Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 17. Zivilsenat, 17 U 21/14 Steuerberaterhaftung: Hinweispflicht auf drohende Verjährung von Regressansprüchen gegen Vorberater

Februar 3, 2018

 

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht 17. Zivilsenat, 17 U 21/14

Steuerberaterhaftung: Hinweispflicht auf drohende Verjährung von Regressansprüchen gegen Vorberater

Leitsatz

  1. Ohne gesondertes Mandat ist ein Steuerberater nicht verpflichtet, die Möglichkeit von Regressansprüchen gegen Vorberater zu prüfen.
    2. Selbst die Erkenntnis von ersichtlichen Fehlbeurteilungen des Vorberaters verpflichtet den nachfolgenden Steuerberater – anders als einen Rechtsanwalt – nicht dazu, die Verjährung möglicher Regressansprüche zu prüfen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 05. Februar 2014 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Kiel – 17 O 8/13 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

 

Der Kläger begehrt von der beklagten Steuerberatungsgesellschaft Ersatz eines Schadens, der ihm wegen fehlenden Hinweises auf mögliche Regressansprüche, gegen seinen früheren Steuerberater entstanden sein soll.

 

Dr. A. und der ebenfalls als Arzt tätige Kläger gründeten am 01.07.1996 eine Gemeinschaftspraxis, wobei der Kläger seine bisherige Einzelpraxis in die Gesellschaft einbrachte. Am Gesellschaftsvermögen war Dr. A. zunächst nicht beteiligt. Der Kläger verkaufte und übertrug mit Verträgen vom 30.12.1996 und 17.12.1997 in zwei Schritten letztlich 50 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen an Dr. A. zu einem Gesamtkaufpreis von DM 887.600 (im ersten Schritt 10 % für DM 180.400 und im zweiten Schritt 40 % für DM 707.200). Das Grundstück S. in B., auf dem sich die Praxisräume befanden, war von dieser Veräußerung nicht umfasst, sondern blieb – als Sonderbetriebsvermögen – im Alleineigentum des Klägers. Grund war, dass Dr. A. als junger Familienvater nicht auch noch zusätzlich die mit einer Beteiligung an dem Grundstück verbundene finanzielle Belastung wollte.

3

Die damalige steuerliche Beratung des Klägers – auch hinsichtlich der vertraglichen Gestaltung der Anteilsübertragungen – erfolgte durch den Steuerberater C.. In den Feststellungserklärungen für die Jahre 1997 und 1998 machte der Kläger die für die Praxisanteile erhaltenen Kaufpreise als begünstigte Veräußerungsgewinne geltend, die zunächst vom Finanzamt auch antragsgemäß als solche festgestellt wurden. Im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Gemeinschaftspraxis vertrat jedoch der Prüfer ebenso wie anschließend das Finanzamt die Rechtsauffassung, dass die von Dr. A. erhaltenen Kaufpreise nicht steuerbegünstigt seien, sondern laufenden Gewinn des Klägers darstellten, weil er nicht zugleich mit den Praxisanteilen einen entsprechenden Anteil an den wesentlichen Betriebsgrundlagen – vorliegend an dem im Sonderbetriebsvermögen des Klägers gebliebenen Grundstück – an Dr. A. veräußert habe. Das Finanzamt erließ am 01.03.2002 einen geänderten Feststellungsbescheid für 1997 und 1998 mit einer Steuernachforderung, von der € 223.328,50 auf die Einnahmen des Klägers aus dem Verkauf der Praxisanteile an Dr. A. entfielen. Der Bescheid ging dem Kläger am 05.03.2002 zu. Er beauftragte die Beklagte, die bereits im Jahr 1999 die Erstellung der Finanzbuchhaltung, der Jahresabschlüsse und der Steuererklärungen sowie die damit verbundene steuerliche und wirtschaftliche Beratung des Klägers übernommen hatte, mit der Einspruchseinlegung. Einen ausdrücklichen Auftrag, mögliche Schadenersatzansprüche gegen den Vorberater C. zu prüfen, erteilte der Kläger der Beklagten nicht. Am 19.04.2002 übermittelte die Beklagte dem Kläger die Einspruchsbegründung in Abschrift und fasste in diesem Schreiben (Anlage K 3, Bl. 25 d. A.) zugleich eine Besprechung mit dem Kläger vom 15.04.2002 zusammen. Darin führte die Beklagte zur rechtlichen Problematik hinsichtlich der Gewährung des halben Steuersatzes auf die Einnahmen aus dem Verkauf der Praxisanteile aus. Am 19.11.2008 teilte das Finanzamt B. der Beklagten schriftlich mit, dass es seine bisherige Rechtsauffassung, wonach die Einnahmen nicht steuerlich begünstigt seien, aufrechterhalte (Anlage K 4, Bl. 30 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 15.12.2008 (Anlage K 5, Bl. 34 d. A.) leitete die Beklagte dieses Schreiben an den Kläger weiter und erörterte die Erfolgsaussichten des weiteren Verfahrens sowie die Möglichkeit der Einspruchsrücknahme. Der letzte Satz des Schreibens der Beklagten lautet:

