Verwirkungsklausel in einem Ehegattenerbvertrag

Juli 7, 2020

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 18. September 1995 – 1Z BR 34/94
Anwendung und Auslegung einer Verwirkungsklausel in einem Ehegattenerbvertrag zur Entziehung der Schlußerbenstellung bei Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs in Fällen eines Pflichtteilsverlangens des Erben des Pflichtteilsberechtigten
vorgehend LG Schweinfurt, 28. Januar 1994, 2 T 2/94
vorgehend AG Bad Kissingen, 13. Dezember 1993, VI 71/93

Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluß des Landgerichts Schweinfurt vom 28. Januar 1994 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur anderen Behandlung und neuen Entscheidung an das Landgericht Schweinfurt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die verwitwete Erblasserin verstarb im Alter von 91 Jahren im Jahr 1993. Ihr Ehemann, mit dem sie in einziger Ehe verheiratet war, war am 28.7.1989 vorverstorben. Die Beteiligten sind die Abkömmlinge der Erblasserin. Der Beteiligte zu 1 ist ihr Sohn, der Beteiligte zu 2 ihr Enkel, nämlich der Sohn des am 10.8.1989 verstorbenen zweiten Sohnes der Erblasserin.
Die Erblasserin hatte mit ihrem Ehemann am 27.12.1966 einen notariell beurkundeten Ehe- und Erbvertrag geschlossen, in welchem sich die Ehegatten gegenseitig zum Alleinerben und ihre beiden Söhne Franz und Erhard – unter sich zu gleichen Teilen – zu Erben des Längstlebenden von ihnen bestimmt haben. In Ziffer VII des notariellen Vertrags ist vereinbart:
“Für den Fall, daß eines unserer Kinder beim Ableben des zuerst Versterbenden von uns seinen Pflichtteil verlangen sollte, soll dieses auch bei Ableben des Längstlebenden von uns nur den Pflichtteil erhalten. “
Mit von den Ehegatten handschriftlich verfaßter und von beiden mit dem Datum 7.9.1980 unterzeichneter Anlage zum Ehe- und Erbvertrag wurde bestimmt:
“In Ergänzung dieses Vertrags bestimmen wir gemeinsam, daß hinsichtlich einer weiteren Erbfolge unseres Sohnes Erhard, geboren am … als Nacherbe dessen Sohn (unser Enkel) Walter, derzeit wohnhaft in …, einsetzen. Unser Sohn Erhard soll jedoch als Vorerbe in keiner Weise in seiner Verfügungsmacht über das Erbe beschränkt sein. Er kann in jeder Art frei darüber verfügen.”
Die Beteiligten haben beim Nachlaßgericht unterschiedliche Erbscheinsanträge gestellt. Der Beteiligte zu 2 erstrebt einen Erbschein, der ihn gemeinsam mit dem Beteiligten zu 1 als Miterben zu je 1/2 ausweist. Er stützt sich auf die Schlußerbeneinsetzung des Ehe- und Erbvertrags nebst Ergänzung vom 7.9.1980. Gemäß dieser sei er als der einzige Sohn seines vorverstorbenen Vaters Erhard an dessen Stelle getreten.
Der Beteiligte zu 1 erstrebt hingegen unter Berufung auf die Ausschlußklausel in Ziffer VII des Ehe- und Erbvertrags einen Alleinerbschein. Er vertritt die Auffassung, daß der Beteiligte zu 2 gemäß dieser Klausel nur pflichtteilsberechtigt und daher von der Erbfolge ausgeschlossen sei.
Der am 10.8.1989 – also vor dem Erbfall nach dem Längstlebenden seiner Eltern, aber nach dem Tod seines Vaters – verstorbene Sohn Erhard ist aufgrund Testaments von seiner (zweiten) Ehefrau allein beerbt worden. Diese hat als Erbin ihres Ehemanns gegenüber der Erblasserin noch zu deren Lebzeiten den Pflichtteilsanspruch ihres Ehemanns am Nachlaß seines Vaters (Ehemann der Erblasserin) geltend gemacht. Auf ihren Antrag erging am 22.7.1992 ein Mahnbescheid gegenüber der Erblasserin über eine als “Pflichtteil nach Franz laut Anwaltsbrief vom …” bezeichnete Forderung von 100 000 DM. Nach Widerspruch der Erblasserin wurde das Verfahren an das Landgericht S. abgegeben. Es ist seit 16.2.1993 gemäß § 246 ZPO ausgesetzt.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 13.12.1993 die Erteilung eines Erbscheins dahin angekündigt, daß die Erblasserin von beiden Beteiligten zu je 1/2 beerbt worden sei. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen diese Entscheidung hat das Landgericht mit Beschluß vom 28.1.1994 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1, mit der er seinen Antrag weiterverfolgt, ihm einen Alleinerbschein nach der Erblasserin zu erteilen.
