ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22

August 10, 2022

ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22,

Beschluss vom 26.01.2022

Tenor

Die Antragsgegnerin / Beteiligte zu 2. wird im Wege der einstweiligen Verfügung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, fünf funktionsfähige handelsübliche, dem gegenwärtigen technischen Standard entsprechende Tablets oder Notebooks mit Internetzugang mit 7,9″ Displaygröße und einem Account zur Durchführung von Videokonferenzen, der ein Datenschutzniveau gemäß der DSGVO gewährleistet, unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

Gründe ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Frage, ob die Beteiligte zu 2.) verpflichtet ist dem Antragsteller fünf Tablets oder Notebooks mit Internetzugang und einem Account zur Durchführung von Videokonferenzen zur Verfügung zu stellen.

Die Beteiligte zu 2.) (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein Textilhandelsunternehmen mit 70 Filialen in Deutschland und insgesamt etwa 3.500 Mitarbeitern. Der Beteiligte zu 1.) (im Folgenden: Betriebsrat) ist der für die Filiale A gebildete fünfköpfige Betriebsrat.

Die Mitglieder des Betriebsrates erbringen ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit als Verkäufer und Verkäuferinnen auch während der Corona-Pandemie ausschließlich Ort in der Filiale A. Die Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben erfolgt während der Arbeitszeit vor Ort in der Filiale.

Die Betriebsratsmitglieder melden sich dazu bei der Filialleitung ab und verrichten ihre Betriebsratsaufgaben im Betriebsratsbüro.

Nach deren Erledigung melden sie sich bei der Filialleitung wieder an und fahren mit ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit fort.

Dem Betriebsrat steht in der Filiale A ein eigenes Büro zur Verfügung, welches mit einem stationären PC sowie einem Multifunktionsgerät mit Drucker, Fax und Scanner und einem Festnetztelefon ausgestattet ist. Das Büro ist 36 qm groß.

Eine Längsseite des Büros besteht aus Fenstern. Zudem gibt es eine Raumluftanlage, durch die die Luftzufuhr manuell gesteuert und Frischluft zirkuliert werden kann.

Neben dem Betriebsratsbüro befindet sich ein größerer Konferenzraum, den die Arbeitgeberin für die Durchführung von Betriebsratssitzungen zur Verfügung stellen würde.

Die regulären Betriebsratssitzungen sind mittwochs und freitags.

Bei der Personaleinsatzplanung wird darauf geachtet, dass alle Mitglieder des Betriebsrates – und im Falle deren Verhinderung die Ersatzmitglieder – für die entsprechenden Zeiten der Betriebsratssitzung zur Schicht eingeteilt sind.

Der Betriebsrat beschloss in seiner Sitzung am 15. Dezember 2021 eine Geschäftsordnung, die die ‘ Möglichkeit vorsieht, dass Betriebsratssitzungen im Wege einer Videokonferenz oder Hybridsitzung abgehalten werden können. Die Geschäftsordnung regelt dazu im Einzelnen folgendes:

Voraussetzungen für die Einberufung einer Sitzung in Form einer Videokonferenz

1. Über die Durchführung der Sitzung in Form einer Präsenzsitzung, Videokonferenz oder Hybridsitzung (Mischsitzung; ein Teil der Mitglieder des Betriebsrates ist im Sitzungsraum präsent und ein Teil der Mitglieder des Betriebsrates wird per Video zugeschaltet) entscheidet die Betriebsratsvorsitzende, im Falle der Verhinderung der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, nach pflichtgemäßem Ermessen.

2. Bei dieser Ermessensentscheidung hat die grundsätzliche Verpflichtung zur Einladung zu einer Präsenzsitzung als zu einer Sitzung, in der alle Mitglieder des Betriebsrates in einem geschlossenen Raum körperlich anwesend sind, oberste Priorität.

Nur durch den grundsätzlichen Vorrang der Präsenzsitzung ist die Wahrnehmung von Körpersprache, Mimik oder Gestik gesichert und es besteht auch die Möglichkeit für einen vertraulichen Austausch von Einzelaustausch von einzelnen Mitgliedern des Betriebsrates, der für die Meinungsbildung wichtig sein kann.

