaltspunkte für einen „wichtigen Grund“ im Sinne der Vorschrift nicht ersichtlich sind. Schließlich kommt hinzu, dass selbst das tatsächliche Vorhandensein „wichtiger Gründe“ zwar notwendige, keineswegs aber hinreichende Bedingung für eine auf § 343 Abs. 2 S. 2 FamFG a.F. gestützte Verweisung ist. Denn unter den dort normierten Voraussetzungen „kann“ das Amtsgericht Schöneberg die Sache an ein anderes Gericht verweisen; es hat deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob gleichwohl überwiegende Gründe dafür sprechen, von einer Verweisung abzusehen. Dem angefochtenen Beschluss ist nicht zu entnehmen, dass der Rechtspfleger des Amtsgerichts Schöneberg sich dieses Ermessens überhaupt bewusst gewesen ist; erst recht ist nicht zu erkennen, dass er es ausgeübt hat.
c) Da nach all dem bislang keine bindende Entscheidung im Sinne des § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG getroffen worden ist, ergibt sich die Zuständigkeit aus den gesetzlichen Vorschriften. Zuständig ist demnach gemäß § 343 Abs. 2 S. 1 FamFG a.F. das Amtsgericht Schöneberg.
3.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Sternal Bosbach Lucht

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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