Auslegung Testament Alleinerbin oder Vorerbin 

September 16, 2017

Auslegung Testament Alleinerbin oder Vorerbin

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 102/98

RA und Notar Krau

In diesem Fall befasste sich das Bayerische Oberste Landesgericht mit der Auslegung eines Testaments, in dem die Erblasserin

ihrer Schwester eine Eigentumswohnung „solange Du lebst“ zugewendet hatte.

Streitpunkt war, ob die Schwester Alleinerbin geworden oder nur Vorerbin mit eingeschränkten Rechten war.

Die Fakten des Falles

Eine Frau verfasste ein handschriftliches Testament, in dem sie ihrer Zwillingsschwester ihre Eigentumswohnung

„solange Du lebst“ zuwandte und bestimmte, dass die Hälfte ihres Sparkassenguthabens für wohltätige Zwecke verwendet werden sollte.

Nach dem Tod der Erblasserin beantragte die Schwester einen Erbschein als Alleinerbin, der ihr auch erteilt wurde.

Jahre später beantragte der Halbbruder der Erblasserin die Einziehung des Erbscheins, da er der Meinung war, die Schwester sei nur Vorerbin der Wohnung.

Die Entscheidung des Gerichts

Auslegung Testament Alleinerbin oder Vorerbin

Das Bayerische Oberste Landesgericht wies die Beschwerde des Halbbruders zurück und bestätigte die Erbeinsetzung der Schwester.

Die Formulierung „solange Du lebst“ wurde nicht als Beschränkung der Erbenstellung, sondern als Ausdruck der Fürsorge für die Schwester interpretiert.

Begründung des Gerichts

  • Formgültigkeit des Testaments: Das Gericht stellte fest, dass das handschriftliche Schreiben alle Voraussetzungen eines gültigen Testaments nach § 2247 BGB erfüllte.
  • Auslegung als Erbeinsetzung: Das Gericht legte das Testament dahin gehend aus, dass die Schwester Alleinerbin geworden war.
    • Zuwendung des wesentlichen Vermögens: Die Eigentumswohnung stellte den wertmäßig größten Teil des Nachlasses dar. Nach der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB wird bei Zuwendung einzelner Gegenstände zwar im Zweifel ein Vermächtnis angenommen. Wenn aber praktisch das gesamte Vermögen zugewendet wird, ist von einer Erbeinsetzung auszugehen.
    • Auflage zur Verwendung des Geldes: Die Schwester sollte die Hälfte des Geldes für wohltätige Zwecke verwenden. Dies setzte voraus, dass sie auch Eigentümerin des Geldes und damit Erbin war.

Auslegung Testament Alleinerbin oder Vorerbin

  • Bedeutung der „solange Du lebst“-Klausel: Das Gericht sah in dieser Klausel keine Beschränkung der Erbenstellung, sondern eine Floskel, mit der die Erblasserin die Absicherung ihrer Schwester zum Ausdruck bringen wollte.
    • Vertrauensstellung der Schwester: Die Erblasserin hatte ihrer Schwester die freie Verfügung über das Geldvermögen überlassen. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihr gleichzeitig die Eigentumswohnung nur als Vorerbin zukommen lassen wollte.
    • Keine Anhaltspunkte für Nacherbschaft: Es gab keine Hinweise darauf, dass die Erblasserin nach dem Tod ihrer Schwester andere Personen als Erben einsetzen wollte.
    • Lebenslange Absicherung: Die Klausel diente vermutlich dazu, die Schwester bis zu ihrem Tod abzusichern.

Fazit

Der Fall BayObLG 1Z BR 102/98 zeigt, dass die Formulierung „solange Du lebst“ in einem Testament nicht automatisch eine Vorerbschaft bedeutet.

Entscheidend ist der Wille des Erblassers, der durch Auslegung des Testaments im Gesamtzusammenhang zu ermitteln ist.

Zusätzliche Anmerkungen:

  • Der Fall verdeutlicht die Bedeutung der Auslegungsregeln im Erbrecht, insbesondere des § 2087 BGB.
  • Die Gerichte berücksichtigen bei der Testamentsauslegung auch die Umstände des Einzelfalls und die Verhältnisse der Beteiligten.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

Das BayObLG hat in diesem Fall die „solange Du lebst“-Klausel im Sinne einer umfassenden Absicherung der Schwester interpretiert

und damit deren Stellung als Alleinerbin bestätigt.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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