Für eine Sitzung mit Beschlussfassung im Rahmen einer Videokonferenz bzw. einer Hybridsitzung bedarf es grundsätzlich eines sachlichen Grundes (z.B. öffentlich-rechtliche Kontaktsperren oder drohende Beschlussunfähigkeit wegen behördlich angeordneter Quarantäne gegenüber Mitgliedern des Betriebsrates, keine alternative Räumlichkeit zwecks Sitzungsdurchführung, erhöhte Inzidenzwerte, Erkrankung von Mitgliedern des Betriebsrates).

Eine Sitzung des Betriebsrates kann auch per Videokonferenz und Hybridsitzung stattfinden, wenn es um Aufgaben des Betriebsrates geht, die innerhalb kurzer Fristen vorbereitet werden müssen, was die Einberufung einer Präsenzsitzung und der Teilnahme aller Mitglieder des Betriebsrates erheblich erschwert.

Eine solche Kurzfristigkeit liegt zum Beispiel bei einstweiligen Verfügungen im Beschlussverfahren, Einigungsstellenbesetzungsverfahren und Einzelmaßnahmen nach §§ 99, 100 BetrVG vor.

ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22

3. Alle teilnahmeberechtigten Personen der Sitzung des Betriebsrates müssen technisch die Möglichkeit zur Teilnahme unter Einhaltung der Vorgaben der DSGVO haben.

4. Bei der Durchführung einer Präsenzsitzung sind die Vorgaben des RKI und der SARS-Cov-2 Arbeitsschutzstandard des BMAS und Anordnung örtlicher Behörden zu beachten. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Raumgröße, die einen ausreichenden Sicherheitsabstand ermöglichen muss.

5. Mitglieder des Betriebsrates, denen nach eigener Einschätzung insbesondere die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln angesichts der Infektionsgefahren mit dem Corona-Virus nicht zumutbar ist, können einer Präsenzsitzung des Betriebsrates im Rahmen einer Videokonferenz zugeschaltet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass spätestens der/ die Betroffene einen Arbeitstag vor der geplanten Sitzung der Betriebsratsvorsitzenden anzeigt, dass eine Teilnahme unzumutbar ist.

6. Es erfolgen keine Beschlussfassungen im Rahmen einer Telefonkonferenz. Telefonkonferenzen werden im Bedarfsfall nur zur Information und Beratung durchgeführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten der Geschäftsordnung wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (BI. 17. d.A.) Bezug genommen.

Zudem beschloss der Betriebsrat in seiner Sitzung am 15. Dezember 2021, dass vor dem Hintergrund der verschärften Corona-Situation die unentgeltliche Zurverfügungstellung von fünf funktionsfähigen, handelsüblichen und dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechenden Tablets oder Notebooks zur Durchführung von Videokonferenzen durch die Arbeitgeberin erforderlich sei.

Es wurde ferner beschlossen, eine einstweilige Verfügung im Beschlussverfahren einzureichen und die Rechtsanwältin B zu beauftragen.

Mit der beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 04. Januar 2022 eingegangen Antragsschrift verfolgt der Betriebsrat diesen Anspruch gerichtlich.

Der Betriebsrat ist der Ansicht, dass sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund bestünden.

Die Bereitstellung eines Tablets bzw. Notebooks mit Internetzugang, einer Displaygröße von 7,9″ und einem Account zur Durchführung von Videokonferenzen für jedes Betriebsratsmitglied sei zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsarbeit erforderlich.

Durch den Einsatz eines Tablets oder Notebooks verbessere und vereinfache sich die Betriebsratsarbeit wesentlich und würde effektiver.

Der Einsatz eines Tablets bzw. Notebooks stelle sicher, dass bei sämtlichen Sitzungen alle notwendigen, gespeicherten Informationen zur Verfügung stünden und die Ergebnisse der Sitzung unmittelbar verarbeitet werden könnten.

