Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – Vor- und Nacherbschaft

Mai 8, 2020

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – Vor- und Nacherbschaft

OLG Oldenburg Urteil vom 02.2.1999 – 5 U 166/98

RA und Notar Krau

Das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg vom 2. Februar 1999 (5 U 166/98) behandelt die Auslegung

eines gemeinschaftlichen Testaments im Hinblick auf Vor- und Nacherbschaft sowie den Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten auf qualifizierte Auskunft.

Sachverhalt

Die Klägerin, Tochter der 1995 verstorbenen Erblasserin, fordert im Rahmen einer Stufenklage zunächst Auskunft über den Nachlass ihrer Mutter, um ihren Pflichtteil beziffern zu können.

In dem notariellen gemeinschaftlichen Testament von 1974 setzten sich die Erblasserin und ihr Ehemann gegenseitig als „Vollerben“ ein, während ihre Kinder als Erben des länger Lebenden bestimmt wurden.

Auf eine vorprozessuale Auskunftsanfrage der Klägerin antwortete der Beklagte mit Angaben zu beweglichem und unbeweglichem Vermögen,

schätzte den Pflichtteil und zahlte einen Teilbetrag, behielt jedoch einen Teilbetrag wegen herauszugebenden Nachlassschmucks zurück.

Die Klägerin hielt diese Auskunft für unvollständig und forderte ein notarielles Nachlassverzeichnis sowie Wertgutachten zum Grundbesitz.

Entscheidungsgründe

Das OLG Oldenburg urteilte, dass die Berufung der Klägerin erfolgreich ist.

Die zentrale Frage war, ob das Testament eine Vor- und Nacherbschaft oder eine Vollerbschaft des länger Lebenden anordnet.

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments – Vor- und Nacherbschaft

Das Gericht stellte klar, dass die Formulierung des Testaments eindeutig sei und die Einsetzung des Beklagten als „Vollerben“

und der Kinder als Erben des Überlebenden keine Vor- und Nacherbschaft begründet.

Daher steht der Klägerin der Anspruch auf eine qualifizierte Auskunft nach § 2314 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB zu.

Auskunftsanspruch

Der Beklagte wurde verurteilt, ein notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen und den Wert des Grundbesitzes durch unparteiische Sachverständigengutachten ermitteln zu lassen.

Die privatschriftlichen Angaben des Beklagten genügen nicht, um den Anspruch der Klägerin vollständig zu befriedigen, insbesondere da wesentliche Informationen über den fiktiven Nachlassbestand fehlten.

Das OLG betonte, dass der Auskunftsschuldner nicht frei entscheiden könne, wie er das Auskunftsbegehren erfüllt.

Rechtsmissbrauch

Das Gericht lehnte die Auffassung des Landgerichts ab, dass die Forderung der Klägerin nach einem notariellen Verzeichnis rechtsmissbräuchlich sei.

Auch wenn der Beklagte vorprozessual umfangreiche Informationen geliefert habe, berechtigte dies die Klägerin nicht, sich mit einer einfachen Auskunft zufrieden zu geben.

Insbesondere fehlten noch Angaben zu ausgleichspflichtigen Zuwendungen der Erblasserin innerhalb der letzten zehn Jahre, was den Auskunftsanspruch weiter rechtfertigte.

Urteil

Das OLG Oldenburg änderte das Urteil des Landgerichts und gab der Berufung der Klägerin statt.

Der Beklagte wurde zur vollständigen Auskunftserteilung verurteilt.

Die Kostenentscheidung wurde dem Schlussurteil vorbehalten, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dieses Urteil bestätigt die Bedeutung einer umfassenden und qualifizierten Auskunftspflicht des Erben gegenüber Pflichtteilsberechtigten und klärt,

dass die Einsetzung eines Längerlebenden als „Vollerben“ in einem gemeinschaftlichen Testament nicht ohne Weiteres als Vor- und Nacherbschaft zu interpretieren ist.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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