Anspruch auf Beseitigung überhängender Äste

Juni 12, 2025

Anspruch auf Beseitigung überhängender Äste

LG München II, Teilurteil vom 28.09.2017 – 1 O 2379/12 (2)

RA und Notar Krau

Das Landgericht München II hat am 28. September 2017 ein Teilurteil in einem Nachbarschaftsstreit erlassen, der zwischen den Klägern und dem Beklagten, ihren Nachbarn, ausgetragen wurde. Der Kern des Konflikts betrifft überhängende Äste und Zweige sowie eine Thujenhecke, die angeblich die Nutzung des klägerischen Grundstücks und ihr Geh- und Fahrtrecht beeinträchtigen.

Hintergrund des Falls: Die Kläger besitzen ein 3.860 qm großes Grundstück. Nördlich und östlich davon liegt das Grundstück des Beklagten. Für das Grundstück des Beklagten ist ein „Geh- und Fahrtrecht“ zugunsten der Kläger im Grundbuch eingetragen. Dieses Recht wurde 1972 vereinbart und betrifft eine Zufahrt, die vom Beklagten instandgehalten werden muss. Die Kläger behaupten, dass zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Geh- und Fahrtrechts keine Hecke oder Zaun an der östlichen Grundstücksgrenze der Zufahrt vorhanden war. Im Laufe der Jahre wurde die Zufahrt jedoch verkleinert und eine Thujenhecke angelegt. Der Beklagte erwarb sein Grundstück 1990. Rückschnitte der Bäume und Hecken an der nördlichen Grundstücksgrenze erfolgten seitdem nicht durch den Beklagten, obwohl die Kläger ihn 2011 erfolglos zum Rückschnitt aufforderten. Auch die Thujenhecke entlang der Zufahrt wurde vom Beklagten vernachlässigt, was nach Ansicht der Kläger die Ein- und Ausfahrt, insbesondere für größere Fahrzeuge wie Rettungsfahrzeuge, erheblich behindert. Die Kläger forderten daher die Beseitigung bestimmter Überhänge und das Zurückschneiden der Thujenhecke.

Die Behauptungen der Kläger: Die Kläger führten an, dass die massiven Überhänge und Überwüchse an der Nordseite ihres Grundstücks ihre Nutzung erheblich beeinträchtigen. Insbesondere:

  • Herabstürzende Äste der Eiche stellen eine Gefahr für Personen und Sachen auf ihrem Parkplatz dar.
  • Verstopfung der Dachrinnen durch Laubfall, was ständige Reinigungen notwendig macht.
  • Tiere gelangen über Äste, die auf das Hausdach ragen, ins Wohngebäude und verursachen Schäden.
  • Erheblicher Entzug von Tageslicht in nach Norden ausgerichteten Wohnräumen, was künstliche Beleuchtung erfordert.
  • Unmögliche Rasenpflege bis zur Grundstücksgrenze und Absterben eines Rasenstreifens durch dauerhafte Verschattung.
  • Verletzungsrisiko durch wildwachsende Brombeerpflanzen im Heckenbereich. Hinsichtlich des Geh- und Fahrtrechts beklagten die Kläger, dass die Hecke die Zufahrt so stark einschränkt, dass die Nutzung ihres Grundstücks und der Garagen behindert sei und große Fahrzeuge nicht mehr einfahren könnten. Sie forderten die Beseitigung eines Teils der Hecke und den Rückschnitt des restlichen Teils auf eine Maximalbreite von einem Meter.

Die Argumente des Beklagten: Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und argumentierte:

  • Die Kläger hätten ihn am Betreten ihres Grundstücks gehindert, um Rückschnitte vorzunehmen, und damit ihre Ansprüche verwirkt.
  • Die Kläger schnitten die Äste ihrer eigenen Esche, die auf das Grundstück des Beklagten ragten, nicht zurück, was widersprüchlich sei.
  • Herabfallendes Laub stelle keine Störung dar.
  • Die angeblichen Beeinträchtigungen seien unerheblich oder würden ohnehin durch nicht grenzüberschreitende Teile der Bäume verursacht.
  • Die Kläger hätten die Situation der angeblich störenden Lichtverhältnisse durch eine spätere Aufstockung des Hauses selbst geschaffen.
  • Ein Rückschnitt würde die Bäume destabilisieren.
  • Beseitigungsansprüche seien unzulässig, da sie einen Rückschnitt zur Unzeit, also außerhalb der erlaubten Zeiten, erzwingen könnten.
  • Die Breite des Weges sei konstant geblieben oder sogar breiter geworden.
  • Die Hecke werde regelmäßig zurückgeschnitten, und die Kläger hätten keinen Anspruch auf Nutzung des bepflanzten Bereichs.
  • Das Geh- und Fahrtrecht sei nicht beeinträchtigt, da die Zufahrt breit genug für den notwendigen Verkehr sei.
  • Die eingetragene Grunddienstbarkeit sei zu unbestimmt und daher nichtig.
  • Er erhob die Einrede der Verjährung für die Ansprüche der Kläger.

Beweisaufnahme: Das Gericht holte zwei Sachverständigengutachten ein und führte eine Ortsbegehung durch, um die Situation vor Ort zu beurteilen.