Des Weiteren ermögliche es ein Tablet bzw. Notebook, Organigramme und Präsentationen ortsunabhängig zu visualisieren. Insbesondere sei die Zurverfügungstellung von Tablets bzw. Notebooks für die Betriebsratsmitglieder auch zur Durchführung von Betriebsratssitzungen im Wege von Videokonferenzen erforderlich.

Die Belegung des Betriebsratsbüros mit fünf Betriebsratsmitgliedern sei aus Pandemieschutzgründen unzumutbar. Die Reduktion von Personenbelegung in gemeinsam genutzten Räumen habe die Bundesregierung vorgegeben.

Die vorgegebene Mindestfläche von 10 qm pro Person könne im Betriebsratsbüro nicht eingehalten werden.

Aufgrund der derzeitigen verschärften Situation rund um Covid19, die steigenden Inzidenzzahlen und das damit erhöhte Risiko einer Ansteckung sei es erforderlich, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Aufgrund der kleinen Größe des Betriebsratsraumes bestehe eine erhöhte Gesundheitsgefahr.

Die Zurverfügungstellung der Tablets bzw. Notebooks durch die Arbeitgeberseite solle zudem auch die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates für den Ernstfall erhalten, dass sich alle oder eine Vielzahl der Mitglieder mit Corona infizieren würden.

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Der Betriebsrat beantragt,

die Antragsgegnerin/Beteiligte zu 2 wird im Wege der einstweiligen Verfügung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, fünf funktionsfähige handelsübliche, dem gegenwärtigen technischen Standard entsprechende Tablets oder Notebooks mit Internetzugang mit 7,9 Zoll Displaygröße und einem Account zur Durchführung von Videokonferenzen, der ein Datenschutzniveau gem. der DSGVO gewährleistet, unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung es bestehe weder ein Verfügungsgrund noch ein Verfügungsanspruch. Dem Betriebsrat stehe kein Anspruch auf Überlassung je eines Tablets oder Notebooks pro Betriebsratsmitglied zu. Dies sei zur Durchführung der Betriebsratstätigkeit nicht erforderlich.

Da die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben während der Arbeitszeit vor Ort in der Filiale erfolge, sei nicht ersichtlich, inwiefern die Betriebsratstätigkeit mit Tablets oder Notebooks im Vergleich zum voll ausgestatten Betriebsratsbüro mit stationärem PC, Drucker, Fax und Scanner effizienter erledigt werden könne. Auch die Größe des Betriebsratsbüros begründe keine Erforderlichkeit.

Die Einhaltung der Abstandregeln von 1,5m sei unproblematisch möglich. Zudem könne das Büro ausreichend belüftet werden und das Infektionsrisiko durch das Tragen einer Maske verringert werden.

Die Erforderlichkeit der Überlassung von Tablets oder Notebooks folge auch nicht aus dem Umstand, dass sich Betriebsrat eine Geschäftsordnung geben habe, die die Durchführung von Videokonferenzen ermöglicht.

Der Betriebsrat habe stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und dürfe die Wahl eines von ihm verlangten Sachmittels nicht alleine an seinen subjektiven Bedürfnissen ausrichten, sondern müsse die betrieblichen Verhältnisse und die sich stellenden Aufgaben berücksichtigen. Insbesondere müsse er auch die Interessen der Arbeitgeberin an einer Begrenzung der Kosten zu berücksichtigen.

Aufgrund des Umstandes, dass den Mitgliedern des Betriebsrates für die Wahrnehmung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten gerade kein Tablet oder Notebook zur Verfügung stehe, komme den Kosteninteressen der Arbeitgeberin eine besondere Bedeutung zu.

