Anfechtbarkeit einer Ablösevereinbarung über Wiederkaufsrechtverzicht

Oktober 19, 2025

Anfechtbarkeit einer Ablösevereinbarung über Wiederkaufsrechtverzicht

BGH, Urt. v. 20. 5. 2011 – V ZR 76/10

Gerne fasse ich den komplexen Sachverhalt und die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Anfechtbarkeit einer Ablösevereinbarung über den Verzicht auf ein Wiederkaufsrecht zusammen.

Der Fall: Altes Recht trifft auf neuen Streit

Dieser Rechtsstreit dreht sich um einen sehr alten Kaufvertrag aus dem Jahr 1925 und die Frage, ob eine fast ein Jahrhundert später geschlossene Vereinbarung zur „Ablösung“ eines damals vereinbarten Wiederkaufsrechts angefochten werden kann.

Die Ausgangslage (Kaufvertrag 1925)

Die beklagte Stadt verkaufte im Jahr 1925 ein großes Grundstück in Hamburg an eine Grundstücksgesellschaft. Teil des Vertrages waren zwei zentrale Punkte:

Bauverpflichtung: Die Gesellschaft musste Wohnhäuser bauen.

Wiederkaufsrecht: Die Stadt behielt sich das Recht vor, das Grundstück ab dem 1. April 2024 zurückzukaufen.

Wiederkaufspreis: Es wurde der ursprüngliche Verkaufspreis von 35 Reichsmark (RM) pro Quadratmeter vereinbart, ohne Verzinsung.

Entschädigung für Gebäude: Die Käufer sollten im Falle des Wiederkaufs nur zwei Drittel des gemeinen Werts der errichteten Gebäude erhalten.

Lange Frist: Die erstmalige Ausübung war erst nach 99 Jahren möglich.

Die Ablösevereinbarung (2006)

Im Jahr 2000 wurde das Areal, auf dem mittlerweile Mehrfamilienhäuser standen, in Wohnungseigentum aufgeteilt. Die Kläger (Kl.) erwarben eine dieser Eigentumswohnungen. Das Wiederkaufsrecht der Stadt (Bekl.) war im Grundbuch eingetragen.

Mitte 2006 schlossen die Kläger und die Stadt eine sogenannte Ablösevereinbarung:

Die Kläger zahlten einen Ablösebetrag von 52.040 Euro.

Im Gegenzug verzichtete die Stadt auf ihr Wiederkaufsrecht an dieser Wohnung und bewilligte die Löschung des Eintrags im Grundbuch.

Der Streit: Anfechtung nach dem BGH-Urteil

Kurz darauf wurde ein anderes Urteil des BGH (vom 21. Juli 2006) bekannt, in dem ein ähnliches, aber anders gelagertes Wiederkaufsrecht der öffentlichen Hand nach mehr als 30 Jahren als unzulässig erachtet wurde.

Die Kläger nahmen dies zum Anlass, von ihrer Ablösevereinbarung zurückzutreten und sie anzufechten. Ihre Begründung: Sie seien bei Abschluss der Ablösevereinbarung gemeinsam davon ausgegangen, dass das Wiederkaufsrecht der Stadt wirksam gewesen sei und 2024 hätte ausgeübt werden können. Wäre es aber – wie das BGH-Urteil im anderen Fall andeutete – unwirksam gewesen, hätten sie den hohen Ablösebetrag für etwas Unnötiges gezahlt.

Die Entscheidung des BGH: Keine Anfechtung

Der BGH hat die Klage auf Rückzahlung des Ablösebetrages letztinstanzlich abgewiesen. Die Ablösevereinbarung bleibt wirksam.

Der BGH prüfte, ob das ursprüngliche Wiederkaufsrecht unwirksam war und ob die Kläger die Ablösevereinbarung wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage (§§ 119, 123, 313 BGB) anfechten konnten.

Anfechtbarkeit einer Ablösevereinbarung über Wiederkaufsrechtverzicht

Wirksamkeit des Wiederkaufsrechts von 1925

Der BGH stellte klar: Das Wiederkaufsrecht war wirksam.

Lange Ausübungsfrist (99 Jahre)

Die gesetzliche Höchstfrist von 30 Jahren (§ 462 BGB) gilt nur, wenn keine Frist vereinbart wurde.

