Aufklärungsbogen kein Vollbeweis für den Umfang der ärztlichen Aufklärung

Oktober 21, 2025

Aufklärungsbogen kein Vollbeweis für den Umfang der ärztlichen Aufklärung

OLG Jena Urteil vom 7.5.2024 – 7 U 741/23

Der juristische Fall, der sich aus einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Jena vom 7. Mai 2024 ergibt, ist wichtig für alle, die sich mit Arzthaftungsrecht in Deutschland beschäftigen. Er stellt klar, dass ein vom Patienten unterschriebenes Einwilligungsformular – der sogenannte Aufklärungsbogen – kein vollständiger Beweis dafür ist, dass das Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Patient wirklich in dem gesetzlich vorgeschriebenen Umfang stattgefunden hat.

Der Kern der Entscheidung: Ein Formular reicht nicht

Das OLG Jena hat entschieden, dass ein unterschriebener Aufklärungsbogen lediglich ein Indiz (ein Anhaltspunkt), aber kein Vollbeweis für den genauen Inhalt des Aufklärungsgesprächs ist.

Beweislast des Arztes:

Nach deutschem Recht (§ 630e BGB) muss der Arzt beweisen, dass er den Patienten ordnungsgemäß und vollständig aufgeklärt hat.

Keine erschwerte Beweislage für den Patienten:

Die Vorlage des unterschriebenen Bogens führt nicht automatisch dazu, dass der Patient nun höhere Anforderungen an seinen Vortrag hat (keine „gesteigerte Darlegungslast“).

Notwendigkeit der Zeugenvernehmung:

Um eine ordnungsgemäße Aufklärung zu beweisen, ist in der Regel die Vernehmung des aufklärenden Arztes als Zeuge erforderlich. Nur so kann der genaue Inhalt des mündlichen Gesprächs geklärt werden.

Diese Klarstellung ist entscheidend, da das Aufklärungsgespräch mündlich erfolgen muss. Das Formular dient primär der Dokumentation, ersetzt aber nicht die Pflicht zur persönlichen, verständlichen und individuellen Unterrichtung des Patienten durch den Arzt.

Der konkrete Fall: Hallux-valgus-Operation

Der Entscheidung liegt ein Fall zugrunde, in dem ein Soldat die Ärztin wegen eines angeblichen Behandlungs- und Aufklärungsfehlers nach einer Operation zur Korrektur seines Hallux valgus (Ballenzeh) verklagt.

Die Behandlung:

Der Patient unterzog sich 2012 auf Empfehlung einer Ärztin einer operativen Korrektur des Hallux valgus. Jahre später traten erneut Beschwerden und ein Rückfall („Rezidiv“) der Fehlstellung auf.

Der Vorwurf:

Der Patient warf der Ärztin vor, ihn nicht ausreichend über das Risiko eines Rückfalls (Rezidivrisiko) und vor allem über Behandlungsalternativen (z. B. konservative Maßnahmen wie Einlagen und Fußgymnastik) aufgeklärt zu haben.

Aufklärungsbogen kein Vollbeweis für den Umfang der ärztlichen Aufklärung

Das Problem des Erstgerichts:

Das erstinstanzliche Gericht (Landgericht Erfurt) hatte die Klage abgewiesen. Es stützte sich dabei maßgeblich auf die Indizwirkung des vom Patienten unterschriebenen Aufklärungsbogens und nahm an, dass der Patient nicht genug zu seinen Vorwürfen vorgetragen hätte.

Folgen des OLG-Urteils: Zurück zum Start

Das OLG Jena sah in der Vorgehensweise des Erstgerichts einen wesentlichen Verfahrensfehler und hob das Urteil auf.

Fehlerhafte Beweiswürdigung:

Das Landgericht hatte die Anforderungen an den Patienten zu hoch angesetzt. Es hat zu Unrecht angenommen, der unterschriebene Aufklärungsbogen reiche als Beweis aus, ohne den aufklärenden Arzt als Zeugen zu hören.

Fehlende Sachaufklärung:

Zudem hatte das Landgericht nicht hinreichend durch Sachverständige klären lassen,

ob es zum Zeitpunkt der Operation echte, gleichwertige Alternativen zur Operation (z. B. konservative Behandlung) gab, über die hätte aufgeklärt werden müssen.

ob bei dem Patienten aufgrund seiner Grunderkrankung ein erhöhtes Rezidivrisiko bestand, das gesondert hätte erwähnt werden müssen.

Da diese Beweisaufnahmen umfangreich sind, hat das OLG Jena den Fall an das Landgericht zurückverwiesen. Das bedeutet, das Verfahren beginnt dort im Hinblick auf die strittigen Punkte (Aufklärung und Behandlungsalternativen) neu.

Zusammenfassung

Das Urteil stärkt die Rechte von Patienten. Es stellt klar:

Der unterschriebene Aufklärungsbogen beweist nicht per se, dass der Arzt seine Pflicht zur vollständigen Aufklärung erfüllt hat.

Der Arzt muss im Zweifel durch die Zeugenaussage beweisen, dass er den Patienten mündlich über alle wesentlichen Punkte, insbesondere über Risiken, Heilungschancen und Behandlungsalternativen, aufgeklärt hat.

Die Aufklärung muss individuell auf den Patienten und seine konkrete Situation zugeschnitten sein. Ein allgemeines Formular genügt dem nicht.

Ein ärztlicher Eingriff ist nur dann rechtmäßig, wenn der Patient nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung rechtswirksam zugestimmt hat. Fehlt diese wirksame Einwilligung, ist der Eingriff als Körperverletzung anzusehen und kann zu einem Schadensersatzanspruch führen.

RA und Notar Krau

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