Auslegung Erbvertrag über gegenseitige Erbeinsetzung von Eheleuten – Bayerisches Oberstes Landesgericht – 1Z BR 53/01

Mai 12, 2020

Auslegung Erbvertrag über gegenseitige Erbeinsetzung von Eheleuten – Bayerisches Oberstes Landesgericht – 1Z BR 53/01

RA und Notar Krau

Die 1999 im Alter von 85 Jahren verstorbene Erblasserin hatte mit ihrem 1969 vorverstorbenen Ehemann am 12.9.1947 einen notariell beurkundeten Ehe- und Erbvertrag geschlossen.

Mit diesem vereinbarten die (künftigen) Eheleute als Güterstand die allgemeine Gütergemeinschaft.

In das Gesamtgut fiel insbesondere das landwirtschaftliche Hofanwesen, das der Ehemann aufgrund eines am gleichen Tage abgeschlossenen Übergabevertrages von seiner Mutter übernommen hatte.

Ferner trafen die Eheleute durch Erbvertrag – unter Nr. II der Urkunde – Verfügungen von Todes wegen, die hier in Auszügen wiedergegeben werden:


“a)
Dasjenige von ihnen, das zuerst stirbt, wird von dem Überlebenden beerbt.


c)
Für den Fall, daß die Ehefrau das Überlebende ist, wird weiter folgendes bestimmt:


1) Die Ehefrau hat das Anwesen samt dem landwirtschaftlichen Inventar an eines der gemeinschaftlichen Kinder unter den bei Verträgen zwischen Eltern und Kindern üblichen Bedingungen zu übergeben, es sei denn, daß keines dieser Kinder zur Übernahme und zur Bewirtschaftung des Anwesens bereit und geeignet ist.

Der Zeitpunkt der Übergabe und die Wahl des Kindes stehen der Ehefrau frei.


2) Stirbt die Ehefrau ohne übergeben zu haben und ohne Hinterlassung von Abkömmlingen und ohne Hinterlassung eines Ehegatten aus einer neuen Ehe, so wird sie von dem Bruder des Ehemannes (= Beteiligter zu 15) beerbt.


Die Beteiligten nehmen ihre Erklärungen gegenseitig an.”

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Mit notariell beurkundetem “Übergabevertrag” vom 25.10.1978 hatte die damals 64-jährige Erblasserin das Anwesen mitsamt dem landwirtschaftlichen Inventar unter Vereinbarung eines Leibgedings an ihre Nichte, die Beteiligte zu 5, übergeben.

Als sie 1999 starb, hinterließ sie keine Abkömmlinge

Der Bruder des Ehemannes (Beteiligter zu 15) beantragte nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist.

Er war der Ansicht, die Ehefrau habe das Anwesen nicht im Sinne der Testamentsklausel übergeben, da sie nicht, wie in der Testamentsklausel vorgesehen, an ihre Kinder, sondern “nur” an ihre Nichte übertragen habe.

Die Beteiligten zu 1, 2 und 5 beantragten hingegen einen Erbschein für die gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung.

Sie waren der Ansicht, die Übergabeklausel sei ausgelöst worden, womit die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 15 entfallen sei.

Das Amtsgericht Rosenheim erließ zunächst und entzog dann wieder den Erbschein, den es dem Beteiligten zu 15 zunächst erteilt hatte.

Das Landgericht Traunstein hob diese Entscheidung auf und wies an, den Erbschein zugunsten des Beteiligten zu 15 wieder zu erteilen.

Die Beteiligte zu 5 legte dagegen weitere Beschwerde ein.

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Entscheidung und Begründung

Das Bayerische Oberste Landesgericht hob den Beschluss des Landgerichts Traunstein auf.

Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 5 hatte Erfolg.

Das Gericht stellte fest, dass der Beteiligte zu 15 die Erblasserin nicht beerbt hatte, da die Voraussetzungen für seine Erbeinsetzung nicht erfüllt waren.

Insbesondere wurde die Übergabe des Anwesens an die Nichte als rechtmäßige Erfüllung der im Erbvertrag vorgesehenen Bedingungen betrachtet.

Auslegung des Erbvertrages:

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Begriff “Übergabe” im Erbvertrag nicht nur auf die Übergabe an gemeinsame Kinder beschränkt war.

Die Möglichkeit einer Übergabe an andere Personen war nicht ausgeschlossen, insbesondere für den Fall, dass keine Kinder vorhanden waren oder diese nicht bereit oder geeignet waren, das Anwesen zu übernehmen.

Der Kern der Begründung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes lautet wie folgt:

“Falls gemeinschaftliche Kinder vorhanden gewesen wären, wäre die Erblasserin grundsätzlich verpflichtet gewesen, an eines von ihnen zu übergeben.

Diese Verpflichtung wäre aber entfallen, wenn keines dieser Kinder zur Übernahme bereit und geeignet gewesen wäre.

Dem Ehe- und Erbvertrag läßt sich nicht entnehmen, daß die Erblasserin in diesem Falle in der Verfügung über das – nach dem Tod ihres Ehemannes ihr als Erbin allein gehörende – Anwesen sonstwie beschränkt gewesen wäre.

Die Annahme des Landgerichts, “auch für diesen Fall” sei “die Ehefrau keineswegs in der Lage” gewesen, “das Anwesen frei an einen Dritten zu übergeben, weil die Kinder insoweit mit dinglicher Wirkung durch Vormerkung bezüglich ihres Anspruchs auf Übertragung des Eigentums gesichert werden sollten”, beruht auf Rechtsirrtum.”

Die Akten wurden an das Amtsgericht Rosenheim zurückgegeben, das über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1, 2 und 5 entscheiden muss.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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