Umfang eines tarifvertraglichen Urlaubsanspruchs

Mai 16, 2020

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 12.7.2016, 9 AZR 265/15

Umfang eines tarifvertraglichen Urlaubsanspruchs

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. April 2015 – 3 Sa 530/14 – aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 22. August 2014 – 10 Ca 3695/13 – wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Anzahl der dem Kläger im Kalenderjahr zustehenden Urlaubstage.
2

Die Parteien verbindet seit dem 1. November 1999 ein Arbeitsverhältnis, auf das kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die für die Beklagte geltenden Haustarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung finden. Die Beklagte schloss am 24. September 2001 mit der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) einen ab dem 1. Januar 2000 geltenden Manteltarifvertrag – Haustarifvertrag – (MTV 2000), der in § 8 ua. regelt:

„2.

Urlaubsdauer

2.1

Der Erholungsurlaub für Jugendliche und Behinderte … wird entsprechend den gesetzlichen Vorschriften gewährt.

2.2

Alle übrigen Arbeitnehmer erhalten 23 Arbeitstage Urlaub.

2.3

Für langjährige Betriebszugehörigkeit erhöht sich der Urlaubsanspruch gemäß Ziff. 2.2 wie folgt:

nach vollendeter 5-jähriger Betriebszugehörigkeit um 1 Arbeitstag,

nach vollendeter 10-jähriger Betriebszugehörigkeit um 2 Arbeitstage,

nach vollendeter 15-jähriger Betriebszugehörigkeit um 3 Arbeitstage,

nach vollendeter 20-jähriger Betriebszugehörigkeit um 4 Arbeitstage,

nach vollendeter 25-jähriger Betriebszugehörigkeit um 5 Arbeitstage,

nach vollendeter 30-jähriger Betriebszugehörigkeit um 6 Arbeitstage.

Ergibt das erste Jahr der Beschäftigung kein volles Kalenderjahr, so bleibt es bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit im Sinne der vorgenannten Staffelung außer Betracht.“
3

Unter dem 16. Dezember 2004 vereinbarten die Tarifvertragsparteien einen Manteltarifvertrag – Haustarifvertrag – (MTV 2005), der am 1. Januar 2005 in Kraft trat. Dieser regelt in § 7 ua. Folgendes:

„2. Urlaubsdauer

Der Erholungsurlaub für Jugendliche und Behinderte wird entsprechend den gesetzlichen Vorschriften gewährt.

Alle seit dem 01.01.2004 eingestellten Arbeitnehmer und Auszubildende erhalten 21 Arbeitstage Urlaub.

Für die langjährige Betriebszugehörigkeit aller Arbeitnehmer erhöht sich der Urlaubsanspruch wie folgt:

nach vollendeter 10-jähriger Betriebszugehörigkeit

um 1 Arbeitstag,

nach vollendeter 20-jähriger Betriebszugehörigkeit

um 2 Arbeitstage,

nach vollendeter 30-jähriger Betriebszugehörigkeit

um 3 Arbeitstage.

Ergibt das erste Jahr der Beschäftigung kein volles Kalenderjahr, so bleibt es bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit im Sinne der vorgenannten Staffelung außer Betracht. …

Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.04 begonnen hat, gelten die bis zum 31.12.04 erworbenen Urlaubsansprüche gemäß dem Manteltarifvertrag vom 24.09.01 besitzstandswahrend weiter.“
4

Die IG BAU kündigte den MTV 2005 zum 31. Dezember 2009. Ein neuer Tarifvertrag wurde bislang nicht vereinbart.
5

Die von der Beklagten erstellte Lohnabrechnung für Januar 2013 wies für den Kläger einen Jahresurlaub im Umfang von 24 Arbeitstagen aus.
6

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, infolge seiner 10-jährigen Betriebszugehörigkeit habe sich der 24 Arbeitstage umfassende Urlaubsanspruch, der ihm aufgrund der Besitzstandsregelung gemäß § 7 Ziff. 2 Abs. 5 MTV 2005 zustehe, um einen Arbeitstag erhöht.
7

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass ihm ab dem Kalenderjahr 2013 25 Arbeitstage Jahresurlaub zustehen.
8

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der von einem Arbeitnehmer erworbene Besitzstand nach § 7 Ziff. 2 Abs. 5 MTV 2005 sei auf den Urlaubsanspruch nach dem neuen Tarifstand anzurechnen. Für Arbeitnehmer, die bereits vor dem 1. Januar 2004 in ihre Dienste getreten seien, erhöhe sich der Urlaubsanspruch deshalb erst, wenn die Summe des Urlaubsanspruchs aus § 7 Ziff. 2 Abs. 2 MTV 2005 (Grundurlaub) und § 7 Ziff. 2 Abs. 3 MTV 2005 (Mehrurlaubstage) den besitzstandsgeschützten Urlaub übersteige. Der Kläger, der mit einem Besitzstand von 24 Arbeitstagen in den MTV 2005 übergeleitet worden sei, komme daher nicht in den Genuss einer weiteren Erhöhung seines Urlaubsanspruchs.
9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert und der Klage stattgegeben.
11