Es sei zur Wahrnehmung der Rechte und Pflichten des Betriebsrates nicht erforderlich, dass dieser seine Sitzungen via Videokonferenz durchführe. Alleine die Festlegung in der Geschäftsordnung, künftig auch virtuelle Betriebsratssitzung durchführen zu wollen, könne nicht deren Erforderlichkeit begründen, da Art und Weise der Durchführung der Betriebsratssitzungen ansonsten völlig im Belieben des Betriebsrates stehen würden. § 30 BetrVG regele ausdrücklich den Vorrang von Präsenzsitzungen und sehe neben der Möglichkeit einer Videokonferenz als gleichwertige Alternative die Telefonkonferenz vor. Der Betriebsrat habe nicht dargelegt, warum eine Telefonkonferenz nicht ausreiche.

Die Arbeitgeberin könne dem Betriebsrat Einwahldaten für eine geschützte Telefonkonferenz zur Verfügung stellen und würde die Kosten für die Telefonkonferenzen tragen.

Eine dauerhafte Überlassung sei angesichts des Ausnahmecharakters der Videokonferenz unverhältnismäßig. Sollte der Betriebsrat seine Sitzungen ausnahmsweise virtuell durchführen wollen, könne im Bedarfsfalle ein Tablet oder Notebook zur Verfügung gestellt werden.

Schließlich erfülle auch die Geschäftsordnung nicht die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BetrVG, da die Voraussetzungen für die Teilnahme an Betriebsratssitzung mittels Videokonferenz nicht ausreichend festgelegt und der Vorrang der Präsenzveranstaltung nicht hinreichend gesichert sei.

Es bestehe auch kein Verfügungsgrund. Der Betriebsrat habe nicht vorgetragen, zur Abwendung welcher konkreten Nachteile der Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendig sei. Sofern die Covid19-Pandemie als Erklärung dafür bemüht werde, dass dem Betriebsrat dauerhaft fünf Tablets oder Notebooks zu überlassen seien, sei verwunderlich, warum dies ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt erforderlich sein solle.

ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Der Antrag ist zulässig und begründet. Es besteht ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund.

1. Der Verfügungsanspruch ist gegeben. Dem Betriebsrat sind die begehrten Tablets oder Notebooks mit Internetzugang und einem Account zur Durchführung von Videokonferenzen nach § 40 Abs. 2 BetrVG von der Arbeitgeberin zur Verfügung zu stellen.

a) Nach § 40 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfang u.a. sachliche Mittel sowie Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung zu stellen.

Die Prüfung, ob ein Sachmittel zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderlich und vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen ist, obliegt dem Betriebsrat. Die Entscheidung hierüber darf er jedoch nicht allein an seinen subjektiven Bedürfnissen ausrichten.

Von ihm wird vielmehr verlangt, dass er die betrieblichen Verhältnisse und die sich ihm stellenden Aufgaben berücksichtigt.

Dabei hat der Betriebsrat die Interessen der Belegschaft an einer sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts und berechtigte Interessen des Arbeitgebers, auch soweit sie auf eine Begrenzung der Kostentragungspflicht gerichtet sind, gegeneinander abzuwägen.

Die Entscheidung des Betriebsrats über die Erforderlichkeit des verlangten Sachmittels unterliegt der arbeitsgerichtlichen Kontrolle.

Diese ist auf die Prüfung beschränkt, ob das verlangte Sachmittel aufgrund der konkreten betrieblichen Situation der Erledigung der gesetzlichen Aufgaben des Betriebsrats dient und der Betriebsrat bei seiner Entscheidung nicht nur die Interessen der Belegschaft berücksichtigt, sondern auch berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rechnung getragen hat.

Dient das jeweilige Sachmittel der Erledigung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben und hält sich die Interessenabwägung des Betriebsrats im Rahmen seines Beurteilungsspielraums, kann das Gericht die Entscheidung des Betriebsrats nicht durch seine eigene ersetzen (BAG, Beschluss vom 20. April 2016-7ABR50/14, Rn. 15ff.).

b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat die für die Durchführung von Videokonferenzen erforderlichen Sachmittel zur Verfügung zu stellen.

