Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – OLG Frankfurt am Main 12.03.2012 – 21 W 35/12

Mai 14, 2019

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – OLG Frankfurt am Main 12.03.2012 – 21 W 35/12

RA und Notar Krau

Die Erblasserin und ihr dritter Ehemann A errichteten 1964 ein gemeinschaftliches Testament.

Darin setzten sie sich gegenseitig zu Vorerben ein.

Nacherben sollten nach der Erblasserin ihr Sohn C (Beteiligter zu 1) bzw. dessen Abkömmlinge sein.

Nacherben nach A sollten sein Adoptivsohn C, seine Tochter aus erster Ehe sowie deren Abkömmlinge zu gleichen Teilen sein.

Nach dem Tod von A errichtete die Erblasserin ein neues Testament, in dem sie ihre Enkelin (Beteiligte zu 2), die Tochter von C, als Alleinerbin einsetzte.

C beantragte nach dem Tod der Erblasserin einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist und berief sich auf das gemeinschaftliche Testament von 1964.

Er argumentierte, dass die Erblasserin die darin enthaltenen wechselseitigen Verfügungen nicht wirksam widerrufen konnte.

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – OLG Frankfurt am Main 12.03.2012 – 21 W 35/12

Rechtliche Würdigung:

Das OLG Frankfurt wies die Beschwerde der Enkelin gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zurück und bestätigte, dass C Alleinerbe der Erblasserin geworden ist.

Begründung:

  • Auslegung des Testaments: Das gemeinschaftliche Testament von 1964 ist so auszulegen, dass die Eheleute sich gegenseitig zu Vorerben und die jeweils eigenen Abkömmlinge zu Nacherben eingesetzt haben.
  • Konkludente Erbeinsetzung als Vollerbe: Obwohl das Testament keine ausdrückliche Regelung dazu enthält, wer den Längstlebenden beerben soll, ist C als Nacherbe im Sinne eines Vollerben für den Fall anzusehen, dass die Erblasserin ihren Ehemann überlebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Testaments und dem erkennbaren Willen der Eheleute, den Nachlass letztendlich den eigenen Verwandten zukommen zu lassen.
  • Wechselbezüglichkeit: Die Einsetzung von C als Vollerbe der Erblasserin ist wechselbezüglich zu der Verfügung des Ehemannes, die Erblasserin als seine Vorerbin einzusetzen.
  • Widerrufsausschluss: Aufgrund der Wechselbezüglichkeit konnte die Erblasserin die Erbeinsetzung von C nach dem Tod ihres Ehemannes nicht mehr widerrufen (§ 2271 Abs. 2 BGB).
  • Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB: Die Wechselbezüglichkeit ergibt sich auch aus der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB, wonach eine Wechselbezüglichkeit im Zweifel anzunehmen ist, wenn für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm nahe steht. C war als leiblicher Sohn der Erblasserin und Adoptivsohn ihres Ehemannes eine solche Person.  
  • Keine wirksame Pflichtteilsentziehung: Die von der Erblasserin versuchte Entziehung des Pflichtteils von C war nicht wirksam, da keine Gründe für eine Pflichtteilsentziehung vorlagen.

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – OLG Frankfurt am Main 12.03.2012 – 21 W 35/12

Fazit:

Der Beschluss des OLG Frankfurt verdeutlicht die Bedeutung der Wechselbezüglichkeit in gemeinschaftlichen Testamenten.

Durch die wechselbezügliche Einsetzung von C als Nacherbe war die Erblasserin an diese Verfügung gebunden und konnte sie nach dem Tod ihres Ehemannes nicht mehr widerrufen.

C ist daher Alleinerbe geworden.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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