I. Die Klage ist nach der gebotenen Auslegung des Klageantrags zulässig. Streitgegenstand ist allein die Frage, ob sich infolge der 10-jährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers der jährliche Urlaubsanspruch gemäß § 7 Ziff. 2 Abs. 3 Spiegelstrich 1 MTV 2005 um einen Arbeitstag erhöht hat. Dies hat der Kläger in der Revisionsverhandlung vor dem Senat klargestellt. Da die Beklagte die Erhöhung des Urlaubsanspruchs in Abrede stellt, hat der Kläger gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ein Interesse an einer gerichtlichen Feststellung des Umfangs des ihm zustehenden Jahresurlaubs (vgl. BAG 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12 – Rn. 8 ff. mwN, BAGE 149, 315).
12

II. Die Klage ist nicht begründet. Der seit dem 1. November 1999 bei der Beklagten beschäftigte Kläger hat ab dem Kalenderjahr 2013 Anspruch auf 24 Arbeitstage, nicht aber auf 25 Arbeitstage Urlaub im Kalenderjahr. Am maßgeblichen Stichtag, dem 31. Dezember 2004, standen ihm 23 Arbeitstage Jahresurlaub zu (§ 8 Ziff. 2.2 MTV 2000). Dieser Anspruch blieb ihm nach der Ablösung des MTV 2000 durch den MTV 2005 erhalten (§ 7 Ziff. 2 Abs. 5 MTV 2005). Nach vollendeter 10-jähriger Betriebszugehörigkeit erhöhte sich dieser Anspruch um einen Urlaubstag auf 24 Arbeitstage (§ 7 Ziff. 2 Abs. 3 Spiegelstrich 1 MTV 2005).
13

1. Der Kläger wurde mit einem Besitzstand von 23 Arbeitstagen Jahresurlaub (§ 8 Ziff. 2.2 MTV 2000), die ihm am Stichtag, dem 31. Dezember 2004, zustanden, in das neue Tarifwerk übergeleitet.
14

a) Die für die Berechnung des Umfangs des Urlaubsanspruchs maßgebliche Betriebszugehörigkeit des Klägers betrug zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als fünf Jahre. Das Kalenderjahr 1999 bleibt gemäß § 8 Ziff. 2.3 Satz 2 MTV 2000 bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit außer Betracht. Da sich der Urlaubsanspruch nicht „mit“, sondern erst „nach“ vollendeter 5-jähriger Betriebszugehörigkeit erhöht, war der Kläger am Stichtag, dem 31. Dezember 2004, noch nicht Inhaber eines erhöhten Urlaubsanspruchs (vgl. zur gesetzlichen Wartezeit iSd. § 4 BUrlG BAG 17. November 2015 – 9 AZR 179/15 – Rn. 11).
15

b) Die Besitzstandsregelung in § 7 Ziff. 2 Abs. 5 MTV 2005 bezieht sich nicht nur auf die Mehrurlaubstage, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Betriebszugehörigkeit vor dem Stichtag nach § 8 Ziff. 2.3 Abs. 1 MTV 2000 erworben hatte, sondern auch auf den gegenüber der Neuregelung höheren Grundurlaubsanspruch von 23 Arbeitstagen gemäß § 8 Ziff. 2.2 MTV 2000 (ausf. BAG 12. Juli 2016 – 9 AZR 264/15 – Rn. 14).
16

2. Entgegen der Auffassung der Revision sind bei Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis – wie das des Klägers – vor dem 1. Januar 2004 begründet wurde, die in § 7 Ziff. 2 Abs. 3 MTV 2005 geregelten Mehrurlaubstage dem Grundurlaub der Vorgängerregelung (23 Arbeitstage nach § 8 Ziff. 2.2 MTV 2000) und nicht dem Grundurlaub der Neuregelung (21 Arbeitstage nach § 7 Ziff. 2 Abs. 2 MTV 2005) hinzuzurechnen. Hiermit zu vergleichen ist der besitzstandsgeschützte Urlaub (§ 7 Ziff. 2 Abs. 5 MTV 2005). Der höhere Urlaubsanspruch ist dann maßgeblich.
17

Gemäß § 7 Ziff. 2 Abs. 3 Spiegelstrich 1 MTV 2005 erhöhte sich der Urlaubsanspruch des Klägers nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit mit Wirkung ab dem 1. Januar 2010 auf 24 Arbeitstage. Ebenso wie die Vorgängerregelung lässt auch die Urlaubsstaffelung nach § 7 Ziff. 2 Abs. 3 MTV 2005 das erste Beschäftigungsjahr unberücksichtigt, wenn es – wie im Falle des Klägers – kein volles Kalenderjahr ist (§ 7 Ziff. 2 Abs. 4 Satz 1 MTV 2005). Einen darüber hinausgehenden Urlaubsanspruch hat der Kläger nicht erworben.
18

III. Der Kläger hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Brühler

Krasshöfer

Suckow

Heilmann

Jacob

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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