Der Betriebsrat hat sich gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BetrVG eine Geschäftsordnung gegeben, die ihm die Möglichkeit der Durchführung von Betriebsratssitzungen auch in Form von Videokonferenzen eröffnet.

aa) Die Geschäftsordnung genügt den Anforderungen des § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Geschäftsordnung des Betriebsrates regelt die Voraussetzungen für die Teilnahme an Videokonferenzen und den Vorrang der Präsenzsitzung hinreichend.

Insbesondere durch das in Ziffer 1. 2 der Geschäftsordnung niedergelegte Erfordernis eines sachlichen Grundes für die Anberaumung einer Betriebsratssitzung im Wege der Videokonferenz und die dort niedergelegten Regelbeispiele ist der Vorrang der Präsentsitzung gesichert.

bb) Auch das Argument der Arbeitgeberin, es sei zu berücksichtigen, dass die Mitglieder des Betriebsrates ihre arbeitsvertragliche Leistung als Verkäufer und Verkäuferinnen ausschließlich vor Ort erbringen und die Betriebsratssitzungen in der Regel während der Arbeitszeit stattfinden, sodass die Durchführung von Onlinesitzungen unzweckmäßig sei, verfängt nicht.

Es unterliegt nicht der arbeitsgerichtlichen Kontrolle, ob die Durchführung von Betriebsratssitzungen im Wege einer Videokonferenz erforderlich oder zweckmäßig ist.

Die Frage, ob und inwieweit die Möglichkeit der Video- und Telefonkonferenz genutzt wird, steht in der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betriebsrats.

Dies sieht die Gesetzesbegründung ausdrücklich so vor (vgl. BR Drs. 19/28899, S. 20). Der Betriebsrat soll durch die mit dem Betriebsgerätemodernisierungsgesetz geschaffene Regelung in § 30 Abs. 2 S. 1 BetrVG dauerhaft die Möglichkeit erhalten, unter ausschließlich selbst gesetzten Rahmenbedingungen, Sitzungen mittels Video- oder Telefonkonferenz abzuhalten.

Das Betriebsgerätemodernisierungsgesetz dient damit nicht ausschließlich der Bekämpfung und Eindämmung der Corona Pandemie, sondern bezweckt generell eine stärkere Flexibilisierung der Betriebsratsarbeit.

Vor diesem Hintergrund ist die Arbeitgeberin nicht berechtigt, die Durchführung der Betriebsratssitzungen als Präsenzveranstaltung zu verlangen oder den Betriebsrat auf die kostengünstigere Möglichkeit einer Telefonkonferenz zu verweisen.

Dabei ist es auch unerheblich, ob die Durchführung der Betriebsratssitzung im Betriebsratsbüro oder einem anderen von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Raum unter Infektionsschutzgesichtspunkten vertretbar wäre.

cc) Die für die Bereitstellung der Technik entstehenden Kosten sind der Arbeitgeberin zumutbar. Es geht um die Zurverfügungstellung von fünf Tablets oder Notebooks. Die Arbeitgeberin könnte zunächst bis zu einer Klärung der Sache in der Hauptsache die Geräte anmieten.

Die Arbeitgeberin ist auch nicht verpflichtet neuwertige Geräte zur Verfügung zu stellen. Die Tablets oder Notebooks müssen lediglich handelsüblich sein und dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechen.

Soweit die Arbeitgeberin sich darauf beruft, dass für die ausnahmsweise Durchführung von Online-Betriebsratssitzungen nicht die dauerhafte Überlassung der Tablets bzw. Notebooks erforderlich sei, mangelt es an einer tatsächlich durchführbaren praktischen Alternative, die gewährleistet, dass die Mitglieder des Betriebsrates die Tablets auch bei einer kurzfristigen Anberaumung einer außerordentlichen Betriebsratssitzung oder einem corona- oder quarantänebedingten Arbeitsausfall sofort zu Hause zur Verfügung haben.

ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22

2. Auch der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund ist gegeben.

Die Eilbedürftigkeit ist zu bejahen.

