Aufrechnung bei der Drittschadensliquidation
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. September 2025 – III ZR 274/23
LG Verden, Teilurteil vom 10.11.2022 – 2 O 6/22
OLG Celle, Urteil vom 03.07.2023 – 1 U 96/22
Die Drittschadensliquidation ist ein juristisches Konzept, das ein scheinbares Ungleichgewicht korrigiert, das entsteht, wenn jemand eine vertragliche Pflicht verletzt, der daraus resultierende Schaden aber zufällig nicht beim Vertragspartner (dem Gläubiger), sondern bei einem Dritten eintritt.
Der Schädiger soll keinen Vorteil daraus ziehen, dass sich der Schaden wegen besonderer Umstände auf eine dritte Person verlagert hat.
Der Vertragspartner (Gläubiger), dessen geschützte Rechtsposition verletzt wurde, kann den Schaden, der eigentlich beim Dritten liegt, liquidieren (eintreiben) – also vom Schädiger Schadensersatz verlangen, obwohl er selbst keinen Schaden erlitten hat. Er muss dann den erlangten Ersatz an den geschädigten Dritten weiterleiten.
Der Schaden muss infolge einer besonderen Rechtsbeziehung so verlagert sein, dass er den Dritten trifft, was aus Sicht des Schädigers ein Zufall ist.
Der BGH musste in diesem Fall entscheiden, ob ein Auftraggeber (die Beklagte) mit einer Forderung aufrechnen darf, die er nur durch die Grundsätze der Drittschadensliquidation geltend machen konnte.
Auftragnehmer (Kläger) schuldet dem Auftraggeber (Beklagte) aus einem sogenannten „Vorvertrag“ noch 22.000 € monatliche Vergütung.
Der Auftragnehmer hat eine ihm zur Vertragserfüllung überlassene Wohnung nach Vertragsende nicht geräumt und weiter genutzt.
Die Wohnung war von der a. GmbH & Co. KG, einer vom Auftraggeber gegründeten Gesellschaft, angemietet.
Der Schaden durch die Nichträumung – die weiter fällige Nutzungsentschädigung (Miete) von monatlich 775 € – traf daher die a. GmbH (den Dritten), die diese Kosten an den Vermieter zahlen musste. Nicht den Auftraggeber.
Der Auftraggeber erklärte die Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch wegen der Nichträumung gegen die Forderung des Auftragnehmers auf die 22.000 €.
Darf der Auftraggeber, der selbst keinen Schaden erlitten hat, den Schaden der a. GmbH gegenüber der Forderung des Auftragnehmers zur Aufrechnung stellen?
Der BGH bejahte die Zulässigkeit der Aufrechnung und wies die Klage des Auftragnehmers auf Zahlung der 22.000 € ab.
Der Auftragnehmer hat seine vertragliche Pflicht zur Räumung und Herausgabe der Büroflächen gegenüber dem Auftraggeber verletzt.
Das geschützte Interesse des Auftraggebers (die Fläche nach Vertragsende frei zu haben) wurde nur deshalb nicht durch einen eigenen Schaden verletzt, weil die a. GmbH die Wohnung angemietet hatte und die Kosten (Nutzungsentschädigung) tragen musste.
Die Verlagerung des Schadens auf die a. GmbH ist zufällig aus Sicht des Schädigers (Auftragnehmer).
Daher konnte der Auftraggeber (Inhaber der verletzten Rechtsstellung) den Schadensersatzanspruch der a. GmbH gegen den Auftragnehmer geltend machen.
Für eine Aufrechnung ($ 387 BGB) müssen sich die Forderungen gegenseitig gegenüberstehen. Das heißt, A schuldet B etwas, und B schuldet A etwas.
Forderung des Klägers (Auftragnehmer): 22.000 € (Vergütung) gegen den Auftraggeber.
Gegenforderung des Beklagten (Auftraggeber): Schadensersatz (wegen Nichträumung) gegen den Auftragnehmer.
Der BGH stellte klar:
Gläubiger des Schadensersatzanspruchs ist bei der Drittschadensliquidation nicht der Dritte, der den Schaden erlitten hat (a. GmbH), sondern der Inhaber der verletzten Rechtsstellung – hier der Auftraggeber.
Die Schadensersatzforderung ist somit eine eigene Forderung des Auftraggebers.
Da der Auftraggeber dem Auftragnehmer etwas schuldet und der Auftragnehmer dem Auftraggeber (den Schadensersatzanspruch aus Drittschadensliquidation) schuldet, liegt Gegenseitigkeit vor.
Der BGH betonte, es mache keinen Sinn, den Auftraggeber zur Zahlung der 22.000 € an den Auftragnehmer zu zwingen, wenn der Auftragnehmer diesen Betrag (oder einen Teil davon als Schadensersatz) sofort an den Auftraggeber zurückzahlen müsste. Die Aufrechnung ist die logische und effiziente Lösung.
Die Aufrechnung des Auftraggebers war zulässig. Der Auftragnehmer bekam die 22.000 € nicht, weil der Auftraggeber mit dem durch Drittschadensliquidation auf ihn verlagerten Schadensersatzanspruch erfolgreich aufrechnen konnte.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.