Anspruch der Telefongesellschaft auf Vergütung der Nutzung von 0900er-Nummern
Vorinstanzen:
AG Delmenhorst, Entscheidung vom 12.05.2015 – 45 C 5298/13 (VI) –
LG Oldenburg, Entscheidung vom 30.06.2016 – 1 S 315/15 –
Gerne fasse ich das komplexe Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.04.2017 (III ZR 368/16) zusammen.
Dieses BGH-Urteil ist ein wichtiges Grundsatzurteil für die Haftung von Festnetzanschlussinhabern bei missbräuchlicher oder ungewollter Nutzung von kostenpflichtigen Mehrwertdiensten (wie 0900er-Nummern) durch Dritte, insbesondere minderjährige Kinder.
Die Beklagte ist Inhaberin eines Festnetzanschlusses.
Ihr damals 13-jähriger Sohn rief über ihren Anschluss wiederholt (21 Mal) 0900er-Nummern an, um „Credits“ für ein kostenloses Computerspiel zu kaufen.
Der Bezahlvorgang lief über den Mehrwertdienstanbieter D. (genannt), der die Abrechnung über die Telefonrechnung der Beklagten vornahm.
Die Klägerin (eine Telefongesellschaft) forderte als Inkassostelle des Mehrwertdienstanbieters die ausstehenden Kosten in Höhe von 1.253,93 € von der Beklagten.
Die Beklagte wusste nichts von den Anrufen ihres Sohnes und hatte ihm die Nutzung nicht gestattet. Die Telefonrechnungen wiesen die Beträge nur ungenau als „Beträge anderer Anbieter“ aus, ohne die angerufenen 0900er-Nummern zu nennen.
Gab der Klage statt. Die Mutter musste zahlen.
Bestätigte das Urteil des AG. Das LG argumentierte, die Mutter hafte, weil sie es versäumt habe, den Anschluss für solche teuren Dienste zu sperren, und das Risiko bei ihr läge.
Hebt die Urteile auf und weist die Klage ab. Die Mutter muss nicht zahlen.
Der BGH musste zwei zentrale Fragen klären:
War die Berufung der Beklagten (gegen das AG-Urteil) überhaupt zulässig? (Eher technische Frage)
Muss die Mutter (Anschlussinhaberin) für die Anrufe ihres minderjährigen Sohnes (Dritter) haften, obwohl sie nichts davon wusste?
Der BGH befasste sich zunächst mit einer prozessualen Frage: Die Frist zur Begründung der Berufung war verlängert worden, aber der schriftliche Verlängerungsbescheid war nicht unterschrieben in der Akte. Der BGH entschied: Die Verlängerung war trotzdem wirksam. Eine solche einfache Fristverlängerungsverfügung muss nicht zwingend unterschrieben sein, solange feststeht, dass sie getroffen wurde. Ergebnis: Die Berufung war zulässig.
Der BGH stellte fest, dass der Mehrwertdienstanbieter (D.) in diesem Fall keinen Anspruch auf das Entgelt gegen die Mutter (Beklagte) hat.
Der Vorgang (Anruf der 0900er-Nummer zur Bezahlung) wurde als Zahlungsdienstvertrag eingestuft, nicht nur als reiner Telekommunikationsdienst.
Der BGH prüfte, ob die Mutter die Willenserklärung ihres Sohnes zum Abschluss dieses Vertrages gegen sich gelten lassen muss.
Die Mutter hatte ihrem Sohn unstreitig keine Erlaubnis erteilt (wusste ja nichts davon).
Es fehlte die Grundlage, dass der Mehrwertdienstanbieter darauf vertrauen durfte, die Mutter sei mit den Anrufen einverstanden. Die Rechnungen wiesen die Nutzung nicht detailliert genug aus, um der Mutter eine Kenntnisnahme und Billigung zu unterstellen. Allein der Besitz des Anschlusses reicht dafür nicht aus.
Das LG Oldenburg hatte die Haftung der Mutter auf § 45i Abs. 4 TKG gestützt. Diese Norm besagt, dass der Teilnehmer (Mutter) beweisen muss, dass ihm die Nutzung des Anschlusses nicht zugerechnet werden kann (d.h., der Teilnehmer haftet grundsätzlich für Dritte in seiner Risikosphäre, wenn er nicht sorgfältig genug war).
Der BGH lehnt die Anwendung dieser Regelung auf den vorliegenden Fall ab.
Wortlaut: § 45i TKG betrifft Telekommunikationsdienste. Die Forderung des Mehrwertdienstanbieters ist aber eine Forderung aus einem Zahlungsdienstvertrag. Die Leistung (die Zahlung an den Spielebetreiber) erfolgt außerhalb der reinen Telefonverbindung.
Für nicht autorisierte Zahlungsvorgänge gibt es speziellere Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB, insbesondere § 675u BGB). Diese verdrängen die allgemeine Regel des TKG.
Nach § 675u BGB hat der Zahlungsdienstleister keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen, wenn der Zahlungsvorgang nicht autorisiert war (d.h., dem Berechtigten nicht zuzurechnen ist). Da der Sohn nicht bevollmächtigt war, war die Zahlung nicht autorisiert.
Der BGH entscheidet: Da die Zahlungsvorgänge durch den Sohn nicht autorisiert waren und die Haftungsregelung des TKG hier nicht anwendbar ist, muss die Mutter (Anschlussinhaberin) die Kosten für die über 0900er-Nummern getätigten Zahlungsdienste nicht tragen. Die Klage der Telefongesellschaft wird abgewiesen.
Dieses Urteil stärkt die Rechte von Telefonanschlussinhabern. Es besagt, dass man als Kunde nicht automatisch für die teuren Bezahlvorgänge (über 0900er-Nummern) haftet, die Dritte (wie ein minderjähriger Sohn) ohne Wissen und Zustimmung über den eigenen Anschluss tätigen. Wesentlicher Punkt ist die Einordnung als Zahlungsdienst, für den strengere Haftungsregeln gelten als für reine Telefonverbindungen.
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