II.
Die zulässige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht vertritt in Übereinstimmung mit dem Nachlaßgericht die Auffassung, daß die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber der Erblasserin durch die Ehefrau des vorverstorbenen Sohnes als dessen Alleinerbin die Voraussetzungen der Verwirkungsklausel zu Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags nicht erfülle. Diese Klausel setze nach ihrem Wortlaut voraus, daß “eines unserer Kinder” beim ersten Erbfall den Pflichtteil geltend mache. Die Formulierung sei schon nach dem Wortlaut eindeutig. Die Klausel sei Teil eines notariell beurkundeten Vertrags, so daß die Vermutung dafür spreche, daß objektiver Erklärungsinhalt und Erblasserwillen übereinstimme. Es sei anzunehmen, daß die Vertragsparteien über die rechtlichen Folgen der Wortwahl beraten wurden und eine mögliche umfassendere Formulierung bewußt nicht gewählt haben. Es sei daher davon auszugehen, daß sich die Ehegatten in Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags nur von Pflichtteilsansprüchen ihrer Kinder haben schützen wollen, eine Freistellung des Längstlebenden “von Ansprüchen Dritter” aber nicht gewollt gewesen sei. Im übrigen zeige die in einem späteren handschriftlichen Nachtrag verfügte Nacherbeneinsetzung, daß die Ehegatten unter allen Umständen gewollt hätten, daß ihr Vermögen an den Enkel weitergeleitet werde. Daß dessen Stiefmutter die Pflichtteilsansprüche am Nachlaß ihres Schwiegervaters, des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin, die im Erbgang auf sie als Alleinerbin des Erhard übergegangen waren, gegenüber der Erblasserin geltend gemacht hat, brauche sich der Beteiligte zu 2 in keiner Weise zurechnen zu lassen. Im Hinblick auf die Ausschlußklausel des Ehe- und Erbvertrags sei entscheidend, daß weder er noch sein Vater am Nachlaß des Großvaters Pflichtteilsansprüche erhoben haben.
2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) nicht stand. Sie ist schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht die Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit der Verwirkungsklausel des Ehe- und Erbvertrags verkannt hat.
a) Das Landgericht ist bei der erbrechtlichen Beurteilung zutreffend von dem formwirksam errichteten Ehe- und Erbvertrag zwischen der Erblasserin und ihrem Ehemann aus dem Jahr 1966 ausgegangen. Danach ist die Erblasserin Alleinerbin ihres vorverstorbenen Ehemanns geworden, während die beiden gemeinsamen Kinder zu Schlußerben des Letztversterbenden eingesetzt sind (§§ 2280, 2269 Abs. 1 BGB). Das Landgericht ist ferner unausgesprochen davon ausgegangen, daß die in Ziffer VII des Ehe- und Erbvertrags enthaltene Verwirkungsklausel für den Fall des Pflichtteilsverlangens zulässigerweise bestimmte, daß die Schlußerbeneinsetzung der Kinder auflösend bedingt war; macht einer der vorgesehenen Schlußerben beim Tod des zuerst versterbenden Ehegatten einen Pflichtteilsanspruch geltend, so entfällt seine Schlußerbeneinsetzung; er erhält im Schlußerbfall nur den Pflichtteil (zu alledem vgl. BayObLGZ 1994, 194/197 ff. m.w.N.).
b) Nicht haltbar ist jedoch die Auffassung des Landgerichts, diese Ausschlußklausel sei eindeutig und daher der Auslegung nicht fähig. Das Gegenteil trifft zu.
