Aufrechnung bei der Drittschadensliquidation

Oktober 21, 2025

Aufrechnung bei der Drittschadensliquidation

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. September 2025 – III ZR 274/23

LG Verden, Teilurteil vom 10.11.2022 – 2 O 6/22
OLG Celle, Urteil vom 03.07.2023 – 1 U 96/22

Was bedeutet Drittschadensliquidation?

Die Drittschadensliquidation ist ein juristisches Konzept, das ein scheinbares Ungleichgewicht korrigiert, das entsteht, wenn jemand eine vertragliche Pflicht verletzt, der daraus resultierende Schaden aber zufällig nicht beim Vertragspartner (dem Gläubiger), sondern bei einem Dritten eintritt.

Der Grundgedanke:

Der Schädiger soll keinen Vorteil daraus ziehen, dass sich der Schaden wegen besonderer Umstände auf eine dritte Person verlagert hat.

Die Konsequenz:

Der Vertragspartner (Gläubiger), dessen geschützte Rechtsposition verletzt wurde, kann den Schaden, der eigentlich beim Dritten liegt, liquidieren (eintreiben) – also vom Schädiger Schadensersatz verlangen, obwohl er selbst keinen Schaden erlitten hat. Er muss dann den erlangten Ersatz an den geschädigten Dritten weiterleiten.

Voraussetzung:

Der Schaden muss infolge einer besonderen Rechtsbeziehung so verlagert sein, dass er den Dritten trifft, was aus Sicht des Schädigers ein Zufall ist.

Der Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH)

Der BGH musste in diesem Fall entscheiden, ob ein Auftraggeber (die Beklagte) mit einer Forderung aufrechnen darf, die er nur durch die Grundsätze der Drittschadensliquidation geltend machen konnte.

Die Ausgangslage

Auftragnehmer (Kläger) schuldet dem Auftraggeber (Beklagte) aus einem sogenannten „Vorvertrag“ noch 22.000 € monatliche Vergütung.

Der Auftragnehmer hat eine ihm zur Vertragserfüllung überlassene Wohnung nach Vertragsende nicht geräumt und weiter genutzt.

Die Wohnung war von der a. GmbH & Co. KG, einer vom Auftraggeber gegründeten Gesellschaft, angemietet.

Der Schaden durch die Nichträumung – die weiter fällige Nutzungsentschädigung (Miete) von monatlich 775 € – traf daher die a. GmbH (den Dritten), die diese Kosten an den Vermieter zahlen musste. Nicht den Auftraggeber.

Aufrechnung bei der Drittschadensliquidation

Der Auftraggeber erklärte die Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch wegen der Nichträumung gegen die Forderung des Auftragnehmers auf die 22.000 €.

Die zentrale Frage

Darf der Auftraggeber, der selbst keinen Schaden erlitten hat, den Schaden der a. GmbH gegenüber der Forderung des Auftragnehmers zur Aufrechnung stellen?

Die Entscheidung des BGH: Zulässigkeit der Aufrechnung

Der BGH bejahte die Zulässigkeit der Aufrechnung und wies die Klage des Auftragnehmers auf Zahlung der 22.000 € ab.

Drittschadensliquidation liegt vor

Der Auftragnehmer hat seine vertragliche Pflicht zur Räumung und Herausgabe der Büroflächen gegenüber dem Auftraggeber verletzt.

Das geschützte Interesse des Auftraggebers (die Fläche nach Vertragsende frei zu haben) wurde nur deshalb nicht durch einen eigenen Schaden verletzt, weil die a. GmbH die Wohnung angemietet hatte und die Kosten (Nutzungsentschädigung) tragen musste.

Die Verlagerung des Schadens auf die a. GmbH ist zufällig aus Sicht des Schädigers (Auftragnehmer).

Daher konnte der Auftraggeber (Inhaber der verletzten Rechtsstellung) den Schadensersatzanspruch der a. GmbH gegen den Auftragnehmer geltend machen.

Die Aufrechnung ist möglich

Für eine Aufrechnung ($ 387 BGB) müssen sich die Forderungen gegenseitig gegenüberstehen. Das heißt, A schuldet B etwas, und B schuldet A etwas.

Forderung des Klägers (Auftragnehmer): 22.000 € (Vergütung) gegen den Auftraggeber.

Gegenforderung des Beklagten (Auftraggeber): Schadensersatz (wegen Nichträumung) gegen den Auftragnehmer.

Der BGH stellte klar:

Gläubiger des Schadensersatzanspruchs ist bei der Drittschadensliquidation nicht der Dritte, der den Schaden erlitten hat (a. GmbH), sondern der Inhaber der verletzten Rechtsstellung – hier der Auftraggeber.

Die Schadensersatzforderung ist somit eine eigene Forderung des Auftraggebers.

Da der Auftraggeber dem Auftragnehmer etwas schuldet und der Auftragnehmer dem Auftraggeber (den Schadensersatzanspruch aus Drittschadensliquidation) schuldet, liegt Gegenseitigkeit vor.

Praktischer Grund:

Der BGH betonte, es mache keinen Sinn, den Auftraggeber zur Zahlung der 22.000 € an den Auftragnehmer zu zwingen, wenn der Auftragnehmer diesen Betrag (oder einen Teil davon als Schadensersatz) sofort an den Auftraggeber zurückzahlen müsste. Die Aufrechnung ist die logische und effiziente Lösung.

Fazit

Die Aufrechnung des Auftraggebers war zulässig. Der Auftragnehmer bekam die 22.000 € nicht, weil der Auftraggeber mit dem durch Drittschadensliquidation auf ihn verlagerten Schadensersatzanspruch erfolgreich aufrechnen konnte.

RA und Notar Krau

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