Auslegung des abrechnungsbezogenen Beschlusses der Wohnungseigentümer
Gerne fasse ich das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Auslegung des abrechnungsbezogenen Beschlusses der Wohnungseigentümer (WEG) für Laien zusammen.
Das Urteil des BGH vom 19. Juli 2024 (V ZR 102/23) klärt, wie ein Wohnungseigentümerbeschluss zur Jahresabrechnung zu verstehen ist, der nach der WEG-Reform vom 1. Dezember 2020 gefasst wurde.
Der BGH hat entschieden, dass ein Beschluss, in dem die Eigentümer nach dem neuen Recht die „Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes genehmigen“, im Zweifel so ausgelegt werden muss, als wollten sie lediglich die Zahlungsverpflichtungen (die sogenannten Abrechnungsspitzen) festlegen, also die Höhe der Nachschüsse oder die Anpassung der Vorschüsse.
Das Zahlenwerk selbst wird durch den Beschluss nicht mehr „genehmigt“ oder „beschlossen“.
Die neue Rechtslage seit 2020Seit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) zum 1. Dezember 2020 hat sich die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer zur Jahresabrechnung grundlegend geändert:
Die Eigentümer mussten die gesamte Jahresabrechnung (das zugrundeliegende Zahlenwerk) und die Abrechnungsspitzen beschließen.
Die Eigentümerversammlung beschließt nur noch über die Einforderung von Nachschüssen (wenn Kosten offen sind) oder die Anpassung der Vorschüsse (wenn es ein Guthaben gibt) – diese Beträge werden als Abrechnungsspitzen bezeichnet. Das zugrunde liegende Abrechnungswerk dient nur der Vorbereitung dieses Beschlusses und wird nicht mehr inhaltlich genehmigt.
Die Eigentümergemeinschaft (GdWE) hat keine Kompetenz mehr, das bloße Zahlenwerk (die „Genehmigung der Gesamtabrechnung und der Einzelabrechnungen“) zu beschließen. Ein solcher Beschluss wäre, wörtlich genommen, nichtig.
In dem vom BGH entschiedenen Fall fassten die Wohnungseigentümer am 28. Juli 2021 (also nach der WEG-Reform) folgenden Beschluss:
„Die Gesamtabrechnung und die daraus resultierenden Einzelabrechnungen des Hausgeldes für den Zeitraum 1.1.2020 bis 31.12.2020 werden […] genehmigt. Die Abrechnungsspitzen sind zum 1.9.2021 fällig.“
Ein Eigentümer klagte und hielt den Beschluss für nichtig, da die Eigentümergemeinschaft keine Kompetenz mehr zur Genehmigung des Zahlenwerks habe. Das Landgericht Stuttgart gab ihm zunächst Recht.
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und erklärte den Beschluss für gültig mit folgender Begründung:
Beschlüsse von Wohnungseigentümern sind objektiv auszulegen. Maßgeblich ist, wie ein unbefangener Betrachter den Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn verstehen muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Wohnungseigentümer im Zweifel keinen rechtswidrigen Beschluss fassen wollen.
Obwohl der Beschluss die „Genehmigung der Abrechnung“ enthielt, ist es die nächstliegende Auslegung, dass die Eigentümer nur das beschließen wollten, was sie auch beschließen dürfen, nämlich die Abrechnungsspitzen (§ 28 II 1 WEG).
Der Beschluss ist daher so zu verstehen, dass er sich auf die Genehmigung der Abrechnungsspitzen beschränkt. Hierfür besteht die erforderliche Beschlusskompetenz. Der Beschluss ist somit nicht nichtig.
Für Wohnungseigentümer und Verwalter bedeutet dieses Urteil:
Wenn nach der WEG-Reform (1.12.2020) ein Beschluss gefasst wird, der immer noch die alten Begriffe wie „Genehmigung der Abrechnung“ verwendet, führt dies nicht automatisch zur Nichtigkeit.
Der BGH geht davon aus, dass die Eigentümer – auch wenn sie die alte Formulierung nutzen – im Grunde nur über die Höhe der Nachzahlungen oder Guthaben (die Abrechnungsspitzen) entscheiden wollten.
Was ist wirklich wichtig? Die Gültigkeit des Beschlusses bleibt erhalten, solange die eigentliche Zahlungsfestlegung (die Abrechnungsspitze) daraus hervorgeht. Der Verwalter sollte zukünftig jedoch die Formulierung an die neue Rechtslage anpassen und nur noch über die „Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der Vorschüsse“ beschließen lassen, um Missverständnisse zu vermeiden.
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