sollten Sie erwägen, Ihre damaligen Steuerberater wegen einer eventuell möglichen Falschberatung in Regress zu nehmen, sollten Sie diesen jedoch vorher Gelegenheit geben, zu dem Einspruchsverfahren und dem Schreiben des Finanzamtes Stellung zu nehmen.“

 

Nach einer Besprechung mit dem Finanzamt B. am 28.04.2009 nahm der Kläger die Einsprüche gegen die Feststellungsbescheide für die Jahre 1997 und 1998 zurück, soweit sie die Besteuerung der Einnahmen aus dem Verkauf der Praxisanteile betrafen, und leistete die Steuernachzahlung von € 223.328,50. Sein Vorberater C. bzw. dessen Rechtsnachfolger beriefen sich gegenüber ihrer Inanspruchnahme durch den Kläger mit Schreiben vom 24.02.2009 auf Verjährung. Mit Schreiben vom 28.12.2010 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Anerkennung ihrer Haftung auf.

 

Der Kläger hat behauptet, bei der Übertragung der Gesellschaftsanteile an Dr. A. habe eine steuerlich optimale Gestaltung gewählt werden sollen, damit die Übertragung als steuerlich privilegierte Betriebsaufgabe gem. § 34 EStG gelte. Dies sei Aufgabe des Vorberaters C. gewesen, der angesichts der damals bestehenden Unsicherheit in der rechtlichen Behandlung von Sonderbetriebsvermögen eine verbindliche Auskunft des zuständigen Finanzamtes hätte einholen müssen. Bei der Vertragsgestaltung wäre auch möglich gewesen, den Gesellschaftsanteil von Dr. A. bei 0 % zu belassen oder dessen Aufnahme in die Gemeinschaftspraxis mit einem geringeren Gesellschaftsanteil – dafür unter Einschluss eines entsprechenden Anteils an dem Grundstück – bei gleichem Kaufpreis zu vollziehen. Da der steuerlich relevante Sachverhalt der Beklagten bei Übernahme und Bearbeitung der Einsprüche bekannt gewesen sei, hätte ihr klar sein müssen, dass die vom Vorberater gewählte Konstruktion möglicherweise eine steuerschädliche sei.

 

Der Kläger hat gemeint, der Beklagten falle eine Pflichtverletzung zur Last, da sie ihn nicht in unverjährter Zeit auf etwaige Regressansprüche gegen den Vorberater hingewiesen habe. Er, der Kläger, habe aus dem Schreiben der Beklagten vom 19.04.2002 nicht den Schluss ziehen können, dass der Vorberater eine Pflichtverletzung begangen habe. Dies sei ihm erst durch das Schreiben der Beklagten vom 15.12.2008 klar geworden.

 

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von € 223.328,50 nebst Zinsen zu verurteilen. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12.09.2013 keinen Antrag gestellt hatte, hat das Gericht auf Antrag der Beklagten ein klagabweisendes Versäumnisurteil erlassen, gegen das der Kläger Einspruch eingelegt hat.

 

Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und behauptet, dem Kläger sei die steuerliche Problematik der vom Vorberater gewählten Übertragung der Gesellschaftsanteile jedenfalls seit der Besprechung vom 15.04.2002, deren Inhalt ihm mit Schreiben vom 19.04.2002 nochmals erläutert worden sei, bekannt gewesen. Die Beklagte hat gemeint, es fehle an einem kausalen Schaden, weil der Kläger nicht dargelegt habe, wie die alternative steuerliche Konstruktion, die den Anfall der festgesetzten Steuern verhindert hätte, hätte aussehen sollen.

 

Das Landgericht, auf dessen Urteil hinsichtlich weiterer Einzelheiten gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, hat die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz wegen unterbliebener Aufklärung über einen möglichen Regressanspruch gegen den Vorberater zu.

