Anwaltssozien haften für das deliktische Verhalten eines „Schein-Sozius“

Oktober 10, 2025

Anwaltssozien haften für das deliktische Verhalten eines „Schein-Sozius“

Vorinstanzen:

LG Aschaffenburg, Entscheidung vom 22.02.2005 – 1 O 536/03 –

OLG Bamberg, Entscheidung vom 29.09.2005 – 1 U 57/05 –

Hier ist eine Zusammenfassung des Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 03.05.2007 (Az.: IX ZR 218/05)

BGH-Urteil (IX ZR 218/05): Haftung einer Anwaltssozietät für veruntreutes Geld

Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) klärt eine wichtige Frage zur Haftung von Anwaltskanzleien, die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) organisiert sind, insbesondere wenn ein Partner oder auch nur ein „Scheinpartner“ Mandantengelder vorsätzlich veruntreut.

Der Sachverhalt (Worum ging es?)

Ein Mandant („Streithelfer“) beauftragte eine Anwalts(schein)sozietät – eine Kanzlei, die als Partnerschaft auftrat. Die Sozietät bestand aus den Beklagten zu 1 bis 4 als tatsächliche Partner und dem Beklagten zu 5 als sogenanntem Scheinsozius (jemand, der nach außen wie ein Partner auftrat, aber keiner war).

Der Mandant erzielte in zwei Verfahren (mit Hilfe der Kanzlei) erfolgreiche Vergleiche.

Die Vergleichssummen (2×80.000 DM) wurden auf Weisung des Scheinsozius (Beklagter zu 5) auf dessen Privatkonto eingezahlt.

Der Beklagte zu 5 veruntreute das Geld fast vollständig. Der Mandant erhielt nur einen Bruchteil zurück.

Der verbleibende Anspruch auf das veruntreute Geld wurde von den Klägern gepfändet und sich abtreten lassen (übertragen).

Die Klage richtete sich nun gegen die verbliebenen, tatsächlichen Partner der Sozietät (Beklagte zu 1 bis 3). Gegen den veruntreuenden Scheinsozius (Beklagter zu 5) lag bereits ein rechtskräftiges Urteil vor.

Das Kernproblem der tatsächlichen Partner

Die tatsächlichen Partner (Beklagte zu 1 bis 3) versuchten, sich gegen die Klage zu verteidigen, indem sie eine Aufrechnung erklärten. Sie hatten nämlich selbst noch einen titulierten Kostenerstattungsanspruch gegen den Mandanten aus einem anderen Verfahren. Sie wollten sagen: „Wir schulden dir das veruntreute Geld, aber du schuldest uns die Kosten aus dem anderen Prozess. Wir verrechnen das.“

Das zentrale Problem war damit:

Dürfen die tatsächlichen Partner (Beklagte 1-3) mit ihrem Kostenanspruch gegen die Forderung des Mandanten auf das veruntreute Geld aufrechnen?

Die Entscheidung des BGH (Die Rechtsfragen)

Der BGH hat die Revision (Berufung) der tatsächlichen Partner (Beklagte 1-3) zurückgewiesen und damit die Verurteilung zur Zahlung des veruntreuten Betrags bestätigt.

Aufrechnungsverbot bei vorsätzlicher unerlaubter Handlung (§ 393 BGB)

Der BGH stellte fest, dass die Aufrechnung an § 393 BGB scheitert. Diese Vorschrift verbietet die Aufrechnung, wenn die gegnerische Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (wie die Veruntreuung durch den Beklagten zu 5) stammt.

Zurechnung des Verschuldens auf die Sozietät und die Partner

Obwohl nur der Scheinsozius (Beklagter zu 5) die Veruntreuung beging, müssen sich die tatsächlichen Partner (Beklagte 1-3) das deliktische Verschulden zurechnen lassen. Hierfür zieht der BGH zwei wichtige gesetzliche Analogien heran:

Zurechnung der Handlung auf die Gesellschaft (Analogie zu § 31 BGB)

Grundsatz:

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als Kanzlei muss sich das Verhalten ihrer „Organe“ oder „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ wie ein eigenes zurechnen lassen (§ 31 BGB, eigentlich für juristische Personen wie die GmbH).

Anwendung:

Ein Sozius, dem die eigenverantwortliche Bearbeitung von Mandaten überlassen wird, gilt als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“, da die Mandatsbearbeitung die Hauptaufgabe einer Anwaltssozietät darstellt und er die Gesellschaft nach außen repräsentiert.

Anwaltssozien haften für das deliktische Verhalten eines „Schein-Sozius“

Ergebnis:

Die vorsätzliche Veruntreuung durch den Sozius oder Scheinsozius wird der Kanzlei zugerechnet, wodurch die Kanzleischuld aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung resultiert.

Haftung der Partner für die Gesellschaftsschuld (Analogie zu § 128 HGB)

Grundsatz:

Die Gesellschafter einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG) haften persönlich mit ihrem Privatvermögen für Schulden der Gesellschaft (§ 128 HGB).

Anwendung:

Dieses Haftungsprinzip wird analog auf die Gesellschafter einer GbR und damit auch auf die tatsächlichen Anwaltssozien (Beklagte 1-3) angewandt. Sie haften gesamtschuldnerisch mit ihrem Privatvermögen für die der Kanzlei zugerechnete Schuld (die Veruntreuung).

Ergebnis:

Die Kläger klagen erfolgreich die tatsächlichen Partner (Beklagte 1-3) auf das veruntreute Geld der Gesellschaftsschuld.