Die Parteien können längere Fristen vereinbaren. Hier war vereinbart, dass das Recht erst ab 2024 ausgeübt werden darf. Das ersetzt die gesetzliche Frist. Der Käufer wurde dadurch nicht unangemessen benachteiligt, sondern erhielt eine lange Frist zur Amortisation seiner Investitionen.

Die Vereinbarung stellt ein erbbaurechtsähnliches Verhältnis dar (Erbbaurechte können auch bis zu 99 Jahre laufen). Für den Käufer hatte es sogar Vorteile (z.B. bessere Kreditwürdigkeit als ein Erbbauberechtigter).

Sittenwidrigkeit wegen Preis oder Frist (§ 138 BGB)

Weder die lange Frist noch die Konditionen führten zur Sittenwidrigkeit.

Wiederkaufspreis:

Die Vereinbarung, den ursprünglichen Kaufpreis als Wiederkaufspreis festzulegen, entspricht der gesetzlichen Auslegungsregel.

Geldentwertung (Inflation):

Die Richter gingen davon aus, dass die Vertragsparteien 1925 (nach der Hyperinflation der frühen 1920er Jahre) im Falle der Ausübung die Aufwertung des Kaufpreises auf die entsprechende Kaufkraft hätten erwarten dürfen (Anpassung nach § 242 BGB, später § 313 BGB). Dies verhindert eine sittenwidrige Benachteiligung.

Entschädigung für Gebäude:

Die Entschädigung von nur zwei Drittel des gemeinen Werts ist ebenfalls nicht sittenwidrig, da dies der gesetzlichen Mindestentschädigung für Bauten auf einem Erbbaurecht bei dessen Zeitablauf (§ 27 ErbbauRG) entspricht.

Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeit bei öffentlicher Hand)

Die Stadt als Körperschaft des öffentlichen Rechts muss das Übermaßverbot (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) beachten.

Der BGH unterscheidet jedoch zwischen zwei Arten von Wiederkaufsrechten:

Sicherung von Subventionen/Zweckbindungen:

Hier ist eine Dauer über 30 Jahre in der Regel unverhältnismäßig (dies war der Fall im BGH-Urteil von 2006, auf das sich die Kläger beriefen).

Erbbaurechtsersetzende Funktion:

Das Recht der Stadt diente hier nicht der Sicherung einer Subvention, sondern fungierte wie ein auf 99 Jahre befristetes Erbbaurecht. Da dies rechtlich zulässig ist und die lange Frist für den Käufer sogar vorteilhaft war (längere Eigentumsdauer), war die 99-Jahres-Frist nicht unverhältnismäßig.

Anfechtung der Ablösevereinbarung (2006)

Da das ursprüngliche Wiederkaufsrecht wirksam war, gab es keinen Grund für eine Anfechtung der Ablösevereinbarung.

Irrtum/Fehlvorstellung über die Wirksamkeit:

Die Annahme der Kläger, das Recht sei unwirksam gewesen, war rechtlich falsch. Eine rechtlich unbeachtliche Fehlvorstellung berechtigt nicht zur Anfechtung oder zum Rücktritt.

Fehlvorstellung über den Wiederkaufspreis:

Die Kläger hätten die naheliegende Frage der Geldentwertung und der möglichen Anpassung des Wiederkaufspreises bei den Verhandlungen selbst thematisieren müssen. Da sie dies nicht taten und ihnen sogar ein Abschlag gewährt wurde, fällt das unter ihr eigenes Risiko.

Fazit

Die Ablösevereinbarung ist nicht anfechtbar, da das zugrundeliegende Wiederkaufsrecht der Stadt wirksam war.

Die Vereinbarung einer langen Ausübungsfrist für ein Wiederkaufsrecht (hier 99 Jahre) oder eines Wiederkaufspreises in Höhe des ursprünglichen Verkaufspreises führt nicht automatisch zur Nichtigkeit.

Gerade wenn der Vertrag ein erbbaurechtsähnliches Verhältnis schafft und eine Anpassung des Wiederkaufspreises an die Inflation möglich ist, verstößt das Recht weder gegen die guten Sitten noch gegen das Übermaßverbot für die öffentliche Hand.

Ein Irrtum über die Rechtslage (die fehlerhafte Annahme, das Recht sei unwirksam) berechtigt nicht zur Anfechtung der Ablösevereinbarung.

RA und Notar Krau

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