 

Es fehle schon an einem diese Hinweispflicht umfassenden Auftrag des Klägers an die Beklagte. Die Aufgaben des Steuerberaters seien regelmäßig gemäß § 33 StBerG beschränkt auf die Beratung in Steuersachen. Dazu gehörten keine Hinweise des neuen Steuerberaters auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen seinen Vorgänger und deren Verjährung. Eine Hinweispflicht der Beklagten ergebe sich auch nicht aufgrund eines „offen zu Tage“ liegenden Regressanspruchs. Die Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass ihr die Einzelheiten des dem Vorberater erteilten Auftrages und die Hintergründe der gewählten steuerlichen Gestaltung nicht bekannt gewesen seien. Zudem sei die Frage, inwieweit die Mitveräußerung von Sonderbetriebsvermögen Voraussetzung für die Anerkennung einer Betriebsveräußerung ist, damals noch nicht höchstrichterlich entschieden gewesen, so dass sich eine Fehlberatung durch den Vorberater nicht aufdrängen musste.

 

Dessen ungeachtet habe die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19.04.2002 – und damit in unverjährter Zeit – ausführlich auf die rechtliche Problematik hinsichtlich der Gewährung des halben Steuersatzes auf die Veräußerungsgewinne aus der Übertragung der Geschäftsanteile auf Herrn Dr. A. und die Problematik des Sonderbetriebsvermögens hingewiesen.

 

Darüber hinaus scheitere das Klägerbegehren daran, dass anhand des Klägervortrages nicht feststellbar sei, ob überhaupt eine Pflichtverletzung des Vorberaters vorliege, die zu einem Ersatzanspruch gegen diesen hätte führen können. Der Kläger habe nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Gestaltung der Übertragung der Gesellschaftsanteile in der tatsächlich durchgeführten Form vorgenommen worden sei und welche Rolle der Vorberater dabei gespielt habe. Es sei auch nicht dargelegt, was der Kläger mit der Vertragsgestaltung steuerlich genau habe erreichen wollen und welchen konkreten Rat ihm der Vorberater dazu erteilt habe. Vielmehr sei nach dem Inhalt der persönlichen Anhörung des Klägers gar nicht darüber gesprochen worden, welche Steuern auf den Erlös aus dem Anteilsverkauf anfallen würden. Da sich Dr. A. aufgrund seiner persönlichen und finanziellen Situation nicht auch noch an dem Grundstück habe beteiligen wollen, sei davon auszugehen, dass hier noch andere als steuerliche Gründe zu der gewählten Konstruktion geführt hätten und die steuerlich optimale Gestaltung jedenfalls keine entscheidende Rolle gespielt habe.

 

Selbst bei Annahme einer Pflichtverletzung fehle es zudem an der Darlegung eines kausalen Schadens. Der Kläger habe vorgetragen, dass er bei ordnungsgemäßer Beratung durch den Vorberater C. Praxisanteile entweder gar nicht oder bei gleichem Kaufpreis weniger – die aber einschließlich entsprechender Anteile am Sonderbetriebsvermögen – verkauft hätte. Für welche Alternative der Kläger sich entschieden hätte, ob der Erwerber damit einverstanden gewesen wäre und wie sich die Gesamtvermögenslage des Klägers in diesem Fall entwickelt hätte, sei jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

 

Jedenfalls seien etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte verjährt. Die Verjährung solcher Ansprüche habe gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres 2005 begonnen, weil am 05.03.2005 – drei Jahre gemäß § 68 StBerG seit der Zustellung des die steuerliche Vergünstigung versagenden Bescheides vom 01.03.2005 – Verjährung von Ansprüchen gegen den Vorberater C. eingetreten sei. Am Schluss des Jahres 2005 hätten auch die subjektiven Verjährungsvoraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorgelegen. Denn der Kläger habe bereits durch das Schreiben der Beklagten vom 19.4.2002 sämtliche Umstände gekannt, die einen Ersatzanspruch gegen den Vorberater begründen könnten. Die danach am 31.12.2008 eingetretene Verjährung sei durch den erst am 04.03.2011 erfolgten Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides nicht mehr gehemmt worden.

 

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher dieser geltend macht:

 

– Die Annahme des Landgerichts, der Beklagten seien die Einzelheiten des dem Vorberater C. erteilten Auftrags und die Hintergründe der gewählten steuerlichen Gestaltung nicht bekannt gewesen, sei falsch. Der Kläger habe unwidersprochen mit Schriftsatz vom 01.10.2013 vorgetragen, dass der Beklagten aus der Bearbeitung des Einspruchsverfahrens sämtliche vertragsrelevanten Tatsachen bekannt gewesen seien. Der Beklagten seien die für die Bearbeitung notwendigen Unterlagen bei der Übernahme des Mandats von dem Vorberater übergeben worden.