Die Haftung der Scheinsozietät

Der BGH hält fest, dass das Ergebnis auch für eine Scheinsozietät (ein Zusammenschluss, der nur nach außen den Anschein einer Partnerschaft erweckt) gilt. Die Partner, die den Scheinsozius (Beklagter zu 5) nach außen wie einen Partner auftreten lassen, müssen sich seine Fehler zurechnen lassen. Sie hätten dem Mandanten von vornherein offenlegen müssen, dass er nur ein Angestellter oder freier Mitarbeiter ist.

Zusammenfassung für Laien

Die tatsächlichen Partner der Anwaltssozietät mussten zahlen, obwohl sie das Geld nicht selbst veruntreut hatten.

Das Urteil besagt:

Wenn ein Anwalt (oder sogar nur ein von der Kanzlei als Partner ausgegebener Scheinpartner) Mandantengelder vorsätzlich veruntreut, gilt dies als Schuld der gesamten Kanzlei.

Die tatsächlichen Anwaltspartner haften persönlich für diese Schuld der Kanzlei, selbst wenn sie von dem Betrug nichts wussten.

Wegen des vorsätzlichen Charakters der Tat dürfen die Partner nicht mit eigenen, unzusammenhängenden Forderungen gegen den Mandanten (z.B. einem Kostenanspruch) aufrechnen. Das Aufrechnungsverbot bei vorsätzlicher unerlaubter Handlung dient dem Schutz des Geschädigten.

Kurz:

Ein Anwalt, der einen Partner in seine Kanzlei aufnimmt oder als solchen auftreten lässt, haftet auch mit seinem Privatvermögen, wenn dieser Partner Mandantengelder stiehlt.

Anmerkung RA Krau

Das Urteil ist älteren Datums – was hat sich seitdem geändert?

Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), das am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, ändert die gesetzliche Grundlage, auf der das Urteil des BGH vom 03.05.2007 (IX ZR 218/05) beruhte, kodifiziert aber die vom BGH entwickelten Kernaussagen zur Haftung.

Das Urteil befasste sich mit folgenden zentralen Punkten:

Haftung der Rechtsanwaltssozietät (GbR): Die Sozietät haftet für das deliktische Handeln eines Scheinsozius entsprechend §31 BGB (Organhaftung).

Persönliche Haftung der Sozien: Die einzelnen Gesellschafter (Sozien) haften akzessorisch und gesamtschuldnerisch mit ihrem Privatvermögen für diese Verbindlichkeit, entsprechend der analogen Anwendung von §128 HGB.

Durch das MoPeG werden diese durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nun ausdrücklich im Gesetz verankert. Die Ergebnisse des Urteils bleiben im Kern also gültig, die Begründung stützt sich jedoch auf neue Gesetzesnormen.

Kodifizierung der Haftung der Gesellschaft (Organhaftung)

Der BGH hat im Urteil die Haftung der GbR (Anwaltssozietät) für den deliktischen Scheinsozius auf die analoge Anwendung von §31 BGB gestützt, da die Außengesellschaft bürgerlichen Rechts als teilrechtsfähig anerkannt wurde.

Altes Recht (BGH-Urteil) – Neues Recht (MoPeG) – Auswirkung auf die Kernaussage

Analoge Anwendung von §31 BGB (Organhaftung) auf die Außengesellschaft bürgerlichen Rechts zur

Zurechnung des deliktischen Handelns eines Gesellschafters/Scheinsozius.

§720 Abs. 1 BGB n.F. regelt die Vertretung der rechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts (eGbR) durch ihre Gesellschafter.

§705 Abs. 2 BGB n.F. statuiert die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR. §31 BGB gilt weiterhin für rechtsfähige Vereine und analog für die rechtsfähige GbR (jetzt eGbR), da diese nunmehr gesetzlich als Rechtspersönlichkeit anerkannt ist.

Die Haftung der Gesellschaft für das Handeln ihrer Repräsentanten wird bestätigt und durch die gesetzliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit klarer geregelt. Die Zurechnungsnorm bleibt §31 BGB.

Kodifizierung der persönlichen Haftung der Gesellschafter

Der BGH leitete die persönliche Haftung der Gesellschafter (Sozien) mit ihrem Privatvermögen aus der analogen Anwendung von §128 HGB ab (akzessorische Gesellschafterhaftung).

Altes Recht (BGH-Urteil) – Neues Recht (MoPeG) – Auswirkung auf die Kernaussage

Analoge Anwendung von §128 HGB zur persönlichen Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der GbR, um dem deliktisch Geschädigten einen Haftungsfonds zu bieten. §721 BGB n.F. legt die unmittelbare, persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der rechtsfähigen GbR (eGbR) gesetzlich fest. Die persönliche Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen ist nun direkt im BGB verankert und kodifiziert damit das Haftungsprinzip des BGH-Urteils. Das Ergebnis zur gesamtschuldnerischen Außenhaftung bleibt dasselbe.

Fazit: Bestätigung der Rechtsprechung

Das MoPeG führt für die Kernaussagen des Urteils keine inhaltliche Änderung herbei, sondern setzt die durch die Rechtsprechung (einschließlich des genannten BGH-Urteils) entwickelten Grundsätze in Gesetzesform um. Die Anwaltssozietät, die in der Regel eine rechtsfähige GbR ist, haftet weiterhin für das deliktische Handeln eines (Schein-)Sozius und ihre Gesellschafter haften persönlich dafür. Die Haftung des ausgeschiedenen Sozius (Beklagter zu 4 im Ausgangsfall) wäre nach dem MoPeG ebenfalls nach §728b BGB n.F. auf fünf Jahre begrenzt und klarer gesetzlich geregelt.

RA und Notar Krau

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