Arzthaftungsrecht – Unzureichende Aufklärung als Schadensursache
OLG Dresden Hinweisbeschluss vom 5.2.2024 – 4 U 1376/23
Dieser Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden beleuchtet eine zentrale Frage im Arzthaftungsrecht: Wann führt eine möglicherweise fehlerhafte oder unzureichende Aufklärung durch den Arzt zu einem Schadensersatzanspruch des Patienten? Die rechtliche Grundlage bilden hier die Paragraphen § 630a ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die den Behandlungsvertrag und die Rechte des Patienten regeln.
Ein Patient muss vor einem ärztlichen Eingriff (wie einer Impfung) wirksam aufgeklärt werden und in diesen eingewilligt haben. Fehlt die Aufklärung, ist die Einwilligung unwirksam und der Eingriff gilt als rechtswidrig.
Allerdings besagt die erste wichtige juristische Regel dieses Falles:
Auch bei einer unzureichenden medizinischen Risikoaufklärung scheidet ein Schadensersatzanspruch aus, wenn nicht feststeht, dass der eingetretene Schaden durch den wegen der unwirksamen Einwilligung rechtswidrigen Eingriff verursacht worden ist.
Selbst wenn der Arzt seine Pflicht zur Aufklärung verletzt hat, muss der Patient dennoch beweisen, dass die erlittenen gesundheitlichen Schäden tatsächlich durch diesen Eingriff (z.B. die Impfung) und nicht durch andere Ursachen entstanden sind. Dieser Zusammenhang wird als Kausalität bezeichnet. Die Beweislast dafür trägt der Patient (Kläger).
Es klagte ein 2014 geborenes Mädchen (Kl.), das gegen eine Kinderärztin (Bekl.) Schadensersatzansprüche geltend machte. Im Fokus stand die zweite MMR-Impfung (Masern-Mumps-Röteln) vom 12. April 2016.
Die Mutter sei vor der zweiten MMR-Impfung unzureichend aufgeklärt worden.
Die Impfung habe die kurz darauf aufgetretenen, schweren gesundheitlichen Probleme, insbesondere eine atopische Dermatitis (Neurodermitis), Allergien und eine allgemeine Gesundheitsstörung, verursacht.
Das Mädchen zeigte kurz vor und nach der Impfung Infekte und ein Ekzem.
Später wurden eine atopische Dermatitis, Allergien (z.B. gegen Hühnereiweiß, Katzenhaare) und eine Darmdysbiose diagnostiziert.
Der Grad der Behinderung (GdB) wurde auf 40 festgestellt.
Das Landgericht (LG) Chemnitz und in der Folge das OLG Dresden wiesen die Klage ab.
Der entscheidende Punkt war, dass der Klägerin der Beweis der Kausalität nicht gelang. Das Gericht stützte sich dabei auf das Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen (Prof. Dr. M):
Der Sachverständige verneinte, dass die MMR-Impfung die aufgetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen (insbesondere die Neurodermitis/atopische Dermatitis) verursacht habe.
Er erklärte, es gebe keinerlei wissenschaftliche Hinweise dafür, dass eine MMR-Impfung über Hühnereiweiß eine allergische oder atopische Erkrankung auslösen könne.
Neurodermitis sei in der Regel genetisch bedingt und werde durch jede Form von natürlicher Immunantwort (wie eine Impfung, aber auch jede Infektion) getriggert (angestoßen oder verstärkt). Sie könne aber nicht durch die Impfung erzeugt werden.
Die Neurodermitis bestand zudem laut Gutachten schon vor der Impfung, was die Kausalität weiter entkräftete.
Andere Meinungen, wie die des Hausarztes, die die Impfung als Ursache sahen, wurden vom Sachverständigen als „nicht wissenschaftlich“ bewertet und vom Gericht als nicht ausreichend tragfähig angesehen.
Das Gericht prüfte zusätzlich, ob ein Behandlungsfehler vorlag, verneinte dies aber ebenfalls:
Er entsprach dem Facharztstandard und lag im Rahmen der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO).
Es gibt keinen anerkannten Facharztstandard, vor einer zweiten MMR-Impfung stets Allergietests (z.B. auf Hühnereiweiß) durchzuführen. Der verwendete Impfstoff enthält nur kaum nachweisbare Spuren von Hühnereiweiß und ist für Kinder, auch mit bekannter Hühnereiweißallergie, in der Regel unbedenklich.
Das Gericht bestätigte seine Vorgehensweise bei der Auswahl des Sachverständigen:
Bei der Auswahl eines medizinischen Sachverständigen ist grundsätzlich auf die Sachkunde in dem Fachgebiet abzustellen, in das der Eingriff fällt.
Da die Behandlung in den Bereich der Kinder- und Jugendmedizin fällt, war die Bestellung eines Kinder- und Jugendarztes, der zudem Spezialist für Nahrungsmittelallergien war, sachgerecht und lag im Ermessen des Gerichts. Ein zusätzliches immunologisches Gutachten war daher nicht erforderlich.
Die Klage scheiterte, weil die Klägerin nicht beweisen konnte, dass die MMR-Impfung die Ursache für die schweren gesundheitlichen Schäden war. Obwohl die Frage der ordnungsgemäßen Aufklärung offengelassen wurde, konnte die Klägerin keinen Schadensersatz erhalten, da der maßgebliche Kausalzusammenhang zwischen dem möglicherweise rechtswidrigen Eingriff (wegen fehlender Aufklärung) und dem Schaden fehlte. Die Beweislast des Patienten in Arzthaftungsfällen ist somit auch bei einem Mangel in der Aufklärung von entscheidender Bedeutung.
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