Auslegung eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments mit Katastrophenklausel
Das Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt befasste sich in seinem Beschluss vom 30. September 2024 (Az.: 2 Wx 58/23) mit der Auslegung eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments,
das eine sogenannte Katastrophenklausel enthielt.
Im Kern ging es um die Frage, ob die im Testament getroffenen Verfügungen für den Fall des gleichzeitigen oder kurz nacheinander eintretenden Todes beider Ehegatten sowie für den Fall der
Testierunfähigkeit des länger lebenden Ehegatten auch für den „normalen“ Fall des zeitlich versetzten Versterbens gelten sollten.
Die Eheleute errichteten 2017 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich zunächst gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden einsetzten.
Anschließend formulierten sie eine Klausel, die besagte, dass ihr „hier festgelegter gemeinsamer Wille“ gelten solle, falls beide gleichzeitig versterben oder der länger Lebende unheilbar erkrankt und testierunfähig wird.
Dieser Wille umfasste detaillierte Regelungen zur Verteilung ihres Vermögens für den zweiten Erbfall, insbesondere die Übertragung des Wohngrundstücks an den Enkelsohn zur Hälfte und an die beiden
Kinder (bzw. die Schwiegertochter anstelle des Sohnes) zu je einem Viertel, ein lebenslanges mietfreies Wohnrecht für die Kinder bzw. die Schwiegertochter,
ein Geldvermächtnis für die Tochter sowie eine Pflichtteilsstrafklausel.
Nach dem Tod der Ehefrau im März 2022 verstarb der Ehemann im August 2022.
Der Sohn beantragte daraufhin die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der den Enkelsohn als Erben zur Hälfte und ihn sowie seine Ehefrau zu je einem Viertel ausweisen sollte.
Die Tochter trat diesem Antrag entgegen und argumentierte, dass die Schlusserbeneinsetzung im Testament nur für die explizit genannten „Katastrophenfälle“ verfügt worden sei, welche hier nicht eingetreten seien.
Das Nachlassgericht wies den Antrag des Sohnes zurück, da es der Ansicht war, dass das Testament keine Regelungen für den tatsächlich eingetretenen Erbfall enthalte und somit gesetzliche Erbfolge eingetreten sei.
Gegen diese Entscheidung legte der Sohn Beschwerde ein.
Während des Beschwerdeverfahrens verstarb der Sohn, woraufhin seine Ehefrau das Rechtsmittel weiterführte.
Das Oberlandesgericht gab der Beschwerde der Schwiegertochter statt und wies das Nachlassgericht an, den beantragten gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen.
In seiner Begründung stellte das Gericht zunächst fest, dass das Beschwerdeverfahren durch den Tod des Sohnes weder erledigt noch unterbrochen sei,
da es um die Feststellung des Erbrechts nach dem ursprünglichen Erblasser gehe.
Zudem sei die Schwiegertochter selbst beschwerdeberechtigt, da ihr die Ausweisung ihrer Erbberechtigung verweigert worden sei.
In der Sache führte das Oberlandesgericht aus, dass bei der Auslegung eines Testaments gemäß §§ 133, 2084 BGB der wirkliche Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu ermitteln sei.
Dabei sei zwar vom Wortlaut auszugehen, dieser stelle aber keine unüberwindliche Grenze dar.
Vielmehr sei eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände der Testamentserrichtung erforderlich.
Bei einem gemeinschaftlichen Testament müsse zudem geprüft werden, ob ein mögliches Auslegungsergebnis dem Willen beider Ehegatten entsprochen habe.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die im Testament unter Ziffern 1 bis 6 getroffenen Verfügungen für den zweiten Erbfall insgesamt gelten sollten
und nicht auf die in der „Katastrophenklausel“ genannten Ausnahmefälle beschränkt seien.
Diese Auslegung stützte das Gericht auf mehrere Argumente:
Die detaillierten Regelungen für den zweiten Erbfall, insbesondere hinsichtlich des Grundstücks, des Wohnrechts und des Vermächtnisses,
deuteten darauf hin, dass sich die Testierenden umfassend mit der Vermögensnachfolge nach dem Tod des Längstlebenden auseinandergesetzt hätten.
Es sei unwahrscheinlich, dass diese detaillierten Regelungen nur für den Ausnahmefall einer Katastrophe gelten sollten, während für den „Normalfall“ keine Verfügungen getroffen worden seien.
Die Einräumung des Rechts an den länger lebenden Ehegatten, „diese Verfügungen“ zu widerrufen, zu ändern oder zu ergänzen, beziehe sich eindeutig auf die Verfügungen für den zweiten Erbfall.
Diese Regelung wäre sinnlos, wenn es für den Fall des zeitlich versetzten Versterbens keine solchen Verfügungen gäbe.
Die in Ziffer 5 enthaltene Pflichtteilsstrafklausel, die an die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen beim ersten Erbfall anknüpft, setze gerade ein zeitlich versetztes Versterben voraus und wäre in den genannten „Katastrophenfällen“ ohne praktische Bedeutung.
Bezüglich der „Katastrophenklausel“ führte das Oberlandesgericht aus, dass es sich hierbei im Rahmen der Auslegung differenzieren müsse, ob damit eine Bedingung für die Geltung der nachfolgenden
Verfügungen habe geregelt werden sollen oder ob es sich lediglich um eine Erläuterung oder ein Motiv gehandelt habe.
Im vorliegenden Fall sei es nachvollziehbar, dass die Testierenden trotz der umfassenden Verfügungsbefugnisse des länger lebenden Ehegatten gerade für den Fall des (nahezu) gleichzeitigen
Versterbens oder des Wegfalls der Testierfähigkeit eine unmittelbare Fixierung der Regelungen für den zweiten Erbfall für erforderlich gehalten hätten.
Dies stehe im Einklang mit dem ermittelten Gesamtwillen der Testierenden.
Es sei nicht ersichtlich, warum die gewollte Absicherung der Kinder bzw. der Schwiegertochter bezüglich des Wohnrechts oder die Regelung bezüglich des Vermächtnisses an die Tochter nur im Katastrophenfall gelten sollte.
Das Oberlandesgericht folgte daher dem Antrag des Sohnes (nunmehr vertreten durch seine Ehefrau) und legte die Schlusserbeneinsetzung dahin aus,
dass die Kinder bzw. die Schwiegertochter und der Enkelsohn zu den beantragten Anteilen Erben sein sollten.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden der Tochter auferlegt. Der Kostenwert des Beschwerdeverfahrens wurde auf 20.000 Euro festgesetzt.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.