Auslegung und Anfechtung bei Vorversterben des Schlusserben
KG, Beschl. v. 22.10.2024 – 19 W 18/24
(AG Spandau Beschl. v. 11.1.2024 – 60 VI 21379/23)
RA und Notar Krau
In Erbfällen, besonders wenn Testamente älteren Datums sind und sich die Familienverhältnisse geändert haben, kommt es oft zu Streitigkeiten über die richtige Auslegung und die Anfechtung von Verfügungen. Der vorliegende Fall, der vor dem Kammergericht verhandelt wurde, beleuchtet diese Problematik am Beispiel eines gemeinschaftlichen Testaments, bei dem der ursprünglich eingesetzte Schlusserbe vorverstorben ist.
Die Erblasserin M. U. B. verstarb 2023. Sie war zweimal verheiratet und hatte aus erster Ehe mit O. L. einen gemeinsamen Sohn, M. L. O. L. hatte zudem zwei Kinder aus einer früheren Ehe (W. L. und K. K. L.). W. L. hatte zwei Kinder (Beteiligte zu 2 und 3). M. L. wiederum hatte drei Kinder: F. L. (die Beteiligte zu 1), M. L. und C. L. (verstorben 1999). Sowohl C. L. (1999) als auch M. L. (2022) verstarben vor der Erblasserin.
Das zentrale Dokument ist ein gemeinschaftliches Testament der Erblasserin und ihres ersten Ehemanns O. L. aus dem Jahr 1977. Darin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Für den Fall, dass der letztversterbende Ehegatte stirbt, sollte ihr gemeinsamer Sohn M. L. den Nachlass erhalten. Als Begründung wurde angegeben, dass die beiden Kinder von O. L. aus erster Ehe bereits zu Lebzeiten abgefunden worden waren. Besonders wichtig ist folgende Passage: „Sollte M. L. vorversterben, erben die beiden Kinder von O. L. aus erster Ehe je zur Hälfte.“
Nach dem Tod ihres ersten Ehemanns verfasste die Erblasserin 1996 ein weiteres handschriftliches Testament, in dem sie ihren Sohn M. L. als Alleinerben einsetzte. Am Tag des Todes ihres Sohnes M. L. (2022) setzte sie schließlich ihre Enkelkinder M. L. und F. L. (die Beteiligte zu 1) als alleinige Erben ein.
Nach dem Tod der Erblasserin beantragte die Beteiligte zu 1 zunächst einen Erbschein basierend auf der gesetzlichen Erbfolge. Nachdem sie jedoch das Testament von 1996/2022 gefunden hatte, änderte sie ihren Antrag auf testamentarische Erbfolge gemäß dem letzten Testament.
Das Amtsgericht entschied, dass die Erbfolge sich nach dem Testament von 2022 richtet. Es war der Ansicht, dass die Ersatzschlusserbenbestimmung im Testament von 1977, die die Kinder aus O. L.s erster Ehe bedacht hätte, nicht wechselbezüglich (also nicht bindend) sei. Die Eheleute hätten demnach nicht gewollt, dass der überlebende Ehegatte an diese Regelung gebunden ist und Enkelkinder nicht mehr berücksichtigt werden können. Dies gelte insbesondere, da die Kinder aus O. L.s erster Ehe bereits anderweitig abgefunden waren.
Gegen diese Entscheidung legten die Beteiligten zu 2 und 3 (Kinder von W. L., also Enkel von O. L. aus erster Ehe) Beschwerde ein. Sie argumentierten, die Auslegung des Amtsgerichts sei falsch. Ein Wille der Eheleute, die Bindung aufzuheben, sei nicht zweifelsfrei feststellbar. Daher müsse die gesetzliche Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB angewendet werden, die eine Wechselbezüglichkeit und damit Bindungswirkung der Ersatzschlusserbenregelung annimmt. Sie wiesen darauf hin, dass die Eheleute gerade nicht bestimmt hatten, dass die Abkömmlinge von M. L. erben sollten.
Das Kammergericht gab den Beschwerdeführern in einem Punkt Recht: Die Ersatzschlusserbenbestimmung im Testament von 1977 war wahrscheinlich wechselbezüglich. Das bedeutet, die Erblasserin war durch diese Bestimmung gebunden, da die Kinder aus O. L.s erster Ehe mit O. L. verwandt waren und O. L. die Erblasserin als Alleinerbin eingesetzt hatte.
