Auslegung einer Pflichtteilsstrafklausel ohne Einsetzung von Schlusserben
Gerne fasse ich den Beschluss des OLG Köln vom 12.12.2024 (Az.: 2 Wx 201/24) zum Erbrecht, speziell zur Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments zusammen.
In diesem Fall ging es um die Frage, wer Erbe eines verstorbenen Vaters (des Erblassers) wird. Der Erblasser hatte zwei Testamente hinterlassen:
Ein gemeinschaftliches Testament von 1996 mit seiner vorverstorbenen Ehefrau.
Ein eigenhändiges Testament von 2017, das er nach dem Tod seiner Frau verfasst hatte.
Dieses Testament setzte die Eheleute gegenseitig als Alleinerben ein. Es enthielt aber keine ausdrückliche Regelung, wer nach dem Tod des Letztversterbenden (dem Erblasser) erben sollte (sogenannte Schlusserben).
Allerdings enthielt es:
Eine Pflichtteilsstrafklausel: Jeder Sohn, der nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil fordert, soll auch beim Tod des Längstlebenden nur den Pflichtteil erhalten.
Eine Klausel, die dem Überlebenden erlaubte, „frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen“.
Anrechnungsanordnungen für größere Geldzuwendungen an die gemeinsamen Söhne, die beim zweiten Erbfall berücksichtigt werden sollten.
Der Erblasser (Vater) setzte darin einen seiner Söhne als Alleinerben ein und wollte damit die anderen beiden Söhne enterben.
Der als Alleinerbe eingesetzte Sohn argumentierte, das erste (gemeinschaftliche) Testament enthalte keine bindende Schlusserbenbestimmung, weshalb das spätere Testament des Vaters gültig sei. Die anderen Söhne sahen in dem ersten Testament eine bindende und unwiderrufliche Einsetzung aller drei Söhne als Schlusserben zu gleichen Teilen.
Das OLG Köln gab den Söhnen Recht, die die bindende Einsetzung aller Kinder als Schlusserben bejahten, und wies die Beschwerde des als Alleinerben eingesetzten Sohnes zurück.
Obwohl das gemeinschaftliche Testament die gemeinsamen Söhne nicht explizit als Schlusserben nannte, konnte das Gericht dies durch Auslegung aus dem Gesamtzusammenhang des Testaments ableiten (Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB).
Solche Regelungen, insbesondere die Anrechnungsklauseln, zeigen den übereinstimmenden Willen der Eltern, ihre Kinder wirtschaftlich gleich zu behandeln und ihnen das Vermögen letztendlich zukommen zu lassen. Eine solche Gleichbehandlung wäre sinnlos, wenn der überlebende Elternteil die Kinder später nach Belieben enterben könnte. Die Schlusserbenbestimmung war demnach implizit gewollt.
Die Eltern wollten, dass das Vermögen bei den Kindern bleibt. Die Pflichtteilsstrafklausel sollte den überlebenden Elternteil finanziell absichern, indem sie die Kinder davon abhielt, ihren Pflichtteil sofort zu fordern – im Gegenzug für die sichere Erbenstellung später.
Die Formulierung, dass der Überlebende „frei und unbeschränkt über den Nachlass verfügen“ dürfe, dient nach Auffassung des Gerichts lediglich der Abgrenzung zu einer sogenannten Vor- und Nacherbschaft. Sie soll klarstellen, dass der Überlebende Vollerbe wird und nicht den strengeren Verfügungsbeschränkungen eines Vorerben unterliegt. Sie bedeutet nicht, dass der Überlebende auch per neuem Testament die Schlusserben enterben kann.
Die Einsetzung der Söhne als Schlusserben ist wechselbezüglich zur gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute (§ 2270 BGB). Das bedeutet, die Frau hätte ihren Mann nur deshalb als Alleinerben eingesetzt, weil sie davon ausging, dass dieser im Gegenzug die gemeinsamen Kinder als Schlusserben einsetzen würde.
Weil diese Verfügung wechselbezüglich und damit bindend wurde, nachdem die Ehefrau verstorben war, konnte der überlebende Ehemann (der Erblasser) die Schlusserbenregelung nicht mehr einseitig durch sein späteres Testament (2017) ändern (§ 2271 Abs. 2 BGB).
Die drei Söhne sind demnach zu gleichen Teilen Erben des Vaters geworden, basierend auf der bindenden Einsetzung im gemeinschaftlichen Testament von 1996. Das spätere Testament von 2017 war diesbezüglich unwirksam.
Ein gemeinschaftliches Ehegattentestament kann auch ohne die ausdrückliche Nennung von Schlusserben eine bindende Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder enthalten. Eine solche Bindung kann durch Regelungen wie eine Pflichtteilsstrafklausel oder Anrechnungsanordnungen im Testament begründet werden und verhindert, dass der überlebende Ehegatte die Kinder später enterbt.
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