Auslegung einer Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament

April 6, 2019

Auslegung einer Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 66/94

Inhaltsverzeichnis RA und Notar Krau

Dieser Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) vom 29. Juni 1994 befasst sich mit der Auslegung einer Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament

und der Frage, ob ein Beteiligter, der im Verfahren der weiteren Beschwerde als Miterbe bestätigt wird, für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe beanspruchen kann.

Sachverhalt

Die Erblasser, ein Ehepaar, hatten in ihrem gemeinschaftlichen Testament zwei ihrer vier Kinder als Schlusserben eingesetzt.

Das Testament enthielt eine Pflichtteilsklausel, wonach ein Kind, das nach dem Tod des ersten Elternteils seinen Pflichtteil verlangt,

auch beim Tod des zweiten Elternteils nur den Pflichtteil erhalten soll.

Nach dem Tod des Vaters erhielt die Beteiligte zu 2 (eine der Töchter) von der Mutter einen Geldbetrag.

Auslegung einer Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament

Später errichtete die Mutter ein neues Testament, in dem sie ihren Sohn (den Beteiligten zu 1) als Alleinerben einsetzte.

Nach dem Tod der Mutter beantragte der Sohn einen Erbschein als Alleinerbe.

Die Tochter hingegen beantragte einen Erbschein, der sie und ihren Bruder als Miterben zu je ½ ausweisen sollte.

Sie machte geltend, dass sie ihren Pflichtteil nach dem Tod des Vaters nicht verlangt habe und daher nicht von der Erbfolge ausgeschlossen sei.

Kernaussagen des Beschlusses

Das BayObLG wies die weitere Beschwerde des Sohnes zurück und bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, die Tochter als Miterbin einzusetzen.

Der Tochter wurde jedoch Prozesskostenhilfe für das Verfahren der weiteren Beschwerde versagt.

Auslegung einer Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament

Zentrale Punkte des Beschlusses:

  • Auslegung der Pflichtteilsklausel: Die Auslegung der Pflichtteilsklausel richtet sich nach dem Willen der Erblasser und den Umständen des Einzelfalls.
  • „Verlangen“ des Pflichtteils: Ein „Verlangen“ des Pflichtteils liegt vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch geltend macht, unabhängig davon, ob die Initiative von ihm oder dem Erben ausgeht.
  • Kein Verstoß gegen die Klausel: Im vorliegenden Fall hatte die Tochter ihren Pflichtteil nicht „verlangt“, da die Zahlung von der Mutter ausging und im Einklang mit dem Testament stand.
  • Bedürftigkeit: Ein Beteiligter, der im Verfahren der weiteren Beschwerde als Miterbe bestätigt wird und aus dem Nachlass einen erheblichen Geldbetrag zu erwarten hat, ist nicht bedürftig im Sinne des Prozesskostenhilfegesetzes.

Wesentliche Argumente des Gerichts:

  • Wille der Erblasser: Die Erblasser wollten, dass die beiden jüngsten Kinder (einschließlich der Tochter) nach dem Tod des überlebenden Elternteils den Nachlass erhalten.
  • Auslegung der Klausel: Die Pflichtteilsklausel sollte verhindern, dass sich ein Kind dem Willen der Eltern widersetzt. Die Tochter hatte sich dem Willen der Eltern nicht widersetzt.
  • Kein „Verlangen“ des Pflichtteils: Die Tochter hatte den erhaltenen Geldbetrag nicht „verlangt“, sondern er wurde ihr von der Mutter angeboten.
  • Keine Bedürftigkeit: Die Tochter war nicht bedürftig, da sie als Miterbin einen erheblichen Geldbetrag aus dem Nachlass erhalten würde.

Auslegung einer Pflichtteilsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament

Bedeutung des Beschlusses

Dieser Beschluss verdeutlicht die Bedeutung der individuellen Auslegung von Pflichtteilsklauseln und die Berücksichtigung des Erblasserwillens.

Es wird klargestellt, dass nicht jede Zahlung aus dem Nachlass an einen Pflichtteilsberechtigten als „Verlangen“ des Pflichtteils im Sinne einer solchen Klausel zu werten ist.

Praktische Auswirkungen

Der Beschluss hat praktische Auswirkungen für die Gestaltung von Testamenten und die Geltendmachung von Prozesskostenhilfe in erbrechtlichen Verfahren.

Es ist wichtig, Pflichtteilsklauseln klar und eindeutig zu formulieren und die Bedürftigkeit des Antragstellers sorgfältig zu prüfen.

Zusätzliche Hinweise:

    • Der Beschluss befasst sich auch mit der Frage, ob die Quittungen der Tochter als Beweis für ein „Verlangen“ des Pflichtteils gewertet werden können.
    • Das BayObLG verneint dies.
    • Der Beschluss stellt klar, dass die Tochter ihren Pflichtteil nach dem Tod des Vaters bereits zu Lebzeiten der Mutter erhalten hatte.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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