Auslegung eines Vermächtnisses betreffend ein Wohnungsrecht

Oktober 5, 2025

Auslegung eines Vermächtnisses betreffend ein Wohnungsrecht

Der Fall vor dem Oberlandesgericht (OLG) Schleswig (Urteil vom 03.12.2013 – 3 U 16/13) dreht sich um die Auslegung eines Testaments und die Folgen, wenn der Begünstigte einer Wohnung seinen Pflichten nicht nachkommt.

Der Sachverhalt: Testament und Wohnrecht

Die Erblasserin (die Verstorbene) hatte in ihrem handschriftlichen Testament ihren Sohn (den Kläger) zum Alleinerben des Hauses bestimmt. Gleichzeitig setzte sie ein Vermächtnis zugunsten des Beklagten aus, mit dem sie persönlich und beruflich verbunden war.

Das Vermächtnis lautete, dass der Beklagte die gemeinsam bewohnte Dachgeschoss-Wohnung „bis an sein Lebensende mietfrei bewohnen“ solle. Er sollte jedoch „nur die Verbrauchskosten“ mit dem Erben (dem Kläger) abrechnen.

Der Konflikt: Nicht gezahlte Nebenkosten und Kündigung

Nach dem Tod der Erblasserin bewohnte der Beklagte die Wohnung weiter. Der Kläger forderte ihn zur Zahlung der auf die Wohnung entfallenden Betriebs- und Verbrauchskosten auf.

Ein früheres Gerichtsurteil stellte bereits rechtskräftig fest, dass der Beklagte verpflichtet war, die Nebenkosten zu zahlen.

Trotz des Urteils und einer bereits titulierten (gerichtlich festgestellten) Forderung in Höhe von über 8.000 € für die Jahre 2001 bis 2008 zahlte der Beklagte weder auf die alten noch auf die laufenden Nebenkosten. Er erklärte, dauerhaft außerstande zu sein, diese Kosten zu tragen.

Daraufhin kündigte der Kläger das Nutzungsverhältnis fristlos und verlangte die Herausgabe der Wohnung. Er begründete die Kündigung mit der dauerhaften Verletzung der Pflicht zur Kostentragung.

Die juristische Hauptfrage: Dingliches Recht oder schuldrechtlicher Vertrag?

Das OLG musste zunächst klären, was die Erblasserin mit dem Vermächtnis tatsächlich beabsichtigt hatte.

Auslegung des Vermächtnisses

Das Gericht neigte dazu, die Formulierung „bis an sein Lebensende mietfrei bewohnen“ als Zuwendung eines dinglichen Wohnrechts (1093BGB) auszulegen – und nicht nur als ein einfaches, schuldrechtliches Nutzungsrecht (wie eine Leihe oder Miete).

Argument für ein dingliches Wohnrecht: Die Erblasserin wollte eine ihr nahestehende Person dauerhaft absichern und versorgen. Ein dingliches Recht, das ins Grundbuch eingetragen wird, ist wesentlich stärker und sicherer als ein bloßer Vertrag, der leichter gekündigt werden kann. Juristisch gesehen spricht die Lebenserfahrung in solchen Fällen für den Willen zur Zuwendung des stärkeren dinglichen Rechts.

Argument gegen die Kündigung eines dinglichen Rechts: Ein dingliches Wohnrecht kann nicht einfach gekündigt werden.

Ergebnis zur Auslegung

Das OLG ließ die Frage, ob ein schuldrechtliches oder dingliches Recht vorlag, letztlich offen, da der Kläger in beiden Fällen einen Anspruch auf die Herausgabe der Wohnung hatte.

Die Entscheidung des OLG Schleswig

Das OLG wies die Berufung des Beklagten zurück und bestätigte den Herausgabeanspruch des Klägers.

Fall: Schuldrechtliches Nutzungsrecht (wie vom Landgericht angenommen)

Das Landgericht hatte von einem schuldrechtlichen Dauernutzungsverhältnis (Leihe) auf Lebenszeit ausgegangen.

Dieses konnte gemäß 314BGB aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden.

Die dauerhafte, hartnäckige Nichterfüllung der Pflicht zur Zahlung der Wohnnebenkosten – auch nach einem rechtskräftigen Urteil – stellte einen solchen wichtigen Grund dar. Der Kläger musste dieses Verhältnis nicht länger fortsetzen.

Auslegung eines Vermächtnisses betreffend ein Wohnungsrecht

Fall: Dingliches Wohnungsrecht (wie vom OLG erwogen)

Auch wenn ein dingliches Wohnrecht gewollt war, konnte der Kläger die Herausgabe verlangen.

Fehlendes Wohnungsrecht:

Das Wohnrecht war noch nicht entstanden, da es nicht im Grundbuch eingetragen war. Der Beklagte hatte lediglich einen Vermächtnisanspruch gegen den Erben (Kläger) auf Eintragung dieses Rechts.

Zurückbehaltungsrecht:

Der Kläger konnte dem Anspruch des Beklagten auf Eintragung des Wohnrechts ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten.

Die Ansprüche des Klägers (Zahlung der Nebenkosten) und des Beklagten (Eintragung des Wohnrechts) beruhten auf demselben innerlich zusammenhängenden Lebenssachverhalt (dem Testament).

Da der Kläger seinerseits eine fällige und titulierte Forderung gegen den Beklagten hatte, konnte er die Eintragung des Wohnrechts verweigern, bis der Beklagte seine Schulden beglich.

Kein Besitzrecht:

Durch das erfolgreich geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht stand dem Beklagten kein Recht zum Besitz der Wohnung mehr zu, das er dem Herausgabeanspruch des Klägers entgegenhalten konnte.

Ergebnis

Die Klage auf Herausgabe der Wohnung war in beiden juristischen Auslegungsvarianten begründet.

Fazit für Laien

Wer durch ein Testament ein lebenslanges Wohnrecht erhält und im Gegenzug Nebenkosten zahlen soll, muss seinen Pflichten nachkommen, auch wenn es ihm wirtschaftlich schwerfällt (er könnte Sozialleistungen beantragen).

Kommen Begünstigte ihren Pflichten dauerhaft nicht nach, können Erben das Nutzungsverhältnis auch bei einem vermeintlich „sicheren“ lebenslangen Wohnrecht beenden und die Räumung der Wohnung durchsetzen. Entweder durch eine Kündigung (bei einem schuldrechtlichen Vertrag) oder durch die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (bei einem noch nicht im Grundbuch eingetragenen dinglichen Recht).

RA und Notar Krau

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