Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit verjährt in 30 Jahren

Juni 12, 2025

Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit verjährt in 30 Jahren

BGH, Urteil vom 18.07.2014 – V ZR 151/13

AG Landshut, Entscheidung vom 02.11.2012 – 2 C 1534/12 –

LG Landshut, Entscheidung vom 31.05.2013 – 12 S 3244/12 –

RA und Notar Krau

Der Fall: Ein Wegerecht und zwei Bäume

In diesem Fall ging es um ein Wegerecht (eine sogenannte Grunddienstbarkeit) auf einem Grundstück, das den Kläger berechtigte, einen bestimmten Fahrweg jederzeit zu nutzen – sowohl zu Fuß als auch mit Fahrzeugen aller Art. Auf diesem Weg standen allerdings zwei Fichten, die verhinderten, dass der Kläger den Weg mit mehrspurigen Fahrzeugen befahren konnte, um zu seinem eigenen Grundstück zu gelangen. Der Kläger wollte, dass die Beklagte (die Eigentümerin des Grundstücks mit dem Wegerecht) die Bäume entfernt.


Die Streitfrage: Ist der Anspruch verjährt?

Die Beklagte lehnte die Beseitigung der Bäume ab und berief sich darauf, dass der Anspruch des Klägers auf Entfernung der Bäume verjährt sei. Die Gerichte der unteren Instanzen gaben der Beklagten Recht und sahen den Anspruch als verjährt an. Der Kläger legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein.


Die Entscheidung des BGH: Keine Verjährung nach drei Jahren

Der BGH hob das Urteil der Vorinstanzen auf und stellte klar, dass der Anspruch des Klägers nicht verjährt war. Hier sind die wichtigsten Punkte der Begründung:

Was ist eine Grunddienstbarkeit?

Eine Grunddienstbarkeit ist ein Recht, das im Grundbuch eingetragen ist und das es dem Eigentümer eines Grundstücks (dem „berechtigten Grundstück“) erlaubt, ein anderes Grundstück (das „belastete Grundstück“) in bestimmter Weise zu nutzen. Hier war es das Recht, den Fahrweg zu begehen und zu befahren.

Dürfen auch Autos den Weg nutzen?

Die Beklagte hatte argumentiert, das eingetragene Wegerecht beziehe sich nur auf „Fuhrwerke“ und nicht auf moderne Fahrzeuge wie Autos. Der BGH stellte jedoch klar, dass sich der Inhalt eines solchen zeitlich unbefristeten Rechts im Laufe der Zeit ändern kann, angepasst an die wirtschaftliche und technische Entwicklung. Ein „Fuhrwerk“ im ursprünglichen Sinne entspricht heute einem Kraftfahrzeug (Pkw, Lkw). Daher durfte der Kläger den Weg auch mit einem Auto befahren.

Wann liegt eine Beeinträchtigung vor?

Die Bäume hinderten den Kläger daran, den Weg mit mehrspurigen Fahrzeugen zu befahren. Der BGH bestätigte, dass dies eine Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit darstellt. Eine Beeinträchtigung ist jede Störung der rechtmäßigen Nutzung des Wegerechts. Die Beklagte war als Eigentümerin des Grundstücks auch die „Zustandsstörerin“, also verantwortlich für die Beseitigung der Beeinträchtigung.

Das Hauptproblem: Die Verjährung von Ansprüchen bei Grunddienstbarkeiten

Normalerweise unterliegen Ansprüche, die aus im Grundbuch eingetragenen Rechten resultieren (wie eine Grunddienstbarkeit), nicht der Verjährung. Das ist in § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB festgelegt. Dieser Grundsatz soll sicherstellen, dass eingetragene Rechte dauerhaft bestehen.

Allerdings gibt es eine Ausnahme in § 1028 Abs. 1 Satz 1 BGB. Diese Regelung besagt, dass der Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit, die durch eine Anlage auf dem Grundstück verursacht wird, doch verjähren kann. Und wenn dieser Beseitigungsanspruch verjährt, erlischt sogar die Grunddienstbarkeit selbst (teilweise).

Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit verjährt in 30 Jahren

Sind die Bäume eine „Anlage“?