aa) Ob eine letztwillige Verfügung der Auslegung fähig und bedürftig ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Rechtsbeschwerdegericht nachzuprüfen und gegebenenfalls als Gesetzesverletzung im Sinn des § 27 Abs. 1 FGG anzusehen ist (BayObLGZ 1984, 246/249 f.; 1993, 334/336).
bb) Bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen ist zwar vom Wortlaut auszugehen, entscheidend ist jedoch, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte (BGH NJW 1993, 256; BayObLGZ 1981, 79/82 und st. Rspr.). Insbesondere muß der Tatrichter auch die ihm zugänglichen Umstände außerhalb der Urkunde verwerten, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens beitragen können; schließlich ist die allgemeine Lebenserfahrung zu berücksichtigen (BayObLG ZEV 1995, 63/65). Setzen sich Ehegatten gegenseitig zum Erben und ihre Kinder zu Schlußerben ein, so wollen sie mit einer Verwirkungsklausel der hier vorliegenden Art den überlebenden Partner davor schützen, daß er nach dem Tod des Erstversterbenden persönlichen und wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt ist, die sich aus der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs durch einen Abkömmling ergeben können (vgl. insbesondere Lübbert NJW 1988, 2706/2708 und Wacke DNotZ 1990, 403/410). Nach der Lebenserfahrung ist dieser Schutz auch gewollt, wenn der Pflichtteilsanspruch nicht vom Abkömmling selbst, sondern von einem Dritten geltend gemacht wird, der – wie hier – im Wege der Erbfolge an die Stelle des Abkömmlings getreten ist. Wenn sich die Ehegatten veranlaßt sehen, den Überlebenden vor Pflichtteilsansprüchen ihrer Kinder zu schützen, so wollen sie diesen Schutz vernünftigerweise erst recht, wenn der Pflichtteilsanspruch auf die Ehegatten eines ihrer Abkömmlinge übergegangen und von diesen geltend gemacht werden kann. Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der die Auslegung des Landgerichts tragen würde, mit der Klausel seien “eindeutig” nur die Kinder selbst gemeint. Daß die Ehegatten bei Abschluß des Ehe- und Erbvertrags notariell beraten waren, worauf das Landgericht zusätzlich abstellt, rechtfertigt keine andere Auslegung. Die Begründung des Landgerichts ist schließlich auch in sich widersprüchlich. Die Kammer hält es im anderen Zusammenhang – in der Sache zutreffend – für wahrscheinlich, daß die den Fall prägenden besonderen Umstände (Versterben des Sohnes kurz nach dem Tod seines Vaters noch zu Lebzeiten der Mutter, dessen Beerbung allein durch seine Ehefrau unter Ausschluß des Enkels) bei Abschluß des Ehe- und Erbvertrags nicht bedacht wurden. Es ist in der Tat nicht wahrscheinlich, daß bei Abschluß des Vertrags die Möglichkeit in Erwägung gezogen wurde, daß eine Schwiegertochter, die im Erbgang an Stelle eines der Söhne getreten ist, Pflichtteilsansprüche geltend machen könnte. Dann kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dieser Fall sei von der Verwirkungsklausel in Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags nach Wortlaut und Sinn eindeutig nicht erfaßt.
3. Auf den dargelegten Rechtsfehlern beruht die angefochtene Entscheidung, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei Berücksichtigung der Auslegungsbedürftigkeit der testamentarischen Verwirkungsklausel anders ausgefallen wäre. Es steht auch nicht fest, daß die Entscheidung des Landgerichts aus anderen Gründen zutrifft (§ 27 Abs. 1 FGG, § 563 ZPO), da die für die Auslegung wesentlichen Gesichtspunkte nicht abschließend ermittelt sind.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
a) Soweit es um die Frage geht, ob die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch die Ehefrau des am 10.8.1989 verstorbenen Erhard die Voraussetzungen der Verwirkungsklausel der Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags erfüllt, sind weitere Feststellungen nicht erforderlich.