 

– Aufgabe der von dem Vorberater C. übernommenen Gestaltung der vertraglichen Umsetzung der Entscheidung, die ursprüngliche Einzelpraxis des Klägers in eine Gemeinschaftspraxis zu verwandeln, sei gewesen, den Vertrag so zu gestalten, dass im Ergebnis die geringste steuerliche Belastung des Klägers ausgelöst wurde. Dass dies nicht gelungen sei, stelle eine Fehlleistung des Vorberaters dar, die der Beklagten bei der Besprechung mit dem Kläger vom 15.04.2002 hätte ins Auge springen müssen.

 

– Auf diese Fehlleistung des Vorberaters C. hätte die Beklagte den Kläger in unverjährter Zeit ebenso hinweisen müssen wie auf die drohende Verjährung von Regressansprüchen. Dann hätte der Kläger das Mandat der Beklagten auf die Prüfung und Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den Vorberater C. erweitert.

 

– Es fehle nicht an der Darlegung eines kausalen Schadens, weil der Kläger vorgetragen habe, dass er bei ordnungsgemäßer Beratung einen geringeren Geschäftsanteil einschließlich eines quotal gleich hohen Anteils an dem Betriebsgrundstück an Dr. A. veräußert hätte. Das wäre steuerlich privilegiert gewesen und dem Kläger wäre der geltend gemachte Steuerschaden nicht entstanden.

 

– Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt, weil er erst aufgrund der rechtlichen Prüfung durch die Kanzlei D. am 29.01.2009 von seinen Regressansprüchen gegen die Beklagte erfahren habe. Insoweit verweist der Kläger auch auf sein erstinstanzliches Vorbringen.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Landgerichts Kiel, Az. 17 O 8/13 vom 05.02.2014, abzuändern, das Versäumnisurteil vom 12.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger € 223.328,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und vertieft sein bisheriges Vorbringen.

 

Im Übrigen wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die jeweils beigefügten Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2014.

II.

 

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

 

Zu Recht hat das Landgericht den vom Kläger verfolgten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte verneint. Die Beklagte traf keine Pflicht, den Kläger darauf hinzuweisen, dass er gegen seinen vormaligen Steuerberater C. einen Regressanspruch haben könnte.

 

  1. Das Landgericht hat – von der Berufung nicht angegriffen – festgestellt, dass der Kläger der Beklagten einen ausdrücklichen Auftrag, mögliche Schadenersatzansprüche gegen den Vorberater C. zu prüfen, nicht erteilt hat – obwohl er nach dem Bescheid vom 01.03.2002 gehalten war zu entscheiden, ob er Regressansprüche gegen den Vorberater C. prüfen lassen will. Denn der Kläger ging davon aus, sein Erlös für die Veräußerung von Praxisanteilen an Dr. A. sei steuerbegünstigt – das ergibt sich allein schon aus dem Umstand, dass er die Beklagte mit der Einspruchseinlegung beauftragte. Als sich zeigte, dass dieser Standpunkt vom Finanzamt nicht geteilt und ihm der die Nachforderung begründende Bescheid vom 01.03.2002 mitgeteilt wurde, kam aus Sicht des Klägers zweierlei in Betracht:

 

– Entweder war der Standpunkt des Finanzamts unrichtig – um dies zu überprüfen, stand dem Kläger der von ihm beschrittene Einspruchsweg offen.

 

– Oder der Vorberater C. hatte den Kläger falsch beraten. Auch wenn der Kläger als steuerfachlicher und juristischer Laie selbst sicherlich nicht beurteilen konnte, ob er falsch beraten worden war, so konnte er doch zumindest jemanden mit der Prüfung dieser Frage betrauen. Zu solcher Prüfung hätte auch die Frage der Verjährung etwaiger Ansprüche gehört. Der Kläger betraute die Beklagte aber nicht mit dieser Prüfung, sondern mit der Beschreitung des anderen Weges, des Einspruchs gegen den Steuerbescheid vom 01.03.2002.

 

  1. Der der Beklagten erteilte Auftrag zur Einspruchseinlegung umfasste auch nicht die Prüfung von Regressansprüchen gegen den Vorberater C.