Entscheidung des Gerichts (Tenor): Das Gericht gab den Klägern teilweise Recht:

  1. Der Beklagte muss die auf das Grundstück der Kläger ragenden Äste und Zweige folgender Bäume beseitigen: zwei zweistämmige Ahorne, ein dreistämmiger Ahorn, zwei einstämmige Buchen (Aufzählung von Westen nach Osten).
  2. Die vom Grundstück des Beklagten herüberragenden Äste und Zweige der Eiche sind jeweils um 0,75 Meter zu kürzen.
  3. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
  4. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
  5. Das Urteil ist für die Kläger gegen eine Sicherheitsleistung von 8.000 € vorläufig vollstreckbar.

Anspruch auf Beseitigung überhängender Äste

Begründung des Gerichts: Das Gericht entschied über die Klage, da sie unabhängig von der späteren Widerklage des Beklagten entscheidungsreif war.

  1. Rückschnitte von Laubbäumen: Die Kläger haben einen Anspruch auf Rückschnitt der Äste und Zweige bis zur nördlichen Grundstücksgrenze der im Urteil genannten Laubbäume (Ahorn zweistämmig, Ahorn dreistämmig, Buche einstämmig, weiterer Ahorn zweistämmig, weitere Buche einstämmig). Eine geringfügige Beeinträchtigung durch die Linde und eine andere Buche (lit. b) musste von den Klägern geduldet werden, da sie nur unerheblich war. Die Beeinträchtigung durch Laubfall auf Dächer wurde als nicht unerheblich eingestuft.
    • Eiche: Bei der Eiche ist lediglich ein Rückschnitt von 0,75 Metern an allen die Grenze überragenden Zweigen und Ästen erforderlich, um den Baum nicht zu schädigen. Ein darüber hinausgehender Überhang muss geduldet werden.
    • Ortsüblichkeit: Eine Ortsüblichkeit von Überhang in unmittelbarer Nähe von Haus- und Garagendächern wurde verneint, auch wenn die Umgebung parkähnlichen Charakter hat.
    • Verwirkung/Widersprüchliches Verhalten: Die Einwände des Beklagten, die Kläger hätten sich widersprüchlich verhalten oder den Anspruch verwirkt (z.B. durch Verweigerung des Zutritts für Gärtner), wurden zurückgewiesen. Die Kläger durften eine vorherige Absprache und Terminvereinbarung erwarten. Auch der Überwuchs der Esche der Kläger auf das Grundstück des Beklagten führt nicht zu einer Verwirkung, da dies erst mit der Widerklage thematisiert wurde.
    • Verjährung: Die Einrede der Verjährung wurde für die Laubbäume abgelehnt. Der Beseitigungsanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Die Verjährung beginnt bei nicht ganz unerheblichen Beeinträchtigungen. Der Beklagte konnte nicht ausreichend darlegen, wann die Beeinträchtigung durch die Laubbäume begann, da er sich auf den Verweis auf den Vortrag der Kläger beschränkte.
  2. Abweisung der Klage (Thujenhecke und Geh- und Fahrtrecht):
    • Thujenhecke an der nördlichen Grundstücksgrenze: Ein Anspruch auf Beseitigung des Überhangs der Thujenhecke an der nördlichen Grundstücksgrenze ist verjährt. Die Hecke war bereits 1990 vorhanden, und ein Rückschnitt durch den Beklagten erfolgte seitdem nicht. Die Beeinträchtigungen (abgestorbener Rasen, Verletzungsrisiko) traten nach Ansicht des Gerichts bereits vor 2008 auf. Die Kläger leiteten erst 2011 ein Schlichtungsverfahren ein, was zu spät war.
    • Thujenhecke entlang der Zufahrt und Geh- und Fahrtrecht: Die Kläger haben keinen Anspruch auf Beseitigung der Thujenhecke entlang der Zufahrt oder auf deren Rückschnitt auf eine Maximalbreite von 1,0 Meter.
      • Umfang des Geh- und Fahrtrechts: Das Geh- und Fahrtrecht umfasst nicht die Benutzbarkeit der vollen Grundstücksbreite. Der Grundbucheintrag und die jahrelange tatsächliche Ausübung geben keine Hinweise darauf, dass ein so umfassendes Recht gewährt werden sollte.
      • Beeinträchtigung durch die Hecke: Eine Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts durch die Breite der Thujenhecke liegt nicht vor. Obwohl die Kläger eine Behinderung beklagten, insbesondere für größere Fahrzeuge, konnte dies nicht bewiesen werden. Nach einem Rückschnitt durch den Beklagten im Frühjahr 2017 ist die Zufahrt breit genug, um Fahrzeuge ohne Beschädigungsrisiko einfahren zu lassen. Ein geringes Verletzungsrisiko durch scharfkantige Holzstämme ist vermeidbar, da die Nutzung des gepflasterten Bereichs möglich ist.
      • Nördliche Garage: Eine Beeinträchtigung beim Befahren der nördlich gelegenen Garage durch die Hecke konnte ebenfalls nicht bewiesen werden. Die Durchfahrtsbreite beträgt 6,40 bis 6,50 Meter, was ein Einfahren ohne größere Schwierigkeiten ermöglicht. Ein eventuell erforderliches Rangieren ist den Klägern zumutbar. Zudem ragt der Bewuchs an der nördlichen Garage nicht in den eigentlichen Tor- oder Zufahrtsbereich hinein, sondern erst ab einer Höhe von 2,50 Metern.

Das Gericht entschied nur über die Klage, da die Widerklage des Beklagten noch nicht entscheidungsreif war. Die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit sind vorläufig und werden im Schlussurteil getroffen.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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