(1) Mit Mahnbescheid vom 22.7.1992 hat die Ehefrau des als Schlußerben vorgesehenen Sohnes der Erblasserin Erhard K. einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 100 000 DM gegenüber der Erblasserin geltend gemacht. Der mit dem Tod des Ehemanns der Erblasserin am 28.7.1989 gemäß § 2303 Abs. 1, § 2317 Abs. 1 in der Person des durch den Ehe- und Erbvertrag von 1966 von der Erbfolge ausgeschlossenen Sohnes Erhard entstandene Pflichtteilsanspruch ist mit dessen Tod im Wege der Universalsukzession (§ 1922 Abs. 1 BGB) auf seine Ehefrau als Alleinerbin übergegangen (§ 2317 Abs. 2 BGB). Diese war somit als Rechtsinhaberin berechtigt, allein über die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs zu entscheiden. Es handelt sich gleichwohl um den Pflichtteilsanspruch des Sohnes Erhard. Es kann daher insoweit nicht zweifelhaft sein, daß mit dem Mahnbescheid ein Pflichtteilsanspruch im Sinn der Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags vom 27.12.1966 “verlangt” wurde. Denn es handelt sich um ein Verlangen, vor dem die Partner des Ehe- und Erbvertrags den Überlebenden durch die Verwirkungsklausel gerade schützen wollten (vgl. auch BayObLGZ 1990, 58/61 f.; ebenso OLG Braunschweig OLGZ 1977, 185/188).
(2) Das für die Auslösung der Verwirkungsklausel nach der Rechtsprechung auch des Senats (vgl. BayObLGZ 1990, 58/62 m.w.N.) für erforderlich gehaltene “subjektive Element” liegt hier vor. Denn es besteht kein Zweifel, daß die Schwiegertochter der Erblasserin als Alleinerbin ihres Ehemanns dessen Pflichtteilsanspruch nach dem Tod seines Vaters in Kenntnis der im Ehe- und Erbvertrag enthaltenen Verwirkungsklausel “bewußt” erlangt hat. Soweit in Rechtsprechung und Literatur das Verlangen des Pflichtteils ein vorwerfbares Verhalten gefordert wird, kann dieser Vorwurf nur auf die Mißachtung des entgegengesetzten Erblasserwillens, nicht aber auf die moralische Bewertung des Verlangens als solchem bezogen werden (BayObLG aaO S. 63).
b) Unabhängig von der Frage, ob ein im Sinn der Verwirkungsklausel geeignetes Verlangen vorliegt, ist aber die Frage zu sehen, ob – und gegebenenfalls in welcher Weise – dieses Verlangen die in der Verwirkungsklausel angeordnete Folge auslösen kann. Im vorliegenden Fall kann – was für die Entscheidung des Landgerichts möglicherweise im Ergebnis bestimmend gewesen ist – in der Tat zweifelhaft sein, ob das Verlangen der Stiefmutter des Beteiligten zu 2 in ihrer Eigenschaft als Erbin seines Vaters geeignet war, zu seinen Lasten die in Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags vorgesehene Enterbung auszulösen. Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Aufklärung.
(1) Auszugehen ist zunächst davon, daß bei einer Schlußerbeneinsetzung gemäß § 2269 Abs. 1 BGB, wie sie hier vorliegt (§ 2280 BGB), das Pflichtteilsverlangen eines der vorgesehenen Schlußerben im Sinne der hier angeordneten Verwirkungsklausel in der Regel den gesamten Stamm von der Erbfolge ausschließt (vgl. KG JFG 20, 17/19 ff.; DNotZ 1942, 147; ähnlich auch BGHZ 33, 60; zustimmend insoweit auch Wacke DNotZ 1990, 403/410 u. 416).
(2) Im vorliegenden Fall haben die Ehegatten jedoch mit der “Anlage zum Ehe- und Erbvertrag” vom 7.9.1980, die den Formerfordernissen eines gemeinschaftlichen eigenhändigen Testaments (§ 2267 BGB) genügt, für den Schlußerbteil ihres Sohnes Erhard Nacherbfolge angeordnet und ihren Enkel (Beteiligter zu 2) als Nacherben bestimmt. Es kommt daher in Betracht, daß – gegebenenfalls unter Anwendung der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB – die Anwachsung zugunsten des Beteiligten zu 1 durch das Einrücken des Nacherben als Ersatzerbe ausgeschlossen wird (§ 2099 BGB). Dies hat wohl das Landgericht gemeint, soweit es in den Gründen seiner Entscheidung unter Hinweis auf § 2102 Abs. 1 BGB angenommen hat, daß “eine Weiterleitung des Vermögens an den Enkel unter allen Umständen gewollt war”. Es hat allerdings übersehen, daß die Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB nur “im Zweifel” gilt, also voraussetzt, daß die konkrete Auslegung kein anderes Ergebnis ergibt.