Der BGH bestätigte, dass die Fichten in diesem Fall als eine „Anlage“ im Sinne des § 1028 BGB anzusehen sind. Eine Anlage ist etwas, das von Menschen für eine gewisse Dauer zur Nutzung des Grundstücks geschaffen wurde. Auch Pflanzen können dazu gehören, wenn sie bewusst angepflanzt oder an einer bestimmten Stelle belassen werden, um das Grundstück zu gestalten. Im vorliegenden Fall waren die Bäume zwar von selbst gewachsen, aber die Beklagte hatte sie bewusst auf ihrem Grundstück belassen, was als bewusste Gestaltung des Grundstücks gewertet wurde.

Die entscheidende Frage: Drei Jahre oder dreißig Jahre Verjährung?

Hier kam der Knackpunkt des Falls: Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2002 beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre (§ 195 BGB). Die Vorinstanzen hatten diese dreijährige Frist auf den Fall angewendet und den Anspruch des Klägers daher als verjährt angesehen, da die Bäume schon seit mindestens 20 Jahren dort standen.

Der BGH widersprach dieser Ansicht vehement. Er stellte klar, dass in Fällen, in denen eine Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit nicht nur die Ausübung des Rechts erschwert, sondern dessen Verwirklichung verhindert, eine Verjährungsfrist von dreißig Jahren anzuwenden ist.


Die Argumente des BGH für 30 Jahre Verjährung

  • Schutz eingetragener Rechte: Der BGH betonte, dass der Gesetzgeber im Grundsatz die Dauerhaftigkeit im Grundbuch eingetragener Rechte schützen wollte. Eine dreijährige Verjährungsfrist würde dazu führen, dass ein solches Recht zu schnell erlischt, wenn der Berechtigte die Beeinträchtigung hinnimmt. Dies würde dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers bei Einführung des § 1028 BGB widersprechen, der eine längere Frist im Blick hatte.
  • Verlust des Rechts als „leere Hülse“: Wenn die Verjährung nach nur drei Jahren eintreten würde, würde die Grunddienstbarkeit teilweise zu einer „leeren rechtlichen Hülse“ werden. Das bedeutet, das Recht stünde zwar noch im Grundbuch, könnte aber nicht mehr ausgeübt werden, was nicht im Sinne des Gesetzes sein kann.
  • Historischer Kontext: Historisch gesehen war die Verjährungsfrist für solche Ansprüche oft 30 Jahre. Auch wenn diese Frist nicht explizit in die heute gültige Fassung des § 1028 BGB aufgenommen wurde, zeigt die Entstehungsgeschichte, dass diese lange Dauer entscheidend war.
  • Interessenabwägung: Eine dreijährige Frist würde die Interessen des Berechtigten einer Grunddienstbarkeit erheblich schwächen, ohne dass es dafür einen überzeugenden Grund gäbe. Der Eigentümer, der das Recht bestellt hat, und der Berechtigte, der oft dafür bezahlt hat, gehen von einer dauerhaften Belastung bzw. einem dauerhaften Recht aus.
  • Verdeckte Gesetzeslücke: Der BGH ging davon aus, dass dem Gesetzgeber bei der Einführung der dreijährigen Regelverjährungsfrist nicht bewusst war, welche gravierenden Folgen dies im Zusammenhang mit § 1028 BGB hätte. Daher handele es sich um eine „verdeckte Lücke“ im Gesetz, die durch die Anwendung der 30-jährigen Frist geschlossen werden muss.

Das Ergebnis des BGH-Urteils

Der BGH verwies den Fall an das Landgericht Landshut zurück, damit dieses neu entscheiden kann. Da die Verjährungsfrist 30 Jahre beträgt, muss nun geklärt werden, ob die Möglichkeit, den Weg mit mehrspurigen Fahrzeugen zu befahren, tatsächlich schon seit 30 Jahren durch die Bäume blockiert war. Dies war in den Vorinstanzen noch nicht ausreichend geprüft worden, da man von einer kürzeren Frist ausgegangen war.


Kurz zusammengefasst:

Das Urteil des BGH vom 18.07.2014 (V ZR 151/13) ist wichtig, weil es klargestellt hat, dass der Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit durch eine Anlage (wie Bäume) in der Regel erst nach dreißig Jahren verjährt, wenn diese Beeinträchtigung das Recht selbst unmöglich macht – und nicht schon nach drei Jahren. Dies schützt die im Grundbuch eingetragenen Rechte der Berechtigten und verhindert, dass diese zu schnell erlöschen.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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