 

Der Umfang der Hinweis- und Belehrungspflicht des Steuerberaters wird durch den Gegenstand und die Reichweite des erteilten Mandats bestimmt (BGH, Urteil vom 26.01.1995, IX ZR 10/94, NJW 1995, 958; BGH, Urteil vom 04.03.1987, IVa ZR 222/85, juris Rn. 15).Müsste der Steuerberater Vorgänge, die ihm lediglich bei Gelegenheit des erteilten Auftrags bekannt geworden sind, jedoch in keiner unmittelbaren Beziehung zu der von ihm übernommenen Aufgabe stehen, jeweils daraufhin untersuchen, ob sie Veranlassung zu einem Rat oder Hinweis an den Mandanten geben, würde das zu einer erheblichen Ausweitung der geschuldeten Tätigkeit und damit gerade auf dem komplexen und unübersichtlichen Gebiet des Steuerrechts zu einer untragbaren Verschärfung der Anforderungen an die vertraglichen Hauptleistungen führen (so auch BGH, Urteil vom 26.01.1995 a.a.O.). Das der Beklagten erteilte Mandat zur Einspruchseinlegung stand nicht in unmittelbarer Beziehung zu der Frage, ob dem Kläger gegen den Vorberater Regressansprüche zustehen. Denn das eine ist eine steuerrechtliche, das andere eine zivilrechtliche Frage, Gegner ist in einem Fall das Finanzamt, im anderen Fall der Vorberater. Die Beziehung der Fragen beschränkte sich darauf, dass für den Fall, dass der beauftragte Einspruch ohne Erfolg blieb, eventuell Regressansprüche gegen den Vorberater C. bestanden.

 

Für dieses Ergebnis streitet auch, dass es selbst bei dem Bestehen von Regressansprüchen Sache des Klägers gewesen wäre zu entscheiden, ob solche verfolgt werden sollen. Dementsprechend konnte die Beklagte aus der fehlenden Erteilung des Mandats, die Möglichkeit solcher Regressansprüche zu prüfen, auch die Schlussfolgerung ziehen, dass der Kläger einen Regress gegen den Vorberater gar nicht wünscht. Dies gilt umso mehr, als der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekundet hat, dass die Beendigung des Mandats von Herrn C. und der Wechsel zur Beklagten allein örtliche Gründe hatte und nicht auf einer Unzufriedenheit des Klägers mit der Beratung durch Herrn C. beruhte.

 

  1. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer Hinweispflicht des Steuerberaters auf steuerschädliche Gestaltungsformen des Vorberaters. Eine solche setzt voraus, dass die von dem Vorberater gewählte rechtliche Konstruktion eine auf den ersten Blick ersichtliche steuerliche Fehlentscheidung war (BGH, Urteil vom 26.01.1995, IX ZR 10/94, NJW 1995, 958; OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.03.2000, 10 U 224/99, juris). Davon konnte hier aber hier schon deshalb keine Rede sein, weil – wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – die Beklagte über die Frage der Begünstigung des Veräußerungsgewinns hinaus nicht erkennen konnte, ob eine Gestaltung, mit der die hier in Rede stehende Steuerpflicht des Klägers vermieden worden wäre, zivilrechtlich überhaupt hätte realisiert hätte werden können, insbesondere, ob Dr. A. damit einverstanden gewesen wäre.

 

  1. Ungeachtet dessen hat der Bundesgerichtshof zwar entschieden, dass der Mandant auf die drohende Verjährung von Ansprüchen gegen den vorberatenden Steuerberater auch dann hinzuweisen ist, wenn das eigene Mandat nur die Vertretung in einem Finanzgerichtsstreit umfasst, jedoch ersichtlich ist, dass bei Verlust des Prozesses Ansprüche gegen den Vorberater in Betracht kommen (BGH v. 29.04.1993, IX ZR 101/92, NJW 1993, 2045 ff.). Diese Entscheidung betrifft jedoch die Pflichten eines Rechtsanwalts, nicht die eines Steuerberaters. Soweit Gräfe diese Entscheidung auch für die Pflichten des Steuerberaters heranzieht (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl. 2014, Rn. 411), erfolgt dies ohne Begründung. Diese Ansicht steht nach Auffassung des Senats aber nicht nur in Widerspruch zu dem (oben unter Ziffer 2. dargestellten, engeren) Maßstab für Hinweispflichten des Steuerberaters. Sie berücksichtigt außerdem nicht, dass es zwischen dem Mandat eines Rechtsanwalts und dem eines Steuerberaters den wesentlichen Unterschied gibt, dass die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, zu denen Regressansprüche gegen den vorberatenden Steuerberater fallen, einschließlich der Beurteilung schadensersatzrechtlicher und verjährungsrechtlicher Fragen zur Kerntätigkeit eines Rechtsanwalts, nicht aber zu der eines Steuerberaters im Sinne des § 33 StBerG gehören.

 

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Frage erfordert, ob die in seiner Entscheidung vom 29.04.1993, IX ZR 101/92, für Rechtsanwälte aufgestellten Grundsätze zur Hinweispflicht auf drohende Verjährung von Ansprüchen gegen den Vorberater auch auf Steuerberater zu übertragen sind.

 

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