Das Gericht stellte klar, dass ein entgegenstehender Wille der Eheleute, der die Wechselbezüglichkeit aufheben würde, im Testament selbst zumindest angedeutet sein muss. Ein Wille, der nicht im Testament enthalten oder angedeutet ist, ist wegen Formmangels nach § 125 Satz 1 BGB nichtig. Die Gerichte dürfen bei der Auslegung eines Testaments nicht einfach einen Willen unterstellen, der sich nicht im Text des Testaments oder zumindest in einem Hinweis darauf widerspiegelt. Die Eheleute hatten im Testament von 1977 den Fall, dass ihr Sohn M. Abkömmlinge hat und vorverstirbt, nicht geregelt. Allein der Umstand, dass die Kinder aus O. L.s erster Ehe bereits anderweitig abgefunden waren, genügte nicht als Andeutung dafür, dass die Eheleute nicht an die Ersatzschlusserbenregelung gebunden sein wollten, falls Enkelkinder geboren würden.
Obwohl das Kammergericht die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 zunächst als begründet ansah, kam es zu einem anderen Ergebnis: Die Beteiligte zu 1 (Enkelin der Erblasserin) erklärte im Laufe des Beschwerdeverfahrens die Anfechtung des Testaments von 1977 gemäß § 2079 BGB wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten.
Das Gericht bestätigte, dass die Beteiligte zu 1 und ihre Schwester (Enkelinnen der Erblasserin) pflichtteilsberechtigt sind, da sie Abkömmlinge der Erblasserin und ihres damaligen Ehemanns sind. Sie wurden erst nach Errichtung des Testaments von 1977 geboren und in diesem Testament nicht bedacht. Eine formwirksame Anfechtungserklärung wurde fristgerecht abgegeben, da die Beteiligte zu 1 erst Kenntnis von der sie betreffenden Verfügung im Testament von 1977 erhielt, nachdem die Erblasserin verstorben war und das Testament eröffnet wurde.
Die Anfechtung wäre nur ausgeschlossen, wenn anzunehmen wäre, dass die Erblasser (also die Erblasserin und ihr erster Ehemann) das Testament auch bei Kenntnis der späteren Geburt der Enkel (also der Beteiligten zu 1 und ihrer Schwester) so getroffen hätten. Hier trägt derjenige die Beweislast, der sich gegen die Anfechtung wendet (also die Beteiligten zu 2 und 3).
Das Kammergericht konnte nicht sicher feststellen, dass die Eheleute damals, wenn sie gewusst hätten, dass ihr Sohn M. zwar vorverstirbt, aber Kinder hinterlässt, dennoch die Kinder des Ehemanns aus erster Ehe als Ersatzschlusserben eingesetzt hätten. Die Begründung im Testament von 1977, dass die Kinder aus O. L.s erster Ehe bereits abgefunden waren und deshalb der gemeinsame Sohn M. Erbe werden sollte, deutet eher darauf hin, dass der Nachlass im Stamm des Sohnes M. bleiben sollte, wenn dieser Abkömmlinge hätte. Es sei unwahrscheinlich, dass der Nachlass dann an die Kinder aus O. L.s erster Ehe fallen sollte, deren Sachlage sich ja nicht wesentlich geändert hätte. Da das Gericht den notwendigen „hypothetischen Willen“ zur Aufrechterhaltung der Ersatzerbenregelung nicht positiv feststellen konnte, bleibt die Anfechtung nach § 2079 Satz 1 BGB bestehen.
Durch die wirksame Anfechtung der Ersatzschlusserbenbestimmung im gemeinschaftlichen Testament von 1977 wurde diese Regelung unwirksam. Damit war die Erblasserin nicht mehr an diese Bindung gebunden und konnte nach dem Tod ihres ersten Ehemanns die Erbfolge neu gestalten. Ihr letztes Testament vom 2022, in dem sie ihre beiden Enkelinnen (Beteiligte zu 1 und M. L.) zu Erben berufen hat, ist somit wirksam. Die älteren Testamente wurden durch dieses spätere Testament gemäß § 2258 Abs. 1 BGB widerrufen.
Dieser Fall zeigt eindringlich, wie wichtig eine präzise Formulierung von Testamenten ist und welche komplexen Fragen sich ergeben können, wenn sich Familienverhältnisse ändern und alte Testamente nicht angepasst werden. Es unterstreicht auch die Bedeutung der Anfechtung als Instrument zur Korrektur von Testamenten, die den tatsächlichen Willen des Erblassers unter veränderten Umständen nicht mehr abbilden würden.
Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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