OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.12.2017 – 3 W 112/17 Zugang Widerruf eines gemeinschaftlichen Testamentes nach dem Tod des widerrufenden Ehegatten

Juni 17, 2018

OLG Oldenburg, Beschl. v. 19.12.2017 – 3 W 112/17

Zugang Widerruf eines gemeinschaftlichen Testamentes nach dem Tod des widerrufenden Ehegatten

(AG Norden, 27.10.2017 – 4 VI 277/17)

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des AG – Nachlassgericht – Norden vom 27.10.2017, durch den die Tatsachen für den von den Beschwerdegegnern beantragten Erbschein für festgestellt erachtet werden.

Der Beschwerdeführer war der Ehemann der Erblasserin. Die Eheleute haben am 28.02.2003 ein privatschriftliches gemeinschaftliches wechselseitiges Testament verfasst und dieses sodann in amtliche Verwahrung gegeben. Die Erblasserin hat dieses Testament mit notarieller Urkunde vom 09.11.2016 widerrufen und den Notar angewiesen, den Widerruf dem Beschwerdeführer in Ausfertigung zustellen zu lassen. Mit einem notariellen Testament vom gleichen Tage hat die Erblasserin ihre Geschwister, die Beschwerdegegner, zu ihren Erben eingesetzt.

Ausweislich einer Postzustellungsurkunde wurde eine beglaubigte Abschrift der Widerrufsurkunde dem Beschwerdeführer am 14.11.2016 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt wohnten die Erblasserin und der Beschwerdeführer unter der gleichen Anschrift und nutzen einen gemeinsamen Briefkasten.

Der Notar erteilte wenige Tage nach dem Tode der Erblasserin, am 25.04.2017, einen weiteren Zustellungsauftrag zur Zustellung einer Ausfertigung der Widerrufsurkunde. Die Zustellung an den Beschwerdeführer erfolgte am 29.04.2017, also zwölf Tage nach dem Tode der Erblasserin.

Die Beschwerdegegner haben die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Erben zu je 1/2 nach der Erblasserin ausweist. Sie haben behauptet, der Beschwerdeführer habe bereits vor dem Tode der Erblasserin Kenntnis von dem Widerruf gehabt.

Der Beschwerdeführer hat dies bestritten und angegeben, von einer Enterbung nichts gewusst zu haben.

Das Nachlassgericht hat die zur Erteilung des von den Beschwerdegegnern beantragten Erbscheins für festgestellt erachtet.

Die Beschwerdegegner seien aufgrund des notariellen Testaments der Erblasserin Erben geworden. Die Erblasserin habe das frühere gegenseitige Testament wirksam widerrufen. Gem. § 130 Abs. 2 BGB werde eine Erklärung nach dem Tode des Erklärenden wirksam, soweit die Erklärung zum Zeitpunkt des Todes bereits „auf dem Weg“ zum Empfänger sei. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn ein erheblicher Zeitraum zwischen der Erklärung und dem Zugang der Erklärung liege. In einem solchen Falle spreche der Vertrauensschutz für den anderen Ehegatten gegen ein nachträgliches Wirksamwerden der Erklärung, weil dieser durch den Widerruf in seiner Dispositionsbefugnis eingeschränkt werde. Vorliegend hätte der Beschwerdeführer jedoch die Erbschaft noch rechtzeitig ausschlagen können und damit die Möglichkeit erlangt, seinerseits sich von der gemeinsamen letztwilligen Verfügung zu lösen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beschwerdeführer. Er hält die Widerrufserklärung für unwirksam, da sie erst nach dem Tode der Erblasserin auf den Weg gebracht wurde. Hätte er schon vor dem Tode der Erblasserin von dem Widerruf erfahren, hätte er seinerseits umdisponieren können.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Nachlassgericht hat die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen zu Recht für festgestellt erachtet.

Die Beschwerdegegner haben die Erblasserin aufgrund des Testaments vom 09.11.2016 beerbt. Dieses Testament ist wirksam, weil die Erblasserin das gemeinschaftliche wechselseitige Testament vom 28.02.2003 wirksam widerrufen hat.

Der Widerruf ist wirksam geworden, obgleich er dem Beschwerdeführer erst nach dem Tode der Erblasserin zugegangen ist. Nach § 130 Abs. 2 BGB, der auch im Erbrecht Anwendung findet (BGHZ 9, 233 v. 16.04.1953), ist es für die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt. Voraussetzung ist, dass der Erklärende alles getan hat, was von seiner Seite geschehen muss, damit die Erklärung dem anderen Teil zugeht (so schon RGZ 65, 270 v. 09.03.1907), die Erklärung also bereits „auf dem Weg“ zum Empfänger ist (Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 130 Rn. 12, BGHZ 48, 374 v. 19.10.1967). Nach der Rechtsprechung des BGH soll es darüber hinaus erforderlich sein, dass der Zugang der Willenserklärung alsbald nach dem Erbfall erfolgt, weil ein Interesse des Rechtsverkehrs daran bestehe, Erbrechtsverhältnisse sicher beurteilen zu können und sie nicht auf unbestimmte Zeit auf schwankendem Boden stehen zu lassen (OLG Karlsruhe, ErbR 2014, 35). Dies gebiete auch der Vertrauensschutz für den überlebenden Ehegatten, der durch den Widerruf einseitig belastete werde, weil er seinerseits nach dem Tode des Erstversterbenden nicht mehr anderweitig testieren könne. Eine solche einseitige Belastung des überlebenden Ehegatten mag hingenommen werden, so der BGH, wenn der Widerruf dem überlebenden Ehegatten alsbald nach dem Erbfall zu einem Zeitpunkt zugestellt wird, zu dem unter normalen Umständen mit einer Zustellung noch gerechnet werden kann (BGH, a.a.O., Rn. 29, 32 zitiert nach juris). Der zeitliche Abstand zwischen dem Tod und dem Zugang der Willenserklärung darf nicht zu groß sein (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Danach liegt hier eine wirksame Widerrufserklärung vor. Die Erblasserin hatte den Notar unter dem 09.11.2016 angewiesen, dem Beschwerdeführer ihre Widerrufserklärung zuzustellen. Sie hatte damit alles von ihrer Seite her Erforderliche getan. Die Tatsache, dass der Notar zunächst nur für die Zustellung einer beglaubigten Abschrift sorgte, ist ohne Belang. Die Anweisung der Erblasserin war dadurch nicht etwa „verbraucht“. Vielmehr war die Anweisung bislang nicht vollständig umgesetzt worden. Der Notar bewirkte die Zustellung der Widerruferklärung binnen 12 Tage und damit „alsbald“ nach dem Tode der Erblasserin. Es handelt sich um einen zeitlichen Abstand, innerhalb dessen der Beschwerdeführer angesichts normaler Bearbeitungszeiten im Notariat und im Gericht noch damit rechnen musste, dass eine lebzeitig abgegebene notarielle Willenserklärung der Erblasserin ihm noch zugestellt werden könnte.

 

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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