Anscheinsvollmacht bei Zugriff auf den E-Mail-Account

Juni 21, 2025

Anscheinsvollmacht bei Zugriff auf den E-Mail-Account

RA und Notar Krau

Im Fall OLG Zweibrücken, Aktenzeichen 1 U 20/24 vom 15. Januar 2025, ging es um einen Rechtsstreit zwischen einer Hausbesitzerin (Klägerin) und ihrer Wohngebäudeversicherung (Beklagte) wegen eines Wasserschadens. Das Gericht musste klären, ob ein früher geschlossener Vergleich weitere Ansprüche der Klägerin ausschließt.


Der ursprüngliche Wasserschaden und der Vergleich

Im Jahr 2011 hatte die Klägerin einen Leitungswasserschaden an ihrem Einfamilienhaus. Eine große Menge Wasser (5.000 Kubikmeter) war ausgetreten. Die Versicherung beauftragte einen Sachverständigen, der den Schaden begutachtete.

Im Juni 2014 wurde vom E-Mail-Konto der Klägerin eine E-Mail an den Gutachter geschickt. Diese E-Mail, die mit dem Namen der Klägerin unterschrieben war, schlug einen Vergleich vor: Die Klägerin würde 10.000 € erhalten, und dafür sollten auch alle eventuell noch auftretenden Folgeschäden abgegolten sein. Die Versicherung überwies daraufhin die 10.000 €.


Die Forderung der Klägerin und ihre Begründung

Jahre später, im Jahr 2020, traten an dem Haus weitere Schäden auf, die die Klägerin auf den Wasserschaden von 2011 zurückführte. Sie behauptete, die Fundamente des Hauses könnten unterspült und die Bodenplatte sowie das Mauerwerk instabil geworden sein. Es zeigten sich Risse und Absenkungen. Die Klägerin wollte gerichtlich feststellen lassen, dass die Versicherung für diese neuen Schäden aufkommen muss.

Die Klägerin argumentierte, die E-Mail mit dem Vergleichsangebot stamme nicht von ihr, sondern von ihrem Ehemann. Er sei dazu nicht bevollmächtigt gewesen und sie habe auch nichts vom Inhalt der E-Mail gewusst. Daher sei der Vergleich unwirksam. Außerdem sei es für sie unzumutbar, an dem Vergleich festzuhalten, da die nun befürchteten Schäden möglicherweise Millionenhöhe erreichen könnten – ein krasses Missverhältnis zur damaligen Abfindung.

Anscheinsvollmacht bei Zugriff auf den E-Mail-Account


Die Entscheidung der Vorinstanz (Landgericht Kaiserslautern)

Das Landgericht Kaiserslautern wies die Klage der Klägerin ab. Es stellte fest, dass ein wirksamer Vergleich zustande gekommen war. Auch wenn der Ehemann die E-Mail geschrieben haben sollte, müsse sich die Klägerin das Angebot zurechnen lassen. Entweder habe sie es nachträglich genehmigt, indem sie das Geld behielt, oder die Versicherung habe aufgrund der E-Mail ein eigenes Angebot gemacht, das die Klägerin durch das Behalten des Geldes angenommen habe. Der Vergleich sollte alle Schäden aus dem Jahr 2011 abdecken, auch unbekannte Folgeschäden.


Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (Berufungsinstanz)

Das OLG Zweibrücken bestätigte im Wesentlichen das Urteil der Vorinstanz und wies die Berufung der Klägerin zurück.

  1. Zurechnung des Angebots (Anscheinsvollmacht): Das Gericht stellte klar, dass das Angebot aus der E-Mail vom 13. Juni 2014 der Klägerin zuzurechnen ist. Auch wenn ihr Ehemann die E-Mail geschrieben hat, begründet dies eine sogenannte Anscheinsvollmacht. Das bedeutet: Die Klägerin hatte ihrem Ehemann willentlich die Zugangsdaten zu ihrem passwortgeschützten E-Mail-Konto gegeben. Er hatte dieses Konto über längere Zeit hinweg und mit ihrem Wissen genutzt, um in ihrem Namen Erklärungen abzugeben. Für die Versicherung sah es so aus, als käme das Angebot von der Klägerin selbst. Da die Klägerin hätte erkennen und verhindern können, dass ihr Mann in ihrem Namen handelt, muss sie sich sein Handeln anrechnen lassen.
  2. Endgültigkeit des Vergleichs: Das Gericht betonte, dass in einem Abfindungsvergleich, der klar und eindeutig formuliert ist, alle gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche aus einem Schadensfall abgegolten werden. Der Versicherungsnehmer geht mit einem solchen Vergleich das Risiko ein, dass später weitere Schäden auftreten können.
  3. Kein krasses Missverhältnis: Eine Ausnahme von der Endgültigkeit eines Vergleichs gibt es nur, wenn ein krasses Missverhältnis zwischen dem tatsächlich entstandenen Gesamtschaden und der Abfindungssumme besteht, und das Festhalten am Vergleich für den Geschädigten unzumutbar wäre. Dies sah das Gericht hier nicht gegeben:
    • Die Klägerin konnte nicht genau beziffern, welche Zahlungen die Versicherung insgesamt für den Schaden von 2011 geleistet hatte. Die 10.000 € waren lediglich eine „Restentschädigung“, was darauf hindeutet, dass die Versicherung bereits weitere Kosten (z.B. für Ortung und Trocknung) übernommen hatte.
    • Die von der Klägerin in den Raum gestellte Summe von „rund 2 Millionen €“ für Folgeschäden wurde vom Gericht als unbegründete Behauptung angesehen. Sie konnte nicht konkret darlegen, wie solche Schäden entstehen sollten.
  4. Erkennbarkeit der Folgeschäden: Entscheidend war auch, dass die möglichen Folgeschäden für die Klägerin von Anfang an erkennbar waren. Der Sachverständige hatte bereits 2011 in seinem Bericht auf eine mögliche Unterspülung des Gebäudes hingewiesen und dass die Statik betroffen sein könnte. Er hatte sogar gesagt, dass das Haus im schlimmsten Fall nicht mehr zu retten sei. Die Klägerin selbst bestätigte dies in ihrer Anhörung. Daher fielen die nun geltend gemachten Folgeschäden in den Risikobereich, den die Klägerin mit dem damaligen Vergleich bewusst übernommen hatte. Es war also kein unvorhersehbarer Schaden.

Fazit

Das OLG Zweibrücken entschied, dass die Klägerin an den im Jahr 2014 geschlossenen Abfindungsvergleich gebunden ist. Die E-Mail des Ehemanns konnte der Klägerin zugerechnet werden, und die Möglichkeit von Folgeschäden war bereits zum Zeitpunkt des Vergleichs bekannt. Ein krasses Missverhältnis zwischen Abfindung und Schaden wurde nicht nachgewiesen. Daher muss die Versicherung nicht für die später aufgetretenen Folgeschäden aufkommen.


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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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