Auslegung eines Ehegattentestaments – Wechselbezüglichkeit von Verfügungen
OLG Düsseldorf I 3 Wx 142/18
Das Oberlandesgericht Düsseldorf befasste sich in seinem Beschluss vom 08.11.2019 mit der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, dem sogenannten Berliner Testament.
Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die im Testament enthaltene Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder als Nacherben auch für den Nachlass des länger lebenden Ehegatten gilt
und ob diese Erbeinsetzung eine wechselbezügliche Bindungswirkung entfaltet.
Der Fall:
Ein Ehepaar hatte 1981 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und ihre beiden Söhne zu Nacherben bestimmten.
Das zum Nachlass gehörende Grundvermögen durfte vom Vorerben nicht veräußert oder belastet werden.
Weiterhin enthielt das Testament eine Klausel, wonach ein Sohn, der nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil verlangt, auch nach dem Tod des Letztversterbenden nur seinen Pflichtteil erhalten soll.
Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Ehefrau 2016 ein notarielles Testament, in dem sie ihren einen Sohn zu ¾ und den anderen Sohn zu ¼ als Erben ihres Nachlasses einsetzte.
Nach ihrem Tod beantragte der zu ¼ bedachte Sohn einen Erbschein, der ihn und seinen Bruder zu je ½ als Erben ausweisen sollte.
Er argumentierte, dass die Nacherbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament durch Auslegung auch eine wechselseitige Schlusserbeneinsetzung beinhaltet,
wonach die Söhne zu je ½ Erben des länger lebenden Ehegatten werden sollten.
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf:
Das OLG Düsseldorf gab dem Sohn Recht und stellte fest, dass die Söhne gemäß dem gemeinschaftlichen Testament zu je ½ Erben ihrer Mutter sind.
Die notarielle Verfügung der Mutter aus dem Jahr 2016 sei insoweit unwirksam, als sie die Rechte des Sohnes beeinträchtigt.
Begründung:
Das Gericht führte aus, dass der Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments zwar nur eine Regelung für die Erbfolge nach dem Tod des Erstversterbenden enthält, jedoch durch Auslegung zu ermitteln ist,
ob die Eheleute mit der Einsetzung der Nacherben nicht auch den Nachlass des Letztversterbenden regeln wollten.
Indizien für eine solche Auslegung sah das Gericht in dem Willen der Eheleute, ihren Kindern das gemeinsame Vermögen, insbesondere das Familienheim, zu erhalten.
Dieses Ziel wäre nicht zu erreichen gewesen, wenn die Ehefrau über ihren Miteigentumsanteil am Familienheim hätte frei verfügen können.
Weiterhin stützte das Gericht seine Auslegung auf die im Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel.
Diese Klausel soll verhindern, dass der überlebende Ehegatte durch Pflichtteilsforderungen eines Kindes in finanzielle Schwierigkeiten gerät.
Ein Kind hätte jedoch nur dann einen Anreiz, seinen Pflichtteil zu verlangen, wenn es erwarten kann, beim Tod des Letztversterbenden als Erbe begünstigt zu werden.
Selbst wenn man das Testament nicht so auslegen wollte, käme man nach Ansicht des Gerichts zu keinem anderen Ergebnis.
Denn dann wäre die „Zweifelsregelung“ des § 2102 Abs. 1 BGB anzuwenden, wonach die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe enthält.
Wechselbezügliche Bindungswirkung:
Das OLG Düsseldorf stellte zudem fest, dass die Einsetzung der Söhne als Schlusserben eine wechselbezügliche Bindungswirkung hat.
Das bedeutet, dass die Ehefrau nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr frei über ihren Nachlass verfügen konnte, da sie an die im gemeinschaftlichen Testament getroffene Regelung gebunden war.
Eine wechselbezügliche Bindungswirkung liegt nach § 2270 BGB vor, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre.
Im vorliegenden Fall sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Ehegatten die Erbeinsetzung ihrer Söhne als Schlusserben wechselseitig getroffen haben.
Fazit:
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf verdeutlicht die Bedeutung der Auslegung von Ehegattentestamenten.
Auch wenn der Wortlaut eines Testaments zunächst eindeutig erscheint, kann durch eine umfassende Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein anderer Wille der Erblasser ermittelt werden.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht insbesondere den mutmaßlichen Willen der Eheleute berücksichtigt, ihren Kindern das gemeinsame Vermögen zu erhalten.
Die Entscheidung stärkt somit die Rechte der Nacherben und trägt dazu bei, dass der Wille der Erblasser auch im Fall von Berliner Testamenten möglichst umfassend umgesetzt wird.
Praktische Bedeutung:
Das Urteil hat eine erhebliche praktische Bedeutung für die Gestaltung von Ehegattentestamenten.
Es zeigt auf, dass Ehegatten bei der Errichtung eines Berliner Testaments sorgfältig überlegen sollten, welche Regelungen sie für den Fall des Todes des länger lebenden Ehegatten treffen wollen.
Um spätere Auslegungsstreitigkeiten zu vermeiden, sollten die Ehegatten ihren Willen möglichst klar und eindeutig im Testament formulieren.
Insbesondere sollten sie klarstellen, ob die Erbeinsetzung der Schlusserben auch für den Nachlass des Letztversterbenden gelten soll und ob eine wechselbezügliche Bindungswirkung beabsichtigt ist.
Sollten die Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden Änderungen an dem gemeinschaftlichen Testament vornehmen wollen,
sollten sie sich zuvor anwaltlich beraten lassen, um sicherzustellen, dass die Änderungen wirksam sind und nicht zu unerwünschten Ergebnissen führen.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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