Anwendung von § 1371 I BGB bei österreichischem Erbstatut und deutschem Güterrechts­statut

Oktober 7, 2025

Anwendung von § 1371 I BGB bei österreichischem Erbstatut und deutschem Güterrechts­statut

OLG Schleswig, Beschl. v. 19. 8. 2013 – 3 Wx 60/13

Gerne fasse ich die komplexe juristische Entscheidung des OLG Schleswig zur Anwendung des §1371 Abs. 1 BGB bei österreichischem Erbrecht und deutschem Güterrecht zusammen.

Kernproblem: Die Zugewinngemeinschaft im internationalen Erbfall

Die Entscheidung betrifft einen Erbfall mit internationalem Bezug. Es geht um die Frage, wie der Zugewinnausgleich zwischen Ehepartnern geregelt wird, wenn der verstorbene Ehepartner verschiedene Staatsangehörigkeiten oder Wohnsitze hatte und dadurch unterschiedliche Länderrechte für das Erbe und das eheliche Vermögen gelten.

Im konkreten Fall des OLG Schleswig gilt:

Erbrecht: Österreichisches Recht (§757 ABGB), weil der Verstorbene Österreicher war (Art. 25 Abs. 1 EGBGB).

Güterrecht (eheliches Vermögensrecht): Deutsches Recht, weil die Ehe in Deutschland geschlossen wurde und die Ehepartner ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in Deutschland hatten (Art. 15, 14 EGBGB).

Die Ehepartner lebten somit im gesetzlichen deutschen Güterstand der Zugewinngemeinschaft.

Was ist §1371 Abs. 1 BGB? (Der „pauschale Zugewinnausgleich“)

Nach deutschem Güterrecht führt die Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehepartners normalerweise dazu, dass der überlebende Ehepartner einen Anspruch auf die Hälfte des während der Ehe erzielten Zugewinns hat.

§1371 Abs. 1 BGB bietet eine vereinfachte, pauschale Abwicklung dieses Zugewinnausgleichs. Anstatt den tatsächlichen Zugewinn mühsam zu berechnen, wird der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten pauschal um ein Viertel (1/4) des Nachlasses erhöht. Dies soll den Zugewinnausgleich im Erbfall unbürokratisch verwirklichen.

Der Streitpunkt: Güterrecht oder Erbrecht?

Das entscheidende Problem ist die international-privatrechtliche Qualifikation dieser §1371 Abs. 1 BGB-Norm:

Ist es eine güterrechtliche (ehevermögensrechtliche) Norm? Dann müsste sie angewendet werden, weil deutsches Güterrecht gilt.

Ist es eine erbrechtliche Norm? Dann müsste sie nicht angewendet werden, weil österreichisches Erbrecht gilt.

Ist es eine Norm mit Doppelqualifikation? Dann würde sie nur gelten, wenn beides, deutsches Güter- und deutsches Erbrecht, anwendbar wäre (was hier nicht der Fall ist).

Anwendung von § 1371 I BGB bei österreichischem Erbstatut und deutschem Güterrechts­statut

Die Ansicht des OLG Schleswig (Rein güterrechtliche Qualifikation)

Das OLG Schleswig folgt der herrschenden Meinung (h. M.) und qualifiziert §1371 Abs. 1 BGB als rein güterrechtliche Norm.

Argumente dafür:

Systematischer Standort:

Die Norm steht im Gesetzestext unter dem Titel „Eheliches Güterrecht“.

Zweck:

Sie regelt die Beteiligung am während der Ehe erwirtschafteten Vermögenszuwachs (Zugewinn). Dies ist eine güterrechtliche Frage, die zeitlich vor der eigentlichen Erbschaftsverteilung liegt.

Technischer Weg:

Die pauschale Erhöhung des Erbteils um 1/4 ist nur der rechtstechnische Weg, den der deutsche Gesetzgeber aus Gründen der Vereinfachung gewählt hat, um das güterrechtliche Ziel zu erreichen. Es ist kein Eingriff in die Erbquote des österreichischen Rechts.

Substitution:

Die gesetzliche Erbquote nach österreichischem Recht (§757 ABGB: 1/3 neben Kindern) kann als „gesetzlicher Erbteil“ im Sinne von §1371 Abs. 1 BGB herangezogen werden. Dies gilt, weil das österreichische Erbrecht mit der Erbquote nicht gleichzeitig den güterrechtlichen Ausgleich regeln will (in Österreich ist der gesetzliche Güterstand die Gütertrennung, die keinen automatischen Zugewinnausgleich kennt).

Das Ergebnis: Erbquote und Angleichung (Anpassung)

Anwendung des §1371 Abs. 1 BGB

Das OLG Schleswig entscheidet, dass §1371 Abs. 1 BGB angewendet werden muss.

Der überlebende Ehegatte erbt nach österreichischem Recht: 1/3 des Nachlasses.

Hinzu kommt der pauschale Zugewinnausgleich nach deutschem Recht: 1/4 des Nachlasses.

Gesamtergebnis ohne Anpassung: 1/3+1/4=7/12 des Nachlasses.

Die Angleichung (Anpassung) – Vermeidung einer „Überhöhung“

Die Addition führt dazu, dass der überlebende Ehegatte mit 7/12 mehr erben würde, als ihm bei Anwendung nur des deutschen Rechts (1/2 des Nachlasses) oder nur des österreichischen Rechts (1/3 des Nachlasses + ggf. konkreter Ausgleich) zustehen würde. Man spricht von einer Überhöhung durch Normenhäufung.

Um diesen Widerspruch zu vermeiden, wendet das Gericht das Prinzip der Angleichung (oder Anpassung) an:

Der überlebende Ehegatte soll höchstens das bekommen, was ihm nach einer isolierten Anwendung des deutschen oder österreichischen Rechts zustehen würde.

Höchste Quote bei reiner Anwendung deutschen Rechts: 1/2 des Nachlasses (1/4 gesetzlicher Erbteil + 1/4 pauschaler Zugewinnausgleich).

Höchste Quote bei reiner Anwendung österreichischen Rechts (mit deutscher Gütertrennung): 1/3 des Nachlasses (plus güterrechtlicher Ausgleich, der hier aber pauschaliert werden soll).

Das OLG Schleswig folgt der Ansicht, dass durch Angleichung die Erbquote auf den Betrag zu kürzen ist, der dem überlebenden Ehegatten bei reiner Anwendung eines Rechts höchstens zustünde. Im Fall des deutschen Rechts ist dies die Hälfte (1/2).

Fazit des OLG Schleswig:

Die überlebende Ehefrau erbt insgesamt 1/2 (die Hälfte) des Nachlasses, und das Kind erbt die andere Hälfte. Dies entspricht dem Ergebnis, das sich bei Anwendung des rein deutschen Erbrechts und Güterrechts ergeben hätte und vermeidet eine ungerechtfertigte Bevorzugung durch die Kombination der beiden Rechte.

Beteiligte – Erbquote – Basis
Überlebende Ehefrau (B 2) 1/2 (50%) Österr. Erbquote (1/3) + dt. Zugewinnausgleich (1/4) angeglichen auf max. 1/2
Kind (B 1) 1/2 (50%) Rest (1/2)

RA und Notar Krau

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