Zwar handelt es sich bei der begehrten Verfügung um eine Befriedigungsverfügung bis zum rechtskräftigen Abschluss eines noch einzuleitenden Hauptsacheverfahrens. Diese ist jedoch nach dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes geboten.

Eine Befriedigungsverfügung ist trotz ihrer nicht nur sichernden, sondern befriedigenden Wirkung und der damit verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise zulässig, wenn sie zur Erfüllung des rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruchs auf effektiven Rechtsschutz erforderlich ist.

Entscheidend für die Zulässigkeit einer Befriedigungsverfügung ist in den Fällen der Dringlichkeit wegen der Gefahr eines irreversiblen Rechtsverlustes eine Abwägung der Interessen der Beteiligten. An das Vorliegen des Verfügungsgrundes ist in diesen Fällen ein besonders strenger Maßstab anzulegen.

a) Das Interesse des Betriebsrates ist darin zu sehen, dass er von der ihm durch § 30 BetrVG i.V.m. der Geschäftsordnung eröffneten Möglichkeit, Betriebsratssitzungen im Wege eine Videokonferenz abzuhalten, Gebrauch machen möchte.

Der Betriebsrat hat sich ausdrücklich darauf berufen, dass es ihm in erster Linie darum geht, für den Fall der Ansteckung oder Quarantäneverpflichtung mehrerer oder aller seiner Mitglieder, handlungsfähig zu bleiben.

Ohne den einstweiligen Rechtsschutz wäre der Betriebsrat darauf zu verweisen, zunächst einen zusprechenden, vorläufig vollstreckbaren Beschluss im Hauptsacheverfahren zu erwirken.

Dieses würde mehrere Monate dauern.

Dies ist dem Betriebsrat vor dem Hintergrund der aktuellen pandemischen Lage, den Inzidenzwerten, die sich seit November 2021 rapide verschlechtern und dem Infektionsgeschehen, dass aufgrund der Omikron-Variante derzeit einen neuen Höchststand erreicht hat, nicht zumutbar.

Hieraus folgt die Eilbedürftigkeit.

Die Eilbedürftigkeit ist auch nicht dadurch widerlegt, dass der Betriebsrat in den vergangen zwei Jahren der Corona-Pandemie von der durch § 129 BetrVG a.F. eröffneten Möglichkeit der Durchführung von Betriebsratssitzungen mittels Video oder Telefonkonferenz keinen Gebrauch gemacht hatte.

Entscheidend ist, dass der Betriebsrat nunmehr von der Möglichkeit der Videokonferenz Gebrauch machen will und sich auf die nochmals verschärfte Infektionslage beruft. Dass er dies bislang nicht für erforderlich gehalten hat, führt nicht zu einer Selbstwiderlegung der Eilbedürftigkeit.

Ob der Betriebsrat von der Möglichkeit der Beschlussfassung via Videokonferenz nach § 30 BetrVG bzw. § 129 BetrVG a.F. nach Gebrauch macht, liegt in seinem Ermessen. Es mag sein, dass er bislang hierfür keine Veranlassung gesehen und ausschließlich Präsenzsitzungen abgehalten hat.

Nunmehr sieht er dies vor dem Hintergrund des aktuellen Infektionsgeschehend jedoch anders und möchte von seinem durch § 30 BetrVG eröffneten Recht Gebrauch machen.

b) Dem gegenüber liegt das Interesse der Arbeitgeberin darin, nicht im Eilverfahren, ohne hinreichend sichere Feststellung der Erforderlichkeit der gewünschten Sachmittel endgültige und irreparable Zustände zu schaffen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitgeberin die Geräte bis zur Herbeiführung einer Entscheidung in der Sache in der Hauptsache zunächst anmieten könnte.

Für den Fall, dass die Arbeitgeberin die Geräte käuflich erwirbt, wäre ein Verkauf der Geräte nach einer zurückweisenden Entscheidung in der Hauptsache möglich. Ein irreversibler Rechtsverlust droht der Arbeitgeberin nicht.

Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG.

ArbG Frankfurt am Main 18 BVGa 3/22

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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