Auslegung eines lückenhaften und widersprüchlichen Erbvertrages – KG Berlin Beschluss vom 21. August 2015 – 6 W 164/14
Zusammenfassung RA und Notar Krau
Das Kammergericht Berlin hat am 21. August 2015 in dem Beschluss 6 W 164/14 über ein Erbscheinsverfahren entschieden, bei dem die Auslegung eines notariellen Erbvertrags im Zentrum stand.
Vorausgegangen waren Beschlüsse des Amtsgerichts Charlottenburg vom 13. Oktober und 13. November 2014.
Diese Beschlüsse wurden vom Kammergericht aufgehoben, und das Nachlassgericht wurde angewiesen, die beantragten Erbscheine zu erteilen.
Sachverhalt
Der kinderlos verstorbene Erblasser war seit 2003 verheiratet und hatte mit seiner Frau einen Erbvertrag geschlossen, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten und ein Vermächtnis zugunsten des Cousins des Erblassers festlegten.
Der Vertrag enthielt jedoch keine klaren Bestimmungen über die Einsetzung von Ersatz- oder Schlusserben für den Fall, dass die Ehepartner nicht gleichzeitig oder kurz nacheinander sterben.
Im Vertrag war eine Liste potenzieller Erben enthalten, die jedoch nicht vollständig ausgefüllt war.
Zudem gab es handschriftliche Ergänzungen und Adressenlisten, die unklare Erbquoten für verschiedene Beteiligte auswiesen.
Diese unvollständige und widersprüchliche Vertragsgestaltung führte zu Unsicherheiten bezüglich der Erbenbestimmungen.
Verfahrensverlauf
Das Nachlassgericht hatte die Anträge auf Erteilung von Erbscheinen abgelehnt, da es der Ansicht war, der Vertrag enthalte nur Regelungen für den Fall eines gleichzeitigen oder kurz nacheinander erfolgenden Todes der Ehepartner.
Gegen diese Entscheidung legten die Beteiligten zu 1), 2), 4) und 5) Beschwerde ein.
Das Kammergericht gab den Beschwerden statt und hob die Entscheidungen des Nachlassgerichts auf.
Begründung des Kammergerichts
Auslegung des Erbvertrags
Das Kammergericht stellte fest, dass der Wille der Vertragsparteien bei der Errichtung des Erbvertrags erforscht werden müsse.
Dieser Wille sei nicht allein aus dem Wortlaut, sondern auch aus den Umständen außerhalb der Urkunde zu ermitteln.
Es sei zu klären, ob die in der Adressliste genannten Personen auch als Schlusserben eingesetzt wurden, selbst wenn die Ehepartner nicht gleichzeitig oder kurz nacheinander sterben würden.
Zeugenvernehmungen und Notariatsakten
Die Vernehmung von Zeugen und die Einsichtnahme in die Notariatsakten ergaben, dass der Erblasser und seine Frau tatsächlich beabsichtigten, die in der Liste genannten Personen als Erben des Letztversterbenden einzusetzen.
Dies wurde durch Äußerungen des Erblassers gegenüber Dritten bestätigt, wonach seine Nichten aus Hamburg seine Erben sein sollten, und durch Aussagen der Zeugen, die enge Beziehungen zum Erblasser und seiner Frau hatten.
Form und Inhalt der notariellen Urkunde
Die notarielle Urkunde war zwar durch handschriftliche Ergänzungen und Einfügungen verändert worden, dennoch konnte aus dem Gesamtzusammenhang eine klare Regelung über die Schlusserben abgeleitet werden.
Der Passus, dass der überlebende Ehegatte über den Nachlass frei verfügen könne, wurde durch die späteren Ergänzungen und die festgestellte Absicht der Vertragsparteien überlagert.
Schlussfolgerung
Das Kammergericht kam zu dem Schluss, dass die Beteiligten zu 1), 2), 4) und 5) aufgrund der Auslegung des Erbvertrags als Erben einzusetzen seien.
Das Nachlassgericht wurde angewiesen, die entsprechenden Erbscheine zu erteilen.
Die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen.
Der Beschluss des Kammergerichts zeigt die Bedeutung der genauen Erforschung des Willens der Erblasser bei der Auslegung von Erbverträgen.
Selbst widersprüchliche oder unvollständige Regelungen in einer notariellen Urkunde können durch die Ermittlung des tatsächlichen Willens der Vertragsparteien aufgelöst werden.
Dies unterstreicht die Notwendigkeit, bei der Erstellung von Erbverträgen klare und eindeutige Regelungen zu treffen, um spätere Unklarheiten zu vermeiden.
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