Anscheinsbeweis bei unautorisierten Verfügungen mit Zahlungskarte

Oktober 26, 2025

Anscheinsbeweis bei unautorisierten Verfügungen mit Zahlungskarte

OLG Dresden Urteil vom 13.3.2024 – 5 U 589/23

Gerne fasse ich den Sachverhalt und das Urteil des OLG Dresden zum Anscheinsbeweis bei unautorisierten Verfügungen mit Zahlungskarte für Laien zusammen.

Der Fall: Unautorisierte Verfügungen mit gestohlener Karte

Eine Kontoinhaberin (Klägerin, Kl.) verklagte ihre Sparkasse (Beklagte, Bekl.) auf Erstattung von über 10.000 Euro, die durch unautorisierte Verfügungen mit ihrer Debitkarte entstanden waren.

Die Behauptung der Kontoinhaberin

Ihre Geldbörse mit der Zahlungskarte wurde gestohlen.

Kurz darauf, innerhalb von etwa 22 Stunden, wurden 40 Verfügungen (überwiegend Einkäufe, einmal Bargeldabhebung) vorgenommen.

Sie hatte die PIN auswendig gelernt und keine Aufzeichnungen davon gemacht.

Sie meldete den Diebstahl und ließ die Karten sperren, nachdem sie die Abbuchungen im Online-Banking bemerkt hatte.

Sie verlangt die Wiedergutschrift des Betrags, da die Zahlungen nicht von ihr autorisiert waren.

Die Argumentation der Sparkasse

Die Bank lehnte die Erstattung ab (abgesehen von einem Kleinbetrag).

Sie vermutet einen Schadensersatzanspruch gegen die Kundin, da diese ihre Sorgfaltspflichten im Umgang mit der PIN verletzt habe.

Die Entscheidung des Gerichts (OLG Dresden)

Das OLG Dresden bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Dresden und wies die Klage der Kontoinhaberin ab.

Anspruch auf Wiedergutschrift (Unautorisierte Zahlung)

Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Kontoinhaberin grundsätzlich einen Anspruch auf Wiedergutschrift (Erstattung) des Betrages hätte, da die Zahlungen ohne ihre Zustimmung (Autorisierung) erfolgten (§ 675u S. 2 BGB).

Wichtig:

Das Gericht war überzeugt, dass tatsächlich ein Missbrauchstäter die Verfügungen vorgenommen hatte, weil:

Innerhalb kürzester Zeit und auf engem Raum in Dresden 40 Verfügungen stattfanden (darunter ununterbrochene Käufe von Monatsfahrkarten).

Dieses Verhalten völlig vom bisherigen Nutzerverhalten der Kundin abwich.

Die Bank ihr anfängliches Bestreiten lediglich aus „prozesstaktischen Gründen“ aufrechterhielt.

Schadensersatzanspruch der Sparkasse (Der „Anscheinsbeweis“)

Diesen Erstattungsanspruch hielt die Sparkasse jedoch einen Schadensersatzanspruch gegen die Kundin in gleicher Höhe entgegen (§ 675v BGB). Dies ist rechtlich zulässig, weil es einen Missbrauch der eigenen Rechte darstellen würde, wenn die Sparkasse erst erstatten müsste, nur um den Betrag sofort danach als Schadenersatz zurückzufordern („dolo-agit-Einrede“, § 242 BGB).

Anscheinsbeweis bei unautorisierten Verfügungen mit Zahlungskarte

Der Schadensersatzanspruch der Bank stützt sich auf eine grob fahrlässige Pflichtverletzung der Kundin im Umgang mit der Karte und der PIN (§ 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB), die zum Schaden führte.

Die Rolle des Anscheinsbeweises

Da die Bank nicht wissen kann, wie der Täter an die PIN kam (z. B. ob die Kundin die PIN bei der Karte aufbewahrt hat), kann sie sich auf den Anscheinsbeweis stützen:

Regelfall:

Wenn eine abhanden gekommene Karte kurz nach dem Verlust unter Verwendung der richtigen PIN genutzt wird, spricht der erste Anschein dafür, dass der Täter nur deshalb an die PIN kam, weil sie zusammen mit der Karte aufbewahrt wurde. Das wäre eine grob fahrlässige Pflichtverletzung der Kundin.

Anwendung im vorliegenden Fall

Damit dieser Anscheinsbeweis greift, musste die Bank beweisen, dass:

Die Verfügungen mit der Originalkarte und der richtigen PIN ausgelöst wurden.

Ein Sicherheitssystem verwendet wurde, das praktisch nicht zu überwinden war, ordnungsgemäß angewendet wurde und fehlerfrei funktionierte.

Die Beweisführung der Sparkasse und das Sachverständigengutachten:

Das Gericht bejahte dies aufgrund eines Sachverständigengutachtens.

Der Gutachter bestätigte, dass die Zahlungen über den EMV-Chip (als sehr sicher geltend) und nicht über den unsicheren Magnetstreifen erfolgten und dass die Sicherheitssysteme der Banken im Allgemeinen hohen Standards entsprechen.

Die Abgrenzung zum Online-Banking (Modifikation des Anscheinsbeweises)

Das Gericht modifizierte die strengeren Anforderungen des Bundesgerichtshofs (BGH) aus einem Urteil zum Online-Banking. Im Unterschied zum Online-Banking, das rein elektronisch ist, handelt es sich beim Bankkartenverfahren um ein physisches Verfahren.

OLG Dresden:

In Fällen, in denen die Karte kurz nach dem Diebstahl hochfrequent und lokal begrenzt eingesetzt wurde (wie hier), liegt ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht der Kundin besonders nahe. Es handelt sich um einen typischen Geschehensablauf.

Daher musste die Sparkasse nicht so detailliert die fehlerfreie Funktion des Systems im Einzelfall nachweisen wie beim Online-Banking.

Erschütterung des Anscheinsbeweises

Die Kundin hätte den Anscheinsbeweis entkräften („erschüttern“) müssen. Das bedeutet, sie hätte konkrete Tatsachen vortragen müssen, die die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs (z. B. einer Sicherheitslücke) nahelegen.

Ergebnis:

Die Kundin scheiterte damit. Ihre Einwände gegen das Gutachten und die Möglichkeit von Verfahrensfehlern wurden als bloß „spekulativ und theoretisch“ abgewiesen.

Fazit

Da die Kontoinhaberin den Anscheinsbeweis nicht erschüttern konnte, musste das Gericht davon ausgehen, dass sie grob fahrlässig gehandelt hat. Dies führte zum Schadensersatzanspruch der Sparkasse in voller Höhe, der dem Erstattungsanspruch entgegengehalten wurde. Die Klage wurde abgewiesen.

Was bedeutet das Urteil?

Das Urteil unterstreicht, wie wichtig der sorgfältige Umgang mit Zahlungskarte und PIN ist:

Der Anscheinsbeweis ist mächtig:

Wenn kurz nach dem Verlust einer Karte mit der PIN verfügt wird, geht das Gericht (fast immer) davon aus, dass der Kunde die PIN grob fahrlässig zugänglich gemacht hat (z. B. zusammen mit der Karte aufbewahrt).

Schwierige Gegenwehr:

Der Kunde muss dann konkrete Beweise liefern, dass etwas anderes passiert ist (z. B. ein technischer Fehler der Bank oder eine Sicherheitslücke) – bloße theoretische Einwände reichen nicht aus.

Konsequenz:

Grobe Fahrlässigkeit führt in der Regel zum vollständigen Verlust des Erstattungsanspruchs.

RA und Notar Krau

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