Anspruch der Angehörigen auf Einsicht in Behandlungsunterlagen eines Verstorbenen – OLG Karlsruhe Urteil vom 14. August 2019 – 7 U 238/18
Von RA und Notar Krau
Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 14. August 2019 (Az. 7 U 238/18) behandelt die Frage, ob Angehörige eines verstorbenen Patienten das Recht auf Einsicht in dessen Behandlungsunterlagen haben.
Die Klägerin, die Mutter der verstorbenen Patientin, beantragte die Herausgabe der Behandlungsunterlagen ihrer Tochter, was sowohl vom Landgericht als auch in der Berufung vom OLG Karlsruhe abgelehnt wurde.
Hintergrund des Falls
Die Klägerin stützte ihre Forderung auf eine notarielle Vorsorgevollmacht, die ihr Tochter ausgestellt hatte.
Diese Vollmacht ermöglichte es ihr, im Namen der Tochter zu handeln, einschließlich des Rechts auf Einsicht in medizinische Unterlagen und der Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht.
Die psychotherapeutische Behandlung der Tochter begann jedoch erst Jahre nach der Ausstellung der Vollmacht.
Entscheidungsgründe des Landgerichts
Das Landgericht Karlsruhe wies die Klage ab mit der Begründung, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, also nicht berechtigt, das Einsichtsrecht gemäß § 630g Abs. 1 BGB geltend zu machen.
Das Einsichtsrecht basiere auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das nach § 630g Abs. 3 BGB durch den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen eingeschränkt werden könne.
Die Behandlung von Dr. Sch., dem Therapeuten der Verstorbenen, habe sich auf sensible und persönliche Inhalte konzentriert, insbesondere auf die Beziehung zur Klägerin.
Die Verstorbene habe ausdrücklich erklärt, dass diese Inhalte nicht ihrer Mutter bekannt werden sollten. Somit wurde dem mutmaßlichen Willen der Verstorbenen Vorrang eingeräumt, und das Einsichtsrecht der Klägerin verneint.
Das OLG Karlsruhe bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung der Klägerin zurück.
Es betonte, dass nach § 630g Abs. 3 Satz 3 BGB das Einsichtsrecht ausgeschlossen sei, wenn der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Verstorbenen dem entgegenstehe.
Hauptargumente der Klägerin
Vorsorgevollmacht:
Die Klägerin argumentierte, dass die Vorsorgevollmacht ihren Willen bestätige, nach dem Tod ihrer Tochter volle Akteneinsicht zu erhalten.
Sie hielt die notarielle Vorsorgevollmacht für klar und nicht widerrufen.
Näheverhältnis:
Sie verwies auf das enge Verhältnis zur Tochter und die Tatsache, dass sie teilweise an den Therapiesitzungen teilgenommen habe.
Behandlungsfehler:
Sie vermutete mögliche Behandlungsfehler und argumentierte, dass der Arzt durch die Verweigerung der Einsicht möglicherweise eigenes Fehlverhalten vertuschen wolle.
Argumente des Beklagten
Der Beklagte (Arzt) hielt entgegen, dass die verstorbene Tochter ausdrücklich verlangt habe, dass bestimmte Informationen, besonders die Beziehung zur Mutter betreffend, vertraulich behandelt würden.
Er betonte die Wichtigkeit des Vertrauensverhältnisses in der Therapie und die daraus resultierende Schweigepflicht.
Würdigung der Ermessensentscheidung
Das Gericht hielt fest, dass die Ermessensentscheidung des Arztes nicht offensichtlich fehlerhaft war.
Es argumentierte, dass die Schweigepflicht auch über den Tod hinaus gelten könne, insbesondere wenn der Patient dies ausdrücklich gewünscht habe.
Der Arzt hatte detailliert begründet, dass die Verstorbene der Auffassung war, dass ihre Äußerungen über familiäre Beziehungen vertraulich bleiben sollten.
Prüfung der Vollmacht und der Patientenverfügung
Die Vollmacht der Verstorbenen, die ihrer Mutter Einsichtsrechte einräumte, sei im Lichte der nachträglich geäußerten Wünsche der Patientin einzuschränken.
Der erklärte Wille der Tochter, bestimmte Informationen nicht offenzulegen, sei maßgeblich, insbesondere da die psychotherapeutische Behandlung erst nach Erstellung der Vollmacht begonnen habe.
Persönlichkeitsrechte und Geheimhaltungsinteresse
Das Gericht stellte klar, dass das Persönlichkeitsrecht der Klägerin hinter dem Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen zurücktreten müsse.
Die Entscheidung, bestimmte Informationen vertraulich zu behandeln, liege beim Patienten, und der mutmaßliche oder ausdrückliche Wille des Verstorbenen sei zu respektieren.
Schlussfolgerung
Das OLG Karlsruhe entschied somit, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen ihrer verstorbenen Tochter habe.
Es wurde betont, dass die Schweigepflicht des Arztes auch nach dem Tod der Patientin Bestand habe, sofern dies dem Willen der Verstorbenen entspreche.
Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden der Klägerin auferlegt, und die Revision wurde nicht zugelassen.
Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung des Patientenwillens und der Schweigepflicht im medizinischen Kontext, selbst über den Tod hinaus, und zeigt die Grenzen auf, die Vollmachten im Zusammenhang mit sensiblen medizinischen Daten haben können.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.