Auskunftsansprüche und die „Gesamtabrechnung“ bei aufgelösten Gesellschaften

November 1, 2025

Auskunftsansprüche und die „Gesamtabrechnung“ bei aufgelösten Gesellschaften

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Juli 2025 – II ZB 1/25

In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um den Auskunftsanspruch einer Gesellschafterin (der Klägerin) gegenüber ihrer Kooperationspartnerin (der Beklagten) bezüglich eines Gewinns aus einem Geschäft mit Corona-Schnelltests. Die Klägerin war der Meinung, ihr stünden zwei Drittel des Gewinns zu, konnte diesen aber nicht genau beziffern, weil ihr die Einkaufspreise der Beklagten nicht plausibel erschienen.


1. Die Stufenklage und der Auskunftsanspruch

Die Klägerin wählte hier das juristische Instrument der Stufenklage. Diese Klageart ist in der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehen und läuft in drei Schritten ab:

  1. Auskunft: Zuerst wird die Gegenseite zur Auskunftserteilung verurteilt, damit der Kläger die genaue Höhe seines Anspruchs ermitteln kann.
  2. Eidesstattliche Versicherung: Ist die Auskunft unzureichend, kann eine eidesstattliche Versicherung verlangt werden.
  3. Leistung/Zahlung: Sobald der Anspruch beziffert werden kann, wird auf Zahlung der entsprechenden Summe geklagt.

Das Landgericht Münster verurteilte die Beklagte in der ersten Stufe dazu, Rechenschaft über die tatsächlichen Einkaufspreise für die Schnelltests zu legen, und zwar durch Vorlage der vorhandenen Belege.


2. Die „Durchsetzungssperre“ und der Grundsatz der Gesamtabrechnung

Die Beklagte versuchte, gegen dieses Urteil vorzugehen, und berief sich dabei auf den Grundsatz der Gesamtabrechnung aufgelöster Gesellschaften – oft auch als Durchsetzungssperre bezeichnet.

  • Was ist die Gesamtabrechnung? Wenn eine Gesellschaft (wie eine GbR) aufgelöst wird, darf ein Gesellschafter nicht einzelne Forderungen selbstständig einklagen. Stattdessen müssen alle Forderungen und Verbindlichkeiten im Rahmen einer einheitlichen, abschließenden Auseinandersetzungsrechnung verrechnet werden. Das soll verhindern, dass einzelne Gesellschafter sich Rosinen herauspicken und das Abwicklungsverfahren durch unübersichtliche Einzelklagen behindern.
  • Die BGH-Klarstellung: Der BGH stellte jedoch klar: Dieser Grundsatz der Gesamtabrechnung steht der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs im Rahmen einer Stufenklage nicht entgegen.
    • Grund: Der Auskunftsanspruch dient lediglich dazu, die Höhe des späteren Zahlungsanspruchs (in der dritten Stufe) zu ermitteln. Selbst wenn später auf Zahlung geklagt wird, enthält dieser Zahlungsantrag stillschweigend das Begehren, dass die Forderung in die Gesamtabrechnung eingestellt wird. Es wird also nicht versucht, die Gesamtabrechnung zu umgehen, sondern nur der unklare Anspruch wird vorbereitet und beziffert.

Auskunftsansprüche und die „Gesamtabrechnung“ bei aufgelösten Gesellschaften


3. Die Zulässigkeit der Rechtsmittel

Der weitere juristische Streit drehte sich um die Zulässigkeit der Rechtsmittel der Beklagten (Berufung und Rechtsbeschwerde).

  • Beschwer (Streitwert): Ein Rechtsmittel ist nur zulässig, wenn die beklagte Partei durch das Urteil mit einem bestimmten Mindestbetrag beschwert ist. Bei einer Verurteilung zur Auskunftserteilung bemisst sich dieser Wert nach dem Interesse des Verurteilten, die Auskunft nicht erteilen zu müssen.
  • Bemessung durch das OLG Hamm: Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm schätzte diesen Wert extrem niedrig ein (auf maximal 600 €). Es berücksichtigte dabei nur den tatsächlichen Aufwand an Zeit und Kosten für die Zusammenstellung der bereits vorhandenen Belege zu einem einzigen, bereits abgerechneten Geschäft.
  • BGH-Überprüfung: Der BGH hat diese Bemessung des OLG Hamm als nicht rechtsfehlerhaft bestätigt.

Wichtige Punkte zur Beschwer:

  • Der Aufwand wird nach Zeit und Kosten (z. B. nach den Entschädigungssätzen für Zeugen) bemessen, es sei denn, es gibt ein schützenswertes Interesse, bestimmte Tatsachen geheim zu halten.
  • Die Beklagte musste laut Urteil nur über die bei ihr vorhandenen Belege Auskunft erteilen. Die Forderung der Beklagten, es müsse auch der Aufwand zur Geltendmachung eines eigenen Auskunftsanspruchs gegenüber ihrem Vorlieferanten (der R. oHG) berücksichtigt werden, wies der BGH als unbegründet zurück. Das angefochtene Urteil verlangte dies nicht.

Fazit: Der BGH hat die Rechtsbeschwerde der Beklagten als unzulässig verworfen. Die Hauptaussage ist, dass der Auskunftsanspruch im Rahmen einer Stufenklage zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs zulässig ist und nicht gegen den Grundsatz der Gesamtabrechnung aufgelöster Gesellschaften verstößt.

RA und Notar Krau

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