(3) Das Landgericht wird daher zunächst zu prüfen haben, ob anhand der Umstände des Einzelfalls der Wille der Parteien des Ehe- und Erbvertrags im Wege der Auslegung ermittelt werden kann. Hierzu gehört auch die ergänzende Auslegung (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 1234 und NJW- RR 1993, 459), mit der Veränderungen Rechnung getragen werden kann, die sich zwischen dem Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung (hier 1966) und den hier maßgeblichen Erbfällen von 1989 und 1993 ergeben haben und die von den Parteien des Erbvertrags nicht vorausgesehen wurden. Als Grundlage einer ergänzenden Auslegung könnte hier unter Berücksichtigung der herrschenden Andeutungstheorie (vgl. dazu zuletzt BayObLG ZEV 1995, 256/259) der in Form eines gemeinschaftlichen Testaments niedergelegte Nachtrag vom 7.9.1980 herangezogen werden. Aus diesem ergibt sich, daß die Erblasserin ihrem Enkel gegenüber den Erben ihres Sohnes Erhard bevorzugen wollte. Denn der Sinn der Nacherbeneinsetzung liegt ersichtlich darin, daß das Vermögen der Erblasserin im Falle des Todes ihres Sohnes Erhard nicht auf dessen Erben, sondern ausschließlich auf den Enkel übergehen soll. Hieraus könnte im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung hergeleitet werden, daß es nicht dem mutmaßlichen Willen der Parteien des Ehe- und Erbvertrags entsprochen hätte, daß die Rechtsstellung ihres Enkels (Beteiligter zu 2) in bezug auf den Nachlaß des Letztversterbenden durch Handlungen des Erben ihres Sohnes, hier die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch dessen Ehefrau, beeinträchtigt wird. Dies könnte es rechtfertigen, den Beteiligten zu 2 als an die Stelle des durch das Pflichtteilsverlangen von der Erbfolge ausgeschlossenen Sohnes Erhard tretend anzusehen, was im Ergebnis mit der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB übereinstimmt.
(4) Unter dieser Voraussetzung wird das Landgericht schließlich auch prüfen können, ob dem mit der Verwirkungsklausel der Ziff. VII des Ehe- und Erbvertrags ebenfalls verfolgten und somit im Ehe- und Erbvertrag auch “angedeuteten” Zweck, das gemeinsame Vermögen auf die beiden Söhne und ihre Stämme gleichmäßig zu verteilen, für die vorliegende besondere Situation ebenfalls im Wege der ergänzenden Auslegung Rechnung getragen werden kann. Hierbei könnte in Betracht kommen, daß – sei es im Wege der Bedingung, sei es im Wege der Auflage – die Pflichtteilslast in bezug auf den von der Stiefmutter des Beteiligten zu 2 geltend gemachten Pflichtteilsanspruch im Verhältnis der Miterben untereinander dem Beteiligten zu 2 zugeordnet wird. Hierbei könnte herangezogen werden, daß der Gesetzgeber in § 2320 Abs. 1 für einen nach der Interessenlage vergleichbaren Fall eine entsprechende Verteilung der Pflichtteilslast gesetzlich vorgeschrieben hat. Ähnliche Überlegungen haben das Oberlandesgericht Braunschweig (OLGZ 1977, 185/189) veranlaßt, im Falle des Nichteingreifens der Verwirkungsklausel trotz Geltendmachung des Pflichtteils die Anrechnung erhaltener Pflichtteilsbeträge auf den Erbteil im zweiten Erbfall in Erwägung zu ziehen.
4. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Für das Verfahren der weiteren Beschwerde fallen Gerichtskosten nicht an (§ 131 Abs. 1 Satz 2 KostO). Über eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten (§ 13a Abs. 1 FGG) wird das Landgericht zu befinden haben (Keidel/Zimmermann FGG 13 Aufl. § 13a Rn. 36 und 39). Unter diesen Umständen ist auch eine Festsetzung des Geschäftswerts nicht erforderlich (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KostO), zumal der Nachlaßwert noch nicht geklärt ist

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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