Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung – BAG Beschluss vom 18/8/2016 – 8 AZB 16/16
§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nF ist dahin auszulegen, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung auch im Fall einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftswechsels oder einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Partei voraussetzt, dass die Partei eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 1. März 2016 – 2 Ta 79/16 – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
I. Der Kläger war seit dem 16. Januar 2014 bei der Beklagten beschäftigt.
Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 16. Juni 2014, das dem Kläger am 24. Juni 2014 zugegangen ist, zum 30. Juni 2014.
Der Kläger hat sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2014, der am 25. Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, gegen diese Kündigung gewandt und die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten erst mit Ablauf des 8. Juli 2014 sein Ende gefunden hat.
Zugleich hat er beantragt, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Im beigefügten und vom Kläger unterschriebenen Vordruck der „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe“ ist auf der letzten Seite ein vorgedruckter Text enthalten, der wie folgt lautet:
„…
Mir ist auch bekannt, dass ich während des Gerichtsverfahrens und innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens verpflichtet bin, dem Gericht wesentliche Verbesserungen meiner wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung meiner Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen.
… Ich weiß, dass die Bewilligung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bei einem Verstoß gegen diese Pflicht aufgehoben werden kann, und ich dann die gesamten Kosten nachzahlen muss.“
Das Arbeitsgericht hat den Parteien unter dem 16. Juli 2014 einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO unterbreitet und dem Kläger mit Beschluss vom 4. September 2014 mit Wirkung vom 25. Juni 2014 Prozesskostenhilfe in vollem Umfang unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt.
Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgte mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat.
Mit Beschluss vom 15. September 2014 hat es gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs festgestellt.
Nachdem dem Kläger ein Schreiben der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts vom 12. Januar 2015, das Angaben zur Höhe der Prozesskosten sowie die Information enthielt, dass seine Heranziehung zur Erstattung der Kosten in voraussichtlich acht Monaten geprüft werde, unter der bislang angegebenen Anschrift „A“ nicht zugestellt werden konnte, wandte sich das Arbeitsgericht an das Einwohnermeldeamt der Stadt D und bat um Mitteilung der neuen Anschrift des Klägers.
Dieses teilte dem Arbeitsgericht am 8. Juli 2015 die aktuelle Anschrift des Klägers mit „E“ mit.
Mit Schreiben vom 17. September 2015 wandte sich die Rechtspflegerin an den Prozessbevollmächtigten des Klägers und wies darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 4. September 2014 nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben, da der Kläger seiner Verpflichtung, dem Gericht die Änderung der Wohnanschrift unverzüglich mitzuteilen, nicht nachgekommen sei.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte daraufhin unter dem 22. September 2015 die neue Anschrift des Klägers mit und bat um Erläuterung, inwieweit eine eventuelle Adressänderung für die maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Endergebnis relevant sein solle, da Zustellungen im Überprüfungsverfahren an ihn als beigeordneten Rechtsanwalt erfolgen müssten.
Durch Beschluss vom 2. Dezember 2015, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Dezember 2015 zugestellt wurde, hat das Arbeitsgericht seinen Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 4. September 2014 nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben.
Gegen diesen Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 9. Dezember 2015 sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, der Kläger sei stets – jedenfalls über ihn – erreichbar gewesen, weshalb die Aufhebung der Prozesskostenhilfe völlig überzogen sei.
Nachdem das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2016 der sofortigen Beschwerde des Klägers nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte, hat das Landesarbeitsgericht die sofortige Beschwerde des Klägers mit Beschluss vom 1. März 2016 zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO lägen vor, da der Kläger dem Gericht die Änderung seiner Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt habe.
Ein Zeitraum von mehr als einem Monat liege nicht mehr im Rahmen der zuzubilligenden Toleranzgrenzen.
Eine grobe Nachlässigkeit oder Absicht sei nicht erforderlich.
Das Merkmal „unverzüglich“ enthalte bereits ein subjektives Element.
Es liege auch kein atypischer Fall vor, der ein Abweichen von der in § 124 Abs. 1 ZPO getroffenen Regelanordnung, wonach die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben werden „soll“, gebieten könnte.
Dass der Kläger ggf. über seinen Prozessbevollmächtigten erreichbar blieb, sei bei der Prozesskostenhilfebewilligung der Regelfall und dem Gesetzgeber bekannt gewesen.
Zwar könne das Ausmaß eines eventuellen Verschuldens der Partei im Einzelfall Auswirkungen darauf haben, ob ein Regelfall oder ein atypischer Fall anzunehmen sei.
Eine Partei, die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nehme und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt habe und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen wurde, handele aber auch grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergesse oder ignoriere.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er geltend macht, die subjektiven Merkmale der Absicht bzw. der groben Nachlässigkeit in § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bezögen sich sowohl auf die unrichtige Mitteilung als auch auf die Nichtmitteilung des Anschriftswechsels.
Im Übrigen sei er über seinen Prozessbevollmächtigten auch im Überprüfungsverfahren stets erreichbar gewesen. Solange der Prozessbevollmächtigte erreichbar sei, gebe es keinen Anlass für Sanktionen nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.
II. Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 2. Dezember 2015 nicht zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO).
Auf der Grundlage der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen ist der Senat allerdings an einer eigenen Sachentscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 ZPO).
Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Entscheidung (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 2. Dezember 2015 nicht zurückgewiesen werden.
Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass eine Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bereits dann in Betracht kommt, wenn die Partei die Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, ohne dass der Partei der Vorwurf der groben Nachlässigkeit oder der Absicht zu machen wäre.
a) Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung (im Folgenden nF), der gemäß § 40 Satz 1 EGZPO vorliegend zur Anwendung kommt, da der Kläger den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem 1. Januar 2014 gestellt hatte, soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3 ZPO nF dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögens
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.